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Mag. John Haas, Diplompsychologe
Herbert Saurugg, MSc, Internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte

Ein Blackout

Ein plötzlicher überregionaler, weite Teile Europas umfassender und länger andauernder Strom- sowie Infrastruktur- und Versorgungsausfall. Eine Hilfe von außen ist nicht möglich.

Weitere Details siehe unter www.saurugg.net/blackout.

Wie die Gesellschaft „Blackout“ wahrnimmt

Der Begriff „Blackout“ ist nicht generell bekannt, auch, weil es ein solches Ereignis in Europa noch nicht gab. Soweit er bekannt ist, wird die Wahrnehmung meist auf einen Stromausfall reduziert, was aber deutlich zu kurz greift. Daher wird das Szenario häufig unterschätzt, da die wirkliche Gefahr von den länger andauernden Versorgungsunterbrechungen ausgeht.

Daher ist zu beobachten, dass es beim Begriff „Blackout“ oft sehr unterschiedliche Wahrnehmungen gibt, die noch dazu deutlich auseinandergehen. Im Generellen wird damit etwas Unvorhersehbares, in seinen Ursachen und Auswirkungen unklares und schicksalhaftes Geschehen assoziiert. Die Verantwortung wird häufig bei anderen gesehen und völlig unrealistische Erwartungen werden zum Eigenschutz vorgeschoben.

Aufgrund einer falschen Risikokommunikation („unwahrscheinlich“, „geringe Wahrscheinlichkeit“ etc.) wird auch kaum ein Grund für tiefergehende Analysen gesehen. Gleichzeitig handelt es sich um ein extrem seltenes Ereignis, mit extremen Auswirkungen, welches anders als sonstige bekannte Risiken behandelt werden müsste.

Aufgrund der jahrzehntelangen stabilen Zeit mit kaum schwerwiegenden Krisen ist die Gesellschaft nur mehr bedingt auf schwerwiegende Störungen vorbereitet. Das wirkt sich auch auf die psychische und strukturelle Resilienz der Gesellschaft aus, was auch zu einer sogenannten „erlernten Hilflosigkeit“ führt. Wir verlassen uns darauf, dass schon irgendjemand die Verantwortung übernehmen und uns helfen wird. Eigenverantwortung wird verdrängt. Diesem Effekt ist entgegenzutreten, weil damit eine erfolgreiche Krisenbewältigung – etwa nach einem Blackout – kaum noch möglich ist.

Was ist ein Blackout aus psychologischer Sicht?

Ein Blackout ist ein individuelles und kollektives disruptives gesamtgesellschaftliches Ereignis, das durch den Zusammenbruch der Stromversorgung zwar ausgelöst, sich aber erst durch die weitreichenden und länger anhaltenden Versorgungsunterbrechungen und -engpässe zur überregionalen Katastrophe entwickelt. Dies insbesondere, da erwartet werden muss, dass sich spätestens am Ende der ersten Woche Zweidrittel der österreichischen Bevölkerung oder rund 6 Millionen Menschen in einem subjektiven Überlebenskampf befinden werden, weil sie nichts mehr zum Essen haben. Gepaart mit einer sehr schlechten mentalen Vorbereitung auf Krisen ist das eine sehr explosive Mischung, welche die Gesellschaft rasch an einen gefährlichen Kipppunkt bringen kann. Man muss daher von einer sehr geringen individuellen und gesellschaftlichen Resilienz sprechen.

Auch wenn die Ausmaße eines möglichen Blackouts die individuelle und gesellschaftliche Vorstellungskraft deutlich übersteigen, ist ein Blackout kein Schicksalsereignis, dem man hilflos gegenübersteht. Ganz im Gegenteil: Vor allem die individuelle Bewältigungsfähigkeit lässt sich rasch und durch einfache Eigenvorsorgemaßnahmen für 14 Tage deutlich erhöhen. Hier fehlt es primär an der notwendigen Aufklärung (Sicherheits- und Risikokommunikation).

