Letzte Aktualisierung am 11. Februar 2019.

Nachdem immer wieder die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines Blackouts gestellt wird – wohl auch mit dem Hintergedanken, ob man nun handeln sollte, oder doch nicht – möchten wir hier diese Fragestellung beantworten.

Berechnung des Blackout-Risikos

Berechnungen eines Blackout-Risikos in Zahlenwerten sind Makulatur. Zahlen täuschen eine Berechenbarkeit vor, die nicht gegeben ist. Die so ermittelten Zahlen sind daher kein Maßstab für ein Handeln.  Sie sind nichts anderes wie Zahlenspielerei. Exceldateien mit solchen Zahlen sind eine moderne Form von Verdummung.

Maßstab ist vielmehr:

  • Welche Beeinträchtigungen und welcher Schaden – welche Konsequenzen – könnten entstehen?
  • Wie kann die Dauer einer Beeinträchtigung kurz und der Schaden gering gehalten werden?
 

Eine Analogie

Wir „leisten“ uns doch tatsächlich eine Feuerwehr, investieren da in Gebäuden, Fahrzeugen, Materialien und zahlen sogar andauernd für das Vorhalten (und Ausbilden) von Personen, obwohl für ein einzelnes Gebäude keine Wahrscheinlichkeit eines Brandes angegeben werden kann. Unsere (zusammenfassende) Lebenserfahrung sagt uns, Brände kommen vor und je rascher eine tatsächlich vorhandene Feuerwehr eingreifen kann, um so eher können Menschenleben gerettet werden und um so geringer ist der Schaden. Wir haben noch keinen Brand erlebt. Allerdings in der Nachbarschaft. Und in den Medien wird immer wieder von Bränden berichtet. Zahlenangaben daraus zu ermitteln ist wie Kaffeesatzleserei. Die generelle Erfahrung lautet: Brände haben eine gewisse Eintrittswahrscheinlichkeit und das Vorhalten der Feuerwehr „lohnt“ sich.

Erfahrungen fehlen – vielschichtige Veränderungen der Rahmenbedingungen

Für Blackouts haben wir in der breiten Öffentlichkeit keine Lebenserfahrung (mehr). Das letzte Blackout (Süddeutschland und Österreich waren einige Zeit „schwarz“) war im Jahr 1976. In anderen Ländern außerhalb Europas gab es jedoch immer wieder Blackouts. Die Voraussetzungen für ein Blackout sind jedoch in den vergangenen Jahren auch in Europa deutlich angestiegen. Dies aus folgenden Gründen:

  • Die Volatilität bei der Energiebereitstellung ist infolge des Anwachsens des Anteils erneuerbarer Energien gestiegen, ohne dass eine vermehrte Pufferung und Bevorratung in Angriff genommen wurde.
  • Der Abbau von konventionellen Kraftwerken und von Kernkraftwerken führen zum Abbau der Momentanreserve (wg. dem Abbau der Synchrongeneratoren), ohne dass dafür Ersatz in Sicht ist. Das steigert die Fragilität des Stromnetzes in fortschreitendem Maße.
  • Die zur Aufrechterhaltung der Netzsicherheit und Netzstabilität notwendigen ad hoc-Eingriffe der Netzbetreiber haben deutlich zugenommen und ihre Anzahl steigt andauernd noch an (siehe Auswertung Redispatching & Intradaystops).
  • Der Netzausbau hat besonders in den unteren Spannungsebenen (Verteilnetz) mit der Veränderung bei der Energiebereitstellung nicht Schritt gehalten und die Beobachtbarkeit dieser Netzebenen ist weiterhin schlecht oder überhaupt nicht vorhanden.
  • Die immer noch abnehmende durchschnittliche Nichtverfügbarkeit des Stromes verstellt den Blick auf die sich anbahnenden Schwierigkeiten (SAIDI-Wert).
  • Die Energiehandelstätigkeiten nehmen auf die Begrenztheit des Netzes keinerlei Rücksicht und daraus entstehende Probleme werden über den Netzbetreibern den Energienutzern aufgebürdet. Der Markt ist offenbar wichtiger als die Versorgungssicherheit und physikalische Grenzen.
  • Die staatlichen Eingriffe durch Gesetzgebungen, besonders auch durch Subventionen und durch „Schutzmaßnahmen“ für Investoren verzerren den Markt und belasten Netzbetreiber wie auch Netznutzer.
  • Alleingänge der Länder (hier besonders Deutschland) stören das gesamteuropäische Stromnetz, den Energiehandel darin und erzeugen Kostenverschiebungen, welche selbst Pumpspeicherwerke unwirtschaftlich werden lassen.
  • Gesetzgeberischen Maßnahmen ignorieren mehr und mehr die physikalisch bestimmte Wirklichkeit und ignorieren auch Gefahren des vermehrten Einsatzes der Informationstechnik und der extrem ansteigenden Vernetzung sämtlicher Komponenten ohne dass die Sicherheit bei dieser Vernetzung verbessert wird. Gesetze für das Melden und Sammeln von Vorfällen erhöhen die Sicherheit keineswegs. Die Gefahren eines Einwirkens von außen wachsen derzeit erheblich. Auch Erfahrungen in anderen Branchen werden ignoriert und als unzutreffend für die Energiebranche betrachtet.

