Momentanreserve und das Ausregeln von Leistungsveränderungen

Von Franz Hein und Tobias Veith (dieser Beitrag befindet sich noch in Bearbeitung)

Ein kaum beachtetes und sehr kritisches technisches Detail in einem Wechselstromsystem betrifft die Momentan­reserve, also die rotierenden Massen konventioneller Kraftwerke. Denn mit der Stilllegung von Atom- und Kohlekraftwerken, werden auch diese im großen Stil vom Netz genommen. Die Schwungmassen der Synchrongeneratoren sind aber für die Frequenzerzeugung und -haltung von zentraler Bedeutung, da hier permanent ohne Steuerungseingriffe mechanische in elektrische Energie und umgekehrt umgewandelt wird. Das ist ein rein physikalischer Vorgang der ohne jeglichen Zeitverzug, also instantan abläuft. Das kann man sich auch als große Stoßdämpfer für Belastungsstöße vorstellen, die bisher dafür gesorgt haben, dass das europäische Verbundsystem so stabil funktioniert. Diese werden aber nun nach und nach reduziert und bisher nicht gleichzeitig ersetzt, weil PV- und Windkraftanlagen diese Systemfunktion nicht mitbringen. Damit steigt die Störanfälligkeit des Systems, weil die Pufferung damit fortlaufend reduziert wird. Das kann verglichen werden mit einer ständigen Reduzierung der Schmierung der Lager in drehenden Teilen, die ohne Schmierung dann schlicht versagen.

Generator

Was ist die Momentanreserve?

Die Momentanreserve ist die Summe der kinetischen Energie aller im zusammengeschalteten Netz im Einsatz befindlichen Synchrongeneratoren. Unter Synchrongeneratoren versteht man Schwungmassen, die zur Energieerzeugung oder zum Energieverbrauch rotieren. Man kann dies vergleichen mit einem Motor im Auto oder einem Elektromotor einer Maschine. Im Auto rotiert der Motor natürlich auch dann, wenn wir nicht aufs Gaspedal treten und ein Gang eingelegt ist. So funktioniert z. B. die Motorbremse. Genauso wirken Schwungmassen im Stromnetz. Die kinetische Energie „steckt“ in den sich mit einer bestimmten Drehzahl drehenden Rotoren der Synchrongeneratoren. Das gilt genauso für Synchronmaschinen. Die wären dann auch als Schwungmassenspeicher nutzbar, die weder angetrieben werden noch selbst etwas antreiben, sondern „nur“ im Netz als Energiepuffer mitlaufen.

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Momenanreserve-Stabilitätsbeiträge-Legende

Die Momentanreserve ist ein inhärent vorhandener Energiespeicher, der einen kurzfristig auftretenden Energiebedarf ohne Zeitverzug deckt (also auch bei Kurzschlüssen oder Laststößen). Genauso wird ein Energieüberschuss zwischengepuffert. Beides verändert unverzüglich die Drehzahl der rotierenden Massen und damit die erzeugte Frequenz des Wechselstromes. Deshalb zeigt die an jeder Stelle im Wechselstromnetz messbare Frequenz daher auch immer an, ob ein Leistungsmangel oder ein Leistungsüberschuss im Gesamtsystem vorhanden ist. Über die Messung der Frequenz können so von anderen Einrichtungen unabhängig Regeleingriffe zielgerichtet erfolgen. Auch plötzlich notwendige Lastabwürfe bei extremen Frequenzabfall oder Abschaltungen von Einspeisungen bei extremen Frequenzanstieg sind so frequenzgesteuert möglich. Regeleingriffe und frequenzgesteuerte Abschaltungen können das Gesamtsystem stabil halten, wenn sie rasch genug und entsprechend leistungsstark erfolgen. Die Frequenz ist die für die Gewährleistung der Stabilität des Gesamtsystems wichtigste Kenngröße. Ihre Beibehaltung bestimmt die als Puffer im Gesamtsystem inhärent bevorratete Energiemenge.

