Letzte Aktualisierung am 06. Januar 2019.

Quelle: www.mdr.de (Erstveröffentlichung 23.Februar, 2017) (sehr empfehlenswert, besonders ab Minute 26:30! – Audio hier), Aktualisierung 30.12.18

 

24 Stunden Blackout in Thüringen. Am 1. Januar 1979. Das Unfassbare tritt ein: Eine Szenario, das als „Geheime Verschlusssache“ in den Schubladen der Energiekombinate der DDR liegt. Die Bezirke Suhl, Gera und Erfurt werden vollständig von der Stromversorgung abgetrennt – mit voller Absicht. Es kommt zum Blackout.

Eine ungewöhnliche Großwetterlage zum Jahreswechsel 1978/79 führt binnen weniger Stunden zu einem Temperstursturz um bis zu 30 Grad. Am 28. Dezember 1978 lag die Temperatur in weiten Teilen Deutschlands noch bei 10 Grad über Null. Doch die milde Luft des Tiefdruckgebiets aus dem Süden traf über der Ostsee auf ein stabiles Hoch aus Skandinavien mit Temperaturen bis minus 40 Grad. Die kalte Luft strömte mit Sturmstärke in Richtung des tieferen Luftdrucks. Innerhalb weniger Stunden fror die Ostsee vor Sassnitz vollständig zu und starker Schneefall setzte ein. Zum Jahreswechsel war es minus 20 Grad kalt. In den Braunkohletagebauen gefror die nasse Kohle und der Abbau geriet ins Stocken. Die Braunkohle war der Hauptenergieträger. Die Kraftwerke und damit die Stromversorgung waren davon abhängig. Auch in den Güterwaggons fror die Kohle fest und konnte bei den Kraftwerken nicht mehr entladen werden. Tausende Arbeitskräfte und die Soldaten der NVA wurden in die Tagebaue und Kraftwerke geschickt, um die Kohle aus den Baggern und Waggons zu hacken. Mit teilweise abenteuerlichen Methoden wurde versucht, das Problem zu lösen. Die Kohle wurde aus den Waggons gesprengt und Düsentriebwerke von Jagdflugzeugen sollten als „Riesenföhn“ dienen. Doch das alles nützte nur wenig: Immer mehr Kraftwerke waren lahmgelegt. Das Stromnetz der DDR gerät in diesen Stunden immer mehr aus dem Gleichgewicht.

Axel-Rainer Porsch, bis 2003 Störungsingenieur bei der Thüringer Energie AG hat den Extremwinter ganz besonders gut in Erinnerung. Er war damals Schichtingenieur im Erfurter Energiekombinat Süd. Um das Netz zu stabilisieren, wurde eine Handlung verlangt, von der er nie gedacht hätte, dass sie einmal notwendig würde. Um 15 Uhr am 1. Januar 1979 schaltet er ganz Thüringen ab. Alle drei Südwestbezirke – Erfurt, Gera, Suhl – werden mit einem Mal vom Netz getrennt. So etwas hat es nie zuvor und nie nachher gegeben. Es war die einzige Chance, das Stromnetz der DDR zu retten.
Die Abschaltung trifft die Menschen völlig unvorbereitet: Sie frieren in den Wohnungen, in Krankenhäusern funktionieren Notstromaggregate nicht, in der Maxhütte Unterwellenborn brennt ein Hochofen aus – ein Millionenschaden. Überall gehen die Lichter aus. Ein Blackout, der sich Stunden zuvor auf dramatische Weise angedeutet hat: In der Silvesternacht trifft es 1.500 Gäste im Hotel Panorama in Oberhof. Kurz nach Mitternacht fällt der Strom aus, das gigantische Hotel liegt im Dunkeln.

Doch das Stromnetz der DDR braucht die Atempause, um die Kraftwerke wieder auf die nötige Leistung anfahren zu können. In Thüringen hofft man, dass die Reserven in den Batterien der Umspannwerke reichen. Denn ohne Strom kann auch die Energie-Infrastruktur aus eigener Kraft nicht mehr starten. Nach und nach stabilisiert sich die Stromfrequenz. In der Nacht zum 2. Januar 1979 ist das Schlimmste überstanden. In Thüringen aber kann die komplette Stromversorgung erst nach Tagen wiederhergestellt werden.

