Anfang September findet in Wien der Workshop „Die Organisierte Hilfe im Fall eines Blackouts“ statt. Er könnte wohl zu keinem besseren Zeitpunkt stattfinden, obwohl die aktuelle Debatte nicht vorhersehbar war. Völlig unerwartet ist nun das Thema „Blackout“ bzw. „Krisenvorsorge“ auch in Deutschland und Österreich angekommen. Der österreichische Innenminister wurde auf ServusTV mit

Der österreichische Innenminister möchte in den nächsten Wochen mit den Ländern und Blaulichtorganisationen die Koordination im Katastrophenfall weiter vereinheitlichen“

zitiert (ab Minute 06:45). Der zivilgesellschaftlich organisierte Workshop ist wohl ein guter erster Beitrag dazu. Ganz abgesehen davon, dass der deutsche Innenminister ein Blackout als die wahrscheinlichste Katastrophe bezeichnete, womit erstmals von offizieller Stelle die hier schon lange getätigte Feststellung bestätigt wird. Hinzu kommt, dass auch Oesterreichs Energie (Interessenvertretung der Energiewirtschaft) in einer Pressekonferenz auf die gestiegene Wahrscheinlichkeit eines Blackouts hingewiesen hat:

„Die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts ist zweifellos gestiegen“, sagte Klaus Schüller, der bei der Tinetz Tiroler Netze GmbH für die Systemführung Netze zuständig ist. „Experten sagen heute, wenn ganz Europa wirklich durch so einen GAU betroffen wäre, dauert es circa sieben Tage, bis das Stromsystem wirklich wieder so dasteht, wie es zuerst gewesen ist, so Schüller.

Ob der damit verbundenen Konsequenzen ist die Bestätigung aber kein Grund zur Freude, sondern vielmehr ein weiterer Weckruf („Achtsamkeit“), dass wir dieses Thema ernster nehmen und vor allem handeln sollten. Denn wie Herbert Saurugg im Standard-Interview ausgedrückt hat, ist die Vorsorge häufig nur auf dem Papier vorhanden. Wenngleich wir hier festhalten möchten, dass das keine Kritik an die sehr wohl vielerorts vorhandenen Überlegungen und Vorbereitungen ist, bzw. es keine reine Schwarz-Weiß-Sicht gibt. Aber so lange die Bevölkerung, und das sind auch gleichzeitig die Mitglieder/MitarbeiterInnen der unterschiedlichen Organisationen, derart mangelhaft vorbereitet sind (siehe „Ernährungsvorsorge in Österreich“), ist eine professionelle Bewältigung nicht zu erwarten. Daher gibt es noch sehr viel zu tun und wir hoffen, dass die aktuelle Debatte nicht wieder rasch als Strohfeuer verpufft und das dumme Schlagzeilen wie „Die Bundesregierung rät der Bevölkerung zu Hamsterkäufen“ bald der Vergangenheit angehörden. Denn genau das Gegenteil soll erreicht werden. Durch kluge Bevorratung können Hamsterkäufe verhindert werden! Leider zeigen derartige Reaktionen auch, dass man es nie richtig machen kann. Entweder wird man der Panikmache bezichtigt, oder dass man nichts getan bzw. die Bevölkerung dumm sterben lassen hat. Hier sollte daher das höherwertige Ziel – der Schutz bzw. die Selbstwirksamkeit der Bevölkerung – im Vordergrund stehen, auch wenn das nicht immer und schon gar nicht im vorhinein honoriert wird.

Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sind bereits sensibilisiert und sollten daher auch durch die letzten Meldungen daran erinnert und bestärkt worden sein. Versuchen auch Sie weiterhin in Ihrem Umfeld einen Beitrag zur Verbesserung zu leisten. Wir werden es benötigen und je mehr Menschen die Notwendigkeit aufzeigen, desto eher werden auch weitere Menschen zum Handeln animiert werden. Sprechen Sie vor allem mit Ihrem Bürgermeister als ersten verantwortlichen Krisenmanager auf behördlicher Ebene.

