Letzte Aktualisierung am 27. November 2015.
Das jüngste Buch von Fredmund Malik – Navigieren in Zeiten des Umbruches: Die Welt neu denken und gestalten. – bietet weitere interessante Einblicke in die Transformation zur Netzwerkgesellschaft. Malik verwendet dafür die Bezeichnung Transformation21. Besonder spannend auch die Kurzbeschreibung:
In wenigen Jahren wird fast alles anders sein: was wir tun, wie wir es tun und warum wir es tun; wie wir produzieren und konsumieren, wie wir arbeiten, wie wir lernen und forschen – und wie wir leben. Wie gehen wir in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft damit um? Umbrüche öffnen Möglichkeiten, indem sie Altes verdrängen und Neues schaffen. Management, wie Malik es versteht, ist die gesellschaftliche Funktion, diese Möglichkeiten zu nutzen.
Eine ähnliche Aussage traff auch Dennis Meadows („The Limits to Growth“) – siehe Die nächsten 20 Jahre werden mehr Veränderung bringen, als die letzten 100 Jahre
Einige Zitate aus dem Buch Navigieren in Zeiten des Umbruches mit ein paar ergänzenden Querverweisen:
Thesen
Wenn sich, wie derzeit, die Nein-Sager häufen, die einem erklären, was nicht geht und was nicht möglich ist, so ist das ein Indiz für Zeiten des Umbruchs. Was einmal richtig war, ist plötzlich falsch. Viele erkennen im Neuen nur das Alte und richten ihr Handeln daher exakt falsch aus. In einem Umbruch ist das ein dominantes Muster.
Wirtschaft und Gesellschaft stehen global in einer der geschichtlich größten Transformation von der Alten Welt, wie wir sie kennen, in eine Neue Welt, die wir noch nicht kennen. Durch diese Transformation wird sich fast alles ändern: Was wir tun, wie wir es tun und warum wir es tun – und auch wer wir sind.
Die größte Herausforderung der Neuen Welt ist ihre immense Komplexität. Komplexität ist der Hauptgrund für die wachsende Zahl von lokalen und globalen Krisen.
Deren Ursprung liegt in veralteten Organisationen und ihrer wachsenden Unfähigkeit, Komplexität zu meistern. Immer mehr Organisationen sind überfordert, langsam, ineffizient und gelähmt.
Diese Unfähigkeit resultiert aus falsch programmierten Navigationssystemen, aus Strukturen des vorigen Jahrhunderts, aus einem veralteten Managementverständnis sowie überholten Methoden und Instrumenten des Steuerns, Lenkens und Gestaltens.
Aus dieser Unfähigkeit heraus reagieren immer mehr Organisationen mit der falschen Strategie: Sie wollen Komplexität reduzieren, um weiterhin an ihrem veralteten Funktionieren festhalten zu können. Sie sehen Komplexität ausschließlich negativ. Damit verhindern sie Lösungen und tragen zur Verschärfung bei.
Die richtige Strategie ist das Nutzen von Komplexität. Nur daraus entstehen Lösungen. Denn Komplexität ist der Rohstoff für Intelligenz, Innovation und Evolution, für Selbstregulierung und Selbstorganisation, und für alle höheren Leistungen. Komplexität ist der Baustoff für die Neue Welt und ihre neuen Organisationen. Das Gelingen der Großen Transformation21 hängt somit wesentlich davon ab, das organisatorische „Gewebe“ der Gesellschaft und dessen Management grundlegend zu reformieren.
Das Wissen über Komplexität und wie man sie meistert, ist die wichtigste Ressource für funktionierende Organisationen. Es ist ein systemkybernetisches Wissen, das wichtiger ist als Zeit und Energie. Informationen über Kybernetik wird wichtiger als Geld, Selbstorgan wird wichtiger als Macht.
Die betrifft auch die Gesellschaft als Ganzes. Ihre bisherigen politischen Ordnungskategorien der polaren Gegensätze von Kapitalismus und Sozialismus sind überholt, weil sie in der Komplexitätsgesellschaft weder Orientierung geben noch Probleme lösen. An ihrer Stelle brauchen wir eine neue Systemintegration – den humanen Funktionismus – als Orientierungsraster für das Navigieren durch die Umbruchszeiten. S.11ff
Siehe etwa auch sowohl-als-auch-Denken. Viele andere Aspekte wurden auch hier immer wieder in ähnlicher Form adressiert (Komplexität, Selbstorganisation).
Die heutigen Nein-Sager sind aber anders als die früheren. Denn sie sind meistens nicht einfach „nur so dagegen“, sondern sie haben gute Gründe für ihre ablehnende Haltung. Viele haben sogar Recht, denn tatsächlich geht vieles nicht oder nicht mehr. S. 14.
