Das (kostenlose) Buch, Konzepte der Komplexität: Eine sehr kurze Einführung, von Michael Frahm bietet eine sehr interessante Zusammenschau über die wesentlichen Akteure und ihre Zugänge zum Thema Komplexität. Es bietet eine sehr kurze Einführung in das Themengebiet Komplexität und deren Anwendung in verschiedenen Disziplinen wie Naturwissenschaften, Systemtheorie, Kybernetik, Management und mehr. Es stellt grundlegende Theorien und Modelle vor, die das Verständnis von Dynamiken, Interaktionen und Mustern in komplexen Systemen vertiefen. Dabei werden Beiträge von bedeutenden Denkern wie Henri Poincaré, Edward Lorenz, Ludwig von Bertalanffy, Norbert Wiener und vielen weiteren illustriert, die den Weg für interdisziplinäre Ansätze in der Analyse und Steuerung komplexer Prozesse ebneten.
Hier wieder einige Auszüge, die ich als besonders wichtig erachtet habe. Viele der beschriebenen Personen sind mir bekannt, aber auch ich konnte wieder einige neue Blickwinkel entdecken. Sollte ich hier bereits ein Buch beschrieben haben, erfolgt eine Verlinkung.
Eigenschaften, die Komplexität ausdrücken
- Selbstorganisation
- Emergenz,
- keine zentrale Kontrolle,
- verschachtelte Strukturen,
- Anpassungsfähigkeit,
- Robustheit,
- Nichtlinearität,
- Pfadabhängigkeit und
- viele unterschiedliche Elemente und Interaktionen.
Faustformel: 𝐾 = (𝐸 ∗ 𝐵 ∗ 𝑉)(𝑡)
K steht für Komplexität, E für Elemente, B für Beziehungen der Elemente, V für Verhalten der Beziehungen und (t) für zeitliche Veränderung. Liegt ein soziales System vor, z.B. ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern (E = Elemente), die untereinander verschiedene formale und informale Beziehungen (B) haben und die sich in den Beziehungen unterschiedlich verhalten (V), habe ich eine Grundvorstellung der Struktur von Komplexität gemäß der Faustformel. Wenn nun in Betracht gezogen wird, dass dieses soziale System sich zeitlich (t) verändert, dann liegt eine Vorstellung der Dynamik vor. Die zeitliche Veränderung (t) spielt eine große Rolle.
Ungeachtet dessen ist und bleibt Komplexität, insbesondere in sozialen Systemen, subjektiv und abhängig von der Wahrnehmung und Erfahrungen der Betrachter. Jeder nimmt Komplexität anders wahr.
Der französische Mathematiker Henri Poincaré (1854–1912) gilt als Begründer der Chaostheorie.
Poincaré kam während seiner Schaffenszeit zu dem Schluss, dass kleine Unterschiede in den Anfangsbedingungen große Abweichungen im Ergebnis zur Folge haben können.
Poincaré zeigte somit, dass präzise Vorhersagen in komplexen Systemen nur eingeschränkt möglich sind.
Praktisches Handeln: Sensibilität für Kleinstveränderungen und sogenannte Weak Signals entwickeln. Weak Signals sind subtile, oft unauffällige Hinweise auf mögliche zukünftige Entwicklungen oder Veränderungen im System. Sie können erste Anzeichen für größere Umbrüche sein, lange bevor diese offensichtlich werden. Es erfordert Aufmerksamkeit, Offenheit und eine Kultur der Beobachtung, um diese Signale frühzeitig wahrzunehmen und richtig zu deuten.
Edward N. Lorenz (1917–2008), amerikanischer Mathematiker und Meteorologe, beobachtete, dass bereits kleinste Änderungen der Anfangsbedingungen zu größeren Abweichungen in seinen Wetterprognosen führen konnten. „Schmetterlingseffekt“
Lorenz’ Entdeckungen zeigen, dass Chaos nicht mit Zufälligkeit gleichzusetzen ist, die unser Verständnis von Dynamik und Vorhersagbarkeit grundlegend verändert haben. Der Lorenz-Attraktor zeigt auch, dass komplexe Systeme Ordnung schaffen und somit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik trotzen.