Die Energiemenge der Momentanreserve verteilt sich über das Netz automatisch auf alle mitlaufenden rotierenden Massen und soll nur innerhalb sehr enger Grenze schwanken, damit die Stabilität und Transportfähigkeit des Netzes erhalten werden kann. Die aktuell im Netz vorhandene Momentanreserve bestimmt damit auch die maximal zulässigen bzw. bei Netztrennungen oder anderen Störungen beherrschbaren Energietransporte. Da Erzeugungseinheiten unvorhersehbar plötzlich ausfallen können oder auch Belastungen genauso plötzlich entfallen können, bestimmt die Größe der Momentanreserve auch den maximal beherrschbaren Leistungshub und damit die zulässige Größe der Einheiten im Netzverband. Das ist besonders in einer Netzwiederaufbauphase bestimmend für das Gelingen eines solchen Vorganges. Eine Überforderung dieses Pufferungsvermögens muss unter allen Umständen vermieden werden.

Wie wirkt die Momentanreserve im Stromnetz?

Die Momentanreserve und die im Stromnetz vorhandene elektrische Energie bilden die Gesamtenergie im abgeschlossenen System des Netzes. Innerhalb dieses abgeschlossenen Systems bleibt gemäß dem Energieerhaltungssatz die Gesamtenergie konstant.

Wird dem System elektrische Energie entzogen, dann wird diese Energie gleichzeitig (instantan) aus der Momentanreserve (fiktiv) „umgespeichert“, damit die Gesamtenergie konstant bleibt. Fällt also bspw. ein großes Kraftwerk aus, sieht man daher normalerweise kein Wegbrechen der entsprechenden Energie aus diesem Kraftwerk im Netz. Denn die rotierenden Schwungmassen drehen sich im Zeitpunkt des Ausfalls noch mit der Geschwindigkeit wie zuvor. Sie sind damit ein klein wenig schneller als der Durchschnitt aller angeschlossenen Schwungmassen inklusive des ausgefallenen Kraftwerks. Daher fangen sie in diesem ersten Moment den Energieausfall auf. Es kommt zum „Umspeichern“. Das “Umspeichern“ bedeutet real einen Energieentzug aus den drehenden Rotoren. Da allerdings insgesamt weniger Energie eingespeist wird, rotierenden die Schwungmassen immer langsamer – die Drehzahl sinkt. Übertragen auf die Motorbremse wird unser Auto immer langsamer, wenn wir nicht mehr Gas geben, sondern nur den Motor eingekuppelt lassen. Das würde letztlich zum Stillstand führen.

Daher wird positive Regelleistung aktiviert, die Regelenergie einspeist. Sie hat zwei wesentliche Aufgaben: Die Frequency Containment Reserve, auch Primärregelleistung genannt, ist die am schnellsten reagierende Regelleistungsart. Sie ist dazu dar, den Abfall zu stoppen. Wird so viel Energie zusätzlich eingespeist, wie dem System entnommen wird, dann verändert sich der Energiegehalt der Momentanreserve nicht mehr. Die momentane Drehzahl aller angeschlossenen Synchrongeneratoren und -maschinen bleibt dann konstant. Dieser Teil des Ausregelns ist damit abgeschlossen.

Damit die ursprüngliche Drehzahl wieder erreicht wird, muss so viel Energie zusätzlich eingespeist werden, wie aus der Momentanreserve zuvor „umgespeichert“ wurde. Dazu werden automatic Frequency Restoration Reserve, manual Frequency Restoration Reserve und Replacement Reserve aktiviert, im deutschsprachigen Raum Sekundärregelleistung und Minutenreserve. (Im deutschsprachigen Raum gibt es das Produkt Replacement Reserve nicht als separates Regelleistungsprodukt. Aktuell erfolgt gerade eine Vereinheitlichung von Regelleistungsprodukten über alle Regelzonen Zentraleuropas.)

Das oben beschriebene Verhalten bei Energie-Entzug verkehrt sich genau ins Gegenteil, wenn in das System von außen Energie eingespeist wird. Immer ist die Drehzahl der Indikator.