Die Stärkung des sozialen Zusammenhalts ist unverzichtbar

Was mir im Zuge der aktuellen Interviews auch stärker bewusst geworden ist: Der notwendige soziale Zusammenhalt im Falle einer Krise sollte noch viel stärker angesprochen und thematisiert werden. Was schon damit beginnen kann, dass man gemeinschaftliche Überlegungen bzgl. Kochmöglichkeiten anstellt. Es muss nicht jeder einen Campingkocher einlagern oder ein Notstromaggregat kaufen. Damit könnte schon im Vorfeld eine soziale Bindung geschaffen werden, die besonders in der Krise wichtig ist. Nachbarschaftshilfe halt und die sinnvolle Nutzung von Synergien, wie etwa auch die Nutzung von Vereins(infra)strukturen. Ganz abgesehen davon, dass die Transformation zur Netzwerkgesellschaft und die absehbaren gesellschaftlichen Turbulenzen nur auf kooperativer Basis bewältigt werden können. Die derzeitige zunehmende politische und gesellschaftliche Polarisierung wird uns nicht weiterbringen.

Waffen

Zum anderen stellen wir immer wieder fest, dass relativ bald das Thema „Waffen“ thematisiert wird – vor allem, um eigene Vorsorgemaßnahmen „abzusichern“. Das halten wir für absolut keine gute Idee, da eine potenzielle Waffengewalt mit Sicherheit keine nachhaltige Lösung und nicht zu Ende gedacht ist. Wenn wir auf diesem Niveau landen, dann wird eine Normalisierung nach der Primärkrise nicht so rasch gelingen. Wir müssen dazu nur auf den Balkan blicken. Daher sollte diese Energie vielmehr auf ein positives, kooperatives Zusammenwirken gerichtet werden, auch wenn wir auf den ersten Blick die scheinbare Motivation dafür nachvollziehen können. Das gilt nicht nur im Falle eines Blackouts, sondern generell. Nur so werden wir auch mit möglichen sozialen Unruhen oder mit Terroranschlägen wie in München umgehen können, wo weitere nicht einhaltbare Sicherheitsversprechungen nicht weiterhelfen werden. Siehe dazu auch: Was wir aus dem Amoklauf in München lernen könnten

Gelassenheit als Überlebensgrundlage

Ein ganz wichtiger Aspekt ist dabei, dass wir trotz aller Bedrohlichkeit der möglichen Szenarien eine gewisse Gelassenheit walten lassen sollten. Wir können nicht alles verhindern oder absichern, aber wir können uns als Gesellschaft selbst lähmen und alles aufgeben, was wir in den letzten Jahrzehnten mühsam erreicht haben. Daher sollten wir auch jeglichen politischen Aktionismus, der auch aus einer gewissen Hilflosigkeit entsteht, rechtzeitig Einhalt gebieten. Denn wie die Praxis zeigt, ist es sehr schwer einmal getroffen Maßnahmen und Entscheidungen wieder zu revidieren und rückgängig zu machen. Wehret den Anfängen gilt in jede Richtung. Der politische Aktionismus hat sich in den vergangenen Wochen vor allem nach den zahlreichen Zwischenfällen mit psychisch kranken Attentätern gezeigt (Was wir aus dem Amoklauf in München lernen könnten).

Beamten und Beisitzern droht Schadenersatzpflicht

Im letzten Newsletter haben wir auf die rechtliche Lage bzgl. Katastrophenvorsorge hingewiesen. Kurz danach gab es in Österreich die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, dass die Bundespräsidenten-Stichwahl aufgrund formaler Mängel aufzuheben und erneut durchzuführen ist. Bereits vor dieser Entscheidung wurden Schadensersatzforderungen gegenüber Beamte und Beisitzer in den Raum gestellt. Damit wurde auch einmal mehr aufgezeigt, wie rasch aus „gelebter Praxis“ Ernst werden kann. Übrig bleiben dabei natürlich die kleinsten Rädchen und niemand stellt die Frage, ob hier nicht mehrere Ebenen, etwa eine entsprechende Dienstaufsicht, versagt haben. Ganz abgesehen davon, dass von höchster Stelle frühzeitige Ergebnisse eingefordert wurden, die jedoch nicht immer rechtskonform zu erbringen waren. Leider werden nach solchen Ereignissen noch immer schnell Bauernopfer gesucht bzw. droht eine weitere Überregulierung und Lähmung. Der Hausverstand bzw. eine situationsangepasste Reaktion werden immer mehr zu Gunsten starrer Regelungen zurückgedrängt. Der renommierte und in Wien lebende Komplexitätsforscher John Casti hat dazu treffend in seinem Buch Der plötzliche Kollaps von allem: Wie extreme Ereignisse unsere Zukunft zerstören können (2012) festgehalten:

