Die Presse Podcast: Das Blackout in Spanien, Portugal und Teilen Frankreichs hat gezeigt, wie fragil unser modernes Stromsystem sein kann. Doch was passiert bei einem solchen großflächigen Ausfall wirklich, und welche Rolle spielen dabei die erneuerbaren Energien? Wir haben mit Gerhard Christiner von der Austrian Power Grid (APG), dem Betreiber des österreichischen Übertragungsnetzes, gesprochen, um die entscheidenden Fakten zu beleuchten.

Hier eine Zusammenfassung des Gesprächs:

Das Stromnetz im Wandel: Ein Blick hinter die Kulissen der Versorgungssicherheit

 Wie funktioniert unser Stromnetz – und was bringt es aus dem Gleichgewicht?

Ein Stromnetz ist ein komplexes System aus Kraftwerken (Erzeugung), Netzen (Transport) und Abnehmern (Verbrauch). Entscheidend für eine sichere Versorgung ist, dass in jeder Sekunde genau so viel Strom produziert wird, wie verbraucht wird. Der Qualitätsindikator dafür ist die Frequenz, die in unseren Steckdosen 50 Hertz betragen sollte.

Schon geringe Abweichungen von nur plus/minus 200 Millihertz können das System stark beeinträchtigen. Probleme entstehen, wenn die Frequenz zu stark sinkt (bei zu wenig Erzeugung oder zu viel Verbrauch) oder zu stark ansteigt (bei zu viel Erzeugung oder zu wenig Verbrauch).

Die Herausforderung der erneuerbaren Energien

Mit dem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien, insbesondere Photovoltaik (PV) und Windkraft, kommt eine neue Herausforderung hinzu: Ihre Erzeugung ist nicht immer genau prognostizierbar. Diese Volatilität bringt eine geringere Vorhersehbarkeit ins System und erfordert mehr Flexibilität und Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Stabilität.

Der Blackout in Spanien: Was wir wissen und was nicht

Beim spanischen Blackout ist der Schadensablauf bekannt. Im Gegensatz zu früheren Störungen, die oft durch die Überlastung von Leitungen und daraus resultierende Kettenreaktionen ausgelöst wurden, war diesmal der Fall anders. Unerwarteterweise haben sich Erzeugungseinheiten, also Kraftwerke, vom Netz getrennt. Dies führte zu einem Frequenzabfall, der innerhalb von Sekunden weitere Kraftwerke zum Abschalten brachte und schließlich zum Systemkollaps führte.

Was man leider noch nicht genau weiß, ist der eigentliche Auslöser dafür, dass sich die ersten Kraftwerke getrennt haben. Spekulationen, dass ein hoher Anteil an Solarenergie oder Überproduktion schuld sei, können nicht bewiesen werden. Spanien war zum Zeitpunkt des Ausfalls sogar Stromexporteur.

Ein möglicher Aspekt, der im Raum steht, betrifft ältere Anlagen von Photovoltaik und Windenergie. Im Gegensatz zu großen thermischen Kraftwerken oder Pumpspeicherkraftwerken, die eine gewisse Trägheit (Schwungmasse) besitzen, haben (viele ältere PV)- und Windanlagen keine solche Schwungmasse. Diese älteren Anlagen haben oft Selbstschutzmechanismen, die sie bei Frequenz- oder Spannungsabweichungen automatisch vom Netz trennen. Es könnte sein, dass solche Abschaltungen bei den ersten Frequenzabfällen zum weiteren Kollaps beigetragen haben. Neuere Anlagen müssen hingegen frequenz- und spannungsstützend sein.

Das „Wiederhochfahren“ nach einem Blackout

Ein Stromsystem nach einem Blackout wieder in Betrieb zu nehmen, ist kein einfacher Knopfdruck. Zuerst muss das System in einen definierten Zustand gebracht werden. Dann beginnt der Netzwiederaufbau, der schwarzstartfähige Kraftwerke (die ohne externe Stromversorgung starten können) oder Strom aus benachbarten, noch versorgten Gebieten erfordert. In Spanien konnte glücklicherweise Strom aus Frankreich, Portugal und Marokko bezogen werden.

