Letzte Aktualisierung am 11. Februar 2019.

Eine Reaktion von Franz Hein auf den Artikel Standardisiertes Steuerungssystem für Smart-Meter-Rollout erfolgreich getestet – siehe auch www.pv-magazine.de

Phasenwechsel hin zu einer neuen Aggregationsstufe im Miteinander

Der inzwischen heftig im Gange befindliche Übergang zu einer extremen Vielzahl untereinander vernetzter Komponenten, auch im Energiesystem und in der Energiewirtschaft, schafft eine Infrastruktur, mit bisher nicht gekannten Eigenschaften. Als Analogie könnte der Übergang von Wasser zu Eis, einer der Aggregationsstufen des Stoffes H2O, dienen. Nur die „Dichte“ der Vernetzung der H2O-Moleküle führt zu einer neuen Eigenschaft: Auf Eis kann der Mensch Laufen, auf Wasser nicht.

Die Vernetzung durch einen Informationsaustausch zwischen den Komponenten im Energienetz quasi in Echtzeit, weltweit, sogar mobil und das mit einer astronomisch hohen Datenrate schafft zusammen mit der „energetischen“ Vernetzung etwas bisher nicht gekanntes: Eine Energielogistik. Die energetische Vernetzung erlaubt Energieflüsse, nicht nur als Strom, auch als Gas, als Wärme oder besonders vielfältig bei der Mobilität im Verkehr. Die „informatorische“ Vernetzung hat durch die technischen Entwicklungen, vor allem durch die Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnik eine Stufe erreicht, welche für sehr viele Menschen nicht nachvollziehbar ist. In meinem ca. 40-jährigen Berufsleben nahm die nutzbare Datenrate um den Faktor 1012 zu. Inzwischen sind mehr Automaten und Maschinen untereinander informatorisch vernetzt, als es Menschen auf der Erde gibt. Auch das ist für viele unvorstellbar. Damit ist eine Energielogistik als neuer „Aggregationszustand“ der Energie-Infrastruktur mit noch nicht erlebten Fähigkeiten eben auch noch immer unvorstellbar.

Umdenken (können) ist die größte Herausforderung 

Energiezellen, also Verantwortungsbereiche für die Energienutzung, gibt es zwar schon (z.B. die Netze der Übertragungsnetzbetreiber, Verteilnetzbetreiber, Stadtwerke, Lieferanten- und Händler“netzwerke“). Aber durch den Übergang auf erneuerbare Energien nimmt die Zahl solcher Energiezellen, die ebenfalls verantwortlich betrieben werden können und künftig auch müssen, extrem zu. Das ist allein schon bei den Photovoltaikanlagen zu erkennen. Künftig muss diese Entwicklung auch bei der Energiebevorratung gleichermaßen zu bisher nicht gekannten Möglichkeiten führen. Das gilt konsequenterweise auch für alle Komponenten, die Energie so umwandeln, dass sie für uns in vielfältiger Form für unser Leben nutzbar ist. Alles das zusammen bildet des Energiesystem als Ganzes.

Der Blick auf das Ganze ist aber nicht mehr „normal“. Wir zertrennen Zusammenhänge, teilen auf und meinen, damit die Herausforderungen, welche der anstehende Phasenwechsel mit sich bringt, beherrschen zu können. Das ist ein totaler Irrtum und inzwischen ein extremer Selbstbetrug. Dazu gehört auch das Unbundling. Notwendig ist hingegen ein kooperierendes Miteinander (auf Augenhöhe!). Das gilt für die weiterhin sinnvollen Hierarchie-Ebenen, für die Zusammenarbeit über Regionen hinweg und für die Wandlungsmöglichkeiten der Energie zwischen den heute immer noch deutlich getrennt gesehenen Energiearten. Energie ist nicht trennbar, sondern nur wandelbar. Der Energieerhaltungssatz gilt – unabhängig von unserem Denken. Die Naturgesetze kümmern sich nicht um unsere Ideologien.

