Wien, 27.10.20

Erging per E-Mail an das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie unter  und das Präsidium des Nationalrates unter

Stellungnahme zum Entwurf Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG)

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Frau Bundesministerin,

wir bedanken uns für die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf des EAG und nehmen zum Entwurf vom 16.09.2020 wie folgt Stellung:

1  § 4. (1) 4. „… die Systemverantwortung von erneuerbaren Energien zu steigern.“

Das Wort Systemverantwortung kommt im gesamten Gesetzesentwurf nur einmal als Zielformulierung vor, obwohl dieser Punkt für einen sicheren Stromnetzbetrieb von zentraler Bedeutung ist. Insbesondere, da im (europäischen) Stromversorgungssystem permanent die Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch sichergestellt werden muss. Andernfalls würde es zu einem Systemkollaps kommen.

Gerade mit dem Ausbau von volatilen Erzeugungsanlagen (Wind, PV) steigt der Bedarf an Elementen rapide an, die zur Systemverantwortung und -stabilität beitragen können, was im Entwurf keinen ausreichenden Niederschlag gefunden hat. Nur durch eine Pufferung über mehrere Zeiteinheiten (inhärent durch die Momentanreserve bis saisonal[1]) kann eine permanente Umwälzung und Systemstabilität sichergestellt werden.

Dieser fehlende Bezug zum Gesamtsystem zieht sich mehr oder weniger durch den gesamten Gesetzesentwurf und widerspricht dem Grundsatz: „Das Verständnis für die Systemkomponenten (Details) ergibt sich stets aus der Kenntnis des Ganzen, nicht umgekehrt.“

2  § 4. (4) (4) Zur Erreichung des in Abs. 2 angegebenen Zielwertes für das Jahr 2030 ist ausgehend von der Produktion im Jahr 2020 die jährliche Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen bis zum Jahr 2030 mengenwirksam um 27 TWh zu steigern. Davon sollen 11 TWh auf Photovoltaik, 10 TWh auf Wind, 5 TWh auf Wasserkraft und 1 TWh auf Biomasse entfallen. Der Beitrag der Photovoltaik soll insbesondere durch das Ziel, eine Million Dächer mit Photovoltaik auszustatten, erreicht werden.

Zwar hat Österreich durch die Wasserkraft eine privilegierte Ausgangslage, nichtsdestotrotz wird das derzeitige System mit rund 3,3 TWh ausgebauter (Pump)speicherkapazität nicht ausreichen, um bis 2030 allein 21 TWh volatile Wind- und Sonnenstromproduktion puffern zu können, da die Volatilität nicht nur unter Tags, sondern auch saisonal in hohem Maße auftritt. Die Brutto-Stromerzeugung von allen Speicherkraftwerken betrug 2019 rund 14 TWh. Hinzu kommt, dass die derzeitigen Speicher vor allem in West- und Südösterreich verfügbar sind und daher hohe Transportkapazitäten erforderlich werden.

Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass bereits heute ein Energiebedarf von rund 5 TWh im Gasbereich und rund 10 TWh im Strombereich (inkl. Pumpleistung) nur für den Eigenverbrauch, Verluste und Pumpleistung erforderlich sind.[2] Pumpspeicherkraftwerke sind nach dem heutigen Stand der Technik die effizienteste Speichertechnologie, die verfügbar ist. Gerade beim Thema Power-to-Gas – um auch eine umfangreichere saisonale Speicherung sicherstellen zu können – treten noch erhebliche Umwandlungsverluste auf, die letztendlich auch durch jemanden bezahlt werden müssen.

Die E-Mobilität wird immer wieder als Lösungsansatz kommuniziert. Nur scheinen die tatsächlichen Dimensionen kaum jemandem bewusst zu sein. Wenn heute im Burgenland der Wind günstig weht, dann könnten allein mit dem Überschussstrom eines Tages (~18 GWh) rund 240.000 Tesla S Batterien (75 kWh) vollgeladen werden. Weht kein Wind, dann bräuchte es rund 80.000 E-Autos, die dann komplett entladen werden müssten. Nichtsdestotrotz wird auch die E-Mobilität Teil der Lösung sein und würde sich gerade bei funktionalen Einheiten („Energiezellen“) besonders gut integrieren lassen.

3  § 5. 12. „Engpassleistung“ im Bereich der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen die durch den leistungsschwächsten Teil begrenzte, höchstmögliche elektrische Dauerleistung der gesamten Anlage mit allen Maschinensätzen; bei Photovoltaikanlagen gilt die Modulspitzenleistung (Leistung in kWpeak) als Engpassleistung;

Die Brutto-Engpassleistung sagt sehr wenig über die tatsächliche Verfügbarkeit aus und trägt wenig zur Systemsicherheit bei. Entscheidend sind nicht wie viel kWpeak installiert wurden, sondern welche verlässliche Leistung diese über möglichst viele Stunden (Sekunden) der 8.760 Stunden pro Jahr zur Systemsicherheit beitragen können, da ja permanent die Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch sichergestellt werden muss.

