Energiepolitik
Auf EU-Ebene wird intensiv an einem gemeinsamen Strommarkt gearbeitet, bei dem überall dieselben Marktbedingungen gelten sollen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den infrastrukturellen Voraussetzungen, die nie für einen solchen Markt ausgelegt wurden. Daher wird oft zwischen dem Strommarkt und dem Stromnetz unterschieden („Energy-only-Market“). Die Physik lässt sich jedoch nicht durch Marktregeln außer Kraft setzen – ganz im Gegenteil.
Jedes EU-Mitgliedsland verfolgt zudem eine eigene Energiepolitik und Energiewende in unterschiedlichen Richtungen. Während einige Länder an der Atom- oder Kohlestrompolitik festhalten oder diese sogar ausbauen wollen, streben andere einen möglichst raschen und vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien an. Dadurch treffen unterschiedliche Denkweisen und dogmatische Ansätze aufeinander.
Die EU-Binnenmarktverordnung treibt das Ganze auf die Spitze. Bis Ende 2025 müssen mindestens 70 Prozent der technisch verfügbaren, grenzüberschreitenden Kapazitäten zwischen den Ländern dem Stromhandel zur Verfügung gestellt werden. Dies würde zwar zu einem effizienteren Stromaustausch zwischen den Ländern und einer besseren Nutzung der Kraftwerkkapazitäten führen, was auch beabsichtigt ist. Diese Maßnahme wird jedoch die Robustheit des Gesamtsystems massiv beeinträchtigen, da sich Kaskadeneffekte im Störungsfall aufgrund fehlender Unterstrukturen schneller und großflächiger ausbreiten können. Einen ersten Vorgeschmack darauf lieferte die europäische Großstörung am 8. Januar 2021, die zum Glück glimpflich ausging, was auch auf die hohe Verfügbarkeit von konventionellen Kraftwerkskapazitäten zum Zeitpunkt der Störung zurückzuführen war.
Je mehr auf volatile, wetterabhängige Energieerzeugung umgestellt wird, desto schwieriger wird die Beherrschung von Großstörungen, auch wenn Ereignisse in Großbritannien zeigen, dass systemdienliche Großbatteriespeicher wiederum zur Robustheit beitragen und solche Störungen beherrschbar halten können. Es ist jedoch offensichtlich, dass mit all diesen Entwicklungen im Strommarkt und im Infrastrukturbetrieb, wie der enorm steigenden Anzahl von Erzeugungsanlagen, der Digitalisierung und der Komplexität des Strommarktes, auch die Systemkomplexität mit den bekannten Nebeneffekten steigt.
Auf jeden Fall nimmt die Dynamik zwischen Veränderung und Anpassung seit Jahren zu und die Beherrschung wird immer schwieriger und aufwendiger. Die Systemtheorie warnt dazu: Komplexe Systeme sind Meister im Puffern von Störungen. Fehlt jedoch die Zeit zur Regeneration, drohen schwere Schäden bis hin zum Systemkollaps. Daher erfolgt auch hier eine intensive Auseinandersetzung mit dem Szenario eines möglichen überregionalen Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall („Blackout“).
Energiepolitisches Dreieck
Das Energiepolitische Dreieck, auch als Energietrilemma bekannt, ist ein Konzept, das die drei zentralen Ziele der Energiepolitik darstellt: Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit (Bezahlbarkeit) und Umweltverträglichkeit. Diese drei Ziele stehen oft in einem Spannungsverhältnis zueinander, und es ist eine Herausforderung, sie gleichzeitig zu erfüllen.
1. Versorgungssicherheit
Versorgungssicherheit bedeutet, dass jederzeit ausreichend Energie zur Verfügung steht, um den Bedarf der Bevölkerung und der Wirtschaft zu decken. Dies umfasst sowohl die kontinuierliche Bereitstellung von Strom als auch die Verfügbarkeit von Heizenergie und Kraftstoffen. Eine stabile Energieversorgung ist entscheidend für das Funktionieren moderner Gesellschaften und Wirtschaftssysteme. Störungen oder Ausfälle in der Energieversorgung können erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen haben.
2. Wirtschaftlichkeit und Bezahlbarkeit
Wirtschaftlichkeit bezieht sich auf die Kosten der Energieversorgung und die Bezahlbarkeit für die Verbraucher. Günstige Energie ist eine wesentliche Voraussetzung für den Aufbau und Erhalt des gesellschaftlichen Wohlstands.
Dies umfasst nicht nur die direkten Kosten für Energie selbst, sondern auch die Kosten für den Aufbau und Betrieb von Energieinfrastrukturen. Wirtschaftlichkeit ist auch ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und die Attraktivität eines Landes für Investitionen.
Dies erklärt auch, warum der Umbau des Energieversorgungssystems erhebliche Nebenwirkungen haben kann, die oft zu wenig beachtet werden. Zum anderen wird dadurch die Transformation in bisher energetisch unterversorgten Ländern nicht unbedingt erleichtert.