Herausforderungen zu überschätzen, ist weniger gefährlich als das Gegenteil. S. 16.
Siehe auch systemische Risiken.
Wie unterscheidet man eine Transformation von Innovationen und üblichen Wandel, die es in einer offenen Wirtschaft und globalen Gesellschaft immer gibt? Ein Teil ist Wissen, über mehrere Gebiete und ihre Zusammenhänge, auch über Geschichte. Ein anderer Teil ist Beobachten. Selbst hinschauen und nicht nur Medien konsumieren. Noch ein Teil ist Fragen. Nicht nur nach Bottom Line, sondern auch mal nach Top Line. Die Welt mal auf den Kopf stellen. Aber immer wieder derselben heuristischen Frage nachgehen: Stimmt denn das wirklich? Der vierte Teil ist Systemdenken: die Fähigkeit, ganzheitlich zu sehen und zu denken, Verknüpfen nicht ausblenden, Vernetzungen herzustellen und auf die sich darin zeigenden Muster zu achten. S. 16.
Vernetztes Denken und Handeln, Die Netzwerkgesellschaft
Wesentlich ist, die Puzzelteile zu einem System zu vernetzen, zu einem kohärenten Ganzen. In der Zusammenschau treten plötzlich Dinge auf, die man bei getrennter Betrachtung nicht erkennen kann – weil es sie dort nicht gibt. S. 17.
Es ist ein Märchen, dass mehr Wissen aus mehr Daten folgt und dass aus mehr Wissen mehr Erkenntnis resultiert. Weit wichtiger ist die Aufgabe, nach der Bedeutung der vorhandenen Daten zu fragen. Die Bedeutung erschließt sich über Beziehungen, die im Datenmaterial verborgen sind oder – oft wichtiger – zwischen den Daten hergestellt werden können. S. 17.
Fundamentale Transformationen spielen sich so langsam und in so langen Zeiträumen ab, dass man ihre Bewegungen nicht in einem üblichen Wortsinne sehen kann. S. 19.
Vgl. Long/Short Tail von Nassim Taleb, Antifragilität
Die Alte Welt war vorwiegend durch die Gesetze des Geldes und der Ökonomie geprägt, während die Neue Welt durch die Gesetze von Information, Wissen, Erkenntnis, Komplexität und Dynamik hochvernetzter Systeme dominiert wird. S. 29.
Zum ersten Mal besteht auch die Chance, aus dem zweidimensionalen Denkgefängnis von Sozialismus und Kapitalismus auszubrechen. Es besteht die Chance, auf einer höheren logischen Ebene die positiven Merkmale beider Systeme zu einem höheren System eines neuen, nachhaltigen Funktionismus fortzuentwickeln. S. 34.
Sowohl-als-auch-Denken, Das innere Spiel – Wie Entscheidung und Veränderung spielerisch gelingen
In Umbruchszeiten gehört zum Wichtigsten das Verstehen dafür, was vor sich geht. Wissen allein genügt nicht, Information und Daten schon gar nicht. Ohne zu verstehen, was passiert und was es bedeutet, ist richtiges Handeln unmöglich. Man muss aber wiederum nicht alles im Detail verstehen. Wesentlich sind vielmehr die grundlegenden Muster im Geschehen. S. 39.
Finanzkrise 2007/2008 und folgend: Seither taumelt die Welt durch ein höchst labile improvisierte Phase künstlicher „Ernährung“ des Systems. Es gibt keine Theorie dafür, was seither passiert; es ist ein Improvisieren ohne Navigation. Gelöst wurden die Probleme bisher nicht. Hinzugekommen sind seit Lehmann 40 Prozent zusätzliche Schulden bei bestenfalls stagnierendem Wachstum. Von der Fachwelt war ein solches Ereignis für denkunmöglich gehalten worden. Aber anderen war klar, dass es passieren würde; nur Ort, Zeit und Anlass waren weniger genau bestimmbar, als viele es gerne gehabt hätten. S. 67.
Die Ursache der globalen Überschuldung sehe ich in nicht in der Ökonomie im engeren Sinne, sondern in der angelsächsischen Corporate Governance mit ihrer seit mehr als 20 Jahren dauernden kurzfristigen Gewinnmaximierung im Dienst des Shareholder Values. S. 68.
Ein Jahr vor dem Ausbruch der Lehmann-Krise sagte mir der sehr erfahrene Chef einer großen Bank nach meinem Vortrag über kybernetisches Management: „Solange ein Problem nach dem anderen kommt, werden wir das bewältigen können. Wenn aber mehrere zugleich kommen, dann werden wir überfordert sein. Darauf ist unsere Organisation nicht eingerichtet.“ S. 73.
