Letzte Aktualisierung am 16. März 2016.

Im ENTSO-E Untersuchungsbericht zum Blackout in der Türkei am 31.03.2015 findet sich folgende bemerkenswerte Erkenntnis:

„A large electric power system is the most complex existing man-made machine. Although the common expectation of the public in the economically advanced countries is that the electric supply should never be interrupted, there is, unfortunately, no collapse-free power system.

ENTSO-E ist der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber, dem die Sorge einer Vermeidung eines Blackouts ein besonderes Anliegen ist – siehe auch die Bemühungen, die Herausforderungen bei der partiellen Sonnenfinsternis 2015 zu meistern.

Trotz der „allgemeinen“ Erwartung (s. o.) fand unter dem Motto „Blackout – Das Undenkbare zu denken wagen“ Anfang März in Stuttgart nun bereits die 4. Fachtagung zum Thema „Blackout“ statt. Wir beide durften wieder wie schon 2015 mit Vorträgen zum Gelingen der Fachtagung beitragen.

Erkenntnisse aus der Fachtagung

Die Eindrücke waren ambivalent. Einerseits wurden viele unserer Wahrnehmung zur schwindenden Netzsicherheit, zur zunehmenden Anzahl kritischer Eingriffe und der Ignoranz des Marktes gegenüber der physikalischen Realität aufs Neue bestätigt bzw. verstärkt. Experten zweifeln zunehmend an der Beherrschbarkeit dieser Entwicklungen. Trotzdem ist die Gesellschaft weiterhin nicht im Mindesten auf so ein extrem einschneidendes Ereignis vorbereitet.

Besonders muss auf die zunehmende Verletzlichkeit der kritischen Infrastrukturen durch vermehrten Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik hingewiesen werden. Das trifft verstärkt auch auf Entwicklungen zu, die mit dem Thema „Industrie 4.0“ propagiert werden. Die Beiträge zum Thema IT-Sicherheit verdeutlichten zudem, dass wir deutlich umsichtiger an das Thema „Smart Grids“ herangehen sollten, was auch gerade durch aktuelle Meldungen wie „Drohen deutschen Kraftwerken russische Hacker-Angriffe?“ unterstrichen wird.

Einen besonderen Höhepunkt stellten die Ausführungen von Professor Stefan Bornholdt von der Universität Bremen, Complex Systems Lab, dar. Er verdeutlichte sehr anschaulich, welche Gefahren durch ein nachweisbares Schwarmverhalten beim Einsatz von Smart Meter und dynamischen Strompreisen entstehen: Blackout durch intelligente Stromzähler. Hier kollidieren regelrecht die Wunschvorstellungen der Markt“fetischisten“ mit der von ihnen ignorierten physikalischen Realität.

Eindringlich wurde deutlich, dass die Energiewende noch ganz am Anfang steht, die notwendigen Entwicklungen nicht durchdacht und nicht zu Ende gedacht sind. Zudem sind die anstehenden Herausforderungen viel größer, als sie derzeit erscheinen. Sie sind aber zu bewältigen. Das erfordert jedoch ein neues Denken und Handeln, ganz nach Albert Einstein: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“

Die andere Seite unserer Wahrnehmungen waren die erfreulichen Beiträge österreichischer Verteilnetzbetreiber, die ihre Erkenntnisse aus den Vorbereitungen für den Netzwiederaufbau nach einem Blackout präsentierten. Es besteht durchaus eine realistische Hoffnung, dass die Wiederherstellung einer stabilen Stromversorgung in Österreich nach einem europaweiten Stromausfall binnen 24 Stunden möglich sein wird. Das Vorhandensein schwarzstartfähiger Wasserkraftwerke und die regelmäßigen Übungen sind ein unschätzbarer Vorteil. Ob ein Netzaufbau in anderen Ländern auch so gelingen würde, muss bezweifelt werden. Damit bleiben die Einschätzungen bzgl. der Beeinträchtigung der Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern weiterhin gültig, denn viele Prozess- und Logistikketten sind heute transnational organisiert und werden daher erst dann ordnungsgemäß funktionieren, wenn in weiten Teilen Europas wieder eine zuverlässige Stromversorgung sichergestellt ist.