3. Umweltverträglichkeit
Umweltverträglichkeit bedeutet, dass die Energieversorgung so gestaltet wird, dass die Umweltbelastungen minimiert werden. Dies umfasst die Reduktion von Treibhausgasemissionen, die Vermeidung von Luft- und Wasserverschmutzung sowie den Schutz natürlicher Ressourcen. Der Übergang zu erneuerbaren Energien und die Steigerung der Energieeffizienz sind zentrale Maßnahmen, um die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung zu erhöhen.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Das Energiepolitische Dreieck stellt Politik und Wirtschaft vor die Herausforderung, diese drei Ziele in Einklang zu bringen. Oft stehen sie in einem Spannungsverhältnis zueinander:
- Versorgungssicherheit vs. Umweltverträglichkeit: Der Ausbau erneuerbarer Energien kann die Versorgungssicherheit beeinträchtigen, da diese Energiequellen wetterabhängig und volatil sind.
- Wirtschaftlichkeit vs. Umweltverträglichkeit: Umweltfreundliche Technologien sind oft teurer als konventionelle Energiequellen, was die Wirtschaftlichkeit beeinträchtigen kann.
- Versorgungssicherheit vs. Wirtschaftlichkeit: Investitionen in eine sichere Energieversorgung können hohe Kosten verursachen, was die Wirtschaftlichkeit beeinträchtigen kann.
Das Energiepolitische Dreieck bietet einen Rahmen, um die komplexen Herausforderungen der Energiepolitik zu verstehen und zu bewältigen. Es erfordert eine ausgewogene und vorausschauende Planung, um eine nachhaltige, sichere und wirtschaftliche Energieversorgung zu gewährleisten, und genau hier sind erhebliche Lücken und eine unzureichende Ausbalancierung zu beobachten.
Der zentrale Fehler
Ein zentraler Fehler bei der bisherigen Umsetzung der Energiewende liegt in der fehlenden Einführung eines strukturierten Programmmanagements mit integriertem Controlling und einem abgestimmten Plan-Do-Check-Act-Prozess (PDCA). Ein solcher Ansatz aus dem Qualitätsmanagement hätte es ermöglicht, die Energiewende systematisch zu planen, umzusetzen, zu überprüfen und kontinuierlich anzupassen. Ohne diese Methodik kommt es immer wieder zu vermeidbaren Überraschungen und Fehlentwicklungen.
Damit ist jedoch weder ein starrer Masterplan noch eine zentrale Steuerung gemeint – und schon gar kein Mikromanagement, wie es leider oft zu beobachten ist. Vielmehr geht es darum, die Energiewende in einem flexiblen und anpassungsfähigen Rahmen zu gestalten, der sowohl den übergeordneten – und in einem komplexen Umfeld immer auch widersprüchlichen – Zielen als auch den Details Rechnung trägt. Dabei ergibt sich das Verständnis der einzelnen Elemente immer aus der Kenntnis des Gesamtsystems und nicht umgekehrt. Nur wenn wir das große Ganze im Auge behalten, können wir sicherstellen, dass die einzelnen Maßnahmen sinnvoll ineinander greifen und nicht isoliert betrachtet werden. Eine zu starke Fokussierung auf Details oder kurzfristige Optimierungen ohne Berücksichtigung des Gesamtsystems führen hingegen häufig zu Fehlentwicklungen und einer Verschärfung bestehender Probleme.
Quelle: isoglobal.com.au
Ein effektives Programmmanagement hätte nicht nur klare Ziele und Maßnahmen definiert, sondern auch deren Fortschritt regelmäßig überprüft, Zielkonflikte oder Widersprüche klar benannt und auf Basis der Ergebnisse und Erkenntnisse Anpassungen vorgenommen. Dies ist besonders wichtig in einem so komplexen und dynamischen Feld wie der Energiewende, in dem sich die technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ständig ändern. Fehlende Pufferkapazitäten und Speicherlösungen im Energiesystem sind beispielsweise eine Folge dieser unzureichenden Planung. Solche Defizite führen zu Schwankungen, Preissprüngen und Engpässen – Probleme, die wir auch aus anderen Bereichen wie der Logistik kennen, wenn Effizienzsteigerungen ohne ausreichende Resilienzmaßnahmen umgesetzt werden.
Ein PDCA-Zyklus würde sicherstellen, dass die Energiewende nicht nur ideologisch oder politisch gesteuert wird, sondern auf einer fundierten Machbarkeits- und Wirkungsanalyse basiert. Er würde es auch ermöglichen, physikalische Gesetzmäßigkeiten und Systemgrenzen frühzeitig zu berücksichtigen, anstatt sie durch kurzfristiges Mikromanagement zu ignorieren. Nur mit einem solchen systemischen Ansatz kann die Energiewende nachhaltig gestaltet werden, ohne die Versorgungssicherheit oder die wirtschaftliche Stabilität zu gefährden.
Was kann daher getan werden?
