Letzte Aktualisierung am 23. Dezember 2020.

StromMangelWirtschaftWenn man das Buch von Henrik Paulitz, StromMangelWirtschaft – Warum eine Korrektur der Energiewende nötig ist, liest, fühlt man sich wie das Kind in „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen. Man sieht, dass der Kaiser nichts anhat, aber niemand glaubt einem. Nur geht es hier nicht um Kleider, sondern um die Energiewende und um das europäische Stromversorgungssystem – also unserer Überlebensgrundlage!Des Kaisers neue Kleider

 

 

 

 

 

„Die Erzählung wird gelegentlich als Beispiel angeführt, um Leichtgläubigkeit und die unkritische Akzeptanz angeblicher Autoritäten und Experten zu kritisieren. Aus Furcht um seine Stellung und seinen Ruf spricht wider besseres Wissen niemand, nicht einmal der treueste Minister des Kaisers, die offensichtliche Wahrheit aus; vor die Entscheidung „Ansehen und Wohlstand oder Wahrheit“ gestellt, entscheidet man sich letzten Endes gegen die Wahrheit und für die materiellen und ökonomischen Vorteile.“ Quelle: Wikipedia

Henrik Paulitz hat sehr viele Details zusammengetragen, die auch hier immer wieder angesprochen und thematisiert werden und damit das Bild weiter vervollständigt. Leider nicht zum Positiven. Damit unterstreicht eine weitere Quelle das, was eigentlich offensichtlich ist. Hierzu sei auch auf Energy Storage and Civilization: A Systems Approach verweisen, wo eine globale Analyse angestellt wurde. Weiter der Hinweis auf Die Energiewende – Fiktion und Wirklichkeit und Energiewende ins Nichts. Auch das Buch von Wolf Lotter Zusammenhänge: Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen passt hier dazu.

Mir ist wichtig zu betonen, dass für mich der Klimaschutz – wobei es mehr im Menschenschutz geht – und die Ressourcenproblematik zentrale Zukunftsthemen sind. Aber wenn wir uns den Ast absägen, auf dem wir sitzen, dann ist das nicht sehr klug. Außer es gibt eine Absicht dahinter. Im generellen fehlt mir einfach ein holistischer Zugang: „Das Verständnis für die Systemkomponenten (Details) ergibt sich stets aus der Kenntnis des Ganzen, nicht umgekehrt.“ Vielfach wird ideologisch an Einzelthemen herumgefeilt, ohne scheinbar eine Ahnung vom Ganzen zu haben. Und das ist gefährlich – für uns alle – und beunruhigt mich! Womit ich wieder beim Titel meines TEDx-Talks Are we fit enough to survive? lande.

Zitate

Hier einige auswählte Zitate aus dem Buch, das ich nur wärmstens empfehlen kann (Es gibt sogar eine kostenlose E-Book Version)!

Kernaussagen

  • Unterm Strich ergibt sich, dass die erneuerbaren Energien mit einer potenziellen gesicherten Leistung in Höhe von 16,6 GW lediglich zu 20 Prozent die Spitzenlast von rund 80 GW abdecken können.
  • Dunkelflaute: Im Jahr 2016 z. B. gab es sogar 52 Nächte, in denen in ganz Deutschland nahezu überhaupt kein Wind wehte.
  • Allein mit der Stilllegung der verbleibenden Atomkraftwerke werden die Überkapazitäten des deutschen Kraftwerksparks bis Ende 2022 nahezu aufgebraucht. Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): „Mit dem endgültigen Kernenergieausstieg und angesichts etlicher Stilllegungen von Kohle- und Gaskraftwerken aus Altersgründen oder wegen Unwirtschaftlichkeit, wird das Überangebot an gesicherter Kraftwerksleistung Ende 2022 abgebaut sein. Nach derzeitigem Stand ist ein Zubau an Kraftwerkskapazitäten in Höhe von etwa 4,4 Gigawatt bis 2023 geplant. Dem gegenüber stehen angezeigte Stilllegungen von ca. 18,6 Gigawatt. Damit sinkt bis 2023 die konventionelle Kraftwerkskapazität von heute knapp 90 Gigawatt auf 75,3 Gigawatt. Die Jahreshöchstlast hingegen wird laut Prognose der Bundesnetzagentur dann etwa 81,8 Gigawatt betragen. Im Gegensatz zur heutigen Situation können Stilllegungen konventioneller Kraftwerke nach 2022 in Phasen von ‚Dunkelflauten‘, nicht mehr durch andere, bestehende konventionelle Kraftwerke kompensiert werden.“

Gesicherte Leistung und Jahreshöchstlast

  • Der beschlossene Kohleausstieg sieht die Abschaltung von 29 Gigawatt (GW) Kohlekapazität bis 2030 und weiteren 17 GW bis 2038 vor. In den nächsten zehn Jahren gehen somit im Zuge des Atom- und Kohleausstiegs rund 43 % der gesamten gesicherten Leistung des Jahres 2018 vom Netz. Ohne ausgleichende Maßnahmen ist die Versorgungssicherheit in Deutschland in Gefahr. Bis 2030 werden Modellrechnungen zufolge zusätzliche Kapazitäten von 17 GW benötigt, um die Stilllegungen zu kompensieren, um Schwankungen bei den Erneuerbaren auszugleichen und Spitzenlasten abzufedern. Sonst können schon ab Mitte des kommenden Jahrzehnts erste Engpässe auftreten, die sich bis 2030 verschärfen könnten.“
  • Die Stromerzeugungsmenge der erneuerbaren Energien ist kein Indikator für Versorgungssicherheit.
  • Ausgehend von Prognosen des Verbandes Europäischer Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E lässt sich ermitteln, dass europaweit (Deutschland ausgenommen) im Zeitraum 2017 bis 2025 rund 123 GW regelbare (Netto)-Kapazität vom Netz gehen werden – umgerechnet 18 %. Zum Vergleich: In den zehn Jahren davor waren es lediglich 1,9 GW.
  • Sowohl der BDEW als auch die Kohlekommission verweisen auf eine Untersuchung des wissenschaftlichen Dienstes der EU (Joint Research Center – JRC) zur Entwicklung der installierten Leistung von Kohlekraftwerken in der Europäischen Union. Es ergab sich ein Rückgang von 150 GW auf 105 GW im Zeitraum 2016 bis 2025 und ein weiterer Rückgang auf 55 GW bis 2030.

