Letzte Aktualisierung am 05. September 2019.

Quelle: TAB-Studie – Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung

TAB-Studie, 2011Aufgrund der großen Abhängigkeit nahezu aller Kritischen Infrastrukturen von der Stromversorgung, kommt dem Szenario eines großflächigen und längerfristigen Stromausfalls mit der Folge massiver Versorgungsstörungen, wirtschaftlicher Schäden sowie Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit eine zentrale Bedeutung zu. Die im Jahr 2004 durchgeführte Bund-Länder-Krisenmanagementübung (LÜKEX) hat die problematischen Folgen und Folgenketten sowie die enormen Schwierigkeiten, eine solche Krisen- und Gefahrenlage ohne Vorwarnung in den föderalen Strukturen zu bewältigen, deutlich gemacht.

Gleichwohl sind – soweit erkennbar – die möglichen Folgen eines solchen Ereignisses in der Literatur ebenso wie in offiziellen behördlichen Dokumenten noch nicht intensiv und systematisch durchdacht worden.

In modernen, arbeitsteiligen und hochtechnisierten Gesellschaften erfolgt die Versorgung der Bevölkerung mit (lebens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen durch ein hochentwickeltes, eng verflochtenes Netzwerk »Kritischer Infrastrukturen«. Dazu zählen u. a. Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Energieversorgung oder das Gesundheitswesen. Diese sind aufgrund ihrer internen Komplexität sowie der großen Abhängigkeit voneinander hochgradig verletzbar. Terroristische Anschläge, Naturkatastrophen oder besonders schwere Unglücksfälle haben nicht erst im zurückliegenden Jahrzehnt offenkundig gemacht, welche weitreichenden Folgen die Beeinträchtigung oder der Ausfall Kritischer Infrastrukturen für das gesellschaftliche System insgesamt haben können.

Aufgrund der nahezu vollständigen Durchdringung der Lebens- und Arbeitswelt mit elektrisch betriebenen Geräten würden sich die Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls zu einer Schadenslage von besonderer Qualität summieren. Betroffen wären alle Kritischen Infrastrukturen, und ein Kollaps der gesamten Gesellschaft wäre kaum zu verhindern. Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein diesbezügliches gesellschaftliches Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden.

Information und Sensibilisierung der Bevölkerung

Hinsichtlich der Informiertheit und der Einstellung der Bevölkerung ist ein erhebliches Defizit zu konstatieren. Die Stromversorgung als Kritische Infrastruktur ist für die Bevölkerung kein Thema, die Möglichkeit von Stromausfällen und die Folgen einer Unterbrechung der Stromversorgung werden ausgeblendet. Erlebte Stromausfälle werden meist schnell vergessen.

Katastrophen wie Stromausfälle werden meist mit Extremwetterereignissen und Terrorismus assoziiert. Da Naturereignisse als unvermeidbar wahrgenommen werden und dem Terrorismus mit einer Art Fatalismus begegnet wird, meint man, als Privatperson diesen vermeintlich alleinigen Ursachen nicht vorsorgend begegnen zu können. Dementsprechend gibt es keine nennenswerte Vorbereitung der Bevölkerung auf einen Stromausfall, und die Fähigkeiten zur Bewältigung seiner Folgen sind in dieser Hinsicht ungenügend. Angesichts der geringen Sensibilität für das Risiko und die Gefahren eines Stromausfalls sollte darüber nachgedacht werden, wie das Interesse der Bevölkerung durch Informationen und Beratung zu wecken und aufrechtzuerhalten wäre, um in Krisensituationen die Bürger in geeigneter Weise ansprechen zu können. Dazu wäre zunächst eine wissenschaftlich fundierte Strategie für die Risikokommunikation mit der Bevölkerung vor einem Stromausfall zu erarbeiten. Dabei sollten die Bürger nicht als passive Katastrophenopfer, sondern als kompetente und aktiv handelnde Akteure betrachtet werden.

Fazit

Die Folgenanalysen haben gezeigt, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit (lebens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, der grundgesetzlich verankerten Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger kann der Staat nicht mehr gerecht werden. Damit verlöre er auch eine seiner wichtigsten Ressourcen – das Vertrauen seiner Bürger.

Die Wahrscheinlichkeit eines langandauernden und das Gebiet mehrerer Bundesländer betreffenden Stromausfalls mag gering sein. Träte dieser Fall aber ein, kämen die dadurch ausgelösten Folgen einer nationalen Katastrophe gleich. Diese wäre selbst durch eine Mobilisierung aller internen und externen Kräfte und Ressourcen nicht „beherrschbar“, allenfalls zu mildern. In historischer Perspektive mag zutreffen, dass sich das deutsche Hilfeleistungssystem auf Katastrophen gut vorbereitet hat, und es „nichts“ gab, was „nicht bewältigt wurde“ (Unger 2008, S. 100). Ob dies auch für die „Verbundkatastrophe“ eines Stromausfalls zutreffen wird, muss bezweifelt werden.

Eine „nationale Katastrophe“ wäre ein langandauernder Stromausfall aber auch deshalb, weil weder die Bevölkerung noch die Unternehmen, noch der Staat hierauf vorbereitet sind.

Spätestens am Ende der ersten Woche wäre eine Katastrophe zu erwarten, d. h. die gesundheitliche Schädigung bzw. der Tod sehr vieler Menschen sowie eine mit lokal bzw. regional verfügbaren Mitteln und personellen Kapazitäten nicht mehr zu bewältigende Problemlage.

Weitere Anstrengungen sind deshalb auf allen Ebenen erforderlich, um die Resilienz der Sektoren Kritischer Infrastrukturen kurz- und mittelfristig zu erhöhen sowie die Kapazitäten des nationalen Systems des Katastrophenmanagements zielorientiert weiter zu optimieren. Entsprechende Maßnahmen dürften allerdings nicht immer kostenneutral zu realisieren sein. Dass das Ziel dabei keine absolute, sondern allenfalls relative Sicherheit sein kann, muss betont werden. Stets wären bei der Entwicklung und Implementierung von Konzepten Abwägungsprozesse und Prioritätensetzungen erforderlich: Wie sicher ist sicher genug? Welche Kosten und welche Pflichten sind wem zumutbar? Welches Restrisiko ist hinzunehmen?

Der Stromausfall als ein Paradebeispiel für „kaskadierende Schadenswirkungen“ sollte auf der Agenda der Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft weiterhin hohe Priorität haben, auch um die Sensibilität für diese Thematik in Wirtschaft und Bevölkerung zu erhöhen. Der hiermit vorgelegte TAB-Bericht soll hierzu einen Beitrag leisten.