Die informatorische Vernetzung muss das Miteinander auf Augenhöhe allerdings auch erst noch „erfinden“. Das setzt Vertrauensbeziehungen zwischen Sender und Empfänger voraus und hat nichts mehr mit „Befehlen und Gehorchen“ zu tun. Vielmehr muss durch Informationen der Empfänger vom Sender überzeugt werden, was gemeinschaftlich gesehen, von Nutzen ist. Dieses Überzeugen setzt voraus, dass vom Sender ankommende Informationen in nachvollziehbarer Weise „Leitplanken“ für das Tun beim Empfänger übermitteln. Das sind dann Toleranzfelder, innerhalb denen eine Reaktion beim Empfänger für das Gesamtsystem sich gemeinschaftsdienlich auswirken. Das Erzeugen der „Leitplanken“ ist wiederum ein kooperatives Miteinander einer Vielzahl von Einzelsichten, aus denen eine Gesamtsicht gebildet wird. Diese Gesamtsicht ist zusammen mit den „Toleranzfeldern“ ein Strom an zugehenden Informationen, welcher „orchestriert“. Die Toleranzfelder erlauben ein autonomes, stochastisches, aber eben auch ein gemeinschaftsdienliches Agieren bei den Empfängern der Gesamtsicht. Gleichzeitig bietet das die Möglichkeit, die jeweilige Einzelsicht mit der Gesamtsicht so in Zusammenhang zu bringen, dass aufgrund von Plausibilitätsprüfungen ein Höchstmaß an Verlässlichkeit beim Informationsaustausch entsteht. Das ist beim zentralen Befehlen schlicht nicht möglich.

Warum nun der Weckruf: Orchestrieren statt Steuern

Das Wichtigste beim Orchestrieren ist, dass möglichst alle autonom handelnden Mitwirkenden Kenntnis von der Gesamtsicht haben. Beim Orchester ist dies der Klang des gemeinsam gespielten Stückes. Der Dirigent gibt höchstens noch den Takt vor. Das Miteinander der Mitwirkenden ist stochastisch, aber durch Notenblätter (und den vorangegangenen Übungen) so geführt, dass genau das gewünschte Musikstück gespielt wird. Das Orchestrieren ist auf diese Weise sehr robust. Misstöne fallen sofort auf. Gegen ein störendes Einwirken von außen sind in der Regel die Mitwirkenden im Orchester „immun“. Ein „Steuern“ jedes Einzelnen der Mitwirkenden durch ein zentrales Eingreifen und genaue, sehr ins Detail gehende Vorgaben, verbieten sich beim Spielen einer Musikstückes durch die Vielzahl und Verschiedenheit der Mitspieler von selbst. Dagegen wird aber im Energiesystem nun „gesetzlich“ vorgegangen, in dem der Einbau von Steuerboxen vorgeschrieben wird. Das ist völlig konträr zur Notwendigkeit, einen zu hohen Lastsprung mit extrem hoher Verlässlichkeit zu verhindern. Deshalb ist nun zusätzlich zu den bestehenden Schutzeinrichtungen ein „Systemschutz“ erforderlich. Dieser muss einen zu hohen Lastsprung, hervorgerufen durch was auch immer, verhindern. Dabei ist die so extrem sich ausweitende informatorische Vernetzung in den heutigen IT-Systemen infolge des immer noch zentralen Denkens ein Schwachpunkt.

Jede Netzregelung ist immer nur begrenzt leistungsfähig

Mit dem aufgrund einer gesetzlichen Vorgabe beim Smart-Meter-Rollout einzubauenden und fernsteuerbaren Abschalteinrichtung in Kundenanlagen (Steuerbox) ist eigentlich eine Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland für alle Hacker, Terroristen und feindlich gesinnte Staaten verbunden. Damit kann dann über massenweises Einwirken auf Kundenanlagen ein so großer Lastsprung bewirkt werden, dass die Netzregelung im europäischen Verbundnetz überfordert wird. Die Konsequenz wäre dann ein europaweiter Blackout durch einen steuernden Eingriff über das Internet, da – ebenfalls zwangsweise – die Smart-Meter daran anzuschließen sind. Ein Schutz gegen ein solches Einwirken ist unzureichend. Es kann nicht vorausgesetzt werden, dass durch Vorschriften bei der Vielzahl von fernsteuerbaren Eingriffen das Überfordern der Netzregelung wirksam unterbunden werden kann. Die möglichen Folgen sind derartig gravierend, dass dringend umgedacht werden muss.

