Letzte Aktualisierung am 15. Oktober 2022.
Der Strompreis geht seit über einem Jahr durch die Decke. In diesem Beitrag wird versucht, einige wichtige Aspekte zu beleuchten. Dabei besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Das Grundproblem: Eine sehr hohe Intransparenz und die nicht verstandenen systemischen Risiken, die damit einhergehen!
Bisher konnte noch niemand erklären, wie konkret der Preis zum Zeitpunkt X wirklich zustande gekommen ist und welches Kraftwerk etc. dafür ausschlaggebend war. Wir befinden uns in einer ähnlichen Situation wie vor dem großen Finanzcrash 2007 folgend. Nur diesmal geht es nicht nur um virtuelle Werte, sondern um unsere fundamentale Lebensgrundlage: Ohne oder mit einer unzureichenden Energieversorgung kollabiert jede Gesellschaft! (siehe etwa Der Seneca-Effekt).
Dazu passend ein Zitat aus „Shorting the Grid: The Hidden Fragility of Our Electric Grid“ aus 2020:
Oder mit anderen Worten ausgedrückt:
Meredith Angwin
„In today’s grid governance, I see more parallels with the 2007 financial system than I would like to see.“
George Santayana
„Wer die Vergangenheit vergisst, ist verdammt, sie zu wiederholen“
Unterschätzte systemische Risiken
Hierzu ein Zitat aus Das Risikoparadox – Warum wir uns vor dem Falschen fürchten von Ortwin Renn, 2014:
Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich im Juni 2008 zum »Chief Risk Officer Summit« in das Nobelhotel Heiligendamm an der Ostseeküste eingeladen war, um eine Sitzung zum Thema »Systemische Risiken« zu moderieren. Der Hauptsprecher war der oberste Risiko-Manager eines der größten Bankhäuser in Deutschland. Angesprochen auf die globale Bedrohung durch die sich schon abzeichnende Finanzkrise winkte er lächelnd ab. Natürlich seien die auf Immobilien beruhenden Wertpapiere in den USA völlig überbewertet. Aber der Anteil aller Vermögenswerte, die auf Immobilien beruhten, würden an den zurzeit gehandelten strukturierten Produkten weniger als 3% der Gesamtsumme ausmachen. Selbst wenn alle Häuser in den USA nichts mehr wert seien, würde das Finanzsystem, damit problemlos umgehen können. Natürlich würde das eine Delle in den Finanzgeschäften bedeuten, aber mehr auch nicht. Die »Weisheit« der strukturierten Produkte bestünde ja gerade darin, dass man riskantere und weniger riskante Werte zusammen gebündelt habe. Durch diesen Portfolioeffekt, der darin bestehe, dass ein Verlust bei einem Teil der strukturierten Produkte durch einen Gewinn bei den anderen ausgeglichen werden könne, wäre eine globale Finanzkrise ausgeschlossen. Wohlgemerkt: Der Bankmanager war noch drei Monate vor dem Platzen der Finanzblase fest davon überzeugt, dass es bis auf die von ihm prognostizierte temporäre Delle keine weiteren Auswirkungen auf den Finanzmarkt geben würde. Was er in seinen Überlegungen völlig übersehen hatte, war der Dominoeffekt von den »faulen« auf die guten Kredite und die psychologische Wirkung von einzelnen Zusammenbrüchen auf die hochvernetzten Wirkungszusammenhänge in allen anderen Finanzbereichen und darüber hinaus. Übrigens ist dieser Finanzmanager heute nicht mehr bei der Bank beschäftigt. Zum Dritten eignen sich viele der systemischen Risiken nicht für eine aufrüttelnde und emotional ansprechende Berichterstattung in den Medien. Globale Vernetzung, Unübersichtlichkeit der kausalen Zusammenhänge, Pluralisierung von Meinungen und Bewertungen sowie ein Vertrauensverlust in Experten und Entscheidungsträger waren dort die entscheidenden Stichworte. S. 337.
Warum ist es so schwer, gegen die systemischen Risiken anzugehen?
Neben den uns oft in die Irre führenden individuellen Wahrnehmungsmustern sind vier kollektive Verhaltensmuster zu nennen, mit denen wir systemische Risiken wahrnehmen, bewerten und steuern:
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Allmendefalle: Öffentliche Güter, die von uns allen genutzt werden können, ohne dass wir selbst dazu einen Beitrag leisten müssen, werden entweder übernutzt oder erst gar nicht erstellt, weil jeder darauf hofft, dass der jeweils andere dafür zahlen wird. Im Endeffekt tut es dann keiner. Viele systemische Risiken betreffen solche öffentliche Güter, wie etwa Umweltschutz oder soziale Gerechtigkeit.
