Quelle: elektroniknet.de – Das sind die Ursachen des spanischen Blackouts
Kürzlich hat die spanische Regierung einen Bericht veröffentlicht, der Hinweise geben soll, warum es in Spanien am 28. April zum Blackout gekommen war. Über die wirklichen Ursachen aber schweigt er sich aus. Aber sie sind bekannt.
In dem teilweise geschwärzten Bericht zum verheerenden Ausfall – es ist von mehreren Milliarden Euro Schaden die Rede – werden zwar einige Faktoren angesprochen, die unter anderem auch zum Blackout geführt haben – aber konkreten Aussage, wo die wirklichen Ursachen zu finden sind und wo die Verantwortlichkeiten liegen, finden sich darin nicht.
Priv.-Doz. Dr. Michael Fette, Geschäftsführer von Fette Dynamics, der sich schon seit Jahrzehnten mit der Stabilisierung von Übertragungs- und Verteilnetzen beschäftigt und als einer der führenden Experten auf diesem Gebiet gilt, steht dem Bericht etwas ratlos gegenüber. Denn was seiner Ansicht nach zu dem Ausfall geführt hat, ist weder neu noch unbekannt.
Was tatsächlich in den vergangenen 20 Jahren neu hinzugekommen ist: die starke Integration wechselrichterbasierter Einspeiser und Lasten, die die Systemeigenschaften grundlegend verändern. Der starke Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein Teilaspekt Sie haben sicherlich dazu beigetragen, dass es in Spanien zum Blackout kam, zumal im Süden des Landes überwiegend Energie aus PV-Anlagen eingespeist wird. So war es auch am 28. April.
Doch die physikalischen Grundlagen, die beschreiben, wie sich ein Netz verhält, in das beispielsweise ein hoher Anteil an Energie aus PV-Anlagen eingespeist wird, ist nicht neu. Die »Übeltäter« sind auch keinesfalls die PV-Anlagen an sich – auch nicht die Windkraft oder Batterien, und die vielen Stromversorgungen in Industrie und in den Haushalten. Zu Übeltätern werden sie erst, weil sie in großer Zahl neu ins Netz eingebaut wurden – ohne daraus die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Denn nun bauen sich die sogenannten »nichtlinearen Dynamiken« auf. Das bedeutet: Die alten über Jahrzehnte gültigen Regeln zur Stabilisierung funktionieren nicht mehr, das Netz müsste über neue Methoden stabilisiert und dazu teilweise umgebaut werden.
Nun können »nichtlineare Dynamiken« aus vielfältigen Gründen entstehen. Es gab sie selbstverständlich auch in der Vergangenheit, nur tauchten sie in den alten Netzstrukturen kaum störend auf – aufgrund der vielen rotierenden Massen waren Selbstheilungskräfte im Netz vorhanden, die dafür sorgten, dass sich die nichtlinearen Dynamiken nicht aufschaukeln konnten, die Netze waren weitgehend symmetrisch, was ebenfalls dazu beitrug, dass keine Schieflasten entstanden. Zudem hatte man im Übertragungsnetz für sehr niederfrequente Zwischensystemschwingungen mit der technischen Lösung der PSS – Power System Stabilizer – eine bewährte Technik, um diese Schwingungen zu dämpfen.
Heute kommunizieren Tausende von Regler im Netz miteinander und reagieren darauf. Die früher vorhandenen stabilisierenden Elemente sind mit der steigenden Anzahl der Erneuerbaren zunehmend wegfallen, was das Problem verschärft. Jetzt stellen diese Dynamiken eine sehr ernst zu nehmende Gefahr für das Netz dar – die Entwicklung dorthin war aber für alle Experten sichtbar. Für niemanden, der Elektrotechnik studiert hat und der für Energieversorger und Netzbetreiber arbeitet, dürfte dies ein Geheimnis sein. Wer die Grundlagen kennt, der weiß auch, was zu tun ist, um die Netze dennoch zu stabilisieren.
Allerdings arbeiten diese Experten unter den Bedingungen, wie sie in unserer Energielandschaft derzeit eben herrschen. Und das bedeutet in der Realität: Alle verschließen die Augen vor dem Problem.