    Installed coal capacity in 2025 and 2030 (ENTSO-E)

  • Der Unternehmensberatungsgesellschaft McKinsey zufolge müssen bis 2030 zusätzliche Gas-Kraftwerkskapazitäten von 17 GW aufgebaut werden (aktuell rund 30 GW Gaskraftwerks-Kapazität), um die Stilllegungen aufgrund des Atom- und Kohleausstiegs zu kompensieren, um Schwankungen bei den Erneuerbaren auszugleichen und Spitzenlasten abzufedern. Wenn schon bis 2023 mehrere neue Gaskraftwerke ans Netz gehen müssen, dann stellt sich die Frage nach den Planungs-, Genehmigungs- und Bauzeiten. Vielfach wird davon ausgegangen, man könne neue  Gaskraftwerke bei Bedarf innerhalb kürzester Zeit bauen und in Betrieb nehmen. McKinsey gibt an, dass allein nur „die reine Bauzeit eines einzelnen Gaskraftwerks 1,5 bis 2,5 Jahre beträgt – Planungs- und Genehmigungszeiten nicht eingerechnet“. Alle in den letzten Jahren fertiggestellten Kraftwerke hatten Bau- und Planungszeiten von vier bis sieben Jahren. Für neue Gaskraftwerke bedürfe es der Planungssicherheit und einen zeitlichen Vorlauf von fünf bis sieben Jahre von der Planung bis zur Inbetriebnahme. Stattdessen ist aber festzustellen, dass Gaskraftwerke im großen Stil stillgelegt werden, da sie unter den aktuellen „Marktbedingungen“ unrentabel sind. Zwischen 2012 und 2019 gingen Erdgas-Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von gut 2 GW endgültig und 1,8 GW vorläufig vom Netz. Zusammen mit den geplanten endgültigen Stilllegungen bis 2022 könnten zwischen 2012 bis 2022 insgesamt bis zu 3,4 GW Erdgas-Kraftwerksleistung vom Netz gehen. Das Propagieren einer „Gaswende“ ist insofern ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, welches die Versorgungssicherheit gefährdet, zumal das Versprechen, man könne „grüne Gase“ kurzfristig und in ausreichender Menge liefern, unseriös ist. 

     

Stilllegung Erdgad KW

  • Insgesamt zeichnet sich seit Jahren ein höchst problematischer Politikstil ab: Man schreibt gesetzlich Stilllegungstermine für Kraftwerke verbindlich fest, belässt den Aufbau gesicherter Kraftwerksleistung aber dem Prinzip Hoffnung – wohl wissend, dass der hochgradig regulierte Elektrizitätsmarkt für dringend benötigte Reservekraftwerke unrentabel ist.

Stilllegung und Zubau 2020-2022

  • Die für Wärmezwecke erforderlichen Energiemengen sind weitaus höher als der heutige Stromsektor. Im Jahr 2018 lag der Bruttostromverbrauch Deutschlands bei 2.087 Petajoule PJ (579,7 Mrd. kWh). Der gesamte Energiebedarf für Wärmezwecke (Raumwärme, Prozesswärme, Warmwasser) in privaten Haushalten sowie Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen hingegen lag hingegen bei 4.775 PJ, also mehr als doppelt so viel.
  • Die Große Transformation hat erwartungsgemäß zur Folge, dass der Strom zunehmend knapp wird und dann bestimmte Verbraucher oder Gebiete zeitweise nicht mit Strom versorgt werden können. Es ist der Einstieg in eine Strom-Mangelwirtschaft. Es ist ein sehr risikoreicher Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.
  • Politologe Merkel betonte zunächst, dass klimapolitische Maßnahmen in Deutschland unterm Strich nichts lösen würden: „Ich stimme zu: Klima, es wäre lächerlich zu sagen, dass wir das in Dänemark, Österreich oder Deutschland alleine lösen können. Deutschland emittiert etwa zwei bis drei Prozent der CO2-Emissionen auf der ganzen Welt.“ Zwar müsse man in Deutschland etwas tun, wirkungsvolle Maßnahmen „erfinden“ und einsetzen. „Aber letztendlich werden wir ganz wenig an dem Problem lösen“, so Merkel.