Die Drehgeschwindigkeit und damit die Drehzahl der Synchrongeneratoren und -maschinen bestimmt also die Energie im Gesamtsystem. Die Drehzahl wird auch Frequenz genannt, also Umdrehungen pro Zeiteinheit. Im europäischen Verbundsystem herrscht eine Soll-Frequenz von 50 Hz. Dies entspricht 50 Umdrehungen der angeschlossenen Synchrongeneratoren oder -maschinen pro Sekunde. Damit ist die Frequenz des erzeugten Wechselstromes auch der eindeutige Indikator für ein Leistungsungleichgewicht, durch was dies auch immer verursacht wird. Diese Frequenz wird zusammen mit der elektrischen Energie zu jedem Netzanschluss transportiert und kann im gesamten Netz gemessen werden und auch als Regelgröße herangezogen werden.

Die Änderungsgeschwindigkeit bei der Kenngröße Frequenz ist von der Energiemenge abhängig, welche in der Momentanreserve enthalten ist sowie von der Größe des aufgetretenen Leistungsungleichgewichts. Die Änderungsgeschwindigkeit ist umso größer, je größer das Leistungsungleichgewicht ist, und umso kleiner, je größer der Energievorrat in der Momentanreserve ist. Sind weniger Schwungmassen mit dem System verbunden, wirkt sich dies daher direkt auf die Änderungsgeschwindigkeit aus. Denn gerade Erneuerbare wie PV-Anlagen verfügen über gar keine Schwungmasse. Windkraftanlagen verfügen zwar über Schwungmasse. Diese ist allerdings zumindest individuell viel kleiner. Bei einem Abbau von Momentanreserve oder wenn wenige Synchrongeneratoren z. B. bei geringer Leistungsanforderungen am Netz sind, wird demnach die Änderungsgeschwindigkeit und damit die negative Steigung der Frequenzkurve über die Zeit bei einem Leistungssprung stärker.

Um dies zu verhindern, muss immer genügend Momentan­reserve für die Pufferwirkung im Netz verfügbar sein. Und dann muss eine Frequenzänderung auch noch so rasch erkannt werden, dass die ausregelnden Komponenten die Frequenzauslenkung noch vor einem Eintritt eines Systemkollaps stoppen können. Das gilt im Übrigen für die Energiemangelsituationen und genauso für Energieüberfluss. Letzteres ist nur durch Abschalten von Einspeisungen leichter zu beherrschen als das Abschalten von Stromverbrauchern bei einer Energiemangelsituation.

Erste Ebene der Gewährleistung der Stabilität der Stromversorgung

Die einzelnen im Netz verteilt vorhandenen Momentanreserven (die jeweils für sich einen rein physikalisch reagierenden Energievorrat infolge der Rotationsenergie in den Schwungmassen darstellen), sind über elektromagnetische „Wellen“ im gesamten elektrischen Netzwerks mehr oder weniger elastisch untereinander verbunden. Damit bilden diese „verteilten“ Energievorräte insgesamt einen „Schwarm“, in dem Auslenkungen infolge von Veränderungen im Netz mit Lichtgeschwindigkeit (siehe die Maxwellschen Gleichungen) sich gegenseitig „mitteilen“. Diese Kopplung ist rein physikalischer Natur.

Diese Kopplung wirkt bei jedweder Änderung bei Einspeisungen, Lasten und auch bei Störungen (z.B. Kurzschlüsse) oder Topologieänderungen infolge von Schaltungen, speziell auch bei Netztrennungen. Dabei gilt in dem abgeschlossenen System, also dem „Stromversorgungssystem“, der Energieerhaltungssatz. Bei Netztrennungen gilt das für jeden entstandenen Netzteil. Das hat instantan (also ohne Zeitbedarf) Leistungsänderungen und damit auch Energieflüsse zur Folge, die den Energieerhaltungssatz erfüllen.

Der Begriff der Trägheit, der einer Masse eine „Eigenschaft“ zuweist (so als ob sich eine Masse einer Änderung ihrer Bewegung „widersetzt“), passt nicht für die Auswirkungen des Energieerhaltungssatzes, wird aber leider immer noch gebraucht. Muss der Begriff „Trägheit“ für die Wirkung der Momentanreserve nun nicht aus dem Sprachgebrauch verbannt werden?