Der Wiederaufbau ist ein schrittweiser Prozess, bei dem Erzeugung und Verbrauch sorgfältig im Gleichgewicht gehalten werden müssen. Man schaltet Region für Region, Bezirk für Bezirk wieder zu und fährt nach und nach weitere Kraftwerke hoch. In Spanien dauerte dieser Prozess circa 12 bis 24 Stunden, bis das Land wieder versorgt war. Für Österreich wird ein ähnlicher Zeitrahmen geschätzt, realistisch sind zwischen 10 und 30 Stunden, abhängig vom Verlauf.

Herausforderungen für das österreichische Stromnetz im Wandel

Auch Österreich steht vor großen Herausforderungen bei der Energietransformation:

  • Verdoppelung des Strombedarfs in den kommenden Jahren.
  • Das Stromnetz muss zur Logistikinfrastruktur werden, um den erneuerbaren Strom dorthin zu transportieren, wo er gebraucht wird.
  • Wir werden Zeiten massiver Stromüberschüsse aus PV (Mittagsstunden) haben, die gespeichert und in Zeiten geringer Erzeugung (Nacht, Abend, Dunkelflaute) wieder genutzt werden müssen. Das Finden idealer Speicherlösungen ist entscheidend.
  • Ein zentrales Problem ist die mangelnde Koordinierung zwischen den Marktakteuren (Kraftwerke) und dem Netzbetreiber sowie den Verbrauchern. Es fehlt an Transparenz und langfristiger Planung über die Entwicklungen bei Erzeugung und Verbrauch.
  • Langwierige und nicht abgestimmte Genehmigungsverfahren behindern den synchronen Ausbau von Erzeugung, Netzen und Speichern.
  • Die Integration von Heimspeichern und intelligenten Systemen ist noch unzureichend, um den Eigenverbrauch von PV-Strom zu erhöhen und die Netze zu entlasten. Derzeit entstehen mittags PV-Überschüsse, die nicht vom Kunden genutzt werden, während der hohe Verbrauch am Abend stattfindet.
  • Das Netz muss viel stärkere Schwankungen ausgleichen als früher, was Probleme für sensible Industrieanlagen verursachen kann.
  • Die derzeit größte Bedrohung für das österreichische Netz sind laut APG starke physikalische Stromflüsse (z.B. von erneuerbarem Strom aus Norddeutschland Richtung Südosteuropa), die die teilweise schwachen Leitungen an ihre Grenzen bringen. Der Netzausbau zur Ertüchtigung dieser Leitungen ist daher Gebot der Stunde.

Die Rolle von Reservekraftwerken und Zukunftsperspektiven

Auch wenn Österreich mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien und Pumpspeicherkraftwerken gut aufgestellt ist, wird es auf absehbare Zeit Reservekraftwerke, wahrscheinlich im Gasbereich, benötigen. Diese Kraftwerke dienen dazu, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, insbesondere in Zeiten, in denen Wind und Sonne nicht ausreichend zur Verfügung stehen (Dunkelflaute). Man spricht auch von einer Kraftwerksreserve, die eventuell zukünftig mit Wasserstoff betrieben werden könnte. Solche Reservekapazitäten sollten klar als solche definiert und vergütet werden (Kapazitätsmarkt).

Wie wahrscheinlich ist ein Blackout und wie bereitet man sich vor?

Die APG schätzt die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts als sehr gering ein. Die Mitarbeiter sind gut geschult, und es wird intensiv trainiert (Simulator, physische Tests). Dennoch ist das System hochkomplex und befindet sich in einer großen Transformation. Bei Bauarbeiten oder wenn sich ungünstige Fehler häufen, kann es theoretisch zu einem Ausfall kommen.

Die Empfehlung für private Haushalte lautet, sich für den Ernstfall vorzubereiten. Während die Stromversorgung selbst nach einem Blackout idealerweise innerhalb von maximal 30 Stunden wiederhergestellt sein sollte, kann es länger dauern, bis andere gewohnte Prozesse wie das Handynetz oder die Industrie wieder funktionieren. Daher ist es ratsam, Vorräte vorzuhalten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Transformation des Stromsystems große Chancen bietet, aber auch erhebliche Anstrengungen erfordert, insbesondere bei der Koordinierung, dem Netzausbau und der Integration von Speichern und intelligenten Systemen, um die Versorgungssicherheit auf dem gewohnt hohen Niveau zu halten.