Eigentlich wollten wir uns unmittelbar nach der Sonnenfinsternis wieder zu Wort melden, aber wie so oft im Leben, sind verschiedene Dinge dazwischen gekommen.

Weil wir wohl alle mit dem Problem der Reizüberflutung zu kämpfen haben und uns kaum mehr genügend Zeit nehmen können, wichtige Mitteilungen mit der nötigen Achtsamkeit zu lesen, haben wir versucht, diesen Newsletter so kurz als möglich zu halten. Weiterführende Hintergrundinformationen sind daher verlinkt, um so bei Bedarf tiefer einsteigen zu können.

Sonnenfinsternis am 20. März 2015

Die sehr intensive Vorbereitung der Übertragungsnetzbetreiber, noch vorhandene konventionelle und gut regelbare Kraftwerke und auch ein wenig Glück haben bewirkt, dass trotz außergewöhnlich hohen Leistungsänderungen, besonders in der kurzen Zeit der Wiederkehr der vollen Sonneneinstrahlung, die Netzregelung die an sie gestellten Herausforderungen bewältigen konnte. Da die Ausweitung der Energie’ernte‘ mittels Photovoltaik und Wind aber kommen muss, um die Energiewende zum Erfolg zu führen, bleiben die Herausforderungen bestehen bzw. nehmen weiter zu (siehe Netzeingriffe) und müssen bewältigt werden. Dazu sind auch noch weitreichende Systemanpassung erforderlich (Stichwort: Energiezellensystem).

Stromausfälle in den vergangenen Wochen

Dass es keinen Grund gibt, sich zurückzulehnen, haben mehrere Ereignisse in den letzten Wochen wieder gezeigt. Siehe dazu:

Großräumiger Stromausfall in Holland: Ein rund zweistündiger Stromausfall mit weitreichenden Dominoeffekten. Besonders betroffen war auch der internationale Flugverkehr, nachdem der Flughafen Amsterdam – Schiphol geschlossen werden musste, da ein sicherer Bodenbetrieb nicht aufrechterhalten werden konnte. Bei einem europaweiten Stromausfall dürfte der Flugverkehr daher völlig zusammenbrechen. Flughäfen werden durch gestrandete Reisende zu Hotspots, tausende Menschen, die nicht weg kommen und auch nicht richtig versorgt werden können. Ganz zu schweigen von den Herausforderungen, die dadurch beim Wiederhochfahren der Einrichtungen zu erwarten sind.

Großräumiger Stromausfall in der Türkei: Rund 76 Millionen Menschen in 80 von 81 Provinzen waren bis zu 9 Stunden vom Ausfall betroffen. Anzumerken ist, dass es in der Türkei derzeit kaum Photovoltaikanlagen und relativ wenig Windstromproduktion gibt (~4 GW; Deutschland: ~38 GW), was den Netzwiederaufbau sicherlich wesentlich begünstigt (aber offenbar nicht beschleunigt) hat.

Stromausfall in Washington: Rund 17.000 betroffene Menschen. Das weltweite öffentliche Interesse wurde vor allem durch die Betroffenheit des Weißen Hauses bzw. einer gerade stattfindenden Pressekonferenz hervorgerufen.

Stromausfall in Berlin: Rund 18.000 betroffene Menschen. Randalierer nutzen die Dunkelheit, um Abfallkübel anzuzünden und einen Supermarkt zu plündern. Auch die Polizei wurde attackiert.

Gemeinsamkeiten bei den Ursachen und Folgen

Wie fast immer bei Blackouts muss von einer Verkettung von Einzelereignissen ausgegangen werden. Das bestätigt, dass in einem komplexen System keine einfache Ursache-Wirkungszuordnungen und damit auch keine verlässliche Risikoeinschätzungen möglich sind. Zum anderen kommt es mit der Dauer des Stromausfalls zu exponentiellen negativen Entwicklungen, die wir noch weniger einschätzen können. Je länger ein Ausfall dauert, desto länger dauert es, eine Normalität wieder herzustellen. Was wiederum direkt mit dem Grad der Vorbereitungen auf einen möglichen Ausfall zusammenhängt. Dass es bei nur einer Stunde Stromausfall, noch dazu in der Nacht, in der deutschen Hauptstadt zu Ausschreitungen kommt, das gibt allerdings zu denken.