Daher ist es erfreulich, dass das Thema „Blackout“ nun auch in Österreich breiter thematisiert wird und eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit gestartet wurde. Am 14. März 2016 wurde hierzu vom Land Oberösterreich eine Pressekonferenz „Blackout – Ein Stromausfall als steigende Herausforderung für alle Lebensbereiche – Netzwerk „Sicheres Oberösterreich“ ist in Österreich federführend bei der Bewusstseinsbildung zu diesem Katastrophenszenario“ ausgerichtet.

Aktuelle Situation

  • Die Netzeingriffe in den ersten zwei Monaten des 1. Quartals 2016 haben in Österreich bereits wieder neue Spitzenwerte erreicht. Dafür ist der März bisher eher „ruhiger“ verlaufen. Ein neuer Quartalsrekord bei den Netzeingriffen ist noch möglich.
  • Der österreichische Verteilnetzbetreiber EVN berichtete kürzlich, dass von Oktober 2015 bis Dezember 2015 mehr Regelleistung zur Netzstabilisierung abgerufen wurde, als zuvor zwischen Oktober 2014 und September 2015 insgesamt.
  • Die Schweiz dürfte diesen Winter aufgrund der günstigen Wetterentwicklungen ohne Zwischenfälle überstehen, betont aber ganz klar: „Aber: Nach dem Winter ist vor dem Winter…
  • Die im letzten Newsletter angeführte Herausforderung für Deutschland stellte sich gegenteilig heraus. Statt der erwarteten 14-tägigen Windflaute wurden erneut neue Spitzenwerte bei der Windstromproduktion erreicht. Die Prognose-Unsicherheiten sind demnach sehr groß, wobei die Volatilität zudem beträchtlich war. Die Schwankungen lagen zwischen 1 und 36 GW Windstrom (zum Vergleich: die gesamte österreichische Donaukette kann rund 2 GW erzeugen).
  • Die Gasspeichersituation in Österreich hat sich aufgrund der milden Temperaturen deutlich entspannt. Das Anfang Februar 2016 noch aktuelle Szenario eines Engpasses dürfte bis Mitte April nicht mehr eintreten.

Wir sollten uns aber hier keine Truthahn-Illusion machen. So klar wie in den vergangenen Monaten waren die Alarmzeichen noch nie.

Megatrend Achtsamkeit

Der Zukunftsforscher Matthias Horx erwartet für die nächsten Jahre einen Megatrend Achtsamkeit, auch als Gegenbewegung zur aktuellen Reizüberflutung und Negativstimmung. Er sieht hier eine enge Verbindung mit dem Wort Selbst-Wirksamkeit – welche auch hier immer wieder propagiert wird. „Nein, wir müssen nicht alles glauben, was uns jeden Tag, jede Minute um die Ohren fliegt.“ – was natürlich ein zweischneidiges Schwert sein kann. Glauben wir eher den täglichen Versprechungen, dass eh alles in bester Ordnung ist, oder lassen wir uns durch jede (Katastrophen-)Meldung herunterziehen und tragen zur selbsterfüllenden Prophezeiung bei? Unsere Aktivitäten könnten auch zur zweiten Klasse gezählt werden – wie etwa gerade Franz Hein in einem Radiointerview „Falsch geplant – Machen wir die Energiewende kaputt?“ zum Ausdruck gebracht hat. Aber gerade deshalb sind mündige BürgerInnen und EnergienutzerInnen gefragt!

Unsere Gesellschaft ist nicht mehr darauf vorbereitet, mit Krisen und Infrastrukturausfällen größeren Umfangs umzugehen. Gleichzeitig steigt aber die Wahrscheinlichkeit für derartige Ereignisse durch die zunehmenden wechselseitigen Abhängigkeiten in den Infrastruktursystemen. Daher sind hier besonders Achtsamkeit und ein gesundes Misstrauen gefragt.