Auch bei der Anführung von Engpassleistung/Volllaststunden (§ 7. 1. (4)) werden sehr divergierende Ergebnisse miteinander verglichen. Während es bei der Wasserkraft größere Schwankungen über Tage bis saisonal gibt, sind im PV- und Windbereich große Schwankungen unter Tags oder innerhalb weniger Tage die Regel, was ganz andere Herausforderungen für die Systemsicherheit und Infrastrukturbelastung mit sich bringt.

Hier spiegelt sich leider das getrennte Denken in Einzelteilen wider. Ein systemischer Zugang, die Betrachtung und Förderung von funktionalen Einheiten („Energiezellen“) würde dazu führen, dass eine gesamtheitliche Betrachtung und der Ausbau von Energiezellen forciert werden könnte, wo automatisch auch das Thema Energiebedarfssenkung angereizt würde. Denn alles was nicht verbraucht wird, muss nicht erzeugt und gepuffert werden. Regionale funktionale Einheiten würden auch unmittelbar zur Systemsicherheit und Robustheit des Gesamtsystems und zur Anteilnahme und Einbindung der Menschen an der Energiewende („Ich bin Teil einer Energiezelle und unterstütze mit meinem Verhalten die Funktionalität dieser.“) beitragen.

Das EAG könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten, wenn diese Aspekte noch einfließen würden. 

4  § 5. 13. „Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft“ eine Rechtsperson, die erneuerbare Energie erzeugt, verbraucht, speichert oder verkauft und es ermöglicht, die innerhalb der Gemeinschaft erzeugte Energie gemeinsam zu nutzen; deren Mitglieder oder Gesellschafter müssen im Nahebereich gemäß § 75 angesiedelt sein; und § 74. Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften

Auch hier geht es vorwiegend um abrechnungstechnische Aspekte und nicht um funktionale Einheiten („Energiezellen“), mit denen auch die regionale gesellschaftliche Robustheit erhöht werden könnte. Denn in robusten Energiezellen sind auch Rückfallebenen für Störfälle im übergeordneten System vorgesehen, um eine definierte Notversorgungsfähigkeit von wichtigen Infrastrukturleistungen (Wasser, Abwasser, Wärme etc.) aufrechterhalten zu können. Eine Gemeinschaft bedeutet mehr, als nur die Abrechnung von Strom, der auch bereits bisher mit dem Nachbarn geteilt wurde, da Strom immer den kürzesten Weg fließt.

5  Ergänzende Betrachtungen

Der vorliegende Entwurf des EAG reicht daher nicht aus, um die vielfältigen Möglichkeiten zur infrastrukturellen Robustheits- und gesamtgesellschaftlicher Resilienzsteigerung im Zuge der Energiewende zu nutzen. Ganz im Gegenteil. Die hauptsächliche isolierte Betrachtung von Einzelelementen ist für die Systemsicherheit sogar abträglich.

Neben dem umfangreichen Ausbau von Erzeugungsanlagen sind aufgrund der geänderten Erzeugungsstruktur auch zumindest gleichwertig zu betrachtende, weitreichende Strukturanpassungen erforderlich, die bisher kaum adressiert werden. Der Netzausbau stellt dabei nur ein Instrument dar, das aber bei Weitem nicht ausreichen wird. Um die entstehende Komplexität beherrschbar halten zu können, sind dezentrale, robuste und funktionale Einheiten („Energiezellen“)[3] erforderlich:

  • Diverse dezentrale Erzeugungseinheiten (PV-Anlagen, Kleinwasserkraftwerke, BHKW, Biogasanlagen, etc.); Robustheit durch Diversität!
  • Energiebevorratungselemente (Momentanreserve, Pumpspeicher, Batteriespeicher, Wärme-/Kältespeicher, Bauteilaktivierung, E-Mobilität, etc.)
  • Dezentrales Energiemanagementsystem zur Sicherstellung eines stabilen Netzbetriebes innerhalb der Energiezelle. Dieses soll bei Bedarf auch das vorgelagerte Netz durch Aufnahme oder Abgabe von Energie (Strom) entlasten können.[4]
  • Flexibilisierungselemente (Steuerung durch lokale Energieassistenzsysteme)
  • Berücksichtigung einer minimalen Notversorgungsfähigkeit, um im Falle einer Netzstörung in der Energiezelle eine definierte Notversorgung (wichtige Einrichtungen) aufrechterhalten und damit einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Resilienz leisten zu können.

Das zentralisierte System wird auch weiterhin notwendig sein. Dieses kann aber durch robuste dezentrale Strukturen bottom-up gestärkt werden. Zudem müssen die Probleme dort behoben werden, wo sie auftreten. Das Verschieben über mehrere Netzebenen, wie das heute passiert, sollte nach Möglichkeit, wo immer möglich, reduziert werden.

