Letzte Aktualisierung am 13. Januar 2017.

Quelle: Ö1 Morgenjournal, 16.1.2015

Der deutsche Islamwissenschaftler und Islamismus-Experte Michael Lüders fürchtet, dass in den nächsten Wochen und Monaten weitere Anschläge in Europa folgen werden. Auch, weil nach den Attentaten in Paris die Emotionen in Europa so hoch gegangen sind.

Michael Lüders:

Es hat sicherlich mit einer großen Entfremdung von eingewanderten Muslimen in Frankreich und in Belgien zu tun, die den sozialen Anschluss nicht gefunden haben und es ist klar, dass in dem Moment, in dem sie einmal in Syrien waren oder im Irak gekämpft haben, sie auch bereit sind, hier in Europa Anschläge zu begehen und man muss sagen, die enorme Emotionalität der Terroranschläge der letzten Woche in Paris hat auch dazu geführt, dass auch radikale Islamisten in Europa und im Nahen Osten erkannt haben, wie leicht Europa aus der seelischen Balance zu bringen ist. Das war eine Vorlage für radikale Islamisten, die mit Sicherheit daran gehen werden, in den nächsten Wochen und Monaten weitere Anschläge zu begehen, weil sie nun wissen, wie leicht es ist, unsere Gesellschaften zu verunsichern, sodass ein geregelter Alltag für viele verängstige Menschen immer schwieriger wird.

Kommentar

Michael Lüders bringt es sehr gut auf den Punkt und bestätigt damit auch meine Einschätzungen, die ich im Post Terror in Paris: Hohe Alarmbereitschaft in Österreich zum Ausdruck gebracht habe. Wir werden nicht alle weiteren Anschläge verhindern können. Daher ist es umso wichtiger, den Menschen auch die Wahrheit zu sagen und Bewusst zu machen, wie Terrorismus wirkt. Denn der Hauptschaden geht nicht von einem Terroranschlag direkt aus, sondern von dem, was wir in Folge als Gesellschaft mit uns selber machen. Die kommenden Monate werden wohl auch zu einer hohen Belastungsprobe für die europäischen Werte. Es macht daher Sinn, sich bereits jetzt darüber Gedanken zu machen, wie wir im Anlassfall reagieren wollen/können, damit wir im Anlassfall nicht durch den auftretenden „Tunnelblick“ durch Aktionismus in völligen Sackgassen landen. Auch hier spielt wieder eine integrierte Sicherheitskommunikation eine ganz wesentliche Rolle.

Zum anderen zeigen die aktuellen Entwicklungen, wie rasch wir von strategischen Schocks überrascht werden können, auch wenn wir damit gerechnet haben. Und auch, obwohl wir damit gerechnet haben, wie wenig zukunftsfähige Antworten wir darauf haben. Was wiederum die systematische Unterschätzung von systemischen Risiken, sowie die Dominoeffekte bestätigt. Ebenso unvorbereitet wird uns ein Blackout oder ein Finanzcrash treffen. Sind wir Menschen wirklich lernfähig?

Risikoabwägung in Zeiten des Terrors

Dazu passend ein Interview mit Ortwin Renn (Das Risikoparadox) auf science.orf.at

Auch wenn die meisten Opfer des islamistischen Terrors weltweit selbst Moslems sind: Die Anschläge in Paris haben auch die Verwundbarkeit des Westens gezeigt. Das Risiko, selbst einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, ist in unseren Breitengraden zwar gering. Symbolisch sind aber nahezu alle betroffen, sagt der Risikoforscher Ortwin Renn.

Wenn die Politik nun mit neuen Überwachungsmaßnahmen reagiert, sollte sie aufpassen, die Freiheit nicht zu verlieren, die sie zu schützen versucht, warnt Ortwin Renn, Soziologe und Risikoforscher an der Universität Stuttgart. Generell, so Renn im Interview, neigen wir dazu, Risiken falsch einzuschätzen.

Worin liegt die Gefahr, wenn wir Risiken falsch einschätzen?

Unsere Ressourcen wie Zeit, Geld, Engagement und Aufmerksamkeit sind nur begrenzt. Häufig betreiben wir für Risiken, deren Ausmaß aus gesamtgesellschaftlicher Sicht sehr klein sind, großen Aufwand. Dadurch bleibt zu wenig für jene Risiken, die uns wirklich bedrohen. Es ist wichtig, nicht nur über die Gefahren an sich aufzuklären, sondern auch darüber, wie intensiv wir uns der Minimierung mancher Risiken widmen. Natürlich können wir uns dabei auch manchmal irren, letztendlich haben wir aber in den letzten Jahrzehnten viel Erfahrung gesammelt, sodass wir nun sagen können, wo wirklich große Bedrohungen liegen.