Die Ereignisse sind regelmäßig wieder rasch aus den Medien und damit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Dadurch besteht die große Gefahr, dass weiterhin eine breite gesellschaftliche Sensibilisierung und Auseinandersetzung mit diesem Thema unterbleibt. Die Truthahn-Illusion wird damit weiter ‚gefüttert‘. Wir leiden offenbar unter Risikoblindheit, ignorieren (gerne!) die Wirklichkeit, versuchen aus ihr zu flüchten, fallen dann aber beim Erfassen der Vorgänge in einen Aktionismus, um damit wieder vor unseren Schuldgefühlen zu flüchten. Oft genug engen wir unseren mentalen Horizont selbst ein, betrügen unser eigenes Ich und ‚ruhen‘ dann in einer Scheinsicherheit. Wie verheerend dies werden kann, zeigt wiederum ein aktuelles deutsches Forschungsprojekt.

DEU: Forschungsprojekt ‚Konzepte zur Ernährungsnotfallvorsorge‘

Im Rahmen des deutschen Forschungsprojekts ‚Konzepte zur Ernährungsnotfallvorsorge‘ (S. 132f) wurde eine Umfrage durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass die schon lange zurückliegende Zeit mit Mangelsituationen dazu geführt hat, dass das Risikobewusstsein stark geschwunden ist. Wir meinen inzwischen, so etwas wie ein ‚Gewohnheitsrecht‘ zu haben und es immer so (ohne gravierenden Störungen oder gar Mangelsituationen) weiter geht bzw. weitergehen muss. Die Eigenbevorratung ist extrem eingeschränkt worden. Es gibt ja alles zu jeder Zeit im nahegelegenen Supermarkt.

Die Umfrageergebnisse:

  • 78 Prozent aller Befragten nehmen an, mindestens 2 Tage ohne eine zusätzliche externe Lebensmittelversorgung auszukommen. Nach 5 Tagen sind es nur mehr knapp 50% bzw. nach 13 Tagen rund 20%, die ohne externe Versorgung zurechtkommen würden. Oder anders ausgedrückt und auf Österreich umgelegt: 1,7 Millionen Menschen würden demnach bereits nach zwei Tagen ohne externe Versorgung Probleme bekommen.
  • 72 Prozent aller Befragten nehmen an, mindestens 2 Tage ohne Wasserversorgung auszukommen. Nach 5 Tagen sind es noch knapp 60%. Diese Zahl wiederum auf Österreich umgelegt würde bedeuten, dass 2,2 Millionen Menschen bereits nach zwei Tagen ohne Wasser Probleme haben würden.

Es handelt sich hierbei natürlich nicht um absolute Zahlen. Zum anderen ist auch der Wohnort wesentlich ausschlaggebend (Land versus urbaner Raum). In urbanen Räumen sind die Menschen von einer Versorgungsunterbrechung wesentlich stärker und früher betroffen, als im ländlichen Raum. Die Zahlen untermauern dennoch, dass ein derart großer Hilfsbedarf nicht durch die organisierte Hilfe bewältigt werden kann. Auch wenn man nur die Hälfte heranziehen würde.

Quelle: Ergebnisse interdisziplinärer  Risiko- und  Sicherheitsforschung;  Eine Zwischenbilanz des Forschungsforum Öffentliche Sicherheit, S. 132

Quelle: Ergebnisse interdisziplinärer Risiko- und Sicherheitsforschung
Eine Zwischenbilanz des Forschungsforum Öffentliche Sicherheit, S. 132

Gerade der Stromausfall in Holland hat auch wieder gezeigt, dass die Ausfälle in den Produktions- und Lieferketten, den Zeitbedarf, die hoch synchronisierten und oft bis auf das Äußerte optimierten Logistikketten wieder hochzufahren, stark ansteigen lässt. Deshalb muss in unserer Gesellschaft nach einem europäischen Blackout auch von nur einem Tag mit tage- wenn nicht wochenlangen Versorgungsengpässen gerechnet werden. Dabei sind die nicht abschätzbaren Schäden in der IT und die weitere Zunahme der IT-Vernetzung in den Infrastrukturen noch gar nicht berücksichtigt.