Praktisches Handeln: Dynamik in komplexen Systemen regelmäßig überwachen. Beispiel: Da Vorhersagen nur begrenzt möglich sind, müssen Systeme kontinuierlich beobachtet und angepasst werden. Dies gilt besonders für Groß- und Megaprojekte, bei denen geeignete Risikomanagement-Strategien erforderlich sind, insbesondere solche, welche Black-Swan-Ereignisse und Fat-Tail-Risiken berücksichtigen.
Benoît Mandelbrot (1924–2010) prägte den Begriff der fraktalen Struktur und zeigte, dass zuvor nicht adäquat beschriebene komplexe Strukturen gleiche Eigenschaften wie Selbstähnlichkeit aufweisen.
Mandelbrot zeigt, dass komplexe Systeme durch wiederholte Muster und Selbstähnlichkeit strukturiert sind.
Ludwig von Bertalanffy (1901–1972), österreichischer Biologe und Systemtheoretiker, gilt als Begründer der Allgemeinen Systemtheorie. Bertalanffy betont, dass komplexe Systeme durch Wechselwirkungen, Selbstorganisation und offenen Austausch mit ihrer Umwelt dynamisch stabil bleiben und sich anpassen.
Praktisches Handeln: Interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern durch das Integrieren verschiedener Perspektiven und Fachgebiete.
Kenneth Boulding (1910–1993) war ein britisch-amerikanischer Ökonom und einer der Pioniere der interdisziplinären Forschung.
Boulding stellte fest, dass komplexe Systeme nicht isoliert betrachtet werden können, sondern in einem Netzwerk von Wechselwirkungen existieren.
Er war ein Verfechter des holistischen Denkens und argumentierte, dass das Verständnis von Systemen erfordert, über Grenzen der Fachdisziplinen hinweg zu denken.
Statt einzelne Systeme isoliert zu optimieren, betonte er die Bedeutung ihrer Wechselwirkungen für langfristig tragfähige Lösungen. Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft sind für ihn untrennbar verbunden und eingebettet in ein übergeordnetes System zyklischer Prozesse, Ressourcennutzung und Rückkopplungseffekte.
Praktisches Handeln: Nachhaltige Ressourcennutzung durch Kreislaufwirtschaft fördern
Norbert Wiener (1894–1964), amerikanischer Mathematiker, führte den Begriff der Kybernetik (vom griechischen κυβερνήτης / kybernetes, Steuermann, Navigator eines Schiffes) ein.
Praktisches Handeln: Rückkopplung nutzen bedeutet, Systeme durch negative Rückkopplung zu stabilisieren und so zielgerichtet auf Veränderungen oder Abweichungen zu reagieren.
Warren McCulloch (1898–1969) war ein amerikanischer Neurophysiologe und Kybernetiker, der mit seiner Arbeit im Bereich der Neuroinformatik die künstliche Intelligenz begründete.
„Macht sollte dort sein, wo die meiste Information vorliegt“.
McCullochs Konzept zum Umgang mit Komplexität basiert auf dem Prinzip des: Informationsverarbeitung als dezentrales, verteiltes System zu verstehen, in dem Entscheidungen dort getroffen werden, wo die relevanteste Information vorliegt.
Praktisches Handeln: Dezentrale Netzwerke zur Informationsverarbeitung gestalten.
Ross Ashby (1903–1972) war ein britischer Psychiater und ein Pionier der Kybernetik.
Ashbys Gesetz: nur Vielfalt kann Vielfalt absorbieren. Konkret bedeutet dies, dass ein System über mindestens so viel Handlungsvielfalt verfügen muss, wie in seiner Umwelt vorhanden ist, um effektiv agieren zu können. Fehlt diese Anpassungsfähigkeit, kann das System instabil werden oder an Kontrollverlust leiden.
Damit ein System stabil bleibt, muss die Steuerungsvarietät größer oder gleich der Umweltvarietät sein.
Stafford Beer übersetzte Ashbys Law mit dem Viable System Model in die praktische Nutzung für das Management.
