Im Zuge des letzten Newsletters  kam bei uns die Diskussion auf, ob wir nicht stärker auf positive Aspekte fokussieren sollten, etwa, was notwendig ist, damit die Energiewende auch gelingen kann. In einem Newsletter des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie ist von „Mitdenkenden“ Zählern mit auch sonst ganz absonderlichen Fähigkeiten die Rede. Damit erübrigt sich eigentlich unser eigenes Denken, wie denn die Energiewende gelingen kann. Wir haben dann trotzdem nachgedacht und sind zum Schluss gekommen, dass wir der Verdummung wie auch der Verharmlosung dieses riesigen Umbruchs in der Energieversorgung etwas entgegen setzen müssen.

Ähnliches gilt beim Thema Krisenvorsorge, wo wir immer wieder zu hören bekommen, wer den nicht alles etwas macht bzw. zuständig wäre, um von der eigenen Verantwortlichkeit abzulenken bzw. um zu rechtfertigen, warum man sich zu keinen eigenen Handlungen durchringt. Wir wollen daher weiterhin auf mögliche Schattenseiten und Problemstellungen (= „Herausforderungen“) hinweisen und keine „Schönwetterbetrachtung“ durchführen, sondern ganz im Sinne von Albert Einstein die wunden Punkte ansprechen: „Das Problem zu erkennen ist wichtiger, als die Lösung zu erkennen, denn die genaue Darstellung des Problems führt zur Lösung.

Beiträge zum Gelingen der Energiewende

zellenNichtsdestotrotz   werden wir auch weiterhin wo immer es möglich ist positive Beiträge zum Gelingen der Energiewende beisteuern und wenn es passt, auch hier darüber berichten. So freut es uns besonders, dass wir mit dieser Zielsetzung unser Netzwerk wieder erweitern und Walter Schiefer zur aktiven Mitarbeit gewinnen konnten. Er wird seine langjährige praktische Erfahrung als innovativer Geschäftsführer der Feistritzwerke-STEWEAG und Stadtwerke Gleisdorf vor allem im Bereich des Energiezellensystems und seine Überlegungen zu einem „digitalen Blackout Katastrophenschutz Atlas“ einbringen. Derzeit laufen auch einige Vorbereitungen, um ein Forschungsprojekt zum Thema „Energiezelle(nsystem)“ auf die Beine stellen. Sollten Sie hier Interesse haben bzw. sich einbringen wollen, dann melden Sie sich bitte bei uns!

Feedback

Wir bekommen immer wieder vereinzelt ein Feedback zu unserem Newsletter, aber es freut uns dann umso mehr, wenn er auch trotz der umfangreichen Informationen gelesen sowie für nützlich und anregend befunden wird. Besonders erfreulich ist, dass der Newsletter auch in verschiedenen Netzwerken weiterverteilt wird und daher sogar von unerwarteter Seite positive Rückmeldungen kommen. Besonders häufig kommen sie von Technikern, die unsere Einschätzungen bestätigen. Danke dafür und lassen Sie uns gerne wissen, was für Sie gut ist und was noch besser gemacht werden könnte, oder was Ihnen vielleicht noch fehlt. Mit einem Klick erreichen Sie uns alle drei;-).

Komplexität

Wir adressieren auch die Schattenseiten der unzweifelhaft notwendigen Entwicklung, nicht weil wir uns gerne mit Negativem beschäftigen, sondern weil unsere Erfahrungen zeigen, dass die Tragweite der unsystemischen Eingriffe in das europäische Stromversorgungssystem, die Folgen eines möglichen Blackouts bzw. die Erfordernisse für eine erfolgreiche Energiewende völlig unterschätzt werden. Uns ist bewusst, dass dies mit dem Überhandnehmen eines Wunschdenkens und dem sich mehr und mehr verbreitenden Ignorieren der Wirklichkeit (siehe die „mitdenkenden“ Zähler) zusammenhängt. Auch die mit dem totalen Umbruch bei der Grundlage der Energieversorgung verbundene Komplexität spielt eine große Rolle., Rahmenbedingungen und notwendige Vorgehensweisens sind wirklich schwer durchschaubar  und können nur mit viel Aufwand etwas transparenter gemacht werden.