Ein quasi gleichzeitig und massenhaft auftretender Lastsprung ist „tödlich“

Beim 50,2-Hz-Problem wurde wenigstens mit einer Stufung der autonomen Reaktion der Wechselrichter versucht, einen zu großen Lastsprung zu vermeiden. Aber beim Gesetz für Smart-Meter-Rollout wurde vom Gesetzgeber offensichtlich ignoriert, dass bisher immer wieder ein Loch in den Sicherheitsmaßnahmen gefunden wurde, mit dem nahezu beliebig viele Anlagen quasi gleichzeitig aufgrund eines irgendwo im Internet eingespeisten Befehls (z. B. auch an vorher verbreiteten oder auch bei einer Störungsbehebung bzw. einem Update „eingebauten“ Schadprogramme) abgeschaltet würden. Ein Schutz wäre nur bei strikter Unterbindung jeglichen Eingriffs von außen gegeben. Dieser Schutz müsste konsequent bei jeder Maßnahme in den Kundenanlagen überprüft werden. Es darf keine massenweise, quasi gleichzeitige Laständerung geben. Das gilt generell, auch für autonom vorgenommene.

Die (Netz-)Stabilität erfordert das „Atmen“ des Gesamtsystems

Eigentlich geht es nicht um die Netzstabilität, sondern um die Stabilität des Gesamtsystems. Das Netz kann nur Energie transportieren, welche irgendwo in das Netz eingespeist und gleichzeitig wiederum irgendwo aus dem Netz ausgespeist wird. Das gilt für jeden Zeitpunkt. Also muss das Leistungsgleichgewicht zwischen Einspeisung und Ausspeisung konsequent und permanent eingehalten werden. Es gibt aber ständig Auslenkungen durch die Volatilität beim Energiezufluss wie auch bei der Energienutzung. Diese Auslenkungen führen zu einer Umverlagerung des Energieinhaltes des Gesamtsystems zwischen dem elektrischen Anteil und dem in den rotierenden Massen steckenden mechanischen Anteil. Das letztgenannte ist ein Energie“puffer“, der sich in der Drehmasse der Synchrongeneratoren „versteckt“ und Momentanreserve genannt wird. Diese inhärent, nur aufgrund von physikalischen Gesetzmäßigkeiten im Gesamtsystem vorhandene Pufferwirkung erzeugt über die damit zusammenhängende Drehzahl der Synchrongeneratoren die Information über die Abweichung vom Leistungsgleichgewicht. Die Frequenz des erzeugten Wechselstromes ist somit die Kenngröße für eingetretene Abweichungen. Dieses „Atmen“ des Gesamtsystems beruht demnach auf der Pufferung von Energie und der physikalisch bedingten Umverlagerung zwischen mechanischer und elektrischer Energie. Dieses gedankliche Trennen ist aber nur die menschliche Sichtweise. Der Satz von der Energieerhaltung in einem Gesamtsystem zeigt auf: Energie ist etwas Gesamthaftes und kann nicht getrennt werden. Unsere regelrechte Sucht nach Auftrennung täuscht uns vor, dass sich die Natur nach unserem Denken richtet.

Die Systemstabilität erfordert das ständige Nachregeln

Der Abbau der Momentanreserve in den Synchrongeneratoren schreitet durch fortgesetzte Außerbetriebnahmen von Kraftwerken ständig voran. Damit wird der in der Momentan­reserve steckende und – physikalisch bedingt – inhärent wirkende Energiepuffer (mechanische Energie in der Drehbewegung der Synchrongeneratoren) fortlaufend reduziert. Das Gesamtsystem reagiert damit auf Lastsprünge mit einer Auslenkung vom Leistungsgleichgewicht viel rascher und heftiger als heute. Es wird ständig fragiler, also verletzlicher.

Die Primärregelung muss infolge der geringer werdenden Pufferwirkung immer rascher versuchen, ein Leistungsungleichgewicht auszuregeln. Mit dem Abbau der heute noch regelnden Kraftwerke nimmt aber auch die Möglichkeit der Primärregelung ab, das durch die Frequenzänderung signalisierte Leistungsungleichgewicht wieder zurückzuführen. Das kann nur durch eine massenhaft und gemeinschaftlich wirkende Gegenreaktion ausgeglichen werden.