Ashbys Gesetz gilt bis heute als eines der grundlegendsten Prinzipien der Systemwissenschaften. Auch für die Künstliche Intelligenz (adaptive Systeme, maschinelles Lernen und Entscheidungsfindung unter Unsicherheit) spielt es eine entscheidende Rolle, weil es zeigt, dass diese nur dann erfolgreich agieren kann, wenn sie über genügend Entscheidungs- und Reaktionsmöglichkeiten verfügt, um die Vielfalt und Unvorhersehbarkeit ihrer Umwelt zu bewältigen.
Das heißt, Komplexität entweder erhöhen, reduzieren oder dorthin lenken, wo sie am wirksamsten verarbeitet werden kann.
Praktisches Handeln: Varietätsmanagement: Je nach Anforderung kann es sinnvoll sein, die Komplexität zu erhöhen, zu reduzieren oder gezielt zu fokussieren.
In der IT-Branche wird ein System so gestaltet, dass es seine Verarbeitungskapazität dynamisch anpasst. Bei hohem Datenaufkommen werden automatisch zusätzliche Ressourcen bereitgestellt, um eine stabile Leistung zu gewährleisten. In Zeiten geringerer Nutzung reduziert das System wiederum seine Kapazitäten, um Energie und Kosten zu sparen. Dadurch bleibt das System leistungsfähig, wirtschaftlich und nachhaltig.
Gregory Bateson (1904–1980), britischer Anthropologe, Biologe und Sozialwissenschaftler, gilt als bedeutender Denker der interdisziplinären Systemforschung.
Gregory Bateson begegnet Komplexität, indem er nicht Elemente, sondern die zugrunde liegenden Muster und Beziehungen in den Vordergrund stellt.
Probleme im Kontext ihrer Wechselwirkungen betrachten. Beispiel: Batesons Doppelbindungstheorie zeigt, dass widersprüchliche Botschaften destruktive Muster erzeugen können. In Unternehmen führt es z.B. zu Vertrauensverlust, wenn Offenheit gefordert, aber kritisches Feedback bestraft wird.
Heinz von Foerster (1911–2002) war ein österreichischer Physiker und spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Kybernetik und des radikalen Konstruktivismus.
Von Foerster prägte insbesondere die Kybernetik zweiter Ordnung, bei welcher der Beobachter eines Systems als Teil des Systems betrachtet wird.
Dieser Ansatz macht deutlich, dass Wahrnehmung und Erkenntnis nicht objektiv, sondern immer durch den jeweiligen Beobachter geprägt sind.
Ein weiterer bedeutender Beitrag von Foersters ist sein ethischer Imperativ, der wie folgt lautet: „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!“
Von Foersters Ansatz zum Umgang mit Komplexität basiert hier auf der Kybernetik 2. Ordnung und dem ethischen Imperativ. Das heißt, sich als Teil des Systems zu begreifen, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und Entscheidungen so zu treffen, dass sie neue Optionen eröffnen.
Stafford Beer (1926–2002) war ein britischer Kybernetiker, der als Begründer der Managementkybernetik gilt und mit wichtigen Konzepten wie dem Viable System Model (VSM) und der Syntegration wesentliche Beiträge zum Verständnis komplexer Systeme leistete.
Zudem ist das Modell rekursiv, was bedeutet, dass jede Organisationseinheit ähnliche Steuerungsmechanismen wie das Gesamtsystem aufweist, wodurch eine skalierbare und adaptive Struktur entsteht. Schließlich fungiert das VSM als Homeöostat, das durch geschlossene Rückkopplungsschleifen eine dynamische Balance hält und auf Veränderungen flexibel reagiert.
Ein weiteres zentrales Konzept Beers ist die Syntegration, ein Verfahren zur kollaborativen Entscheidungsfindung und Problemlösung in komplexen Systemen. Der Begriff setzt sich aus „Synergie“ und „Integration“ zusammen und beschreibt eine Methode, bei der Gruppen in einer speziell strukturierten Form miteinander interagieren, um möglichst viele Perspektiven und Ideen zu erzeugen. Syntegration vermeidet hierarchische Entscheidungsprozesse und setzt stattdessen auf eine gleichwertige, vernetzte Kommunikation zwischen den Teilnehmern. Durch diese strukturierte Interaktion wird die kollektive Intelligenz der Gruppe optimal genutzt, um kreative und tragfähige Lösungen für komplexe Herausforderungen zu entwickeln.
