Quelle: Max-Planck-Gesellschaft, München

Die Suche nach Leitungen, die Schwachpunkte im Stromnetz darstellen, wird künftig einfacher.

Ob in einer Stadt oder einer ganzen Region der Strom ausfällt, hängt oft nur von einzigen Leitung ab. Bricht eine wichtige Trasse weg, kann es zu einem Blackout kommen, mit möglicherweise immensem wirtschaftlichen Schaden. Die Betreiber von Stromnetzen suchen deshalb mit aufwendigen Simulationen nach Schwachpunkten im Stromnetz. Dank einer neuen Formel, die ein Team um die Physiker Marc Timme vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und Dirk Witthaut vom Forschungszentrum Jülich entwickelt hat, könnte diese Analyse des Stromnetzes künftig viel einfacher werden. Die Formel liefert im Handumdrehen verlässliche Werte darüber, ob eine bestimmte Stromleitung kritisch ist oder nicht.

Kommentar von Franz Hein

Normalerweise bin ich höchst erbaut, wenn ich wieder einmal ein neues Heft von der Max-Planck-Gesellschaft erhalte und so über Neuerungen aus der Forschung erfahre. Bei diesem Artikel bin ich aber über diese beiden „Meldungen“ gestolpert.

1. Eine Formel gegen den Stromausfall

Eine Formel hilft uns überhaupt nichts „gegen“ den Stromausfall. Die gewählte Ausdrucksweise ist ein untauglicher Versuch, Aufmerksamkeit zu erheischen. Normalerweise hilft bei der Beurteilung der Ergebnisse von Simulationsrechnungen und besonders zuvor, bei der Wahl von Varianten, das angesammelte Erfahrungswissen derjenigen, die Netzberechnungen tagtäglich machen, um mögliche kritische Netzzustände zu erkennen und im Vorfeld durch eine andere Topologie und/oder andere Einspeise- und Lastverhältnisse zu vermeiden.

In gut vernetzen Bereichen eines Netzteiles ist der Ausfall einer Verbindung (Leitung und/oder Transformator) meist unkritisch. Oft entsteht ein Problem nicht unbedingt durch zu hohe Strombelastung, sondern durch eine sich einstellende kritische Spannungshöhe. Das wiederum kann eine zu tiefe oder auch eine zu hohe Spannung sein.

Deutlich größere Probleme entstehen durch zu große und mit zu hohem Gleichzeitigkeitsfaktor auftretende Leistungssprünge (= zu hohe Auslenkung aus dem Leistungsgleichgewicht, zu geringe oder zu langsame Rückführung wieder hin zum Leistungsgleichgewicht).

Ich habe zudem ein extrem ungutes Gefühl, wenn „eine Formel“ das Nachdenken und/oder eine gründliche Untersuchung ersetzen soll. Das ist für mich so etwas wie ein „Zauberstab“, der eine gewünschte Lösung herbei führt.

2. weil der Strom sich, selbstorganisiert, neue Wege bahnt

Der Strom „organisiert“ sich nicht selbst. Da ist nichts, das „organisiert“. Vielmehr gibt es physikalische Gesetze (z. B. das Kirchhoffsche Gesetz). Diese bestimmen die sich einstellenden elektrischen Größen. Dazu laufen bei Änderungen in der Topologie und auch bei Änderungen der Einspeise- und/oder Lastverhältnisse elektromagnetischen Ausgleichsvorgänge im Netz ab. Diese Ausgleichsvorgänge laufen genaugenommen mit Lichtgeschwindigkeit ab. Dabei kommt es auch zu Anregungen von Pendelungen zwischen den Energieinhalten von Kapazitäten und Induktivitäten. Das wiederum führt zu einem Einschwingverhalten, dem eine Gruppengeschwindigkeit bei den Veränderungen zugeordnet werden kann. Diese ist dann etwas kleiner als die Lichtgeschwindigkeit. Zudem „bahnt“ sich der Strom keine Wege. Das ist eine Ausdrucksweise, die mit der physikalischen Realität nichts gemein hat (und mit elektromagnetischen Ausgleichsvorgängen wirklich überhaupt nichts).

Übrigens ist auch die Formulierung der Betreffzeite fehlerhaft, denn Leitungen verursachen keinen Stromausfall. Das ist den Störungen an den Leitungen, an den Transformatoren und an den einspeisenden bzw. Leistung entnehmenden Komponenten „vorbehalten“!

Es ist irritierend, dass sich eine renommierte Forschungseinrichtung einer derart flapsigen Formulierung bedient und dadurch auch mögliche falsche Erwartungshaltungen beim Leser weckt.

Siehe auch Netzwerke gefährdeter als gedacht.