Kohlestromentwicklung

  • Beim Ausbau der erneuerbaren Energien wurde sehr viel erreicht. Die produzierten Strom-Mengen, erzeugt in kleinen, dezentralen Anlagen, vielfach „in Bürgerhand“ sind sowohl technisch als auch organisatorisch höchst beeindruckend. Dieses sollte nun, dreißig Jahre später, einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Die Bereitschaft zu einer solchen Analyse und Bewertung ist jedoch eher gering, sich zunehmend deutlicher abzeichnende Probleme werden ungern aufgegriffen und sachlich erörtert, jedenfalls nicht öffentlich. Sehr umfassend wird mit dem Prinzip Hoffnung gearbeitet, insbesondere, da die notwendigen Langzeitspeicher (saisonalen Speicher) in den vergangenen Jahrzehnten nicht aufgebaut wurden. Da wird Hoffnung gemacht, die Speicher würden schon kommen, sobald sie wirklich benötigt werden, obwohl sie wegen der anstehenden Kraftwerksstilllegungen jetzt schon dringend gebraucht würden, um die volatile Einspeisung abzupuffern und eine zuverlässige Versorgung zu gewährleisten. Auch ist die Bereitschaft, einen Teil der Gewinne aus der Solar- und Windstromproduktion in die Entwicklung von Langzeitspeichern zu investieren, eher gering [siehe zusätzlich das Thema Momentanreserve].
  • Spätestens dann, wenn Hoffnungen primär dazu dienen, den Blick auf die Wirklichkeit zu verschleiern, ist Vorsicht angesagt.
  • Vor dem Abbau einer essentiellen Infrastruktur muss stets zuvor eine funktionierende und bezahlbare neue Infrastruktur aufgebaut sein.
  • Dreh- und Angelpunkt müsste das Thema Versorgungssicherheit sein, welches in der energiepolitischen Diskussion der jüngeren Vergangenheit sträflich vernachlässigt worden ist, sodass die Dimension des Problems in der Öffentlichkeit weithin unbekannt ist. 
  • Politik, Gesellschaft, Demokratie sind lernende Systeme. Wenn sie nicht schnell und gut genug lernen, können sie leicht an der Realität scheitern.
  • „Die moralische Aufladung unserer Debatten presst Sachthemen in ein Gut-Böse-Schema und behindert die Sicht auf die eigentlichen Problemlagen“, so Krone-Schmalz. Wir seien von Kindheit an Geschichten gewöhnt, in denen Gut und Böse miteinander kämpfen. „Das Bedürfnis nach moralischer Eindeutigkeit sitzt tief in uns, vermittelt durch Geschichten, verstärkt durch die Religion.“
  • Grundlage einer rationalen Energiepolitik ist es, nicht auf der Basis großartiger Ankündigungen und vager Hoffnungen zu agieren. Eine gesunde Skepsis ist angezeigt, sobald das nächste Großvorhaben schon morgen alle Energieprobleme lösen soll. Aufgrund der langen Erfahrungen mit gescheiterten Großprojekten kann vernünftigerweise nur das, was tatsächlich realisiert wurde, als Grundlage für weitere Entscheidungen genommen werden.
  • Die aktuelle Energiepolitik krankt insbesondere daran, dass der Öffentlichkeit vielfach ein falsches Bild über die erforderlichen zeitlichen Verläufe von Umsetzungsmaßnahmen vermittelt wird. Getrieben von solchen Falschdarstellungen werden energiepolitische Entscheidungen getroffen, die nach allem Dafürhalten nicht gelingen können. Es kann beispielsweise nicht gut gehen, immer noch mehr kurzfristige Stilllegungstermine für Kraftwerke zu beschließen, und sich dabei darauf zu verlassen, dass irgendwelche Ersatzkraftwerke (z. B. Gaskraftwerke) dann schon rechtzeitig am Netz sein werden. Die aktuelle Vorgehensweise, wonach es umfassende Pläne und gesetzliche Vorgaben für Stilllegungen zu bestimmten Stichtagen gibt, während andererseits die ersatzweise vorgesehenen, vielfach kommunalen Gaskraftwerke bei Weitem nicht im erforderlichen Maße gebaut und ans Netz gebracht werden, darf so nicht weitergehen.
  • Wenn man eine Stromversorgung auf realistische und seriöse Weise mit Wind- und Solaranlagen aufbauen möchte, dann müssen die Stromkunden von den Anlagenbetreibern zuverlässig mit Strom versorgt werden. Das bedeutet, dass der künftige Zubau von Wind- und Solaranlagen „als Gesamtpaket“ erfolgen sollte, mit dem auf die ein oder andere Weise ganzjährig gesicherte Leistung angeboten wird [siehe dazu auch der Stellungnahme zum Entwurf des Erneuerbaren Ausbaugesetzes (EAG)].
  • Die Neuerrichtung dieser volatilen Stromerzeugungsanlagen sollte also in Kombination mit Backup-Systemen wie Langzeitspeichern bzw. Reservekraftwerken erfolgen, die bei Dunkelheit und Windflauten verlässlich Strom liefern. Es gibt aus heutiger Sicht grundsätzlich zwei integrierte Systeme, mit denen Wind- und Solaranlagenbetreiber gesicherte Leistung anbieten können: Wind- und Solaranlagenbetreiber beteiligen sich anteilig an einem Backup-Kraftwerk (z. B. Gaskraftwerk), welches dann einspringt, wenn nicht genügend Wind- bzw. Solarstrom erzeugt werden kann. Der Strom wird zu einem Preis angeboten, der aus den Betriebskosten der Wind- bzw. Solaranlage sowie auf den anteiligen Kosten für die ganzjährige Bereitstellung (Kapazitätskosten) und den zeitlich begrenzten Betrieb eines Gaskraftwerks gebildet wird. Möglichkeit 2 wäre aufwändiger: Ein Wind- bzw. Solaranlagenbetreiber beteiligt sich anteilig an einer Anlage zur Erzeugung von Speichergasen (z.B. Elektrolyseur zur Wasserstofferzeugung, ggf. mit einer nachgeschalteten Methanisierungsanlage), weiterhin an einem Langzeitspeicher (z.B. Erdgasnetz) sowie an einem Gaskraftwerk, welches dann Strom u.a. aus den Speichergasen erzeugt, wenn nicht genügend Wind- bzw. Solarstrom produziert werden kann. Anmerkung: Dies ist eine ganz zentrale Forderung! Es geht nicht um Einzelleistungen, sondern um eine ganzjährige Verfügbarkeit über 8.760 Stunden pro Jahr. Diese kann auch nicht durch die derzeitigen Kraftwerke erbracht werden. Aber durch die Diversität gelingt eine sehr hohe Systemsicherheit. Wir müssen daher in „funktionalen Einheiten („Energiezellen“) denken und handeln!
  • Sobald der europäische Kraftwerkspark die Höchstlast nicht mehr zuverlässig abdecken kann, Mitgliedsstaaten aber dennoch unter Druck gesetzt werden, weitere Kraftwerke stillzulegen, könnte es zu gefährlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Europäischen Union kommen.