Im derzeitigen Stromversorgungssystem erzeugen die rotierenden Massen über die Induktion den Wechselstrom und prägen diesem Wechselstrom über die Drehzahl eine Frequenz ein. Damit ist die Frequenz der Indikator für eine sich ändernde Rotationsgeschwindigkeit und damit gleichzeitig auch für einen Energieabfluss aus der Momentanreserve (dann sinkt die Frequenz) oder ein Anwachsen der Rotationsenergie (dann steigt die Frequenz). Die Geschwindigkeit, mit der sich die Frequenz ändert, hängt mit der Menge an rotierender Masse und der Höhe des aufgetretenen Leistungsdefizits bzw. des Leistungsüberschusses ab. Dies ist aber keine „Eigenschaft“ der Masse, also keine Wirkung einer „Trägheit“.

Die Festlegung einer Normfrequenz ist damit gleichbedeutend mit der Festlegung einer bestimmten Höhe des Energievorrates in den rotierenden Massen. Dieser Energievorrat in der Momentanreserve ist der verfügbare Puffer, um aufgetretene Leistungsdefizite decken zu können. Ein zu tiefes Absinken der Drehzahlen (und damit der Frequenz) muss vermieden werden. Die Drehzahlen der rotierenden Einheiten dürfen aber auch nicht zu groß werden. Damit puffert die Momentanreserve auch einen Leistungsüberschuss. Die Höhe des Energievorrates (siehe Normfrequenz) und die Größe des Pufferbereichs sind das Ergebnis einer Übereinkunft. Je höher die Menge an rotierender Masse ist, umso weniger schnell ändert sich die Frequenz als Regelgröße bei gleicher Höhe eines Leistungssprunges. Ein Wegfall von rotierender Masse (also auch ein geringerer Einsatz von z.B. Synchronmaschinen), macht das Gesamtsystem demnach empfindlicher gegenüber Leistungsveränderungen.

Solange im Stromversorgungssystem nicht auf die Frequenzänderung reagiert wird, setzt sich eine durch eine Leistungsänderung eingetretene Änderung der Drehzahl und damit der Frequenz ungehindert fort. Die Frequenzänderung muss durch Regeleingriffe über Leistungsänderungen bei der Einspeisung und/oder beim Leistungsbezug gestoppt werden. Dazu dienen derzeit die Messung der Frequenz und das Reagieren auf Frequenzänderungen durch Regeleinrichtungen. Das ist ein rein technischer, auf physikalische Gesetzmäßigkeiten beruhender Ablauf.

Zweite Ebene der Gewährleistung der Stabilität der Stromversorgung

In der zweiten Ebene muss eine Änderung der Regelgröße „Frequenz“ erkannt und darauf reagiert werden. Das Erkennen erfordert Zeit für die Messung und für das Feststellen einer (signifikanten) Änderung. Diese Zeit ist endlich groß und in dieser Zeit setzt sich eine Änderung in der ersten Ebene unverändert fort. Erst nach dem Ablauf dieser Zeit kann eine Regelung eingreifen. Diese Zeit wirkt wie eine „Totzeit“, in der das Gesamtsystem von außen unbeeinflusst ist.

Die Primärregelung kommt demnach immer zeitversetzt zur Wirkung. Der dafür „produzierte“ Leistungshub der Primärregelung ist entscheidend dafür, wie viel Zeit vergeht, bis die Wirkung der Momentanreserve durch den Regeleingriff abgelöst wird. Bei zuvor festgestelltem Leistungsmangel wird dann die Talsohle der Frequenz erreicht. Lag hingegen ein Leistungsüberschuss vor, wird ein Frequenzmaximum erreicht.

Der Beitrag der Primärregelung beendet schließlich den Energiefluss aus der Momentanreserve ins Netz bzw. aus dem Netz zur Momentanreserve. Die aktuelle Frequenz hat dann in ihrem Zeitverlauf einen „Endpunkt“ erreicht. Die Sekundärregelung versucht dann in der Folge in einer vereinbarten Zeit die Frequenz wieder auf den aktuell vorgegebenen Sollwert zu bringen. Das erfolgt z.T. automatisch oder durch manuelle Eingriffe durch das Personal in Leitwarten der Übertragungsnetzbetreiber. In der Regel wird so die Sollfrequenz innerhalb einer Viertelstunde wieder erreicht. Eine Mithilfe zur Primärregelung und auch zu dieser Systemdienstleistung ist in nachfolgenden Netzebenen bisher nicht realisiert.