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Effizienzfalle: Mit zunehmender Effizienzausrichtung steigt die Verwundbarkeit unserer Institutionen und Infrastrukturen, weil große zentrale Einrichtungen mit entsprechend hoher Vernetzungsdichte in der Regel kostengünstigere Leistungen anbieten können als viele dezentrale, autonome Einheiten. Diese Entwicklung erhöht unsere Verwundbarkeit, sodass im Krisenfall eine Kette von nicht vorhersehbaren Schäden zu erwarten ist. Die Finanzkrise ist dafür ein passendes Beispiel.
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Hybrisfalle: Unsere modernen Gesellschaften neigen dazu, mehr Zuversicht in die Leistungsfähigkeit unseres Wissens, unserer Technik und unserer Organisationsformen zu besitzen, als wir dies realistisch erwarten dürfen. Dadurch werden wir blind gegenüber den Schattenseiten der Modernisierung und blenden die latenten systemischen Risiken aus.
- Autonomiefalle: In jedem Funktionsbereich in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gilt das Gebot der bereichsspezifischen Optimierung. Ob Industrie, Finanzen, Umweltschutz oder soziale Absicherung, das Ziel ist jeweils, für den eigenen Bereich und die eigene Klientel das meiste herauszuholen. Dabei verlieren die Beteiligten leicht aus den Augen, dass mit jeder einseitigen Optimierung Folgekosten in anderen Funktionsbereichen anfallen, die in der Regel nicht bedacht oder auch unterschätzt werden. So kann es, wie der Soziologe Ulrich Beck an vielen Beispielen nachgewiesen hat, dazu kommen, dass im Rahmen eines Funktionsbereiches sinnvolle und wirksame Maßnahmen zu vielen und schwerwiegenden negativen Nebenfolgen in anderen Bereichen führen, die den erwünschten Haupteffekt bei Weitem überdecken. Zum Beispiel hat die verstärkte Nutzung von Biomasse zu Energiezwecken die Preise für Lebensmittel wie Reis und Getreide in die Höhe schießen lassen und damit zu einer verstärkten Hungerkrise in den schwach entwickelten Ländern beigetragen. S. 592f.
Strompreisbildung – Merit-Order-Effekt
In den Medien und auch von vielen Experten wird die Merit-Order als Grund für den explodierenden Strompreis genannt. Das Problem ist aber deutlich vielschichtiger. Daher hier einige systemische Betrachtungen.
Als Merit-Order bezeichnet die Energiewirtschaftdie Einsatzreihenfolge der stromproduzierenden Kraftwerke auf einem Stromhandelsplatz, um die wirtschaftlich optimale Stromversorgung zu gewährleisten. Die Merit-Order orientiert sich an den niedrigstenGrenzkosten, also der Kosten, die bei einem Kraftwerk für die letzte produzierte Megawattstunde anfallen. Die Merit-Order ist darum unabhängig von den Fixkosten einer Stromerzeugungstechnologie. Die Kraftwerke, die fortlaufend sehr preisgünstig Strom produzieren, werden gemäß der Merit-Order als Erstes zur Einspeisung zugeschaltet. Danach werden so lange Kraftwerke mit höheren Grenzkosten hinzugenommen, bis die Nachfrage gedeckt ist.
Bei der Merit-Order handelt es sich umein mögliches Beschreibungsmodelleines funktionierenden Strommarkts. Die Annahme hinter diesem Modell ist, dass Kraftwerksbetreiber immer ihre Kosten für die nächste produzierte Megawattstunde decken wollen, sonst würden sie nicht produzieren. Kraftwerke mit niedrigen Grenzkosten können also einen niedrigeren Preis für ihren Strom bieten und werden damit öfter bezuschlagt als Kraftwerke mit höheren Grenzkosten. Die Merit-Order versucht also zu erklären, wie die Preisbildung auf dem Strommarkt funktioniert; sie ist kein „Gesetz“, das den Kraftwerkseinsatz koordiniert. Quelle/Siehe weitere Details: https://www.next-kraftwerke.de/wissen/merit-order
Das zentrale Problem
Grundsätzlich hat sich das Merit-Order-Modell bewährt und in den letzten Jahren für günstige Strompreise gesorgt. Es gibt jedoch offensichtlich mehrere schwere Designfehler:
- Es wurden offensichtlich keine Mechanismen für Krisenzeiten oder explodierende Rohstoff-/Primärenergiekosten implementiert. Das Marktmodell funktioniert zwar richtig, jedoch werden die mit den extrem steigenden Preisen ausgelösten wirtschaftlichen und sozialen Nebenwirkungen (👉 Komplexität) ausgeblendet. Und das kann rasch zum Einstürzen des Kartenhauses führen.
