Es ist überraschend, wenn einmal jemand anderer und vor allem aus der EE-Szene selbst vor den hier immer wieder angesprochenen Problemen warnt.
Ich empfehle dazu auch die sehr interessante Folge „Mit »Reboot« oder Rebellion aus der Krise?“ aus dem Podcast „Zukunft Denken“, in dem es darum geht, dass man von einer Entwicklungsstufe nicht einfach auf eine vorherige zurücksteigen kann. Das sollten wir hier beim Umbau auch berücksichtigen.
Die Aussage, dass die Verteilnetze nicht überlastet sind, ist falsch. Richtig ist, dass die Betreiber einen guten Job machen. Allein im Netzgebiet von Bayernwerk wurden letztes Jahr über eine Million Mal PV-Anlagen abgeschaltet, um eine Überlastung zu verhindern. 2023 waren es noch etwa 300.000. Man könnte auch von Brownouts sprechen, wobei dann auch die Bezieher abgeschaltet werden.
Dass wir auf immer größere Probleme zusteuern, hat nicht zuletzt das Blackout auf der Iberischen Halbinsel gezeigt. Durch immer mehr Leistungselektronik – sowohl auf der Erzeuger- als auch auf der Verbraucherseite – verändert sich das Systemverhalten. Es müssten drastische Maßnahmen – und zwar europaweit – ergriffen werden, was jedoch nicht geschieht. Ganz im Gegenteil: Die EU-Kommission hat gerade die Verabschiedung der zwingend erforderlichen neuen Grid Codes, um etwa E-Autos und Wärmepumpen besser integrieren zu können, auf unbestimmte Zeit verschoben. Eine Katastrophe. Siehe dazu: https://youtu.be/hwVkCzf7UQQ?si=dzwb8mBRxafl4TYM
Die Netze wurden bisher aus gutem Grund nur zur Hälfte ausgelastet, um bei Ausfällen von Betriebsmitteln bei der Umschaltung auf anderen Betriebsmitteln genügend Sicherheitspuffer zu haben. Eine deutlich höhere Auslastung der Betriebsmittel erhöht die Gefahr von großflächigen Stromausfällen, wie er zuletzt Anfang Juli in der Tschechischen Republik auftrat. Ein Problem ist auch, dass viele Verteilnetzbetreiber, wie angesprochen, im Blindflug unterwegs sind. Dies ist unter anderem auf die enorme Anzahl von 860 VNB zurückzuführen. Die meisten von ihnen können die heutigen und zukünftigen Anforderungen nicht mehr bewältigen. Hier wäre eine Konsolidierung und bessere Kooperation dringend erforderlich.
Beim Thema Smart Meter merke ich, dass ich alt werde. Das war nämlich 2011 mein Einstiegsgrund in das gesamte Thema. Nämlich aus Sicht der Cybersicherheit. Smart Meter sind eine EU-Vorgabe, der zufolge bis 2020 80 Prozent der Zähler umgestellt hätten werden müssen. Deutschland hat jetzt zwar super sichere Smart-Meter-Gateways, die aber an den heutigen Anforderungen vorbeigehen und viel zu spät kommen. Smart Meter waren auch das Thema für Smart Grids, von denen man kaum mehr etwas hört. Dabei sind sie umso wichtiger, allerdings nicht in der vor 15 Jahren diskutierten Form, sondern als dezentrale Funktionseinheiten mit einem sektorübergreifenden Energiemanagement („Energiezellensystem“) und einer übergeordneten Orchestrierung. Nur so wird die zunehmende Komplexität beherrschbar bleiben, es sei denn, wir hebeln die Naturgesetze und Erkenntnisse der Evolution aus.
Dynamische Tarife klingen zwar nett, interessieren die meisten Menschen aber nicht. Sie werden trotzdem kommen, weil das bisherige Mischpreisverfahren nicht mehr kalkulierbar ist und die Händler daher das gesamte Risiko an die Kunden weitergeben werden. Wer einen fixen Preis will, muss einen höheren Risikoaufschlag akzeptieren. Fakt ist: Wenn dahinter keine Automatisierung läuft, ist kaum eine Wirkung zu erwarten, weil das den meisten Kunden völlig egal sein wird. Insbesondere, wenn das Einsparpotenzial nur gering ist. Das wirkt sich erst bei steigenden Großverbrauchern aus.