Der chilenische Biologe Humberto Maturana (1928–2021) beschäftigte sich maßgeblich mit der Frage, wann Systeme lebendig sind und wann nicht.
Autopoiesis bezieht sich auf die Fähigkeit eines Systems, sich aus sich selbst zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Autopoietische Systeme sind in der Lage, sich ständig zu reproduzieren und ihre eigenen Strukturen aufrechtzuerhalten, ohne dabei ihre Identität zu verlieren.
Strukturelle Kopplung beschreibt die wechselseitige Anpassung eines Systems an seine Umwelt.
Jay Wright Forrester (1918–2016), ein amerikanischer Informatiker und Systemwissenschaftler, gilt als der Begründer des Systemansatzes „System Dynamics“.
Forrester war ein Pionier in der Anwendung von quantitativen Methoden, um komplexe Wechselwirkungen innerhalb von Systemen zu verstehen und zu modellieren.
Mit Hilfe von Flussdiagrammen und mathematischen Modellen konnte Forrester die Dynamik von Systemen abbilden und simulieren, um so die Auswirkungen von Entscheidungen und Veränderungen auf das gesamte System zu untersuchen.
Forrester entwickelte mit System Dynamics ein Konzept mit Feedbackschleifen (mathematisch „positiv“ zur Verstärkung und mathematisch „negativ“ zur Stabilisierung) und Stocks und Flows (Bestände und deren Zu- und Abflüsse), um Wechselwirkungen innerhalb von Systemen zu modellieren.
Bullwhip-Effekts (Peitscheneffekt) im Supply Chain Management.
Donella Meadows (1941–2001) war eine US-amerikanische Biophysikerin und Systemwissenschaftlerin, die durch ihre Mitwirkung am 1972 erschienenen Bericht The Limits of Growth (Die Grenzen des Wachstums) für den Club of Rome große Bekanntheit erlangte.
“Leverage Points” (Hebelpunkte) innerhalb eines Systems. Dies sind strategische Stellen, an denen bereits kleine Veränderungen große Auswirkungen auf das gesamte System haben können.
Donella Meadows begegnet Komplexität mit systemischem Denken. Sie betrachtet Systeme als vernetzte Strukturen, deren Verhalten durch Rückkopplungsschleifen, zeitliche Verzögerungen und Wechselwirkungen bestimmt wird. Ihr Konzept der Hebelpunkte ist ein wirkungsvolles Werkzeug, um tiefgreifende Veränderungen in komplexen Systemen zu bewirken.
Peter Senge (geb. 1947), amerikanischer Management- und Systemwissenschaftler, der zum Kreis der System-Dynamics-Pioniere um Jay W. Forrester vom MIT gehört, hat mit seinem Buch „The Fifth Discipline“ von 1990 die Systemansätze und insbesondere die System-Dynamics-Methode in die Managementetagen gebracht.
Senge ist ein maßgeblicher Vertreter der lernenden Organisationen zur Bewältigung von Komplexität.
Der russisch-belgische Chemiker und Nobelpreisträger Ilya Prigogine (1917–2003) leistete nachhaltige Beiträge zur Erforschung der Selbstorganisation und dissipativen Strukturen in offenen Systemen.
Prigogine konzentrierte sich auf die Irreversibilität in dynamischen Prozessen und zeigte, dass Ordnung und Struktur spontan entstehen können, wenn ein System ausreichend Energie, Materie oder Informationen mit seiner Umwelt austauscht.
Gemäß Prigogine entsteht in offenen, nichtlinearen Systemen Ordnung durch Selbstorganisation, die auf dem Austausch von Energie, Materie oder Informationen beruht. Dadurch kommt es zu Phasenübergängen, in denen das System eine neue stabile Ordnung findet. Dies macht viele Prozesse in der Natur irreversibel, einmal entstandene komplexe Strukturen können nicht einfach in ihren Ursprungszustand zurückkehren.
Der amerikanische Informatiker John H. Holland (1925–2015) gilt als einer der Begründer des Konzepts der komplexen adaptiven Systeme (CAS), das am interdisziplinären Santa Fe Institute entwickelt wurde.