Wir müssen uns endlich eingestehen, dass es keine 100%-ige Sicherheit gibt, auch nie geben wird. Die Möglichkeit eines Blackouts muss eingeplant, eine Vorbereitung darauf muss vorgenommen werden. Leider triftet die Diskussion dazu immer sofort in eine Polarisierung ab und die sachliche Auseinandersetzung kommt unter die Räder. Dabei wagen wir zu behaupten, dass ein solches Ereignis das Potential hat, zur größten Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa zu werden. Die größte Gefahr geht dabei nicht von der Möglichkeit eines solchen Ereignisses aus, sondern von unserer Ignoranz gegenüber der Wirklichkeit auf allen Ebenen.

Mythos Panik

Ein weiterer Beitrag in der Publikation Ergebnisse interdisziplinäre Risiko- und Sicherheitsforschung des deutschen
Forschungsforum Öffentliche Sicherheit beschäftigte sich mit dem Mythos Panik. Dabei wurde untersucht, ob die Warnungen vor dem Orkan Xaver im Dezember 2013 der Panikmache der Medien zuzuordnen war oder ob die Vorabaufklärung in den Medien die Folgen des Orkans mindern konnte. Die Frage nach der Panikmache ist insofern interessant, als dass Falschalarme die Bevölkerung desensibilisieren könnten.

Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass sowohl für die Feuerwehr als auch für Teile der Berliner Bevölkerung festgestellt werden kann, dass die Warnung zu einer erhöhten Wachsamkeit und schließlich zur Durchführung von Vorbereitungs- und Sicherungsmaßnahmen geführt hat. Dazu hatten sie u. a. Feuerwehreinsatz- und Leitstellendaten analysiert und die Berliner Bevölkerung befragen lassen. Rund ein Viertel der Befragten gab an, auf Grund der Warnung besondere Sicherungsmaßnahmen getroffen zu haben. Darüber hinaus hatten die Warnungen dazu geführt, dass Nachrichten und Wetterberichte aufmerksam verfolgt worden seien. (Quelle: http://direkt.sicherheits-berater.de)

Diese Erkenntnisse haben auch eine wesentliche Relevanz für das Thema ‚Blackout‘. Auf der einen Seite wird einmal mehr der
Mythos Panik bestätigt – man kann der Bevölkerung die Wahrheit zutrauen, nein, man muss es sogar, um sie vor unnötigen Schaden zu bewahren. Die Medien spielen dabei eine wesentliche Rolle, ob etwa Warnungen ernst genommen werden, oder Sachverhalte als Panikmache abklassifiziert werden. Hier wäre ein aktiver Austausch und die Sensibilisierung der Medienvertreter schon vor möglichen strategischen Schockereignissen notwendig.

Appell an Sie, an uns alle – ohne Ausnahme!

Eine sinnvolle Bewältigung eines europäischen Blackouts kann nur durch eine aktive Einbindung der Bevölkerung (‚auf Augenhöhe‘) möglich sein! Es reicht bei weitem nicht, wenn einzelne Organisationen oder Führungskräfte ‚Bescheid wissen‘. Wenn die Mannschaften und ihre Familien nicht vorbereitet sind, werden sie auch nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Das gilt genauso in Unternehmen! Nutzen Sie bitte Ihre Netzwerke, um hier mehr an Bewusstsein zu schaffen und öffentlichen Handlungsdruck zu erzeugen! Auch viele Alltagsprobleme können leichter bzw. besser gelöst werden, da dann viel breiter und vernetzter gedacht wird. Nutzen Sie diesen positiven Effekt – denn es geht nicht nur um das Thema ‚Blackout‘!

Verschiedene Meldungen und Berichte

Situation im europäischen Stromversorgungssystem

Die angeführten Beispiele stammen rein aus öffentlich verfügbaren Quellen. Sie zeigen die aktuellen Herausforderungen auf und sollten uns an die Truthahn-Illusion erinnern.