Phasen eines Blackouts aus psychologischer Sicht

  • Akutphase (die ersten Stunden): Schock und desorganisiertes Verhalten.
  • Etablierung eines kollektiven Notfallverhaltens (der erste Tag): Sammeln, Sichern, Verbinden und Verbünden, Tauschen.
  • Ausprägung individueller Verhaltensweisen (ab 2-3 Tagen): Rückzug oder Vorstoß, Organisation von Ressourcen, Rivalitäten, Entwicklung einer Eigengesetzlichkeit.
  • Etablierung eines Steady-States (ab erster Woche): Festigung der entwickelten Verhaltensweisen mit all seinen Konsequenzen.
  • Re-Etablierung des Vorkrisenzustandes: schrittweise, teilweise unvollständig, Anfälligkeit für soziale Krisen.

Warum werden kaum Blackout-Vorsorge-Maßnahmen getroffen?

Von Seiten der Entscheidungsträger und der Politik sind dies vor allem

  1. Die Aufrechterhaltung einer subjektiven Scheinsicherheit aufgrund des bisherigen Nichteintretens eines Blackouts.
  2. Die Schutzbehauptung, dass man damit die Bevölkerung verunsichern oder gar „Panik“ auslösen könnte.
  3. Mit dem Eingeständnis, dass es ein Problem geben könnte, müssten auch konkrete Handlungen gesetzt werden (“There is no glory in prevention.” – „Es gibt keinen Dank für Präventionsarbeit.“).
  4. Die Beschäftigung mit einem negativ behafteten Thema, das im Diskurs auch noch bisherige Schwächen und Mängel sichtbar machen würde.
  5. Der Eindruck, dass andere Maßnahmen vordringlicher seien, zumal diese raschere und eindrucksvollere sowie positive Resultate für die Entscheidungsträger liefern.
  6. Zu geringes Bewusstsein und Fachwissen für die Komplexität des Themas und die damit verbundenen Mühen, eine gesamtgesellschaftliche Resilienz aufzubauen.
  7. Fehlendes systemisches Verständnis für die steigende Komplexität und Fragilität unserer lebenswichtigen Infrastrukturen und Versorgungsleistungen.

Von Seiten der Bürger:innen sind dies vor allem

  1. Fehlendes Erfahrungswissen und mangelnde Vorstellungskraft.
  2. Schutzbehauptungen („zu wenig Platz“, „nicht vorstellbar“, „irgendjemand ist sicher zuständig“ etc.).
  3. Eine kulturgeschichtlich geprägte Grundabneigung gegenüber der Beschäftigung mit möglichen katastrophalen Ereignissen.
  4. Geringes Wissen über die systemischen Zusammenhänge in der Gesellschaft oder bei den lebenswichtigen Infrastrukturen und Versorgungsketten („Der Strom kommt aus der Steckdose, die Milch aus der Tetra Pak“).
  5. Eine Fortschreibung der bisher in Europa seit 1945 erlebten Kontinuität und subjektiven Sicherheit („gefühlte Sicherheit“).
  6. Fehlende Risikokompetenz, um Risiken richtig einordnen zu können, was auch durch die mediale Berichterstattung verstärkt wird (Ereignisse aus fernen Ländern, Informationsüberflutung mit Einzelereignissen, fehlende statistische Grundausbildung etc.)

Vordringliche Maßnahmen aus psychologischer Sicht

  • Sachliche und unaufgeregte Aufklärungsarbeit zur Steigerung der Eigenversorgungsfähigkeit (Selbstwirksamkeit) sowie die Stärkung der mentalen Handlungsfähigkeit (das Überraschungsmoment reduzieren; darauf einstellen können).
  • Bereitstellung von einfachen Vorsorge- und Verhaltensempfehlungen für die Krisenvorsorge und -bewältigung.
  • Vorbereitung einer professionellen Krisenkommunikation, um frühzeitig deeskalierend zu wirken und den Zusammenhalt zu stärken (überparteilich, Vertrauensperson etc.).