Komplexe adaptive Systeme bestehen aus zahlreichen miteinander verbundenen Agenten, die individuell Entscheidungen treffen, sich selbst organisieren und an ihre Umwelt anpassen.
Ein zentrales Merkmal ist die Emergenz, bei welcher durch die Interaktionen der Agenten neue, nicht vorhersehbare Strukturen und Muster entstehen können.
Der amerikanische Biologe Stuart Kauffman (geb. 1939) ist ausgebildeter Mediziner und forscht auf dem Gebiet der komplexen Systeme. Er war am Santa Fe Institute tätig und gründete später die BIOS Group.
Kauffman vertritt die These, dass bei der Entstehung von Komplexität Selbstorganisation und Pfadabhängigkeit durch Rückkopplungseffekte eine entscheidende Rolle spielen.
Stuart Kauffmans Konzept zum Umgang mit Komplexität betont, dass Systeme durch Selbstorganisation entstehen, nicht nur durch Selektion.
Der walisische Berater David Snowden (geb. 1954), erhielt eine große Bekanntheit durch einen in 2007 veröffentlichten Artikel in der Harvard Business Review, mit welchem er das Cynefin Framework vorstellte.
Yaneer Bar-Yam (geb. 1959) ist ein US-amerikanischer Physiker und ein Pionier der Komplexitätsforschung.
Er zeigte damit, dass klassische, zentralisierte Steuerungsmechanismen oft versagen, wenn die Umwelt eine hohe Varietät und Anpassungsfähigkeit erfordert. Stattdessen betont er die Bedeutung von dezentralen Entscheidungsstrukturen, Selbstorganisation und schnellen Feedbackmechanismen für den Umgang mit komplexen Herausforderungen.
Zudem hat er gezeigt, dass komplexe Probleme von globalen Versorgungsketten bis zu geopolitischen Krisen nur durch einen systemischen Ansatz verstanden und bewältigt werden können.
Anstatt nur auf lokale oder globale Effekte zu reagieren, müssen adaptive Systeme die richtige Balance zwischen zentraler Steuerung, dezentraler Entscheidungsfindung und Selbstorganisation finden.
Der deutsche Psychologe Kurt Lewin (1890–1947) gilt als einer der Begründer der Sozialpsychologie und leistete wesentliche Beiträge zum Verständnis von Gruppen- und Veränderungprozessen.
„Wenn du etwas wirklich verstehen willst, versuche es zu ändern.“
Der deutsche Jurist und Soziologe Niklas Luhmann (1927–1998) leistete wesentliche Beiträge zum Verständnis sozialer Systeme und ihrer Selbstorganisation.
Luhmann beschreibt soziale Systeme als autopoietische, selbstreferenzielle Einheiten, die durch Kommunikation operieren. Ihre Entwicklung folgt einer eigenen internen Logik, die zu Pfadabhängigkeit führt, da sich Systeme selbst stabilisieren und Veränderungen nur innerhalb ihrer eigenen Strukturen zulassen.
Für den deutschen Mathematiker und Wissenschaftsphilosophen Klaus Mainzer (geb. 1949) stellt die Komplexitätswissenschaft eine integrative Wissenschaft dar, welche allgemeingültig ist.
Komplexe Systeme beeinflussen sich wiederum gegenseitig. Kritische Werte bei hochdimensionalen komplexen Systemen, welche ins Chaos führen, lassen sich nur schwer identifizieren.
Insbesondere chaotische Systeme reagieren sensibel auf kleine Änderungen.
Für komplexe und chaotische Systeme sind daher Frühwarnsysteme wichtig, um kritische Situationen zu vermeiden.
Singapur setzt auf ein „Smart Traffic Management“, das durch KI Stauprognosen erstellt und den Verkehrsfluss optimiert.
James Lovelock (1919–2022) war ein britischer Umweltforscher, der mit seiner Gaia-Hypothese einen neuen Blick auf die Erde als sich selbstregulierendes System einführte.