- Das Modell wurde vor rund 20 Jahren entwickelt, wo es im ENTSO-E Gebiet noch massive Kraftwerks- und Produktionsüberkapazitäten gab. Daher konnten auch die Preise gesenkt und die Effizienz deutlich erhöht werden. Diese Überkapazitäten gibt es mittlerweile nicht mehr, womit das Modell wieder massive negative Nebenwirkungen zeigt. Erneuerbare Energien können zwar die konventionelle Erzeugung „rechts hinausschieben“, aber wenn keine oder kaum EE-Produktion – wie fast jeden Tag in der Nacht – vorhanden ist, wird es extrem teuer. Auch, weil die billigeren Kohlekraftwerke stillgelegt werden (sollen). Nun soll auch noch Gas herausgenommen werden. Damit droht das völlige Chaos.
- Die tatsächliche Preisbildung ist massiv intransparent („Black Box“) und fördert daher einen Missbrauch in Engpasssituationen. Grundsätzlich ist es richtig, dass der Markt das schon selbst regeln würde. Nur hängt die gesamte Gesellschaft von diesem Markt und insbesondere von der technischen/physikalischen Umsetzbarkeit ab, da hier permanent die Balance gehalten werden muss, da ansonsten das System kollabiert.
Der extrem gestiegene Gaspreis hat einen wesentlichen Einfluss auf den Strompreis. Das ist jedoch kein Naturgesetz, das man nicht ändern könnte.
Die einfachste und volkswirtschaftlich wohl billigste Möglichkeit, sowie sofort umsetzbar wäre: Der Staat kauft das benötigte Gas und stellt es (subventioniert) den Kraftwerksbetreibern zur Verfügung. Der Verbrauch ist in der Regel gering und daher auch die tatsächlichen Kosten für die Steuerzahler. Die sonstigen nicht sehr treffsicheren Quersubventionierungen (Energiekostenausgleich, Klimabonus, Arbeitslosengeld usw.) kosten ein Vielfaches und werden mit jedem Tag zuwarten teurer (wenn die Wirtschaft zusammenbricht etc.).
Offensichtlich ist der Ernst der Lage bei vielen Akteuren noch nicht angekommen, was häufig auf ein unterkomplexes und lineares Denken zurückzuführen ist. Natürlich gibt es auch im Strommarkt starke internationale Verflechtungen und Interessen, die dem zuwiderlaufen:
Doch diese kurzfristigen „Gewinne“ für einzelne Akteure zerstören unsere Zukunft. Es fehlt an der Governance und am Krisenmanagement der Staaten/der EU 😒.
Wir befinden uns daher am besten Weg in einen Katastrophenwinter 2023 😒.
Denn ist geht nicht nur um enorme Preise, die uns als Kunden erst deutlich zeitverzögert erreichen und daher bei vielen noch nicht angekommen sind. Diese Preise treten gerade eine Insolvenzwelle los, die sich wohl noch kaum jemand vorstellen kann. Waren viele Unternehmen bereits durch die Corona-Pandemie angeschlagen, wird dieser Preisschock und die erwartbaren Energielenkungsmaßnahmen im kommenden Winter, bis hin zu einem möglichen Blackout, kaum mehr – und auch nicht mit noch viel mehr Geld – zu beherrschen sein.
Damit drohen in vielen Bereichen Kettenreaktionen, welche vor allem die Lieferketten massiv strapazieren und wohl teilweise zum Ausfall bringen werden. Siehe etwa Wie robust sind die österreichischen Lieferketten?
Ein Ausweg? 🤷♂️
Probleme durch die reine Berücksichtigung der Gestehungskosten
Der Strommarkt honoriert jene Erzeugungsanlagen, welche die geringsten Gestehungskosten haben. Das ist grundsätzlich gut, missachtet aber wesentliche Nebenwirkungen, da hier ein Denken in Einzelteilen gefördert wird, was langfristig für die Systemsicherheit sehr schädlich ist.
- Österreich hat traditionell durch die vielen Wasserkraftwerke einen sehr hohen EE Anteil. Dennoch spiegelt sich das in den Marktpreisen kaum wider, da hier vor allem die volatilen EE (Wind und PV) die Merit-Order bestimmen.