Um einen Beitrag zur Primärregelung zu liefern,  werden bisher z. B. PV-Anlagen mit ihren Wechselrichtern weder beim Einspeisen netzstabilisierend „moduliert“, noch geschieht dies beim Rückspeisen von Energie aus z. B. batteriegepufferte Anlagen. Das Beeinflussen müsste quasi überall und nicht mehr nur an wenigen Stellen aufgrund der Sollgröße „Netzfrequenz minus Sollfrequenz“ erfolgen. Bei einer Vielzahl solchermaßen befähigten Energiezellen wäre durch die dann automatisch aufgrund der Netzfrequenz wirkende Leistungsänderung ein Beitrag zur Primärregelung nicht nur möglich, sondern sogar dringend erforderlich.
Ein Regelenergie“markt“ oder auch bisherige Überlegungen zur „Flexibilisierung“ des Strombezugs sind aufgrund der für die Primärreglung maßgebenden Zeitbedingungen in keinem Falle in der Lage die Systemstabilität in Zukunft zu gewährleisten. Das können nur und müssen künftig – wie heute auch – automatisch wirkende Einrichtungen sein. Die sind im gesamten Stromnetz an jeder Stelle sinnvoll, wo die Netzfrequenz gemessen, die Sollfrequenz empfangen und ein „Atmen“ beim Bezug vom Netz wie auch bei der Rückspeisung ins Netz möglich ist. Jedwede Nutzung des elektrischen Stromes, auch jedweder Stromaustausch setzt ein stabil betriebenes Gesamtsystem voraus. Die Betonung liegt hier auf Gesamtsystem, da „das Netz“ keineswegs singulär für sich allein die Stabilität bewirken kann. Verantwortlich für einen stabilen und sicheren Betrieb des Gesamtsystems sind Energienutzer und Netzbetreiber gemeinsam. Diese Gesamtverantwortung verlangt nach intensiver Kooperation.

Die Systemstabilität erfordert ein ständiges, dezentrales Mitwirken

Bei jeder Energiewandlung ist prinzipiell ein Mitwirken zur Gewährleistung der Systemstabilität möglich und nötig. Dazu muss der Energiebezug aus dem Netz bzw. die Rückspeisung in das Netz wie auch jeder Energieaustausch zwischen Energiezellen lokal und autonom, aber orchestriert von der jeweiligen Gesamtsicht, regelnd beeinflusst werden.

Wenn z.B. bei einer PV-Anlage der Wechselrichter so „moduliert“ wird, dass bei (f – fsoll) < untere Grenze beim Bezug aus dem Netz der Bezug eingesenkt wird bzw. bei Rückspeisung ins Netz diese Rückspeisung erhöht wird, dann „benimmt“ sich der Wechselrichter (einschließlich des Batteriespeichers) gemeinschaftsdienlich. Ist (f – fsoll) > obere Grenze, dann muss die Reaktion gerade umgekehrt sein. Ist untere Grenze >= (f – fsoll) <= obere Grenze, dann sollte der Wechselrichter weder einsenken noch erhöhen (Unempfindlichkeitsgrenzen).

  • (f – fsoll) < untere Grenze signalisiert einem entsprechenden „Automat“: Das Gesamtsystem „leidet“ an mangelnder Leistung.
  • (f – fsoll) > obere Grenze signalisiert einem entsprechenden „Automat“: Das Gesamtsystem „leidet“ an Leistungsüberfluss.
  • Untere Grenze >= (f – fsoll) <= obere Grenze signalisiert einem entsprechenden „Automat“: Das Gesamtsystem ist (nahezu) im ausgeglichenen Zustand.

Diese Ausführungen gelten für die Primärregelung. Bei der Sekundärregelung kommt noch ein Wiederherstellen der Sollfrequenz durch entsprechende Reaktion, also zusätzliche Einspeisung oder Entnahme von Energie im eigenen Verantwortungsbereich, hinzu. Die „Zeitregelung“ kümmert sich um die Wiederherstellen der Synchronzeit. Alle diese Regelungen überlappen sich. Die Primärreglung ist überall momentan und wirksam. Die Sekundärreglung ist jedoch nur im Verantwortungsbereich und über ein Zeitintervall wirksam (Ausgleich von Energiemangel oder -überschuss im Zeitintervall). Die „Zeit“-Regelung ist wieder überall wirksam, solange die Sollfrequenz von 50 Hz abweicht („Zeit“-Regelung zum Ausgleich einer durch lang andauernde Frequenzabweichung eingetretene Zeitabweichung).

Siehe auch Wie bleibt unser Stromnetz stabil?