 

Theorie und Praxis

Von den 50 GW installierter Windenergie-Leistung an Land (Onshore) können lediglich 1 Prozent, also 0,5 GW als „gesicherte Leistung“ betrachtet werden. Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) hielt dazu in der „Dena-Leitstudie Integrierte Energiewende“ von 2018 nüchtern fest: „Nicht-regelbare Wind Offshore-Anlagen können mit 5 % sowie Wind Onshore-Anlagen mit 1 % der installierten Kapazität zur gesicherten Leistung beitragen, während Photovoltaik keinen Beitrag leistet.“

Nimmt man diese Relationen zwischen installierter und gesicherter Leistung, dann kommt man selbst bei einer Verdreifachung der Anlagen-Kapazitäten von Sonne (Photovoltaik), Wind-Onshore und Wind-Offshore zum Ergebnis, maximal 4,5 GW gesicherte Leistung verfügbar machen zu können (vgl. Tabelle).

Gesicherte Leistung EE 2020-2030

Neben den „fluktuierenden“, also unbeständigen regenerativen Energiequellen Wind und Sonne sind in Deutschland noch Wasser und Biomasse zu betrachten. Die sehr zuverlässige, jedoch nur noch wenig ausbaubare Wasserkraft steuert 3,8 GW bei, die Biomasse 7,7 GW. Ausbaupotenzial besteht hier praktisch nicht mehr.

80 Gigawatt (GW) – das entspricht rechnerisch der Stromerzeugung von 100 großen Kohlekraftwerksblöcken, die jeweils 800 Megawatt (800 MW = 0,8 GW) ins Stromnetz einspeisen.

Die gesamten Windenergieanlagen an Land produzierten am 8. August 2020 gegen 10 Uhr lediglich 0,1 GW Strom, deutlich weniger noch als die vorstehend in der Tabelle für 2020 errechnete gesicherte Leistung von 0,5 GW. Auch die Offshore-Windenergie unterbietet zeitweise noch die rechnerisch für 2020 ermittelte gesicherte Leistung von 0,3 GW: Am 17. Juli 2020 lieferten die Offshore-Anlagen gegen 21 Uhr gerade mal 0,097 GW. Am 8. August 2020 sank die Offshore-Windenergie stundenlang fast auf Null, für die Mittagszeit (12 Uhr) wird die Leistung mit 0,005 GW angegeben.

Zwischen dem 16. und dem 25. Januar 2017 war sowohl die Solar- als auch die Windenergieeinspeisung für einen Zeitraum von zehn Tagen extrem niedrig, während zugleich der Strombedarf zum Teil bei mehr als 80 GW lag. In diesen zehn Tagen wurde die Stromversorgung fast vollständig von konventionellen Kraftwerken übernommen, die zwischen 60 GW und 78 GW (23. Januar) Strom erzeugen mussten, obwohl damals die installierte Leistung von Wind- und Solaranlagen schon bei rund 90 GW lag.

Eine Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2013 ermittelte für die Windenergie an Land ein rein aus der Landfläche sich ergebendes Potenzial von rund 1.190 GW installierbarer Leistung. Das entspräche einer gesicherten Leistung von rund 12 GW.

In der Vergangenheit war es falsch, wenn gesagt wurde, mit dem Ausstieg aus der Atomenergie würden „die Lichter ausgehen“. Die Überkapazitäten im deutschen Kraftwerkspark waren jahrzehntelang so immens, dass selbst nach potenziell sofortiger Stilllegung aller Atomkraftwerke noch genügend konventionelle Kraftwerke verfügbar waren, um den Leistungsbedarf von rund 80 GW zuzüglich einer üppigen Sicherheitsreserve komfortabel abzudecken.

Anfang 2020 lag die Netto-Nennleistung des verfügbaren Kraftwerksparks ohne Wind und Sonne bei rund 103 GW (vgl. Diagramm).

Netto-Nennleistung konventionelle Kraftwerke, Wasser u. Biomasse 2020 des verfügbaren Kraftwerksparks DEU

Nach Einschätzung der Deutschen Energie-Agentur (Dena) könnte die Jahreshöchstlast bis zum Jahr 2030 auf 99 GW ansteigen („Technologiemixszenarien“). Hintergrund sind die zunehmenden Elektroanwendungen in den Sektoren Gebäude und Verkehr. Bei einer noch stärkeren Elektrifizierung dieser Sektoren könnte die Höchstlast bis 2030 sogar auf bis zu 123 GW ansteigen („Elektrifizierungsszenarien“). [Siehe hierzu auch Wenig beachtete Nebenwirkungen der Digitalisierung oder Wärmepumpen und der steigende Stromverbrauch.

Der Stromverbrauch ist zwischen 1990 und 2018 von 455 Terawattstunden pro Jahr (TWh/a) auf 513 TWh/a deutlich angestiegen. Der maximale Strombedarf in dieser Zeitspanne war im Jahr 2008 mit 524 TWh/a.

Manche Studien zur Energiewende gehen auch während einer Dunkelflaute in Deutschland von weitreichend verfügbaren Stromimporten aus dem europäischen Stromnetz aus. In den vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragten Langfrist- und Klimaszenarien beträgt die Importleistung beispielsweise auch in der Dunkelflaute in der Spitze rund 50 GW Strom [Anmerkung: die derzeitige theoretische Stromimportkapazitäten beträgt 18,5 GW!].

Die Stromimporte aus Tschechien beispielsweise bedeuten, dass nicht nur 35 Prozent Atomstrom nach Deutschland fließt, sondern im Strommix sogar rund 52 Prozent Kohlestrom.