Lovelocks Konzept zur Bewältigung von Komplexität basiert auf der Gaia-Hypothese, welche die Erde als vernetztes, selbstregulierendes System beschreibt. Durch Rückkopplungsschleifen und gegenseitige Anpassung zwischen biologischen und geophysikalischen Prozessen erhält Gaia dynamisches Gleichgewicht und Stabilität.
Frederic Vester (1925–2003) deutscher Biochemiker und Pionier des vernetzten Denkens, der mit seiner Arbeit zur Sensitivitätsmodellierung einen wichtigen Beitrag zum Verständnis komplexer Systeme leistete.
Frederic Vesters Ansatz des vernetzten Denkens und der Sensitivitätsmodellierung ermöglicht es, komplexe Systeme in ihrer dynamischen Wechselwirkung zu verstehen und zu steuern, indem Rückkopplungsschleifen und weiche Faktoren integriert werden.
Lynn Margulis (1938–2011) war eine US-amerikanische Biologin, deren Forschung die Sicht auf die Evolution und das Leben auf der Erde grundlegend veränderte.
Kooperation und Symbiose sind zentrale Triebkräfte der Evolution.
Der österreichisch-amerikanische Physiker Fritjof Capra (geb. 1939) hat mit seinen interdisziplinären Werken einen paradigmatischen Wandel im wissenschaftlichen Denken angestoßen.
Capra bet-ont, dass alles Leben auf Netzwerken beruht, die durch den ständigen Austausch von Materie und Energie miteinander verbunden sind.
Komplexe Systeme können nur verstanden werden, wenn ihre dynamischen Wechselwirkungen und Rückkopplungsschleifen berücksichtigt werden. Er zeigt, dass Stabilität und Wandel nicht durch lineare Kausalitäten, sondern durch zirkuläre Prozesse entstehen, in denen sich Ursache und Wirkung gegenseitig beeinflussen.
„Capra Course“
Capra argumentiert, dass Stabilität und Anpassungsfähigkeit aus der Fähigkeit entstehen, flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Er betont, dass systemische Resilienz durch Vielfalt und Vernetzung entsteht und nachhaltige Lösungen nur möglich sind, wenn ökologische, soziale und ökonomische Aspekte als miteinander verflochtene Systeme betrachtet werden.
Russell Ackoff (1919–2009) war ein amerikanischer Systemtheoretiker und Managementwissenschaftler.
Gemäß Ackoff ist ein System nicht einfach die Summe des Verhaltens seiner Teile, sondern vielmehr das Produkt ihrer Wechselwirkungen. Er betonte die emergenten Eigenschaften von Systemen, die durch das Zusammenspiel und die Koordination der Teile entstehen.
Der Mensch kann leben, aber keines seiner Einzelteile (wie das Herz, die Lunge oder das Gehirn) allein kann dies.
Russell Ackoff vertrat die Ansicht, dass komplexe Probleme nicht durch die Zerlegung in einzelne Bestandteile gelöst werden können, sondern durch das Erkennen und Gestalten der Wechselwirkungen im Gesamtsystem.
Aus dieser systemischen Perspektive entwickelte Toyota das Just-in-Time (JIT)-Prinzip, das Produktion und Logistik als integriertes, dynamisches System versteht. Ziel war es, Verschwendung zu minimieren, den Materialfluss zu synchronisieren und nur das zu produzieren, was tatsächlich benötigt wird. Dabei wurde besonderer Wert auf kontinuierliches Feedback und iterative Verbesserungen gelegt.
Peter Checkland (geb. 1930) ist ein britischer Systemwissenschaftler, der für seine Arbeit im Bereich der Soft Systems Methodology (SSM) bekannt ist.
Checkland betont die Bedeutung der Betrachtung von sozialen Systemen und komplexen Problemen. Seine Soft Systems Methodology (SSM) ist ein Ansatz zur Bewältigung solcher Probleme, bei dem die menschlichen Perspektiven und die Vielfalt der Stakeholder berücksichtigt werden. Die SSM zielt darauf ab, die Komplexität der sozialen Realität zu erfassen und Probleme auf eine strukturierte und systematische Weise anzugehen.
Diese Wechselwirkungen zwischen den Systemen können zu emergenten Eigenschaften und unvorhersehbaren Ergebnissen führen.