Abgesehen vom generellen Anspruchsdenken. Die meisten sind nur bereit, sich in irgendeiner Form zu beteiligen, wenn sie dafür auch entlohnt werden. Dies ist meist auf unrealistische finanzielle Erwartungen zurückzuführen. Gleichzeitig nehmen die Beschwerden über steigende Strompreise zu. Wie soll das funktionieren? Zum anderen übersehen viele den Mehrfachnutzen, den sie durch ein funktionierendes System bereits genießen. Ohne dieses würden viele „Spielereien“, wie Balkonkraftwerke, gar nicht funktionieren. Oder wie viel sie sich sowieso durch entfallene Netzentgelte und Umlagen ersparen, und zwar auf Kosten der Allgemeinheit, für die es dafür immer teurer wird. Um diesen Forderungen und der Umsetzbarkeit näherzukommen, wären Energiezellen wie die bereits weltweit umgesetzten Microgrids eine rasch umsetzbare Lösung.
Meine größte Sorge ist und bleibt, dass die zunehmende Komplexität mit dem bisherigen linearen Denken nicht mehr beherrschbar ist und es tatsächlich zu großflächigen Stromausfällen oder Abschaltungen kommt. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die ich hier ausführlicher beschrieben habe:
Ich kann der Schlussfolgerung, dass dieses Vorhaben nur gemeinsam gelingen wird, nur voll zustimmen! Das habe ich auch in meiner systemischen Betrachtung „Gefangen im System: Warum die Energiewende mehr Kooperation braucht“ ausführlicher beleuchtet.
Der wahre Fortschritt liegt somit nicht allein in der Technologie selbst, sondern auch in ihrer richtigen Integration und Zusammensetzung. In diesem Bereich haben wir noch viel Luft nach oben. Die Energiewende ist kein Spaziergang im Park, sondern ein Tanz auf dem Drahtseil. Wir experimentieren hier an unserer wichtigsten Lebensader, quasi am offenen Herzen. Ein Scheitern könnte fatale gesellschaftliche Folgen haben. Sie fordert uns heraus, über vereinfachte Narrative und lineares Denken hinauszugehen, Komplexität anzunehmen, pragmatische und systemische Lösungen zu finden und unsere Scheuklappen abzulegen.
Zusammenfassung der Kernaussagen
In einer aktuellen Episode von „Geladen – der Batteriepodcast“ diskutieren die Experten Julian und Patrick die aktuellen und besonders kritischen Debatten rund um Stromnetze und die Einspeisung erneuerbarer Energien. Ihr Fazit ist eindeutig: Deutschland steht an einem entscheidenden Punkt der Energiewende, und es besteht die Gefahr eines Stillstands, wenn nicht umgehend gehandelt wird.
Hier sind die zentralen Problemfelder, die im Podcast beleuchtet werden:
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Überlastete Stromnetze und „Null Einspeisung“:
- Ein Hauptproblem ist die begrenzte Kapazität der Stromnetze. Julian berichtet aus eigener Erfahrung in Berlin: Neue PV-Anlagen erhalten oft die Auflage einer „Null Einspeisung“, weil das Netz schlichtweg voll ist.
- Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Netze bis zu einem Anteil von 60 % erneuerbarer Energien gut funktionieren. Deutschland hat diesen Punkt erreicht oder überschritten, und ab hier treten die ernsthaften Probleme auf, die Regulierung und intelligente Systeme erfordern.
- Manchmal sei es sogar besser, einen langsameren Ausbau zu akzeptieren, wenn das Netz nicht bereit ist, selbst wenn das bedeutet, PV-Anlagen vorerst nur für den Eigenverbrauch zu nutzen, um eine Überlastung zu vermeiden.