Äußerst kritisch entwickelte sich die Höchstlast in Europa schon in den vergangenen Jahren. 2013 lag diese noch bei 516 GW, 2016 wurden 546 GW, am 28.02.2018 wurden 590 GW erreicht. Zeitgleich erreichten die Übertragungsnetze in 9 von 36 europäischen Staaten (Deutschland, Frankreich, Dänemark, Polen, Tschechien, Schweden, Finnland, Serbien und Bulgarien) ihre Jahreshöchstlast. „Damit befanden sich Ende Februar bis Anfang März 2018 rund drei Viertel der europäischen Stromversorgung in einem kritischen Bereich.“ Außerdem war die Situation im Gebiet des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) „auch Ende November/Anfang Dezember sowie Anfang August 2018 angespannt.“ Am 28.02.2018 standen im ENTSO-E-Bereich für eine Höchstlast von 590 GW insgesamt nur knapp 577 GW an gesicherter Erzeugungsleistung zur Verfügung.

Rund drei Viertel der derzeitigen konventionellen Kraftwerkskapazitäten Europas (ohne Deutschland) sind auf die Länder Frankreich, Italien, Niederlande und Polen konzentrieren.

In China wurde im Herbst 2020 demonstriert, wie schwer es mit der Stromspeicherung im großen Stil ist. In der abgelegenen Provinz Qinghai wurde ein 2,2 Gigawatt-Photovoltaik-Kraftwerk ans Netz angeschlossen. Das Projekt beinhaltet auch einen Speicher mit 203 Megawattstunden Kapazität und 203 Megawatt Leistung. Das sind beachtliche Zahlen, sollte man meinen. Und tatsächlich: Über eine 1.587 Kilometer lange Stromtrasse soll das Solarkraftwerk bei Sonnenschein bis zu 2,2 Gigawatt Strom in Richtung der dichter besiedelten östlichen Provinzen liefern. Betrachtet man allerdings den Speicher, so liefert dieser mit 203 Megawatt gerade einmal 9 Prozent der Spitzenleistung des Kraftwerks – und das auch nur rund eine Stunde lang. Ein Speicher, der 203 Megawatt Strom für mehrere Provinzen Chinas liefern soll mit einer rechnerischen „Entleerungsdauer“ von nur einer Stunde ist ein ziemlich fragwürdiges Projekt.

Der Speicher dient vermutlich dazu, der Weltöffentlichkeit zu suggerieren, man habe das Speicherproblem im Griff. Tatsächlich aber wird selbst bei solchen Vorzeigeprojekten und trotz eines immensen Aufwands das Problem der volatilen Solarstrom-Einspeisung in keiner Weise gelöst. Eine Stunde lang einen Bruchteil der Kraftwerksleistung aus dem Speicher heraus liefern zu können, stellt keine Lösung des Speicherproblems dar. [Anmerkung: siehe auch Energy Storage and Civilization: A Systems Approach]

 

Wasserstoff (P2X) / Speicher / Gaskraftwerke

Greenpeace Energy schlug vor, bundesweit Elektrolyseure zur Wasserstoffproduktion mit einer Gesamtkapazität von 42,7 GW zu installieren. Zur Wiederverstromung seien Gaskraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 67 GW erforderlich. Hintergrund für die zurückhaltende Einschätzung sind die hohen Wirkungsgrad-Verluste dieses Systems aus Speichergaserzeugung und Wiederverstromung in Gaskraftwerken. Am Ende bleiben vom ursprünglichen Wind- und Solarstrom nur 30 bis 40 Prozent übrig.

Wenn am Ende nur noch 30 % oder weniger der ursprünglich erzeugten Solar- oder Windenergie im Winterhalbjahr verfügbar gemacht werden können, dann ist es natürlich sehr fragwürdig, ob am Anfang der Kette die dafür erforderlichen Wind- und Solarkapazitäten aufgebaut werden könnten. Denn man würde Wind- und Solaranlagen für den unmittelbaren Verbrauch im Sommerhalbjahr benötigen und darüber hinaus nochmals sehr große Kapazitäten, von deren Erzeugung in den Stromlücken des Winterhalbjahres nur relativ wenig übrigbliebe.

Im Jahr 2020 ist jedenfalls nüchtern festzustellen, dass drei Jahrzehnte nach Beginn der systematischen Förderung der erneuerbaren Energien durch das Stromeinspeisungsgesetz von 1990 und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) keine Infrastruktur mit Langzeitspeichern aufgebaut worden ist.

Die größten aktuell in Betrieb befindlichen Elektrolyseanlagen haben eine Leistung in der Größenordnung von 0,01 GW (10 MW). Im Rahmen der Reallabore der Energiewende sind Anlagen im Bereich 0,1 GW (100 MW) geplant. Neben technischen Herausforderungen besteht bei einer Markteinführung von Elektrolyseuren insbesondere auch das Problem, dass ein wirtschaftlicher Betrieb nur bei einer großen Zahl an Volllaststunden möglich ist. Ein kontinuierlicher Betrieb der Anlagen ist in Deutschland auf der Basis erneuerbarer Energien aber nicht machbar. Die Wasserstoffproduktion mit Elektrolyseuren in Deutschland in Verbindung mit Wind- und Solarstrom wäre insofern sehr teuer und nicht wettbewerbsfähig.

Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) ging 2012 in einer Studie davon aus, dass im Jahr 2050 Speichertechnologien (lediglich) 9 Prozent der gesicherten Leistung stellen werden. Der Netzentwicklungsplan (NEP) sah bis 2030 Power-to-Gas-Anlagen mit einer installierten Leistung von lediglich 1 GW bis maximal 3 GW vor.