Während in der ersten Ebene zur Gewährleistung der Stabilität der Stromversorgung das System in sich nach rein physikalischen Gesetzmäßigkeiten reagiert, reagieren in der zweiten Ebene in aller Regel Automaten aufgrund ihrer technischen Fähigkeiten und der Fähigkeiten der ihnen zur Verfügung stehenden Komponenten. Dabei ist die Zeitspanne bis zum Einsatz der Primärregelung und die dann auch tatsächlich verfügbare regelbare Leistung entscheidend wichtig für die Stabilität des Systems. Je rascher und je kräftiger die Primärregelung eingreifen kann, umso eher kann das Entfernen aus dem dynamischen Gleichgewicht gestoppt und so die Stabilität gewährleistet werden.

Batteriespeicher haben einen Energievorrat, der innerhalb einer kurzen Zeit abgerufen oder erhöht werden kann. Diese Fähigkeiten von Batterien in Kombination mit entsprechend programmierten Wechselrichtern samt den dazugehörenden Messeinrichtungen erlauben gegenüber bisher genutzten Regelkraftwerken ein deutlich rascher auf Änderungen der Regelgröße „Frequenz“ reagierendes Verhalten. Das gilt selbst für Pumpspeicherwerke und nicht nur für thermische Kraftwerke, bei denen ja erst bei der Dampferzeugung eingegriffen werden muss. Die neuen Techniken (Batteriespeicher in Kombination mit Wechselrichtern) mindern den Zeitbereich ganz erheblich, in dem allein die Momentanreserve die Stabilität des Gesamtsystems gewährleisten können muss. Die Momentanreserve wird also durch neuere technische Einrichtungen nicht ersetzt. Sie wird aber weniger lang in Anspruch genommen.

Die Pufferwirkung der Momentanreserve bestimmt also zusammen mit dem Leistungssprung im ersten Moment einer Auslenkung aus dem dynamischen Gleichgewichtszustand des Gesamtsystems dessen Fähigkeit zur Beibehaltung der Stabilität. Dies muss künftig vermehrt bei der zulässigen Größenordnung eines Leistungssprunges berücksichtigt werden. Das beschränkt die Leistungen der am Netz angeschalteten Komponenten. Das beschränkt aber auch den noch zulässigen Leistungstransport, weil bei einer Netztrennung (durch was auch immer bewirkt) in jedem Falle die entstehenden Teilsysteme mit den darin verbliebenen Momentanreserven den zwangsläufig auftretenden Leistungsmangel und in gleiche Höhe auch den Leistungsüberfluss beherrschen können müssen. Netztrennungen stellen deshalb die größere Gefährdung der Systemstabilität dar als sonstige Leistungsänderungen (Störungen wie Kurzschlüsse ausgenommen – die sind extrem belastend).

Eine zuvor erwähnte Leistungsbeschränkung würde sich automatisch dann von selbst einstellen können, wenn durch ein flächenhaft ausgedehntes Energiemanagement bereits vor Ort und bei jedem Stromkunde selbst ein Ausgleich zwischen Energiezufluss (z.B. auch über PV-Dächer) und Energiebedarf (z. B. auch durch Rückspeisung ins Netz) nach Möglichkeit durch Energieassistenzsysteme vorgenommen wird. Die dazu erforderlichen Speicher könnten zudem bei Störungen in vorgelagerten Netzebenen immer auch als Notreserve genutzt werden. Dazu wären dringend Standards und Regelwerke für den dann notwendigen Inselbetrieb zu etablieren. Wir brauchen Blackout-Fitness als Rückfallebene nicht nur in der untersten Netzebene, sondern in jeder Netzebene. Diese Fitness sollte dann aber auch regelmäßig getestet werden. Während in den oberen Netzebenen dies mehr an Verantwortlichkeit für die Stabilität des Systems als Ganzes bedingt, kommt es in den unteren Netzebenen besonders auf das Durchhaltevermögen (z. B. in einem Inselbetrieb) an. Dieses Miteinander schafft die dringend notwendige Resilienz der Energie-Infrastruktur.