Alle Anstrengungen Richtung #mission2030/EAG sollten sich daher an folgenden Grundforderung orientieren:

  • Priorität 1: Energiebedarfssenkung[5]
  • Priorität 2: Es werden vorwiegend Projekte/Anlagen/etc. gefördert, die einen klaren Beitrag zu dezentralen, robusten funktionalen Einheiten („Energiezellen“) leisten und damit auch einen gesellschaftlichen Mehrwert in Form von Rückfallebenen schaffen.
  • Die Energieversorgung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Um effektive und effiziente Energiezellen betreiben zu können, ist eine gewisse Grundgröße Voraussetzung, da nur so die erforderliche Diversität in der Erzeugung und im Verbrauch für den notwendigen Ausgleich erreicht werden kann. Einzelne Energiezellen können dann auch wieder zu größeren Zellen/Einheiten zusammengefasst werden.

Das bisherige Versorgungssystem wurde als „Einbahnsystem“ konzeptioniert. Das bedeutet, der Strom wurde vorwiegend in Großkraftwerken erzeugt und dann über mehrere Netzebenen zu den Energienutzern transportiert. Durch den Ausbau von Millionen neuer dezentraler Kleinkraftwerke kommt es nun zu gegenläufigen Strömen, die zu steigenden netzbetrieblichen Herausforderungen führen. Darüber hinaus würde die neue Erzeugungslandschaft einen umfangreichen Netz- und Infrastrukturausbau erfordern, wenn nicht von vornherein ein netzdienliches Verhalten aller Akteure eingefordert wird. Diese Kleinkraftwerke sind zudem aufgrund ihrer volatilen Erzeugungscharakteristik und aus Komplexitätsgründen auf Dauer nicht zentral steuerbar. Aus system- und komplexitätswissenschaftlicher Sicht kann die langfristige Lebensfähigkeit von komplexen Systemen nur durch dezentrale autonome Strukturen aufrechterhalten werden. Mit einer Energiezellenstruktur kann auch die Robustheit des Gesamtsystems bottom-up und im laufenden Betrieb erhöht werden.

Chancen und Hürden

Eine dezentrale funktionale Einheit („Energiezelle“), wo durch eine lokale Erzeugung und Energiebevorratung eine bestmögliche lokale Ausbalancierung zwischen Erzeugung und Verbrauch sichergestellt werden kann, schafft daher mehrere Win-win-Situationen:

  • Entlastung des übergeordneten Netzbetriebes durch ein netzdienliches (entlastendes) Verhalten
  • Verminderter Netz- und Infrastrukturausbaubedarf auf den vorgelagerten Ebenen (was auch honoriert werden muss, um Anreize für den Energiezelleneinsatz zu schaffen)
  • Erhöhung der Integrationsfähigkeit von (Groß-)PV-Anlagen
  • Erhöhung der Spannungsqualität durch lokale Glättung
  • Erhöhung der Energieeffizienz durch eine symbiotische Betrachtung in der Energiezelle
  • Besser kalkulierbare Strom- und möglicherweise auch Energiepreise durch die Nutzung von Synergien
  • Reduktion des Bezuges von Spitzenleistungen aus dem Netz
  • Aktive Einbindung der BürgerInnen in die Energiewende / Teilhabe
  • Optional: eine gemeinsame Notstromversorgung

Die größten Hürden sind derzeit:

  • Eine derartige dezentrale Struktur ist derzeit regulatorisch nicht vorgesehen oder beschränkt sich diese auf Großkunden/Gewerbeanlagen
  • Das dezentrale Netzmanagement
  • Die Bereitschaft und Fähigkeit, in eine Vorleistung zu gehen um die notwendigen Strukturen (Infrastrukturen) zu schaffen

Mit den besten Grüßen
Herbert Saurugg, MSc

Präsident der Österreichischen
Gesellschaft für Krisenvorsorge

[1]     Vgl. Die Energiebevorratung als unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende unter URL: https://www.saurugg.net/energiezellensystem/energiebevorratung

[2]     Siehe E-Control – Statistikbroschüre 2020 unter https://www.e-control.at/documents/1785851/1811582/Statistikbrosch%C3%BCre_deutsch_FINAL.pdf/76a285c4-10f4-1a8e-b618-03265b2d6a15?t=1601286846708

[3]     Siehe etwa „Das Energiesystem resilient gestalten“ (www.energiesysteme-zukunft.de)

[4]     Vgl. das amerikanische Projekt SPIDERS: https://www.saurugg.net/2016/blog/energiezellensystem/spiders

[5]     Die Energieeffizienzanstrengungen greifen in der Regel noch zu kurz und berücksichtigen kaum den Rebound-Effekt