Jedoch zu glauben, dass man durch Wunschvorstellungen und Marketingsprüche das tiefere Nachdenken umgehen könne, ist einfach nur falsch. „Mitdenkende Zähler“, exportierter Kohlestrom oder (maschinell?) erkennbarer „Öko“-Strom, so als hätte Strom ein Mascherl (ein „Schleifchen“, eine RFID, ein Etikett), und vieles mehr zeigen von völliger Unkenntnis oder bewusster Irreführung. Beides ist inakzeptabel, aber bittere Realität. Möchten wir so getäuscht werden? Ist das ein Bedürfnis? Dazu etwa Jürg Honegger in „Vernetztes Denken und Handeln in der Praxis“ (Buchauswertung) – nachfolgend zwei Stellen im Buch herausgegriffen:

Komplexitätsfalle bedeutet, wenn in einer unerwarteten Situation die Dynamik wächst, nimmt die verfügbare Zeit, um die richtigen Entscheidungen zu treffen, ab, während gleichzeitig die für die Entscheidungsfindung benötigte Zeit zunimmt, weil auch die Komplexität wächst. (…) Nebenfolgen werden unter Zeitdruck bewusst oder unbewusst in Kauf genommen. Statt zu agieren verfällt man immer mehr ins Reagieren, so dass einem die Kontrolle zusehends entgleitet. S. 45.

Einfache (im Sinne von simplen) Lösungen sind – wenn die vielfältigen Auswirkungen der Eingriffe bei komplexen Fragestellungen nicht beachtet werden – oft wenig oder nur sehr kurzfristig erfolgreich, weisen schwerwiegende Nebenwirkungen auf oder dienen bloß der Symptombekämpfung. S. 49.

Betriebswirtschaftliche Engstirnigkeit

Das aktuelle wirtschaftliche Umfeld führt zu einer immer stärkeren Einengung des Betrachtungshorizonts. So gut wie auf jeder Veranstaltung rund um die Energiewende geht es nur mehr darum, wann sich die Investitionen amortisieren („Return on Investment“) bzw. ob überhaupt noch investiert werden soll. Infrastrukturprojekte erfordern einen langen, zukunftsgerichteten Zeithorizont und die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit und der Systemsicherheit. Dass Versorgungssicherheit wichtig sei, wird ggf. noch betont, aber was das wirklich bedeutet, ist dann nicht mehr Gegenstand der Betrachtungen. Offensichtlich leben wir schon zu lange in einer zu hohen Komfortzone, so dass wir uns das Gegenteil gar nicht mehr vorstellen können (auch nicht wollen – weil nicht mehr komfortabel), bzw. keinen Bezug mehr dazu haben, was dafür notwendig ist (Verletzlichkeitsparadox bzw. Truthahn-Illusion).

Geld ist keine Energie

Hätten unsere Vorgängergenerationen ähnlich wie wir heute (rein betriebswirtschaftlich) gedacht und gehandelt, so gebe es heute kaum Infrastrukturen und wir würden in einer ganz anderen Ära leben. Daher: Geld ist keine Energie. Geld kann fehlende Energie nie und nimmer ersetzen. Geld kann keine Energie herbeischaffen, wenn keine mehr da ist. Die Endlichkeit von Vorräten kann nicht durch Wunschvorstellungen, dass jetzt noch vorhandene Vorräte einfach lange genug (vielleicht auch nur für uns) reichen, negiert werden. Wir Menschen können mit der Endlichkeit, auch unserer eigenen Endlichkeit, offenbar einfach nicht vernünftig umgehen. Die Kunst, sich selbst zu täuschen, steckt in uns drin und bestimmt viel zu oft unser Denken und Handeln.

X-events und strategische Schocks

s-kurve-350Herbert arbeitet  gerade im Rahmen eines Projektes mit dem renommierten Komplexitätsforscher John Casti  zusammen. Dabei verbindet die Einschätzung, dass uns eine tiefgreifende gesellschaftliche Weiterentwicklung nicht ohne Extremereignisse (X-events bzw.  strategische Schocks) gelingen wird. Nicht, weil wir Pessimisten oder Weltuntergangsanhänger wären, sondern weil es etwa in der System- und Komplexitätstheorie gewisse Gesetzmäßigkeiten gibt, die, wenn man sie zu lange missachtet, zwangsläufig zu einem Crash führen. Am besten lässt sich das am s-förmigen Wachstum darstellen. Werden die schwachen Signale ignoriert, gelangt man unweigerlich in eine exponentielle Entwicklung, die irreversibel ist und zum Crash führt. Aus der Natur kennen wir dazu den Tumor (auch Krebs genannt). In der Wirtschaft gibt es verschiedene Unternehmen, welche die rechtzeitige Neuausrichtung verschlafen haben. Diese s-förmigen Entwicklungen sind ganz normal und bestimmen die Weiterentwicklung. Sie sind in der Resilienz auch als die liegende Acht bzw. als Anpassungszyklen bekannt. In der Natur ist grundsätzlich alles begrenzt und der Übergang von einer Stufe zur nächsten kann meist mittels der vorgestellten s-förmigen Wachstumskurve beschrieben werden. Singularitäten durch „Polstellen“, bei denen ein physikalischer Wert (oder eine Anzahl von Teilen) gegen Unendlich geht, können zwar mit mathematischen Formeln beschrieben werden, aber die Gültigkeitsbereiche der verwendeten Formeln werden dabei verlassen. Leider werden bei der Anwendung der Mathematik die Gültigkeitsbereiche nicht automatisch mit betrachtet. Das führt dann zu einem logischen „Kurzschluss“.