Dritte Ebene der Gewährleistung der Stabilität der Stromversorgung

In der dritten Ebene bewirken Eingriffe des Menschen einen Leistungsmangel oder einen Leistungsüberschuss durch ihr Verhalten. Dieses Verhalten ist auch durch äußere Einflüsse bedingt (z.B. Umgebungstemperatur, besonders aber durch lokale Energiebevorratung). Das bedingt vor allem eine gute Prognose des kommenden Energiebedarfs und eine rechtzeitige Vorsorge für die mehr lokalen Speichermöglichkeiten. Das mindert dann auch den Transportbedarf und sorgt so für geringere, ad hoc auftretende, überörtliche Leistungsflüsse. Warum nicht zusätzlich zur Wetterprognose auch eine regelmäßige Energieprognose, um den Umgang mit der wertvollen Energie in das Bewusstsein der Bevölkerung einzuprägen.

Es geht dabei keineswegs um vermehrte Autarkie, sondern um Autonomie. Damit werden die unzweifelhaft bestehenden Herausforderungen besser beherrschbar gemacht. Energieassistenzsysteme würde da zu einem Mehr an Selbstorganisation beitragen. Das wiederum steigert die Resilienz der Bevölkerung und stärkt gleichzeitig auch die Zuversicht, auch künftige Herausforderungen bestehen zu können. Das so wichtige Miteinander kann sich hier das Prinzip der Subsidiarität zu eigen machen. Auch das Miteinander zwischen mehr städtischen und ländlichen Gebieten hat hier sehr positive Wirkungen. Eine mehr zentral ausgerichtete, dirigistische Vorgehensweise, z.B. durch Eingriffe der Netzbetreiber oder von Behörden, würde dem total zuwiderlaufen.

Zur dritten Ebene gehört auch der Energieaustausch möglichst bereits auf lokaler Ebene, aber auch der Energiehandel im gesamten Netzgebiet und das in jeder Netzebene. Mit der Istwertaufschaltung können hier Energieassistenzsysteme gleichermaßen den Energieaustausch wie auch die Abrechnung unterstützen. Auch das gemeinschaftsdienliche Mitwirken durch rechtzeitige Vorsorge und bedarfsgerechter Mitwirkung bei den Systemdienstleistungen kann damit erfasst, dokumentiert und honoriert werden. Überhaupt spielt hier das Energiemanagement eine extrem wichtige Rolle. Ohne Energiebevorratung kann die Energiewende und der künftige Betrieb der Energie-Infrastruktur nicht gelingen. Auch in der dritten Ebene der Gewährleistung der Stabilität der Stromversorgung sollte der monetäre Aspekt höchstens eine Nebenrolle spielen, denn die Nutzung der Energie ist ein Grundbedürfnis von uns allen. Energie ist ein „Lebensmittel“!

Vierte Ebene der Gewährleistung der Stabilität der Stromversorgung

Sämtliche Komponenten für die Energie-Infrastruktur müssen geplant, erstellt, in Betrieb genommen, überwacht, gewartet, bei Bedarf repariert und zu gegebener Zeit auch erneuert werden. Das ist ohne Investitionen nicht möglich. Dieser Aspekt der Daseinsvorsorge gehört unzweifelhaft mit zur Gewährleistung der Stabilität der Stromversorgung. Hier sind deshalb auch staatliche Einflussnahmen nötig, damit über demokratisch vorgenommene Prozesse das gemeinschaftliche Miteinander gebührend und vor allem langfristig beachtet wird.

Anmerkungen zur Gewährleistung der Stabilität der Stromversorgung

Die einzelnen „Momentanreserven“ reagieren aufgrund der jeweiligen rotierenden Masse und dem jeweiligen Leistungsbeitrag nach meinem Verständnis im Zeitverlauf unterschiedlich schnell. Auch die elektrische „Nähe“ der Primärregelungen in allen dafür geeigneten Standorten untereinander facht ein „Atmen“ der verschiedenen Leistungsbeiträge an. Damit entsteht ein Gebilde, in dem nach meiner Auffassung Schwingungen auftreten müssen. Das sind Pendelungen im System als Ganzes. Die darin enthaltene Schwingungsenergie wird durch die Wirkleistungsverluste u.a. in Transformatoren und Leitungen letztlich „entsorgt“. Diese Pendelungen werden so automatisch gedämpft. Nach meiner Auffassung ist durch den Abbau von Kraftwerken ein fortwährend zunehmenden Verlust an Momentanreserve und auch an primärgeregelten Kraftwerken zu beklagen. Durch das unterschiedliche „Ausdünnen“ dieser Komponenten in der Fläche werden wohl die Auslenkungen größer und damit die Pendelungen deutlicher. Das erzeugt zusätzlichen Stress. Das Gesamtnetz wird zurzeit durch den Abbau an Kraftwerken damit immer fragiler und reagiert empfindlicher auf die letztlich unvermeidbaren, ständig auftretenden Leistungsänderungen.