Das Risikoparadox – Warum wir uns vor dem Falschen fürchten, Risk of financial crisis higher than previously estimated, Unknown Futures – Limits of Our Knowledge
Eines nach dem anderen, jeweils separiert, keine oder wenige Vernetzungen, linear – das können die Organisationen der Alten Welt sehr gut. Jahrzehntelang hat das genügt und daher haben sie es zur Meisterschaft darin gebracht. So sind auch die typischen Aufbauorganisationen: fast „wasserdichte“ Silos um Aufgaben herum, die man getrennt bearbeiten konnte, weil sie ganz oben zusammengefasst und koordiniert wurden. Solche Organisationsformen waren jahrzehntelang sehr effektiv – in der Wirtschaft und noch weit mehr in der staatlichen Verwaltung und generell im öffentlichen Sektor. Das Komplexitätszeitalter erfordert fundamental andere Lösungen auf Basis eines anderen Denkens, neue Methoden und Instrumente. (…) Komplexität kann man zwar ignorieren, aber deswegen verschwindet sie nicht. Man kann sie manchmal reduzieren, zum Beispiel durch ein geschicktes Organisieren. Am wichtigsten ist aber, dass man Komplexität meistern und dass man sie nutzen kann, um Organisationen leistungsfähiger, effektiver, schneller, flexibler und intelligenter zu machen. S. 74f.
Vernetzung & Komplexität und die aktuelle Flüchtlingslage
Bei hoher Komplexität kommen wir an die Grenzen dessen, was uns durch das reduktionistische Weltbild der klassischen Wissenschaften als Wahrheiten vermittelt wurde, insbesondere auch durch die Wirtschaftswissenschaften. Reduktionistisches und mechanistisches Denken – statt ganzheitliches, systemisches Denken – ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass bei steigender Komplexität so vieles immer weniger funktioniert. S. 75
Die Quelle von Komplexität ist also das Zusammenbringen von Dingen, die vorher getrennt und von einander isoliert waren. Was passiert dann? Es kommt auf die Elemente an: In der reinen Mathematik ergibt 1 + 1 = 2. Wenn ich Mathematik aber praktisch anwende, stimmt das nicht immer. Denn 1 Kaninchen und noch 1 Kaninchen gibt bis zu 12 weitere Kaninchen [oder Null, wenn es sich um gleichgeschlechtliche Kaninchen handelt]. Hier ist 1 + 1 = 12. Die nötige Vernetzung kommt von ganz allein zustande. S. 76f.
Wichtig sind Kenntnisse über Komplexität, wenn man verhindern will, dass Systeme außer Kontrolle geraten. S. 79.
So können zum Beispiel Ampelregelungen für komplexe Straßenkreuzungen enorm kompliziert sein. Dieselbe Kreuzung kann aber auch durch einen Kreisverkehr geregelt werden. Die Komplexität des Verkehrs bleibt gleich, aber die Lösung ist einfach und sogar elegant – und sie kostet kaum etwas. S. 84f.
Das Smart Grid im Zeitalter des Cyberwar
Im kybernetischen Sinn heißt Governance also: Manage ein System so, dass es sich selbst managen, sich selbst regulieren und sich selbst organisieren kann. S. 105.
Große Zahlen von Personen – so viele wie man braucht – finden neue Lösungen für komplexe Fragen, indem sie simultan und vernetzt – wie die Vernetzungen eines Gehirns –, so kommunizieren, dass ihr gemeinsames Wissen, ihre Erfahrung und kollektive Intelligenz sowie ihre soziale Energie zu neuen Lösungen führen. Die Grundlagen dafür sind zwei Naturgesetze. Was vorher getrennt war, wird zusammengebracht. So entsteht Neues. Und was vorher sequentiell gemacht wurde, wird nun gleichzeitig gemacht. So entsteht Neues immer schneller. Das Gesetz der Vernetzung und das Gesetz der Gleichzeitigkeit gehören zu den kraftvollen Gestaltungshilfen für eine Neue Welt. S. 122.
„Rechne stets mit dem Unvorhersehbaren, dem Unerwarteten und dem Unvorstellbaren!“ In komplexen und damit dynamischen Systemen ist immer mit unvorhersehbaren Entwicklungen zu rechnen. S. 126.
Ob und welche Grenzen unverändert bleiben und welche sich total auflösen, ist im Voraus kaum zu sagen. Deshalb ist Explorieren wichtiger als Analysieren; Testen wichtiger als Planen; ist Suchen wichtiger als Finden, sind Heuristiken wichtiger als Algorithmen. S. 134.