Exponentielle Entwicklungen bei einem Blackout

Exponentielle Entwicklung Blackout 300

Bei einem Blackout sind auch eine ganze Reihe an exponentiellen Entwicklungen zu erwarten, mit denen wir nur sehr schlecht umgehen können, da wir gewohnt sind, linear (meist durch Schließen von n auf n+1) zu denken. So ist zu erwarten, dass die ersten Stunden eines Blackouts noch sehr ruhig verlaufen werden, da einfach nichts mehr geht. Daher besteht die Gefahr, dass die weiteren Entwicklungen massiv unterschätzt werden. Mit jeder Stunde Ausfall werden sich jedoch die Auswirkungen vervielfachen, sich in ganz andere Bereiche ausdehnen und je länger der Stromausfall dauert, desto länger wird auch die Rückkehr zur Normalität dauern – nicht linear, sondern ebenfalls exponentiell, was wir uns halt nur schwer vorstellen können. Und ein „Üben“ ist schlechterdings unmöglich, da die Auswirkungen derartig dramatisch sind, dass sich ein Lernen durch Üben verbietet. Daher ist es besonders wichtig, jetzt schon vorbereitend mit dem Aufbau von Krisenorganisationen zu beginnen, im Falle eines Blackouts frühzeitig mit der Eskalation der Krisenorganisationen und der Vorbereitungen von Hilfsmaßnahmen zu starten, und das in der Zeit, wo noch Teile der Infrastrukturen verfügbar sind und ein Organisieren noch möglich ist. Jedoch sollte man dabei nicht in Aktionismus verfallen, sondern sich nur auf das vorbereiten, was noch kommen mag. Das umfasst etwa auch die Vorbereitung und Einteilung von Schichtdiensten, oder die Kontaktaufnahme mit anderen Organisationen und Unternehmen oder (wegen der Lebensmittelversorgung) mit Landwirten, wo man bei Fortdauer mit Problemen rechnen muss. Hierzu ist eben auch eine Krisenvorsorge erforderlich, damit man abschätzen kann, wo „Hotspots“ entstehen könnten.

Phasen Blackout 600Der zweite Faktor, der massiv unterschätzt wird, sind die zwei Phasen eines Blackouts. Insbesondere der zweite Teil, dann, wenn die Stromversorgung wieder halbwegs stabil zur Verfügung steht und die anderen Infrastrukturen erst wieder zu einer Normalität zurückkehren müssen. In dieser Phase kann es durchaus noch zu Rückschlägen und zum erneuten Stromausfall kommen. Das ist auch technisch bedingt, weil die Wiederkehr der Spannung bei etlichen Komponenten zu einer zunächst deutlich erhöhten Stromaufnahme führt.

Netzeingriffe steigen weiter an

Die aktuellen Monatsauswertungen (April) der Eingriffe zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität und Versorgungssicherheit zeigen, dass sie weiter deutlich angestiegen sind. Die Marktstopps (Intraday-stops) haben sich in Österreich gegenüber April 2015 versechsfacht. Die Gesamtstundenanzahl ist von 156 auf 1.592 Stunden angestiegen. Und dies, obwohl der April wettermäßig eher entspannt war. Solche Netzeingriffe sind dann notwendig, wenn nur durch Änderungen der Einspeisungen und/oder Belastungen die Netzsicherheit eingehalten werden kann.

Verdreifachung der Reservekapazitäten in Österreich

Besonders spannend werden wohl auch die kommenden Maiwochenenden, sollte Schönwetter herrschen. Denn die PV-Anlagen erreichen in dieser Jahreszeit ihr Optimum. Gleichzeitig sinkt der Verbrauch an den Feiertagen, was zu einer besonderen Herausforderung für die Einhaltung des ständig notwendigen Leistungsgleichgewichts wird. Der österreichische Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) hat gerade für den kommenden Sommer die Reservekapazitäten für die Netzregelung ausgeschrieben. Sie wird verdreifacht bzw. von rund 10 auf 30% des Maximalumfanges (Sommer) angehoben. Was grundsätzlich positiv ist, um die Beherrschbarkeit weiterhin sicherzustellen. Gleichzeitig darf das durchaus als „Warnsignal“ (Achtsamkeit!) verstanden werden, denn das ist ein Schritt der völlig gegenläufig zum bisherigen Vorgehen der Regulierungsbehörde ist, die das genehmigen muss. Überlegen Sie einmal, was es bedeuten würde, wenn Sie in Ihrem Unternehmen, in Ihrer Organisation, die Risikovorsorge von 10 auf 30 Prozent des Maximalwertes erhöhen müssten!