Er betont die Bedeutung des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Stakeholdern, um gemeinsam innovative und nachhaltige Lösungen zu entwickeln.
Anstatt Probleme isoliert zu betrachten, sieht er sie als Teil eines größeren Systems, dessen Wechselwirkungen oft unvorhersehbare Ergebnisse erzeugen. Der Fokus liegt darauf, die Komplexität systematisch zu verstehen und durch Zusammenarbeit Lösungen zu entwickeln.
Umstrukturierung der Informationssysteme im Gesundheitswesen. Beispiel: Um die Patientenversorgung effizienter zu gestalten, insbesondere im Bereich der Terminvergabe für ambulante Behandlungen, arbeitet ein interdisziplinäres Team bestehend aus Ärzten, Pflegekräften, Verwaltungsangestellten und Patientenvertretungen zusammen.
Mike C. Jackson (geb. 1951) ist ein britischer Systemwissenschaftler, der sich mit der Integration und kritischen Auseinandersetzung verschiedener systemtheoretischer Ansätze beschäftigt hat.
Er ist ein wichtiger Vertreter des Critical Systems Thinking (CST) und entwickelte die Systems of Systems Methodology (SOSM), um mit Komplexität umzugehen.
Praktisches Handeln: Politische Entscheidungsprozesse mit der SOSM. Beispiel: In politischen Entscheidungsprozessen treffen unterschiedliche Parteien und Interessengruppen mit teils widersprüchlichen Interessen aufeinander. Solche Prozesse sind vertrackt, da sie nicht nur sachliche, sondern auch soziale, kulturelle und machtbezogene Dynamiken umfassen. Die Systems of Systems Methodology (SOSM) kann in solchen Situationen eine wertvolle Hilfestellung bieten.
„Meta-Modell“, das die Auswahl passender Methoden ermöglicht. Sie hilft zu erkennen, ob es beispielsweise darum geht, Konsens zu schaffen (Einheitlichkeit) oder ob ein pluralistischer Ansatz erforderlich ist, bei dem verschiedene Sichtweisen gleichwertig berücksichtigt werden sollten. Diese Einschätzung ist entscheidend, da sie beeinflusst, wie man mit Komplexität, Konflikten und Machtverhältnissen umgeht.
In demokratischeren Prozessen, wo es eher darum geht, verschiedene Perspektiven zu integrieren und tragfähige Lösungen zu entwickeln, kann die Soft Systems Methodology (SSM) hilfreich sein. Sie ermöglicht es, die oft widersprüchlichen Sichtweisen der Beteiligten zu erfassen und dialogisch in den Entscheidungsprozess einzubinden. Wenn es um die organisatorische Steuerungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit politischer Systeme geht, kann zudem das Viable Systems Model (VSM) Orientierung bieten. Insgesamt erlaubt die SOSM eine fundierte, situationsspezifische Auswahl systemischer Methoden.
Der Österreicher Peter Drucker (1909–2005) gilt als einer der einflussreichsten Pioniere der modernen Managementlehre.
Er ist vor allem bekannt für seine wegweisenden Beiträge zur Organisationstheorie und für das Konzept des “Management by Objectives” (MBO), das noch heute in vielen Unternehmen als grundlegende Managementmethode verwendet wird.
Drucker betonte, dass Führungskräfte klare Ziele setzen und die Leistung der Mitarbeiter anhand dieser Ziele messen sollten, um die Effizienz und Effektivität von Organisationen zu steigern. Darüber hinaus legte er besonderen Wert auf die Bedeutung von Marketing und Innovation als zentrale Treiber des Unternehmenserfolges.
Peter Druckers Konzept zur Bewältigung von Komplexität basiert auf Vereinfachung, klaren Zielen und Dezentralisierung.
Er empfahl, Strukturen und Prozesse zu vereinfachen, Verantwortung auf niedrigere Ebenen zu verlagern und klare Ziele zu setzen (Management by Objectives).
Der Schweizer Hans Ulrich (1919–1997) begründete als Erster in Europa eine ganzheitliche Managementlehre, die auf der Systemtheorie und Kybernetik basierte. Ziel war es, einen wirksamen Umgang mit zunehmender Komplexität zu ermöglichen. Aus seiner Arbeit entstand auch das St. Gallener Management-Modell.