Axel-Rainer Porsch weiß, dass es auch heute Situationen gibt, durch die unser Stromnetz instabil werden kann. In Ostdeutschland stammt heute die Hälfte allen erzeugten Stroms von Wind und Sonne, von Quellen, die sich ständig verändern. Der Kampf ums Gleichgewicht im Stromnetz ist deshalb mindestens so herausfordernd wie früher.

Axel-Rainer Porsch und seine Mitstreiter sehen sich als Mahner für eine überlegte Energiewende. Denn sie haben den Kampf um das Stromnetz selbst geführt – und warnen Politik und Gesellschaft, mit der Physik der Stromnetze nicht allzu leichtfertig umzugehen.

Update 30.12.18 – Stromausfall im Schneewinter 1978/79 – Vor 40 Jahren: Der Norden versinkt im Schnee

Norddeutschland vor 40 Jahren: Nach milden Weihnachtstagen stürzen die Temperaturen ab und es beginnt zu schneien – mancherorts zwei Tage lang durchgehend. Zugleich toben schwere Stürme und türmen die weißen Massen zu meterhohen Verwehungen auf. Der Norden versinkt im Schnee. Dutzende Dörfer sind von der Außenwelt abgeschnitten, weil Straßen nicht mehr passierbar sind. Zahllose Menschen sind ohne Strom, da die Oberleitungen unter der Schneelast zusammenbrechen. Insgesamt kommen 17 Menschen ums Leben, die Ereignisse des Schneewinters haben sich in das kollektive Gedächtnis der Norddeutschen eingebrannt. Bilder, Zeitzeugen-Berichte und Hintergründe zur Schneekatastrophe von 1978/79.

Videobeitrag … niemand war vorbereitet …, Was passierte im Jahrhundertwinter 1978/79?Schneekatastrophe – ein Blick zurück „Es war wirklich so, dass sich die Leute gegenseitig geholfen haben. Es war klar, dass es eine völlige Ausnahmesituation war und die Leute verhalten sich anders, als normal.“ [siehe auch Mythos Panik und Katastrophenmythen]

MDR Zeitreise – Der Katastrophenwinter 1978/79

MDR erinnert an Katastrophenwinter 1978/79

Und plötzlich war der Strom weg

Auch wenn danach das „Neue Deutschland“ ungewohnt offen über die Schwierigkeiten im „Katastrophenwinter“ berichtet, die Ursachen der folgenschweren Kettenreaktion kommen nicht zur Sprache: fehlende Maßnahmepläne für ein flexibles Krisenmanagement, der Mangel an Lagerkapazitäten und Werkzeugen, vor allem aber die verhängnisvolle Abhängigkeit der DDR-Energieversorgung von der Braunkohle. Quelle: www.mdr.de

„Die DDR-Propaganda kollidierte mit den Erfahrungen der Bürger“

Die Verantwortlichen der DDR reagierten erst spät auf die extremen Wetterereignisse, die sich Ende 1978 abspielten. Die Propaganda versagte, denn jeder sah die Katastrophe, meint der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk. Quelle: www.mdr.de 

Siehe das ganze Interview! Wäre das heute wirklich wesentlich anders? 

 

Kommentar 02/17

Video: Sehr empfehlenswert, vor allem, was die Schlüsse ab Minute 26:30 für heute betrifft! „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“

Siehe auch Die „Dunkelflaute“ bringt Deutschlands Stromversorgung ans Limit.

Gerade der 23. Februar 2017 zeigt wieder, welche Herausforderungen heute durch das Wetter zu bewältigen sind. Die Abweichung zwischen erwartete und tatsächliche Produktion aus Solar-/Windenergie in Deutschland sind enorm und betragen um 20 Uhr 8 GW, bei einem gleichzeitigen Verbrauch von etwa 76 GW! In diesem Fall mussten Kraftwerksleistung in der Größenordnung des gerade stattfinden Gesamtverbrauchs von Österreich unplanmäßig heruntergefahren werden.