Empfehlungen aus Sicht der Psychologie

  1. Bewusstseinsschaffung für das Problem (Sicherheits- und Risikokommunikation), bei der Bevölkerung aber auch bei den Entscheidungsträgern mit den Botschaften:
    1. Ein Blackout ist mittlerweile hoch wahrscheinlich, obwohl große Anstrengungen unternommen werden, um ein solches zu verhindern. Die Ursachen hierfür können sehr unterschiedlich sein.
    2. Die Auswirkungen auf unsere moderne und stromabhängige Gesellschaft wären katastrophal. Dennoch können wir uns darauf vorbereiten und die Schäden eines überregionalen und länger andauernden Strom- sowie Infrastruktur- und Versorgungsausfalls
    3. Die Ressourcen der organisierten Hilfe sind in einem solchen Fall sehr rasch ausgereizt. Zudem sind die Helfer:innen und deren Familien selbst betroffen.
    4. Effektive Krisenvorsorge trägt entscheidend zur Krisenbewältigung bei. Das betrifft sowohl die Bürger:innen als auch die Organisationen und Unternehmen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Selbst- und Nachbarschaftshilfe sowie die kommunale Krisenbewältigungsfähigkeit.
    5. Organisatorische und psychische Resilienz sind wesentliche Voraussetzungen, um die wirtschaftlichen, sozialen sowie psychischen Folgen eines Blackouts abzumildern und eine wirksame Krisenbewältigung zu gewährleisten.
    6. Vorbereitet („krisenfit“) zu sein erfordert sowohl eine mentale Auseinandersetzung mit Krisenszenarien als auch rechtzeitige Vorsorgemaßnahmen, die als unverzichtbare „Versicherungsprämie“ für eine moderne Gesellschaft gesehen werden müssen.
    7. Die Sichtweise „Lernen aus der Krise“ (also erst aus Schaden klug zu werden) wäre aufgrund der katastrophalen Folgen eines Blackouts fahrlässig.
  2. Entwicklung von strukturierten Informations- und Ausbildungsangeboten zur Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Resilienz.
  3. Koordination und Vernetzung staatlicher und zivilgesellschaftlicher Bemühungen zur Krisenvorsorge und Krisenbewältigung.
  4. Etablierung von Programmen zur Stärkung der Verhaltenssicherheit im Fall des Eintritts von unerwarteten und schwerwiegenden Ereignissen.
  5. Schaffung von robusten Kommunikations- und Management-Infrastrukturen zur Unterstützung der raschen Bewältigung im Fall des Eintritts von weitreichenden Infrastrukturausfällen.
  6. Förderung von systemischem und vernetztem (Sicherheits- und Risiko-)Denken bereits in den Kindergärten und Schulen, um frühzeitig den Umgang mit Risiken und unerwarteten Ereignissen zu trainieren und zur Selbstverständlichkeit zu machen. Rationales, balanciertes Denken und Urteilen sowie Vermeidung einer Katastrophisierung.
  7. Schaffung eines nationalen und über alle Ministerien vernetzten und institutionalisierten Lagebildes.
  8. Bildung eines nationalen Konsortiums aus Expert:innen verschiedener Disziplinen und eines repräsentativen Bürger:innenpanels. Ideologie- und parteipolitikfreie Behandlung des Themas „gesamtgesellschaftliche Resilienz“.

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Mag. John G. Haas | Dipl. Psychologe und Unternehmer

Er arbeitet seit 2013 als Lektor an zwei österreichischen Fachhochschulen und unterrichtet Psychologie, Data Science und Future Studies. John Haas ist Autor des 2021 im Springer Verlag erschienenen Buches „COVID-19 und Psychologie – Mensch und Gesellschaft in Zeiten der Pandemie“ [Buchvorschau], das mittlerweile 35.000 Leser:innen erreichte. Im Jahr 2014 legte er mit der europaweit ersten Frauenhilfe-App „fem:help“ den Grundstein für einen psychosozialen Online-Service, der von der Republik Österreich eingesetzt wurde. 2004 entwickelte er das European Communication Certificate (Eco-C), ein Qualifikationsprogramm für Arbeitssuchende, das österreichweit auf breiter Basis angewandt wird. Aktuell arbeitet er an Projekten in den Bereichen digital health und Infodemiologie und hält regelmäßig Vorträge und Webinare zu psychologischen Themen.

Kontakt und weitere Informationen unter www.mindster.at.

Herbert Saurugg, MSc

Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge und Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen (Internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte).

Er beschäftigt sich seit 10 Jahren mit der steigenden Komplexität und Fragilität lebenswichtiger Infrastrukturen und den möglichen Ansätzen, wie die Gesellschaft resilient und Infrastrukturen robust gestaltet werden können. Er unterstützt Gemeinden, Unternehmen und Organisationen bei der Blackout-Vorsorge.

Kontakt und weitere Informationen unter www.saurugg.net.