- Von unterschiedlichen Akteuren wird der rasche Ausbau von weiteren Wind- und PV-Anlagen gefordert, weil sie überzeugt sind, dass damit die Preise weiter gesenkt werden könnten. Das ist ein Irrtum, denn damit sinken zwar die Marktpreise zu gewissen Zeiten, die dafür erforderlichen Redispatsch– und Engpassmanagementkosten werden jedoch in den Netzentgelten versteckt und sozialisiert.
- Zum anderen wird damit immer weniger in verlässlich verfügbare Erzeugungsanlagen investiert, weil sich diese immer weniger rechnen und vor allem hohe Investitionskosten haben.
- Eine Investition in Speicher – langfristige und teure Infrastrukturprojekte – wird damit offensichtlich auch nicht ausgelöst.
- Damit optimiert sich das „System“ so lange, bis es kollabiert, weil nur in Einzelteilen gedacht und gehandelt wird, die aber der Systemstabilität entgegenwirken.
Beispiele für die „Duck Curve“ in Deutschland
Details siehe Beitrag „Duck Curve“.
Albert Einstein
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
Weiterführende Meldungen
15.09.22:
Die Sicherheitsgarantien, die beim Einkauf von Strom und Gas von den Anbietern verlangt werden, brachten den Energieversorger an den Rand der Liquidität. Die Stadt Leipzig musste ihre Stadtwerke mit einem 150 Millionen Euro-Darlehen unterstützen. „Wer an den Europäischen Strombörsen handelt, muss daher bereits zur Sicherung der künftigen Energieversorgung getätigte Geschäfte mit Ausfallsicherheiten in Millionenhöhe unterlegen. Dies betrifft derzeit viele Stromerzeuger.“
Mittelstand ohne Strom: Allein in Osnabrück sind über 1.000 Geschäftskunden betroffen, deren Verträge zum Jahresende auslaufen und die aktuell keine neuen Angebote vom Grundversorger bekommen. Nicht nur Stadtwerke oder kleinere Versorger beenden die Verträge, selbst E.On kündigt Stromkunden.
Energiekosten: Kommunaler Energiemarkt & Stadtwerke in der Krise: Wir sehen schon jetzt die ersten Einschläge. Es gibt bereits einige Stadtwerke, die in die Insolvenz gegangen sind oder nur gerade noch die Kurve kriegen. Experten warnen vor einer gefährlichen Kettenreaktion.
03.08.22: Weitere Strompreis-Verrücktheit: Großteil des Handels wird NICHT über Börse abgewickelt. Und: Börsenpreise schwanken viel stärker als die effektiven. Und: Die Kundenpreise werden mit den BÖRSENpreisen indexiert > Börseninstabilität wird auf die tats. Preise übertragen!!!
03.08.22: Auf der Strombörse EPEX SPOT wird der Preis als Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage (stündlich) ermittelt. Die Angebote geben lt. Lehrbuch die Grenzkosten der versch. Produzenten wider. Es könnten aber ganz andere Faktoren wirken: Ein Billigproduzent (z. B. Wasserkraft) reduziert sein Angebot so, dass auch die Angebote von Teuerproduzenten (Gas) zum Zug kommen. Dann kassiert der Billigproduzent einen Preis, der zehnmal so hoch ist wie seine Kosten (und bald noch mehr). Das wäre fraglos rational (> Ökonomen) – aus Sicht von Verbund und Co.
Warum viel Gas für Strom verbraucht wird
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/erdgas-stromversorgung-101.html
Obwohl Russland aktuell kaum noch Gas nach Deutschland liefert, wird es hierzulande weiter viel für die Stromerzeugung verwendet. Das ist ein Problem für das Füllen der Gasspeicher – und für die Strompreise.
Seit Jahren sammeln Wissenschaftler des Fraunhofer ISE in Freiburg alle von der Strombörse gelieferten Daten und bereiten sie tagesaktuell auf. In diesem Frühjahr erlebten sie dabei eine Überraschung: Während Russland die Gaslieferungen drastisch reduzierte und die Politik forderte, Gas einzusparen, und während die Gaspreise parallel dazu auf ungeahnte Höhen stiegen, erreichte die Stromproduktion aus Erdgas im Monat Mai einen historischen Höchststand. Entsprechend langsam füllten sich die Gasspreicher, und folgerichtig sind die für den nächsten Winter gesetzlich geforderten Reserven schwieriger zu erreichen. Bis heute, Mitte Juli, hat sich daran nichts geändert. Wind und Sonne liefern ähnlich viel Strom wie in früheren Jahren auch. Warum also wird für die Stromproduktion so viel Gas verwendet?