Aus heutiger technologischer Sicht werden Gaskraftwerke auf Dauer benötigt, sofern andere konventionelle Kraftwerke nicht verfügbar sind. Dabei kann es sich zum Teil um Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen wie etwa kommunale Heizkraftwerke handeln. Neue Gaskraftwerke derzeit fast nirgendwo geplant, weil die Refinanzierung „unter den Bedingungen der Energiewende zu riskant erscheint“.

Die inzwischen übliche, „disruptive“, also zerstörerische Vorgehensweise mit gesetzlich verbindlichen Abschaltplänen ohne gesetzlich verbindliche Pläne für die vorherige Verfügbarmachung gesicherter Kraftwerks-Leistung ist verantwortungslos. Entsprechend moniert auch das Bundeskartellamt das Risiko einer Gefährdung der Versorgungssicherheit wegen fehlender Kraftwerksneubauten: Die schlechte Vorhersehbarkeit der zukünftigen Bedingungen von Angebot und Nachfrage, das Risiko politischer Eingriffe und „die nur langfristig mögliche Korrektur einer Unterkapazität durch Kraftwerksneubau, sind Anlass für die Sorge, dass die Versorgungssicherheit auf Basis der Marktsteuerung nicht hinreichend sein könnte. Die sich am Markt einstellenden Preise könnten zu niedrig sein, um Investitionssignale zu setzen und entsprechende Kapazitätspuffer zu bilden. Daher besteht das Risiko, dass es am Stromgroßhandelsmarkt in einem konkreten Moment nicht zu einer Bedarfsdeckung kommen könnte. Dies hätte Stromausfälle (Blackouts oder Brownouts) zur Folge.“

Auch die Umweltgesetzgebung der EU könnte den Weiterbetrieb von Gaskraftwerken und somit die Versorgungssicherheit in Deutschland gefährden. Hintergrund ist, dass die Europäische Kommission im Juli 2017 neue europaweite „Bandbreiten für Schadstoffemissionen“ von Großfeuerungsanlagen erlassen hat. Es geht dabei um Grenzwerte, die in nationales Recht umzusetzen und spätestens ab August 2021 einzuhalten sind. Betroffen sind in Deutschland rund 600 Großfeuerungsanlagen, darunter insbesondere Stein- und Braunkohlekraftwerke sowie Gasturbinen- und Gas-und-Dampfturbinen-Kraftwerke. Genehmigungsbehörden müssen sicherstellen, dass auch bestehende Anlagen die neuen Emissionswerte der EU einhalten. Eine Nachrüstung von bestehenden Gasturbinen mit Katalysatortechnik ist im Regelfall wirtschaftlich nicht darstellbar. „In vielen Fällen wird deswegen eine Beschränkung der jährlichen Betriebsstunden, eine Stilllegung oder ein Ersatzbau erfolgen müssen“, heißt es im Bericht der Kohlekommission.

Die EU-Umweltgesetzgebung deutet darüber hinaus auf eine generelle Tendenz hin, wonach umwelt-orientierte Investitionen neuerdings nicht mehr belohnt, sondern bestraft werden: Grenzwerte werden beständig weiter angezogen, sodass Investitionen in umweltfreundliche Technologien von heute schon morgen als „Umweltsünden“ gebrandmarkt und sanktioniert werden: Alles ist stets „nicht genug“.

 

Elektromobilität

Gesamtbild: In nur 10 Jahren könnte es keine Neuzulassungen mehr für Verbrennungsmotoren geben und 7-10 Millionen Elektroautos sollen von 1 Million Ladepunkten mit elektrischem Strom versorgt werden.

Bei der Nutzung von Haushaltssteckdosen (2,3 kW) erscheint zwar vordergründig die erforderliche, zusätzliche Stromerzeugungskapazität mit 2,3 GW gering. Doch einerseits wäre es völlig realitätsfern, sowohl im Sommer- als auch im Winterhalbjahr, sich darauf verlassen zu wollen, jeden Tag 8 bis 14 Stunden lang „überschüssigen“ Solar- oder Windstrom zur Verfügung zu haben. 

Leistung je Ladepunkt

Darüber hinaus wurde hier gerechnet, dass lediglich eine Million E-Autos an den Haushaltssteckdosen hängen, keineswegs aber 7 oder 10 Millionen E-Autos, die 2030 auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen. Würden aber im Schnitt täglich beispielsweise 5 Millionen E-Autos an Haushaltssteckdosen beladen werden, dann ginge es um einen „zusätzlichen Leistungsbedarf“ von rund 12 GW, 8 bis 14 Stunden am Tag.
Schnellladestationen mit beispielsweise 350 kW als „Standard“ für die eine Million Ladepunkte 2030 zu nehmen, wäre ebenfalls fernab jeder Realität. 350 GW zuverlässige Zusatzleistung durch Sonne und Wind, jederzeit, im Sommer- wie im Winterhalbjahr gewährleisten zu wollen, ist nicht möglich.

Man kann die verschiedenen Stellgrößen wie Ladezeiten, Anzahl der Ladepunkte, Leistungsaufnahme und -abgabe von Ladepunkten, Anzahl der Elektroautos, Annahmen zu Wetterverhältnissen, Annahmen zum sonstigen Strombedarf 24 Stunden am Tag und in der Nacht sowie im Sommer wie im Winter modellmäßig „hin- und herrechnen“ wie man will: Wenn Dieselautos und Verbrennungsmotoren generell verboten werden würden und nur noch Elektroautos erlaubt wären, dann würde das vor dem Hintergrund der Auffassung, alle konventionellen Kraftwerke seien verzichtbar, bedeuten, dass nur noch ein ziemlich kleiner Bruchteil des heutigen Pkw-Bestands aufrechterhalten werden kann.

Wie aus den vorherigen Erörterungen hervorgeht, ist das Potenzial für Wind- und Solarenergieanlagen in Deutschland nicht ausreichend, um neben dem klassischen Strommarkt auch noch den Wärme- und den Verkehrsmarkt mit Energie zu versorgen. Das gilt ebenso und erst recht für den „Umweg“ über synthetische Kraftstoffe, da dafür noch weitaus mehr Strom benötigt werden würde.