Verwerfungen auf dem Strommarkt

Im Jahr 2016 gab es bisher im Vergleich zu 2015 deutlich weniger Stunden mit Negativstrompreisen. Dafür sind die Stunden mit Strompreisen unter 20 Euro pro MWh förmlich explodiert. Waren es im gesamten Jahr 2015 rund 400 Stunden, so sind es in den ersten vier Monaten diesen Jahres bereits  weit über 400 Stunden. Der Strompreis an der Börse pendelt derzeit um die 20-30 Euro pro MWh. Ein Preisniveau, mit dem in vielen Kraftwerken die Gestehungskosten nicht mehr abgedeckt werden können. Gleichzeitig kommt dieser niedrige Strompreis jedoch nicht bei den Kunden an, da dieser nur etwa ein Drittel des Gesamtpreises (Energiepreis, Netznutzungsentgelt, Abgaben und Steuern) ausmacht. Das Verständnis für die Gesamtsituation ist weitgehend nicht mehr vorhanden, bzw. sinkt permanent. Siehe dazu auch unsere Überlegungen zum Thema Netznutzungsentgelt. Wenn sich nicht einmal mehr Wasser- und Speicherkraftwerke rechnen, dann gibt es ein massives Problem und aus heutiger Sicht nicht lösbare Herausforderungen bei der Energiewende. Denn diese Verwerfungen führen dazu, dass in die Infrastruktur nicht mehr investiert wird, was zu zeitverzögerten negativen Auswirkungen führt (siehe auch Stichwort „Aging Infrastructures„). In einer aktuellen Arte-Dokumentation wurde festgestellt, dass alleine in Frankreich ein Investitionsbedarf von rund 300 Milliarden Euro besteht, um die französische Strominfrastruktur an die laufenden Anforderungen anzupassen. Hier sei nochmals der Hinweis erlaubt, dass das europäische Stromversorgungssystem nur im gesamten funktioniert.

Die neue Normalität – VUCA

Wie sich bewusste oder gut gemeinte Ignoranz von Themen auswirken kann, zeigen gerade die wenig erfreulichen politischen und sozialen Entwicklungen in Europa. Und gerade beim Thema „Blackout“ sind die regierenden politischen Parteien drauf und dran das letzte Vertrauen der Bevölkerung zu verspielen. Wobei wir davon überzeugt sind, dass diese und viele anderen aktuellen Herausforderungen nicht mehr mit Parteipolitik („Silodenken“), sondern nur durch eine intensive Kooperation mit einer partizipativen Einbindung der Bevölkerung bewältigbar sind. Die neue „VUCA-Normalität“ (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität/Mehrdeutigkeit/Widersprüchlichkeit) bei der Transformation zur Netzwerkgesellschaft wird immer deutlicher.

Verschiedene Meldungen und Berichte

Analysen und eigene systemische Betrachtungen

Sorgenkind Stromversorgung

Sorgenkind Cybersicherheit

Sorgenkind Krisenmanagement

Blicke auf die Situation im europäischen Stromversorgungssystem

Die angeführten Beispiele stammen rein aus öffentlich verfügbaren Quellen. Sie zeigen die aktuellen Herausforderungen auf und sollten uns an die Truthahn-Illusion  erinnern.

  • APG erhöht Aufwand, um Blackout zu verhindern – für den kommenden Sommer wird die Reservekraftwerksleistung verdreifacht 
  • Aktuelle Situation– Zusammenfassung der aktuellen Herausforderungen im europäischen Stromversorgungssystem
  • Auswertung Redispatching & Intradaystopps– Auswertung der Eingriffe zur Netzstabilisierung – die Anzahl der Eingriffe ist weiter deutlich angestiegen und hat im 1. Quartal 2016 einen neuen Rekord erreicht. Auch  im April wurden neue Spitzenwerte erreicht.
  • Negativstrompreistage – Auswertung der Tage mit Negativstrompreisen; im Jahr 2016 gab es bisher 25 Stunden mit Negativstrompreisen. Im Vergleichszeitraum 2015 gab es bereits 63, oder soviel wie im gesamten Jahr 2014. Die Preise an der Börse sind so weit abgesunken, dass bisherige Geschäftsmodelle obsolet geworden sind. Getätigte Investitionen müssen abgeschrieben werden.