Eine gegenläufige Entwicklung kann ich immer noch nicht erkennen, obwohl sie längst im Gange sein müsste. Neue Technologien bei der Primärregelung (Wechselrichter in Kombination mit Batteriespeicher) spielen hinsichtlich der notwendigen Dimensionen offenbar bisher nur eine verschwindend geringe Rolle. Ob bei den DC-Verbindungen zwischen den europäischen Netzregelblöcken schwingungsdämpfende Einrichtungen eingebaut sind und entsprechend wirken, entzieht sich meiner Kenntnis.

Die bisherige, aus meiner Sicht überbordende Hoffnung, dass Energiemärkte und Regulierungen die Gewährleistung der Stabilität der Stromversorgung „garantieren“, ist wohl eine Art von Selbstbetrug. Das gilt in gleichem Maß auch für die Meinung, dass zentrales Einwirken eine Stabilität bei dieser so ungemein wichtigen Energie-Infrastruktur bewirkt. Die „Erneuerungszyklen“ durch die Wahlen der Volksvertreter und damit auch die Bildungen der Regierungen stimmen mit den deutlich langfristigeren Erneuerungszyklen der Energie-Infrastruktur einfach nicht zusammen. Physikalische Gesetzmäßigkeiten und überhaupt Naturgesetze können zudem nicht durch menschengemachte Gesetze „novelliert“ werden.

Noch in Bearbeitung:

  • Was bestimmt das Ausregelvermögen?
  • Warum ist ein Energietransport ein Ausregelthema?
  • Warum ist ein Systemschutz erforderlich?
  • Was soll ein Systemschutz bewirken?

Weitere Hintergründe/Zusammenfassung (noch nicht eingearbeitet)

Synchrongeneratoren

Quelle: www.science-climat-energie.be

Die fortschreitende Transformation des europäischen Stromsystems mit einem stark steigenden Anteil von Erneuerbaren im Produktionsmix bringt viele Herausforderungen mit sich, einschließlich erhöhter Risiken der Versorgungsinstabilität. Diese Herausforderungen werden in einer EDF-Studie (V. Silva et al. „Technisch-wirtschaftliche Analyse eines europäischen Stromsystems mit 60 % erneuerbaren Energien“, REE N°5, 40-53, 2016) ausführlich analysiert. Das Bestreben der EU und der EE-Produzenten, bis 2050 den gesamten Strombedarf zu decken, wird sicherlich Auswirkungen auf die Fähigkeit des Netzes haben, Ungleichgewichten standzuhalten . Die Folgen hinsichtlich Häufigkeit und Umfang der Vorfälle abzuschätzen, ist schwierig. Die folgenden Entwicklungen versuchen darauf bestmöglich zu reagieren.

Synchrongeneratoren-Fahrradkette
Abbildung 8. Zentralisierte und dezentralisierte Produktion, die Synchronmaschinen und EE mischt [19].

Abbildung 8 zeigt den Unterschied zwischen einer zentralisierten Produktion mit rotierenden Maschinen und einer dezentralisierten Produktion, die Windturbinen, Photovoltaik-Solarmodule und steuerbare Produktion kombiniert. Das gemeinsam in die Pedale tretende Radlergespann symbolisiert den Gleichlauf des Systems. Diese weist eine beträchtliche Trägheit aufgrund der rotierenden Massen auf, die die Stabilität der Frequenz angesichts von durch einen vorübergehenden Bedarfsüberschuss verursachten Einbrüchen der letzteren garantieren. Thermische und nukleare Anlagen haben die Eigenschaft, das Netz zu bilden. Dies ist bei einer dezentralen Produktion, die diese Trägheit nicht aufweist, nicht der Fall. Kraftübertragung und Gleichlauf erfolgen hier über eine entsprechende Elektronik. Synchronkompensatoren erleichtern die Verbindung, aber insgesamt bildet die dezentrale Erzeugung nicht das Netzwerk, sondern folgt  ihm: Hier liegt ein wesentlicher Unterschied, der zu den Merkmalen der Variabilität und Intermittenz hinzukommt.