 

Synthetischen Kraftstoffen / Fernwärme

Aufgrund der zahlreichen einzelnen Schritte fallen bei der Herstellung von synthetischen Kraftstoffen hohe Wirkungsverluste an. Von der im Prozess eingesetzten Energie bleiben in der „Well-to-Wheel“-Betrachtung am Ende nur 10 % bis 18 % übrig.

In der aktuellen Diskussion um möglichst schnelle Stilllegungsfristen für Kohlekraftwerke gerät gelegentlich aus dem Blick, dass damit die Fernwärmeversorgung der Städte gefährdet sein könnte.

In der öffentlichen Diskussion wird gelegentlich großzügig übersehen, dass mit der Stilllegung von Steinkohle-Heizkraftwerken ganze Stadtteile bzw. Millionen Menschen nicht mehr mit Wärmeenergie versorgt werden könnten.

Die Kohlekommission betont in ihrem Abschlussbericht, dass die Fernwärmenetze vor allem im urbanen Raum über 5,8 Mio. Haushalte mit Wärme versorgen. Auch Industrie und Gewerbe sind zu einem erheblichen Teil Abnehmer von Fernwärme, die zum Beispiel als Prozesswärme oder zur Beheizung von Produktionsstätten eingesetzt wird.

Seit es aber um die Mittagszeit und bei guten Windverhältnissen, insbesondere im Sommerhalbjahr, immer wieder eine Strom-Überproduktion gibt, wird erneuerbar erzeugter Strom als mögliche Heizenergie positiv ins Gespräch gebracht. Die Sektorkopplung zwischen Strom- und Wärmemarkt erscheint dabei als Lösung aller Energieprobleme: Ein einfacher elektrischer „Heizstab“ im Pufferspeicher macht‘s möglich, aus überschüssigem Wind- und Solarstrom die Warmwasserbereitung zu unterstützen. Eine „Elektrifizierung“ scheint alle Energieprobleme elegant vom Tisch zu wischen. Natürlich kann der „Heizstab im Pufferspeicher“ punktuell ein Mittel sein, um eine eigentlich unerwünschte Strom-Überproduktion „irgendwie sinnvoll zu verwerten“, statt Windenergie- oder Solaranlagen vom Netz nehmen zu müssen – oder den Strom zu Negativ-Preisen in Nachbarländer exportieren zu müssen, in denen bei günstigen Wetterverhältnissen künftig zeitgleich ein Strom-Überangebot bestehen könnte. Den gewaltigen Energiebedarf des Wärmsektors kann man mit solchen Heizstäben aber natürlich nicht im Ansatz decken. „Sektorkopplung“ ist an dieser Stelle ein großes Wort für praktisch vernachlässigbare Energiemengen.

Der „Wärmemonitor 2019“, eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Essener Energie-Dienstleisters Ista, kommt zum Ergebnis, dass der Heizenergiebedarf je Quadratmeter beheizter Wohnfläche in Wohngebäuden klima- und witterungsbereinigt, also unter Berücksichtigung milder Winter, 2019 ungefähr auf demselben Niveau wie 2010 lag. Im Laufe der Jahre war der Heizenergiebedarf zwar teilweise gesunken, zwischen 2015 und 2018 war er aber sogar wieder angestiegen. „In den letzten zehn Jahren ist also nicht viel passiert“, konstatiert DIW-Mitarbeiter Jan Stede. Dies, obwohl nach Angaben der Bundesregierung allein nur von 2010 bis 2018 insgesamt 496 Milliarden Euro in die energetische Gebäudesanierung geflossen sind.

Unterm Strich ist nüchtern zu konstatieren, dass die seit den 1970er Jahren propagierten und umfänglich realisierten Gebäudesanierungen nicht dazu geführt haben, den Wärmebedarf wie prognostiziert abzusenken. Des Weiteren ist zu prüfen, welche Effekte die neuerdings wieder propagierten Elektrowärmepumpen haben werden, für die schon in den 1970er Jahren geworben wurde. Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) rechnet bei verstärkter Verwendung von Elektrowärmepumpen damit, dass die Versorgungssicherheit in kalten Wintern bis 2030 sinkt, weil der für die Wärmepumpen benötigte Strom zu gefährlichen „Lastspitzen“ führt.

Die jährliche Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland (EEG-Differenzkosten) erhöhte sich insgesamt von 0,7 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf 23 Mrd. Euro 2018. Bis 2020 rechnet das Bundeswirtschaftsministerium mit einer Erhöhung auf 24,2 Mrd. Euro. Die Gesamtförderung summierte sich bis 2018 auf 194 Mrd. Euro. Bis 2020 sind insgesamt 243 Mrd. Euro zu erwarten.

Die von der Bundesregierung 2020 beschlossene „Entlastung der EEG-Umlage“, indem man den CO2-Preis, also die CO2-Abgabe erhöht, ist eine Mogelpackung, da zwar der weitere Strompreisanstieg begrenzt wird, die Bevölkerung stattdessen an anderer Stelle höhere Abgaben bezahlen muss.

Im Januar 2017 waren in Frankreich fünf Atomkraftwerke (neben weiteren Nichtverfügbarkeiten) mit einer Leistung von 5,5 GW wegen Wartungs- und Prüfarbeiten nicht im Leistungsbetrieb. Aufgrund der Kälte rechnete der französische Übertragungsnetzbetreiber Rte für den 18. Januar mit einem Strombedarf (Spitzenlast) von bis zu 95 GW. Vorherige Prognosen hatten sogar eine Spitzenlast von bis zu 102,4 GW vorausgesehen. [Siehe hierzu auch die Ankündigung, dass Ende Februar 2021 13(!!) von 57 Reaktoren vom Netz gehen müssen! France’s RTE sees risk of electricity shortages in February 2021]

Von der gesamten für den Winter 2016/2017 vorgehaltenen Notfall-Reserve in Höhe von 5,4 GW Kraftwerksleistung wurden am 18. Januar 2017 in der Spitze 3,3 GW beansprucht.

