Quelle: alertswiss.ch, Webseite: Pop-Alert

Ob Hochwasser, Chemieunglück oder Terroranschlag – im Katastrophenfall ist die möglichst schnelle und präzise Alarmierung und Information der Bevölkerung oberstes Gebot. Jede Minute Verzögerung kann Menschenleben kosten. Die letzten zwei Jahre habe ich gemeinsam mit Schweizer und europäischen Kollegen im Forschungsprojekt Pop-Alert untersucht, wie die Krisenkommunikation der Zukunft aussehen könnte. Im Februar haben wir hierzu eine Szenario-Übung in Lissabon durchgeführt, bei der wir neue Instrumente der Krisenkommunikation testen konnten. Im Zentrum stand dabei die Nutzung zukunftsweisender Kommunikations- und Informationstechnologien für die zielgruppenorientierte und länderübergreifende Alarmierung.

Brüssel als jüngstes Beispiel der Krisenkommunikation 2.0

Der enorm schnelle Wandel in der Mediennutzung der Bevölkerung stellt heute eine der zentralen Herausforderungen in der Krisenkommunikation dar. Während Radio, Fernsehen und Zeitung insbesondere bei jüngeren Menschen an Bedeutung verlieren, werden mobile Online-Medien immer wichtiger. Die Behörden des Bevölkerungsschutzes versuchen mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten und neue Medien für die Krisenkommunikation zu nutzen. So spielten bei den jüngsten Terroranschlägen in Brüssel Ende März die Social Media-Kanäle des nationalen Krisenzentrums und der Stadtverwaltung Brüssels eine zentrale Rolle für die Verbreitung von Informationen und die Korrektur von Fehlinformation und Gerüchten.

Studien (beispielsweise die von Douglas Paton) zeigen,  dass die alleinige Übermittlung einer Warnung oder einer Handlungsempfehlung noch keineswegs garantiert, dass die Bürgerinnen und Bürger die von den Behörden beabsichtigten Verhaltensmassnahmen auch tatsächlich ergreifen. Erfolgreiche Krisenkommunikation basiert auf einem grundlegenden Verständnis der sehr unterschiedlichen Risikowahrnehmungen, Kommunikationsgewohnheiten und Informationsbedürfnissen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen.

Der Grundstein effektiver Krisenkommunikation

Deshalb können je nach Alter, Bildungsstand, Herkunft usw. ganz unterschiedliche Ansätze der Krisenkommunikation zum Erfolg führen. In allen Fällen ist es unbedingt notwendig, die Kommunikationsbeziehungen zwischen Behörden und Bevölkerung bereits vor der Krise aufzubauen und so den Grundstein für effektive Krisenkommunikation zu legen.

Das lokale Wissen fehlt

Eine besondere Herausforderung in der Krisenkommunikation in vielen Länder stellt die wachsende Mobilität innerhalb und über Landesgrenzen hinweg dar. Insbesondere bei Katastrophenereignissen in urbanen Räumen ist ein grosser Anteil der betroffenen Personen nicht dauerhaft am Ort des Geschehens ansässig. Hierzu zählen unter anderem Touristen, Geschäftsreisende, Berufspendler, Austauschstudenten und Flüchtlinge. Die Tatsache, dass die Hälfte der Opfer der Brüsseler Anschläge Ausländer waren, macht deutlich, wie heterogen die europäischen Gesellschaften (einschliesslich der Schweiz) sind. Wichtig ist dabei, dass all die genannten Gruppen gemein haben, dass sie häufig weder mit den lokalen Gefahren und dem richtigen Umgang mit ihnen vertraut sind, noch die örtlichen Behörden und deren Alarmierungssystem ausreichend kennen.

Alarmierung europäisch denken

Als logische Konsequenz aus der wachsenden Mobilität erscheint daher, die nationalen Grenzen der Krisenkommunikation zu überwinden und länderübergreifende Lösungen zu entwickeln. Ein überaus erfolgreiches Beispiel hierfür ist die Einführung der europäischen Notrufnummer 112 Anfang der Neunzigerjahre. Gleichzeitig stehen die Bemühungen, die kulturelle und sprachliche Vielfalt Europas in der Krisenkommunikation zu berücksichtigen, erst am Anfang. Einen Beitrag in diese Richtung möchte das europäische Forschungsprojekt Pop-Alert leisten.

Forschungsprojekt

Zum Beispiel zeigte eine Befragung von über 1200 Bürgern aus unterschiedlichen europäischen Ländern, dass sich je nach Herkunft die Bereitschaft individuelle Vorsorgemassnahmen zu ergreifen stark unterscheidet. Auch auf die Frage, was sie bei einer Evakuierungsaufforderung tun würden, gaben die Teilnehmer sehr unterschiedliche Antworten.

Zugleich ist klar, dass ein Forschungsprojekt wie Pop-Alert nicht mehr sein kann als ein Anstoss für stärkere internationale Zusammenarbeit und transnationale Lösungen. Langfristig wird entscheidend sein, ob die europäischen Staaten die Notwendigkeit zur verstärkten Kooperation in der Krisenkommunikation erkennen. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht noch viele weitere schreckliche Ereignisse wie jene jüngst in Brüssel braucht, um wirkliche Fortschritte zu erzielen.

Neue Plattform mit mehrfachem Nutzen

Auf Grundlage dieser Ergebnisse konnten Instrumente und Prozesse zur Alarmierung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen im Ereignisfall erarbeitet werden. Zugleich soll die Vorbereitung der europäischen Bevölkerung auf mögliche Katastrophenereignisse verbessert werden. Im Kern besteht das Konzept aus einer Online-Plattform mit unterschiedlichen Trainingsmodulen und Informationsressourcen für Behördenvertreter und die allgemeine Bevölkerung (einige der wichtigsten Verhaltenstipps sind bereits jetzt über die Webseite von Pop-Alert verfügbar.)

Im Falle einer Katastrophe wechselt die Plattform in einen Alarm-Modus, der der Bevölkerung geo-basierte Informationen und Verhaltenshinweise liefert. Gleichzeitig werden die Behörden in der Lagebeurteilung und der öffentlichen Kommunikation unterstützt. Bei der Entwicklung der Instrumente wurde ein besonderes Augenmerk auf die Berücksichtigung sowohl lokaler als auch nicht-lokaler Gruppen (unter anderem Touristen oder Austauschstudenten) gelegt.