»In Österreich – also weit entfernt von Spanien – wurde über die »Collapse Prediction Relay D« gemessen, dass sich im spanischen Netz selbstinduzierte Schwingungen aufbauten – vier Stunden vor dem Blackout! Wir wussten Stunden vor dem Ereignis bereits, dass sich etwas anbahnt. Vor Ort in Spanien hätte der Netzbetreiber das selbstverständlich noch viel besser sehen und vor allem rechtzeitig reagieren können«, so Michael Fette.
Aber solche Messungen hat der spanische Netzbetreiber Red Eléctrica offensichtlich nicht vorgenommen. Die nichtlinearen Effekte konnten sich jedenfalls über Stunden hochschaukeln und führten zum Blackout.
»Im spanischen Netz traten über die Wochen vor dem Blackout derartige Vorfälle häufig auf«, sagt Fette. Erst kurz zuvor ist es in Spanien in einer Raffinerie von Repsol zu einer vollständigen Trennung vom Netz durch eine Auslösung des Überspannungsschutzes gekommen. Dass der Vorfall lokal begrenzt werden konnte, sei einfach nur Glück gewesen – es sind nicht wie beim Blackout am 28. April so viele Faktoren zusammengekommen, dass schlussendlich das gesamte Netz in Spanien in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Die Frage, die sich sofort stellt, lautet: Sind die Verhältnisse in Deutschland nicht ähnlich wie in Spanien? Ist es also reines Glück, dass es hierzulande bisher nicht zu einem flächendeckenden Blackout kam?
»Erstens ist der Anteil der PV-Anlagen in Deutschland noch deutlich geringer als in Spanien, zweitens ist unser Netz stärker vermascht, die Mixtur ist also im Moment günstiger«, antwortet Michael Fette. Das bedeute, dass es zwar lokal zu Zusammenbrüchen kommen könne, dass sich diese Probleme aber lokal eingrenzen ließen, so dass die Wahrscheinlichkeit für einen globalen Ausfall wie in Spanien momentan relativ gering sei. Die Betonung liegt allerdings auf »momentan«. Denn auch hierzulande entwickelt sich das Netz schnell in Richtung der Verhältnisse, wie sie in Spanien bereits herrschen – und wird auf diesem Niveau nicht stehen bleiben.
»Wir stehen also spätestens jetzt vor der Aufgabe, für eine koordinierte Spanungshaltung im gesamten Netz zu sorgen, wir brauchen ein anderes Netz-Management«, fordert Fette deshalb.
»Was wir brauchen, ist Edge-Computing vor Ort«, sagt Fette. Es müsse für eine intelligente Vorverarbeitung der Daten über für alle nutzbare Protokolle gesorgt werden.
Was allerdings bisher gemacht wird, hält er für vollkommen überflüssig. »Einheitenzertifikate werden unter „Laborbedingungen“ erstellt, die Realität dann im System ist anders. Aus diesen Zertifikaten abzuleiten, dass alles funktionieren wird, ist erstaunlich. Wahrscheinlich haben dann alle etwas zum Abheften und ein gutes Gefühl, dann wird alles schon seine Richtigkeit haben«, so Fette. »Im Netz verhalten sich die Anlagen dann aber ganz anders als unter den Prüfbedingungen. Die alten Verfahren einfach ins neue Netz zu übertragen, schafft statt des beabsichtigten Schutzes nur zusätzliches Risiko!«
Es sei deshalb unbedingt erforderlich, die Technischen Anschlussbedingungen auf Basis klarer Kriterien bundeseinheitlich auszulegen. »Dann wird die Koordination insgesamt viel einfacher. Jetzt kommt es darauf an, gerade nicht lokal steuernd einzugreifen, sondern vor allem erst einmal Ruhe ins Netz zu bringen – das ist der allerwichtigste Schritt«, weiß Fette.
Dabei handelt kann es sich nicht um einmalige Maßnahmen handeln. Das System müsse laut Fette permanent optimiert werden, um es auf die sich wandelnden Anforderungen anzupassen. Ziel müsse es sein, dass eine zentrale Stelle alle Regler koordinieren kann. »Vor allem so, dass es das Bedienpersonal verstehen kann, deshalb sind klare Kriterien so wichtig!«