Komplexität im Management

Die Wiener Kybernetikerin Maria Pruckner hat zwei lesenswerte Bücher zum Umgang mit Komplexität geschrieben. Eine ausführliche Zusammenfassung steht online zur Verfügung. Auch wenn der Fokus auf „Management“ gerichtet ist, lassen sich viele Ableitungen auch auf andere Systeme übertragen. Etwa, warum es uns so schwer fällt, sich auf neue Situationen einzustellen. Unser Gehirn ist kein Speicher, bei dem einmal speichern ausreicht, um etwas auszulösen bzw. zu verändern. Verhaltensänderungen setzen ein mehrfaches „Überschreiben“ des bisher Erlernten, also „Gespeicherten“ voraus. Ein anderes Problem, das uns permanent begleitet ist: „Über Effektivität und Produktivität entscheidet nicht die Menge der Nachrichten, sondern die Kapazität für ihre Aufnahme und die Qualität ihrer Verarbeitung.“

Zusammenfassend: Es fehlt nicht am nötigen Wissen oder an der nötigen Technik, sondern an der Fähigkeit, diese richtig in Beziehung zu setzen und im Sinne der Systemsicherheit zu nutzen. Allzu oft hören wir, dass sich etwas nicht rechnet oder etwas nicht geht, weil Gesetze dagegen sprechen. Hätten unsere Vorfahren in vergangenen Jahrhunderten auch nur nach rein betriebswirtschaftlichen Aspekten entschieden, dann gebe es heute keine Infrastrukturen. Zum anderen scheitern Lösungen häufig an selbstgesetzten rechtlichen Rahmenbedingungen, welche jedoch im Gegensatz zu physikalischen Gesetzen verändert werden können, wenn wir das wollen und tatsächlich tun.

Am 28. März wird es ein ausführliches Gespräch mit Herbert Saurugg auf Outside the Box – Magazin geben, welches auch im Internet nachgesehen werden kann.

Verschiedene Meldungen und Berichte

Analysen und eigene systemische Betrachtungen

Sorgenkind Stromversorgung

Sorgenkind Cybersicherheit

Sorgenkind Krisenmanagement

Blicke auf die Situation im europäischen Stromversorgungssystem

Die angeführten Beispiele stammen rein aus öffentlich verfügbaren Quellen. Sie zeigen die aktuellen Herausforderungen auf und sollten uns an die Truthahn-Illusion  erinnern.

  • Aktuelle Situation– Zusammenfassung der aktuellen Herausforderungen im europäischen Stromversorgungssystem
  • Schweiz: Wieso uns bald ein Blackout drohen kann– Lage in der Schweiz – in diesem Winter dürfte das Schlimmste überstanden sein.
  • Großbritannien kämpft gegen den Blackout– Auch in Großbritannien gibt es massive Probleme bei der Aufrechterhaltung der Stromversorgungssicherheit. Dabei spielen fehlende Investitionen in die Infrastruktur eine wesentliche Rolle. Bei Temperaturen unter 0°C werden massive Probleme erwartet.
  • Auswertung Redispatching & Intradaystopps– Auswertung der Eingriffe zur Netzstabilisierung – die Anzahl der Eingriffe ist weiter deutlich angestiegen und wird wahrscheinlich im 1. Quartal 2016 einen neuen Rekord erreichen.
  • „EVN: Die Abrufe im ersten Quartal(Geschäftsjahr 2015/16 – Oktober bis Dezember) für die Netzstabilisierung in Österreich und in Deutschland haben die Zahl des gesamten Geschäftsjahres 2014/15 bereits deutlich übertroffen.“ Quelle: finanzen.at
  • Negativstrompreistage – Auswertung der Tage mit Negativstrompreisen; bisher gab es im Jahr 2016 bisher 19 Stunden mit Negativstrompreisen. Im Vergleichszeitraum 2015 gab es jedoch bereits 42 Stunden! Die Stunden mit Preisen unter 20 Euro pro MWh haben deutlich zugenommen.