Handlungsbedarf: Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Resilienz

Wir können uns einen längeren Infrastrukturausfall nicht vorstellen. Gleichzeitig wurden viele Prozesse an den Optimalzustand – alles funktioniert – angepasst. Ob das die Just-in-Time- bzw. Just-in-Prozess-Logistik und Versorgung betrifft, oder auch die individuelle Vorsorge (Eigenbevorratung), wir haben kaum Puffer, um mit einem solchen Ereignis gut umgehen zu können. Für einzelne Personengruppen müssen sogar noch schwerwiegendere Schäden erwartet werden (siehe etwa Regierungsanalyse warnt vor 1.000 Toten nach einem Stromausfall in Folge eines Groß-Orkans). Besonders bei der Versorgung der Bevölkerung müssen erhebliche Probleme erwartet werden (siehe etwa Connecting the dots). Dabei könnte gerade dieser Punkt durch einfache Eigenbevorratungsmaßnahmen entschärft werden.

Auch Unternehmen und Gemeinden können sich durch einfache Überlegungen auf ein solches Ereignis vorbereiten und damit wichtige Handlungsreserven gewinnen, die sich auch im Alltagsbetrieb positiv auswirken, wie immer wieder Rückmeldungen zeigen.

MeineGemeinde    MeinUnternehmen

Antifragilität

Ergänzend noch einige Auszüge aus Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen von Nassim Taleb, Autor des Bestsellers Der Schwarze Schwan:

Es ist sehr viel leichter, sich zu überlegen, ob eine Sache fragil ist, als das Eintreten eines für diese Sache potenziell gefährlichen Ereignisses vorherzusagen. Fragilität ist messbar; Risiken sind nicht messbar. S. 23.

Von Menschen gemachte komplexe Systeme haben die Tendenz, nicht mehr kontrollierbare Reaktions-Kaskaden und -Ketten zu entwickeln, die jegliche Vorhersehbarkeit herabsetzten, ja eliminieren und ihrerseits gravierende Ereignisse zur Folge haben. Die moderne Welt schreitet also zwar hinsichtlich des technischen Wissens fort, aber das führt paradoxerweise dazu, dass alles sehr viel unvorhersehbarer wird. S. 26.

Man kann an der Truthahn-Geschichte auch die Urform aller fatalen Fehlschlüsse ablesen: das Verwechseln der Abwesenheit eines Beweises (für eine Gefahr) mit dem Beweis für die Abwesenheit, das heißt die Nichtexistenz (dieser Gefahr). S. 141.

Politische und wirtschaftliche Extremereignisse sind nicht vorhersagbar, und ihre Wahrscheinlichkeiten sind wissenschaftlich nicht erfassbar. S. 194.

Es gibt mehr als genug Hinweise darauf, dass die Menschen zwar kleinen Verlusten abgeneigt sind, aber sehr große Risiken, als Schwarze Schwäne, unterschätzen – sie versichern sich gegen kleine, wahrscheinliche Verluste, nicht aber gegen riesige, nicht sehr häufig auftretende Schäden. Dabei sollte man genau andersherum vorgehen. S. 232.

Die Welt wird zunehmend unvorhersagbar, und wir verlassen uns mehr und mehr auf Technologien, die irrtumsbehaftet sind und schwer abzuschätzende Wechselwirkungen hervorrufen, ganz zu schweigen davon, dass sie vorhersagbar wären. S. 389.

Wir wissen wesentlich besser, was falsch, als was richtig ist, oder – formuliert vor dem Hintergrund der Fragil/Robust-Klassifikation – negatives Wissen (Was ist falsch? Was funktioniert nicht?) ist robuster gegen Irrtümer als positives Wissen (Was ist richtig? Was funktioniert?). Wissen wächst also wesentlich eher durch Subtraktion als durch Addition: Was wir heute wissen, kann sich morgen als falsch erweisen, aber etwas, von dem wir wissen, dass es falsch ist, kann sich nicht – jedenfalls nicht so ohne Weiteres – als richtig herausstellen. Falsifikation ist schlüssiger als Bestätigung. S. 412

Aber die Leute wollen einfach noch mehr Daten, um Probleme zu lösen. Die Beteiligten wollten das Paradoxon nicht sehen, dass wir nie zuvor mehr Daten hatten, als uns gegenwärtig zu Verfügung stehen, und dass gleichzeitig die Lage nie zuvor weniger prognostizierbar war. S. 417.