Die Ursachen dafür finden sich in Frankreich. Dort stehen 56 Atomkraftwerksblöcke, und 16 davon sind für eine übliche jährliche Wartung einige Wochen lang abgeschaltet. Zusätzlich sind aktuell aber zwölf weitere wegen Korrosion an Kühlrohren oder Verdacht auf solche Schäden längerfristig außer Betrieb. Wo Risse gefunden wurden, hofft der Betreiber EDF, das bis zum Herbst reparieren zu können. Der Konzern warnt aber schon vor möglichen längeren Stillständen. Und selbst wenn einzelne Blöcke wieder anlaufen, müssen weitere, ähnlich gebaute AKW auch auf Risse geprüft werden – und auch deutsche Kraftwerke noch lange die Lücke füllen.
Deutschland exportiert schon seit Jahren mehr Strom als es importiert. Auch dieses Jahr – wie üblich – einige Terawattstunden in die Benelux-Staaten und nach Tschechien. Ungewöhnlich allerdings: Mehr als acht Terawattstunden flossen nach Frankreich, zusätzlich gute zehn Terrawattstunden nach Österreich, mehr als drei in die Schweiz. Wobei davon ein großer Teil weiter nach Italien floss, das normalerweise auch französischen Atomstrom kauft. So liefen deutsche Gaskraftwerke eben auch, um den Ausfall maroder französischer Reaktoren auszugleichen. Auch dieser Umstand ließ Strompreise in Deutschland steigen.
Der Preise für Strom an den Börsen stieg von früher rund vier Cent auf mittlerweile mehr als 20 Cent. Allerdings: Erdgas trägt trotz allem nur rund 15 Prozent zur deutschen Stromerzeugung bei. Selbst wenn sich der Gaspreis massiv erhöht, ist eine Vervielfachung der Börsenpreise für Strom überraschend. Braunkohle wird von den Kraftwerksbetreibern selbst zu praktisch unveränderten Kosten aus dem Boden geholt; Wind, Sonne und Wasserkraft wurden eher billiger als teurer. Doch spezielle Regeln der Strombörse bescheren den Betreibern solcher Anlagen massive Gewinne.
Im kurzfristigen Handel wird zunächst geschätzt, wie viel Strom in den kommenden Stunden oder auch am Folgetag benötigt wird und wie viel davon aus Wind und Sonne gedeckt werden kann. Dann beginnt eine Auktion, bei der zunächst die billigsten Kraftwerke, meist Braunkohle, zum Zug kommen. Je mehr Strom benötigt wird, desto teurere Kraftwerke – oft Steinkohle – kommen zum Zug. Zuletzt bieten die teuersten – eben Gaskraftwerke -ihren Strom an. So weit, so logisch. Am Ende bekommen dann aber alle Erzeuger – auch die billigsten – den Preis, den das teuerste Kraftwerk erzielt hat. Und weil auch die Preise für den langfristigen Stromhandel sich an den kurzfristigen Börsenpreisen orientieren, stiegen auch dort die Preise massiv.
Weil Stromversorgungsunternehmen ihre Ware meist zum größten Teil ein bis drei Jahre im Voraus von den Erzeugern kaufen, wird sich dieser Anstieg für Endkunden erst in den kommenden Jahren zeigen. Doch Experten erwarten einen Anstieg der Endkundenpreise von heute rund 35 Cent pro Kilowattstunde auf bis zu 55 Cent im Lauf des nächsten Jahres. Für einen durchschnittlichen Vierpersonenhaushalt wäre das eine Mehrbelastung von 760 Euro pro Jahr.
Gleichzeitig steigen dann die Gewinne der Kraftwerksbetreiber um rund 60 Milliarden Euro jährlich. Auf Vorschlag von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat der Bundestag nun ein Gesetz beschlossen, mit dem Steinkohle- und Ölbefeuerte Kraftwerke, die bislang als Reserve nur in Bereitschaft standen, in den regulären Börsenmarkt zurückkehren und Erdgaskraftwerke verdrängen sollen. Der Erdgasverbrauch könnte dadurch sinken – die Preise allerdings kaum. Denn auch Steinkohle und Öl wurden bislang zu großen Teilen aus Russland geliefert und sind im Preis deutlich gestiegen.