Aufgrund der Energiewende und ökonomischer Anreize hat das Unternehmen in seinem Essener Werk die Aluhütten so ausgerichtet, dass sie bei Stromknappheit bis zu einer Stunde lang abgeschaltet werden können, „ohne Schaden zu nehmen“. Im ersten Halbjahr 2015 haben die Netzbetreiber bei dem Aluminiumhersteller 45-mal den Strom abgestellt, allein im Juni 2019 war es 31-mal der Fall.

Allein die Trimet Aluminium SE benötige mit 6 TWh pro Jahr mehr als 1 % Prozent der gesamten deutschen Stromproduktion – 1 ct/kWh seien somit gleichbedeutend mit jährlichen Mehrkosten von 60 Mio. Euro.

 

Das fatale Prinzip Hoffnung

Es wird Hoffnung gemacht, stationäre und mobile Batteriespeicher oder „intelligente Stromnetze“ könnten das Problem fehlender Langzeitspeicher lösen. Auch das ist wie dargelegt nicht der Fall. Hoffnung wird auch schon seit den 1970er Jahren in regelmäßigen Abständen mit einer solaren Wüstenstromerzeugung in Nordafrika gemacht, zuletzt als „Desertec-Projekt“ jahrelang propagiert, ohne dass bis heute auch nur eine einzige Kilowattstunde Strom aus der Wüste in Deutschland angekommen wäre.

Hoffnung wird auch vermittelt, wenn durch die Kommunikation über zahllose technische Möglichkeiten der Eindruck unendlicher Möglichkeiten erweckt wird. Zuletzt wurde beispielsweise die Abwärme von Rechenzentren ins Spiel gebracht und damit die Hoffnung genährt, man könne so einen bedeutenden Teil des Raumwärmebedarfs abdecken. Ähnlich sieht es aus mit dem „Vielfach-verbuchen“ von „nur einmal“ zur Verfügung stehenden Energiemengen. Der Energiegehalt einer spezifischen Menge von in Elektrolyseuren erzeugtem „Wasserstoff“ beispielsweise steht nur wahlweise für verschiedene Zwecke zur Verfügung: zur direkten Wiederverstromung, zur Methanisierung und Wiederverstromung, zur Raumwärmegewinnung und zudem noch für die Prozesswärmeproduktion. In Heizkraftwerken kann man zwar Strom und Wärme gleichzeitig produzieren, allerdings muss man dabei den Energiehalt des Wasserstoffs auf die beiden Produkte Strom und Wärme „aufteilen“. Es muss stets sauber und übersichtlich quantifiziert werden.

Angesichts von derzeit eher wenig realitätstauglichen Beschlüssen und Entwicklungen ist dringend eine „Denkpause“ nötig. Aus den aktuellen Beschleunigungsprozessen sollte das Tempo herausgenommen werden. „Entschleunigung“ ist vor dem Hintergrund vielfältiger und gleichzeitig auftretender Mega-Krisen ein Gebot der Stunde.

Es wäre für diese Gesellschaft wichtig, weitaus besser noch zu lernen, relevante Informationen auch dann zur Kenntnis zu nehmen und lösungsorientiert „zu verarbeiten“, wenn sie der eigenen, bisherigen Erwartungshaltung entgegenstehen. Auch müssen möglicherweise manchmal Ergebnisse einer solchen Informationsverarbeitung akzeptiert werden, selbst wenn man zuvor der Auffassung war, dass ein anderes Ergebnis das richtige ist.

Die energiepolitische Debatte ist traditionell geprägt von visionären Großprojekten, die der Öffentlichkeit so vermittelt werden, als wären sie morgen schon Realität. Selbst wenn Großunternehmen solche Projekte ankündigen, auch mit konkreten Zeiträumen, in denen diese realisiert werden sollen, ist mit Blick auf die Vergangenheit festzustellen: Nur ein sehr kleiner Teil der angekündigten Vorhaben wird schließlich in die Tat umgesetzt. Die Energiewirtschaft ist eine Geschichte mit vielen „Fata-Morganas“. Egal, ob man die vielen hundert Atomkraftwerke in Deutschland nimmt, den Fusionsreaktor, zahllose Pipeline-Projekte, Erdgas- und Erdölprojekte, die solare Wüstenstromerzeugung (zuletzt unter der Bezeichnung „Desertec“ propagiert), die Einführung einer Wasserstoffwirtschaft etc. etc. – alles vielfach angekündigte und weit überwiegend ebenso sicher gescheiterte Projekte.

Andreas Hintennach, Abteilungsleiter der Daimler AG, machte im Dezember 2019 auf einer Veranstaltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Beispiel Wasserstoff deutlich, wie oft in der Vergangenheit Vorhaben, die angeblich kurz vor der Realisierung standen, sang und klanglos bis zum nächsten Hype in der Schublade verschwanden:

Wasserstoff hat schon viele Hypes gesehen. Und immer stand es kurz vor dem Durchbruch. Und immer war es fünf vor zwölf. Und immer gab‘s ganz gute Argumente, warum das morgen alles passieren muss. (…) Es war immer irgendwas, warum es nicht funktioniert hat. (…) Das ist ein Marathon-Lauf, den wir da anfangen, nicht so ein 100-Meter-Sprint.“

Verfügt dieses Land noch über eine stabile und leistungsfähige Energie-Infrastruktur, wenn beim Umbau die Mittel möglicherweise auf halber Strecke ausgehen sollten?