„Komplexität ist die Fähigkeit eines Systems, in kurzen Zeiträumen eine große Anzahl verschiedener Zustände anzunehmen.“
Komplexe Systeme hingegen verändern sich schnell und unvorhersehbar, was die Steuerung erheblich erschwert.
Ulrich schlägt vor, komplexe Systeme durch klare Strukturen, Prozesse und Entscheidungsregeln zu managen, die kontinuierlich verbessert und an Veränderungen angepasst werden, um effektiv mit Unsicherheit und Komplexität umzugehen.
Fredmund Malik (geb. 1944) ist ein österreichischer Wirtschaftswissenschaftler und Managementkybernetiker.
Sechs Grundsätze für wirksames Management:
- Resultatorientierung: Der Fokus liegt auf konkreten Ergebnissen und dem Nutzen für das Unternehmen.
- Beitrag zum Ganzen: Jede Tätigkeit sollte einen erkennbaren Wert für die Organisation oder Gesellschaft haben.
- Konzentration auf Weniges: Effektive Manager setzen Prioritäten und vermeiden Verzettelung.
- Stärken nutzen: Statt an Schwächen zu arbeiten, sollen individuelle und organisationale Stärken gezielt eingesetzt werden.
- Vertrauen: Eine Kultur des Vertrauens ist essenziell für nachhaltigen Erfolg.
- Positive und konstruktive Einstellung: Ein lösungsorientiertes Mindset ist entscheidend für wirksames Management.
Der britische Organisations- und Managementforscher Ralph D. Stacey (1942–2021) gilt als Pionier, wenn es darum geht, Ansätze aus den Naturwissenschaften zur Komplexität mit dem Verständnis von Organisationen und Management zu verbinden und fruchtbar zu nutzen.
Führung bedeutet daher, Unsicherheit anzunehmen und Räume für soziale Interaktion zu schaffen, anstatt starre Strukturen durchzusetzen.
Fritz B. Simon (geb. 1953) ist ein deutscher Mediziner, Psychiater, Systemtheoretiker und Organisationsberater.
In diesem Kontext bedeutet Führung, Sinnangebote bereitzustellen, die Anschlussfähigkeit ermöglichen und Orientierung geben.
Komplexität lässt sich nicht reduzieren, sondern nur durch Struktur, Rollenklärung und Kommunikation produktiv machen.
Patrick Hoverstadt ist ein britischer Berater und Autor, der sich auf die Anwendung systemischer Ansätze zur Analyse und Gestaltung von Organisationen spezialisiert hat.
„Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung, und die ist falsch“
Kritische Reflexion
Trotz ihres analytischen Tiefgangs und interdisziplinären Reichtums bleiben viele Ansätze im Umgang mit Komplexität in der praktischen Anwendung schwierig. Die Herausforderung besteht darin, zwischen theoretischem Anspruch und organisationaler Realität tragfähige Brücken zu bauen, ohne Komplexität zu trivialisieren oder zu mystifizieren. Gerade in dynamischen Kontexten zeigt sich, wie anspruchsvoll es ist, theoretische Konzepte in konkrete Handlungsstrategien zu überführen.
- Erkennen und Verstehen der Komplexität
- Interdisziplinäre Perspektiven einbeziehen: In der Praxis bedeutet dies, dass man z.B. neben technischen Aspekten auch soziale, ökologische und ökonomische Dimensionen berücksichtigt. Es ist entscheidend, verschiedene Perspektiven einzubeziehen, um die Vielschichtigkeit von Problemen zu erfassen.
- Förderung von Selbstorganisation und Anpassungsfähigkeit: Um mit der Unvorhersehbarkeit komplexer Systeme umzugehen, ist es wichtig, Selbstorganisation und Anpassungsfähigkeit zu fördern.
- Systemische Entscheidungsfindung und die Nutzung von Feedback-Schleifen: Dies erfordert, dass man nicht nur kurzfristige Effekte, sondern auch langfristige Auswirkungen und unerwünschte Nebenwirkungen berücksichtigt.
- Integration von Nachhaltigkeit und Resilienz