Ein pragmatischer Ansatz
Alle Akteure, die ab einer bestimmten Größe am Strommarkt teilnehmen wollen, sollten verpflichtet werden, eine definierte Anzahl von Stunden im Jahr gesicherte Leistung liefern zu können. Dies würde Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE-Anlagen) automatisch dazu bewegen, Partnerschaften einzugehen – entweder mit Energiespeichern oder mit konventionellen Kraftwerken. Eine solche Regelung würde die Integration der erneuerbaren Energien in das Gesamtsystem fördern und gleichzeitig ihre Zuverlässigkeit erhöhen. Ergänzend könnte ein CO₂-Rahmen eingeführt werden, der sicherstellt, dass Kooperationen bevorzugt mit emissionsarmen Technologien erfolgen. Auf diese Weise würde sich das System schrittweise selbst regulieren.
Derzeit wird jedoch in viele verschiedene Richtungen gefördert, oft ohne klare Prioritäten und ohne Systembezug. Dies verschärft die Probleme, da jeder Akteur in erster Linie seinen eigenen Vorteil verfolgt und systemische Erfordernisse oft außer Acht lässt. Um dem entgegenzuwirken, sollten Fördermittel ausschließlich für Anlagen und Strukturen bereitgestellt werden, die einen nachweisbaren Beitrag zur Systemstabilität leisten. Das bedeutet, dass nur systemdienliche Technologien gefördert werden sollten, die nicht nur wirtschaftlich sind, sondern auch Versorgungssicherheit und Resilienz gewährleisten. Ein solcher Ansatz würde nicht nur die Energiewende beschleunigen, sondern auch ihre Nachhaltigkeit langfristig sichern.
Dezentrale Funktionseinheiten
Darüber hinaus sind dezentrale Funktionseinheiten mit einem sektorübergreifenden Energiemanagement erforderlich, die als „Energiezellensystem“ bezeichnet werden. Dieses Konzept orientiert sich an der Natur, wo Zellen als autonome, aber vernetzte Einheiten agieren und so Stabilität und Anpassungsfähigkeit gewährleisten. Die Idee ist, Probleme dort zu lösen und auszugleichen, wo sie entstehen – also möglichst dezentral. Dadurch wird nicht nur die Resilienz des Gesamtsystems gestärkt, sondern auch die Abhängigkeit von großflächigen zentralen Lösungen reduziert, wenngleich eine zentrale „Orchestrierung„, jedoch keine Steuerung, weiterhin unverzichtbar ist!
Ein weiterer Vorteil solcher Energiezellen ist ihre Flexibilität: Innerhalb dieser Einheiten können unterschiedliche Technologien und Ansätze getestet werden, ohne das übergeordnete Energiesystem zu gefährden. Dies schafft Raum für Innovationen und ermöglicht es, verschiedene Lösungsansätze zu testen, um die besten zu identifizieren. Gleichzeitig wird eine Vielfalt von Technologien und Strategien gefördert, die für die Bewältigung der zunehmenden Komplexität des Energiesystems unerlässlich sind.
Ohne diese Vielfalt und Dezentralität werden die Herausforderungen der Energiewende kaum zu bewältigen sein. Die Natur zeigt uns, dass Systeme mit hoher Diversität und lokaler Anpassungsfähigkeit evolutionär überlebensfähiger sind. Wenn wir diese Prinzipien ignorieren oder zu umgehen versuchen, riskieren wir die Stabilität unseres Energiesystems. Ein Energiezellensystem ist daher nicht nur eine technologische Lösung, sondern ein evolutionär bewährtes Modell für eine nachhaltige und zukunftssichere Energieversorgung.
Wir brauchen daher ein systemisches, vernetztes Denken und Handeln!
Gerade in Zeiten großer Unsicherheiten und Umbrüche folgen Menschen schnell falschen Leitbildern oder Heilsversprechen. Und das Perfide daran ist, dass es immer genügend Argumente dafür oder dagegen gibt, mit denen wir nur schwer umgehen können. Deshalb neigen wir zur Polarisierung, um diesen inneren Widerspruch aufzulösen. Diese toxische Polarisierung mit einem „Schwarz-Weiß-Denken“ erleben wir derzeit bedauerlicherweise in vielen Bereichen, so auch beim Thema Energie.
Wenn wir eine positive Zukunft anstreben und die zunehmende Komplexität bewältigen wollen, dann wird uns dies nur mit einem „Sowohl-als-auch“ Denken und -Handeln gelingen. Und diese Fähigkeit ist leider nicht unbedingt unsere Stärke und wird auch im Bildungssystem noch viel zu wenig als Kernkompetenz gefördert.
Das bedeutet auch, dass es immer Widersprüche und auch unterschiedliche Sichtweisen geben wird, denen wir mit einem „Entweder-oder-Denken“ nicht gerecht werden können. Wir wissen aber aus der Geschichte, dass Polarisierungen fast immer in Katastrophen enden, weil sie unüberwindbare Feindbilder schaffen. Deshalb gilt es, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, auch wenn eine Schwarz-Weiß-Sicht oft als einfacher und weniger anstrengend empfunden wird. Dies gilt es auch in der gesamten Diskussion um die Energiewende und den Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung verstärkt zu berücksichtigen.
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