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Die Kosten der Energiewende und die Frage der Verursachungsgerechtigkeit:
- Die Energiewende ist enorm teuer und wird es auch bleiben. Es kursieren Schätzungen von 500 Milliarden Euro Investitionskosten allein für den Netzausbau.
- Eine zentrale Frage ist: Wer bezahlt das alles? Es wird diskutiert, ob PV-Anlagenbetreiber (Einspeiser) an den Netzausbaukosten beteiligt werden sollten, da sie als „Netznutzer“ auch zur Belastung beitragen.
- Die sogenannte „Cherry Picking“-Mentalität wird kritisiert: Wenn sich Haushalte mit eigener Stromerzeugung aus den Netzkosten „herausziehen“, lastet die gesamte Finanzierung des Betriebs und der Modernisierung des Netzes auf den verbleibenden Verbrauchern, die keine eigene Erzeugung haben können. Dies birgt die Gefahr, dass die Energiewende zu einem „Gegeneinander“ statt einem „Miteinander“ führt.
- Die hohen Bruttostrompreise in Deutschland sind ein Problem, das viele Verbraucher, insbesondere jene „in der Platte“, überfordert und das man nicht schönreden kann.
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„Egospeicher“ und fehlende Netzdienlichkeit:
- Die drastische Kürzung der Einspeisevergütung hat dazu geführt, dass das Interesse an Stromspeichern für den Eigenverbrauch („Egospeicher“) extrem zugenommen hat.
- Diese Speicher sind zwar gut für den Einzelnen, aber nicht netzdienlich oder für das Gesamtsystem förderlich. Sie reagieren auf Strompreise, nicht auf lokale Netzbedarfe, was die Netzbelastung sogar erhöhen kann.
- Es braucht dringend große Batteriespeicher, die negative Strompreise puffern und intelligent in das Netz integriert werden können.
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Negative Strompreise und das Solarspitzengesetz:
- Immer häufiger fallen die Strompreise an der Börse unter null. Das kürzlich eingeführte Solarspitzengesetz (Februar dieses Jahres) besagt, dass neu installierte PV-Anlagen bei negativen Spotmarktpreisen keine Einspeisevergütung mehr erhalten.
- Dies wirft die Frage auf, ob unter diesen Umständen noch jemand große PV-Anlagen bauen wird. Die Lösung liege darin, Anlagen vernünftig zu dimensionieren und zu lernen, den eigenproduzierten Strom selbst zu nutzen, etwa zum Laden von Elektroautos, wenn er verfügbar und günstig ist.
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Das Scheitern des Smart-Meter-Rollouts:
- Deutschland hinkt beim Rollout von Smart Metern (intelligenten Stromzählern) europäischen Nachbarn weit hinterher (nur 3-5 % in Privathaushalten).
- Smart Meter sind jedoch unerlässlich für die Nutzung dynamischer Stromtarife und die faire Abrechnung zeitvariabler Netzentgelte.
- Ohne genaue Verbrauchsdaten können keine intelligenten Anreize oder Tarife geschaffen werden, und die Netzbetreiber haben oft selbst keinen genauen Überblick über ihre Netze.
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Politischer „Schlingerkurs“ und fehlende Gesamtstrategie:
- Die größte Sorge ist, dass die Energiewende nicht als Gemeinschaftsaufgabe verstanden wird und der politische „Schlingerkurs“ anhält.
- Netzbetreiber benötigen Planungssicherheit für enorme Investitionen, können aber keine langfristigen Entscheidungen treffen, wenn die politische Richtung alle paar Jahre wechselt.
- Es braucht einen Masterplan und ein koordiniertes Vorgehen aller Akteure – Politik, Netzbetreiber und Verbraucher – um die enormen Aufgaben wie Netzausbau und Digitalisierung zu meistern.
Julian und Patrick sind sich einig: Der steinigste Weg liegt noch vor uns. Es gilt, die Energiewende als gesamtheitliche, komplexe Aufgabe anzusehen, die geordnete Schritte, Regulierung und die Einbindung aller Beteiligten erfordert, um einen echten Stillstand zu vermeiden und die Ziele von Klimaschutz, Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit zu erreichen.