Manchmal zeigt sich die Komplexität in Form immer neuer Ebenen der Bürokratie, die auf bereits vorhandene Ebenen aufgepfropft werden, bis das System nicht mehr funktioniert – dies werde ich als „Komplexitätsüberlastung“ bezeichnen.

X-Events [strategische Schocks] lassen sich letztendlich direkt auf die stetig zunehmende Komplexität unserer globalen Gesellschaft zurückführen. Diese Komplexität wird in vielerlei Formen deutlich, unter anderem als enge Verknüpfung, durch die eine Erschütterung in einem Teil der Infrastruktur sich oft buchstäblich mit Lichtgeschwindigkeit in anderen Teilen des Systems fortpflanzt. (…) Komplexitätsüberlastung = Missverhältnis zwischen den Komplexitätsebenen mehrerer interagierender Systeme. (…) In allen Fällen jedoch können die Systeme, mit denen wir in unserem Alltagsleben rechnen, nicht mehr funktionieren, wenn diejenigen, die sie steuern sollen, sie nicht mehr verstehen. Wenn die Komplexität oder das Missverhältnis so groß wird, dass das System es nicht mehr verträgt, muss die Situation durch eine Verringerung korrigiert werden. Ein X-Event ist schlicht und einfach die Methode, mit der das System sein nachhaltiges Gleichgewicht wiederherstellt. S. 43f.

Wir wurden lange verhätschelt und beschützt, und jetzt erwarten wir, dass unserer Regierungen und andere öffentliche Institutionen alle Probleme lösen und unsere Hoffnungen und Bedürfnisse befriedigen, ohne dass auf uns selbst Kosten oder Risiken zukommen. S. 365.

Verschiedene Meldungen und Berichte

Analysen und eigene systemische Betrachtungen

Stromversorgung

Gerade Erkenntnisse aus lokalen Stromausfällen sollten unsere Wachsam- und Achtsamkeit erhöhen!

 Cybersicherheit

Krisenmanagement und Krisenvorsorge

Blicke auf die Situation im europäischen Stromversorgungssystem

Die angeführten Beispiele stammen rein aus öffentlich verfügbaren Quellen. Sie zeigen die aktuellen Herausforderungen auf und sollten uns an die Truthahn-Illusion erinnern.

  • Wahrscheinlichkeit eines Blackouts gestiegen – Pressekonferenz Oesterreichs Energie zur gestiegenen Gefahr von möglichen Blackouts
  • Aktuelle Situation– Zusammenfassung der aktuellen Herausforderungen im europäischen Stromversorgungssystem
  • Auswertung Redispatching & Intraday-Stops– Auswertung der Eingriffe zur Netzstabilisierung – die Anzahl der Eingriffe ist im Juli erstmals deutlich zurückgegangen, was wohl auch mit der Wetterlage und der geringeren EE-Produktion zusammenhängt.
  • Negativstrompreistage – Auswertung der Tage mit Negativstrompreisen; in den letzten Monaten haben weiter die Stunden mit einem Preis unter 20 Euro pro MWh zugenommen und bereits über 800 Stunden oder mehr als 10% des Jahres bzw. mehr als doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2014 erreicht. Das hat zwar kurzfristig keine negativen Auswirkungen, aber langfristig, da notwendige Investitionen in die Infrastruktur aufgeschoben oder nicht durchgeführt werden (können).