Die Erhöhung des EE-Anteils macht das Netz also deutlich fragiler. Versorgungsunterbrechungen – nicht unbedingt Stromausfälle – können häufiger auftreten. Das Management des englischen Blackouts 2019 zeigt, dass ohne eine regelbare Leistungsreserve von 1,92 GW die Rückkehr zur Normalität deutlich länger gedauert hätte. Das schwache Glied von EE in Bezug auf Blackout ist da: Bei höheren EE-Anteilen dürfte die Rückkehr zur Normalität nach einem Vorfall deutlich länger dauern.

Der französische Netzbetreiber RTE und die Internationale Energieagentur (IEA) haben kürzlich eine Analyse der Auswirkungen einer starken Durchdringung erneuerbarer Energien auf die Robustheit des Systems veröffentlicht ( IEA und RTE „ Technische Machbarkeitsbedingungen und Voraussetzungen für ein Stromsystem mit hohem Anteil erneuerbarer Energien bis 2050 – Synthese “, 2021). Vier Punkte standen dabei besonders im Fokus: die Stabilität des Netzes, seine Versorgungssicherheit, die Verfügbarkeit von Regelenergie und die Entwicklung des Übertragungsnetzes.

Bei den ersten beiden Punkten ist der Ton besonders zurückhaltend. Vor allem nimmt der Bericht die Notwendigkeit einer industriellen Demonstration der von den Befürwortern dieser Technologien vorgeschlagenen Lösungen zur Kenntnis. Für die beiden anderen Punkte (Regelreserve und Transport- und Verteilungsmittel) betont er die Bedeutung künftiger Projekte für die Schaffung der notwendigen Infrastrukturen. Der Bericht spricht auch einen besonderen Punkt zur Solar-PV an, die weniger einfach in das Netz zu integrieren ist als Windenergie, was von Bedeutung ist, wenn wir die Rolle betrachten, die PV in Zukunft zukommt, wie wir später sehen werden.

Das vielleicht wichtigste Element ist das Nachfragemanagement . Dieser unscharfe Ausdruck (für Uneingeweihte) bezeichnet absichtliche Unterbrechungen der Versorgung, die von den Übertragungsnetzbetreibern so organisiert werden, dass das Gleichgewicht des Netzes optimal verwaltet und ein vollständiger Zusammenbruch des letzteren vermieden wird.

Somit waren die im August 2020 gemeldeten kalifornischen Stromausfälle nicht ausschließlich Stromausfälle im engeren Sinne, sondern teilweise Lastmanagement; das heißt Versorgungsunterbrechungen, um das Schlimmste in einem Stromnetz an der Grenze seiner Reserven zu vermeiden. In ähnlicher Weise ging der englische Manager ESO angesichts des Stillstands des Standorts Hornsea im August 2019 auf diese Weise vor. Die Beispiele lassen sich vervielfachen: Einige der vielen Stromausfälle in Südaustralien – einer Region mit 51 % EnRI – in den Jahren 2016 und 2017 wurden auf ziemlich ähnliche Weise bewältigt.  

Bedarfsmanagement für elektrische Energie ist eine Notwendigkeit. Es stellt sich jedoch die Frage, ob wir uns blind auf ein elektrisches System einlassen sollten, dessen Management immer mehr freiwillige Abschaltungen beinhalten wird, unter Umständen, die nicht unbedingt außergewöhnlich sind, wenn wir die physikalischen Eigenschaften der intermittierenden berücksichtigen? Der RTE-IEA-Bericht erwähnt in verschleierter Weise die absehbaren kommenden Schwierigkeiten. Die Häufigkeit großer Stromausfälle wird voraussichtlich nicht höher sein als bisher. Aber das Nachfragemanagement wird zu häufigeren Unterbrechungen [Stromunterbrechung?] führen, die ausgewählte Nachfragekomponenten betreffen.