Das Buch „12 Gesetze der Dummheit: Denkfehler, die vernünftige Entscheidungen in der Politik und bei uns allen verhindern“ von Henning Beck ist wirklich eine Bereicherung. Auch wenn ich vieles schon wusste, ist es hier wunderbar zusammengefasst und in Zusammenhang gebracht. Wieder einmal zeigt sich, dass wir es viel besser wissen und darauf reagieren könnten und nicht immer wieder in die gleichen Fehler tappen müssten … aber irgendwie scheint unsere Fähigkeit, Dinge richtig zu antizipieren, also vorwegzunehmen und daraus zu lernen, ohne vorher Schaden zu nehmen, immer noch begrenzt zu sein. Genau das wäre, wie leider viele andere praxisnahe Themen auch, ein echter Mehrwert für unser Bildungssystem, auch wenn, wie im Buch beschrieben, hier auch einige Gefahren lauern. Wir müssten uns dazu erst einmal von überholten Inhalten trennen, und wie das Buch ausführlich zeigt, tun wir uns sehr schwer damit, etwas wegzulassen.

Zusammenfassung

Basierend auf den bereitgestellten Auszügen aus „12 Gesetze der Dummheit“ lassen sich verschiedene Erkenntnisse über menschliches Denken, dessen Schwächen und daraus resultierende Probleme sowie Möglichkeiten zur Verbesserung ableiten. Die Quellen beschreiben eine Reihe grundlegender Denkschwächen und Verhaltensmuster, die oft zu unklugem Handeln führen, selbst im Wissen um diese Schwächen.

Schlüsselprobleme und Denkschwächen basierend auf den Quellen:

  1. Trenddenken und falsche Zukunftsvorstellungen: Krisen erscheinen überraschend, weil wir dazu neigen, in Trends zu denken und uns die Zukunft daher falsch vorzustellen. Wir sind „von gestern von morgen“ und unsere heutigen Vorstellungen werden in der Zukunft belächelt werden. Wir unterschätzen, wie sehr wir uns selbst und die Welt in Zukunft verändern werden (End-of-History-Illusion).
  2. Komplexität und Überforderung: Wir fügen bei Problemlösungen immer mehr Dinge hinzu, bis die Welt so komplex wird, dass sie kaum noch steuerbar ist. Mehr Ressourcen zur Problembekämpfung können dazu führen, dass das Problem wächst (Parkinson-Effekt). Die Welt ist nicht einfach, auch wenn wir einfache Erklärungen bevorzugen. Wir neigen zur „Hierarchiekonfusion“, indem wir glauben, ein System verstanden zu haben, wenn wir nur die oberen Ebenen erklären können.
  3. Meinungsbildung und Frontenbildung: Wir lieben unsere Ansichten und verschanzen uns in Meinungsgrabenkämpfen. Bildung, entgegen der Intuition, ist kein wirksames Gegenmittel gegen unwissenschaftliches Denken und kann sogar zu Dogmatismus und verhärteten politischen Positionen führen. Gebildete Menschen neigen dazu, sich in ihren Ansichten zu bestätigen, statt sich zu hinterfragen. Je intelligenter Menschen sind, desto hartnäckiger glauben sie, keinen Denkfehlern zu unterliegen.
  4. Unsicherheit und Sinnsuche: In unsicheren Zeiten suchen Menschen Muster, wo keine sind. Die Sehnsucht nach Erlösung und die Erfahrung von Unsicherheit führen zu irrationalem Denken. Pseudoerklärungen wie Astrologie oder magische Rituale bieten Sicherheit in komplexen und unsicheren Situationen, da das Angebot der Wissenschaft oft zu schlecht ist. Wir neigen dazu, einen Sinn für Dinge oder Vorgänge zu erfinden, auch wenn keiner existiert (teleologischer Fehlschluss), insbesondere nach Schicksalsschlägen.
  5. Wahrheitsillusion und Oberflächenwissen: Je öfter man etwas hört, desto eher glaubt man es, auch wenn es falsch ist (Illusory Truth Effect). Wir glauben, mehr zu wissen, als tatsächlich der Fall ist (illusion of explanatory depth). Dummheit nimmt zu, je mehr man glaubt, schlau zu sein. Pseudowissen macht Nicht-Wissenschaftler oft selbstbewusster, als zunehmendes Wissen Wissenschaftler bescheidener macht.
  6. Bestätigungsdenken und Informationsfilterung: Menschen suchen nicht aktiv Widerspruch und blenden Informationen aus, die ihre Sichtweisen angreifen. Die digitale Welt verstärkt dies, da Informationen basierend auf Nutzerverhalten individuell zusammengestellt werden, was zu einem „eigenen Internet“ für jeden führt und den Raum für einen gemeinsamen Informationsraum schwinden lässt.
  7. Reaktanz und Widerstand gegen Veränderungen: Menschen lehnen Dinge ab, einfach, weil ihnen gesagt wird, dass sie sie tun sollen (Reaktanz). Dies kann zum „Backfire“-Effekt führen, bei dem das Gegenteil des Erwarteten getan wird. Menschen ist es wichtiger, frei zu entscheiden, als klug zu entscheiden. Was jeder hat, ist langweilig; abweichendes Verhalten führt zu Exklusivität (Türsteher-Phänomen, Streben nach Individualität). Gut gemeinte Ideen scheitern oft, weil das Streben nach freien Entscheidungen unterschätzt wird.
  8. Gegenwartsfixierung und Abwertung der Zukunft: Wir leben lieber im Augenblick und auf Kosten zukünftiger Generationen, da wir zur Zukunft keinen Draht haben. Eine unmittelbare Belohnung ist uns mehr wert als eine zukünftige. Das mentale Abwerten der Zukunft ist eine gut belegte Denkfalle.
  9. Festhalten am Status quo: Das Festhalten am Status quo spart Zeit und Energie und führt zu Gewohnheiten, die Verhaltensänderungen maßgeblich verhindern. Gewohnheiten können nicht gelöscht, sondern nur überschrieben werden.
  10. Verlustangst und Risikoaversion: Menschen bewerten Verluste etwa doppelt so hoch wie Gewinne. Verzicht ist schwierig, weil wir uns nicht darüber definieren, was wir haben, sondern ob wir mehr oder weniger haben als zuvor. Eine Verzichtsgesellschaft unterschätzt die Grundlagen menschlichen Denkens. Wir werden risikoscheu und trauen uns nichts mehr, was in einem Land, das auf Fortschritt angewiesen ist, teuer sein kann.
  11. Risikofehleinschätzung: Wir konzentrieren uns auf die falschen Probleme und versuchen, das letzte bisschen Restrisiko zu minimieren, selbst wenn die Kosten steigen. Wir stürzen uns auf den Worst Case (Worst-first-Heuristik) anstatt häufigere Probleme anzugehen, die insgesamt größeren Schaden verursachen. Das Bild im Kopf ist wichtiger als die Eintrittswahrscheinlichkeit für irrationales Verhalten.
  12. Egocentrism (Spotlight-Effekt und Transparenz-Illusion): Wir denken, andere Menschen achten besonders auf uns (Spotlight-Effekt), obwohl wir ihnen meistens egal sind. Wir glauben, dass unsere eigenen Ansichten für andere völlig nachvollziehbar sind und deswegen geteilt werden müssten (Transparenz-Illusion).

Wichtigste Erkenntnisse, um besser zu werden (Ableitungen):

Um den beschriebenen Denkschwächen entgegenzuwirken und klüger zu handeln, können wir verschiedene Strategien verfolgen:

  1. Mehr Erklären statt Begründen: Statt eine Position zu begründen (was auf Nützlichkeit abzielt und Fronten schafft), sollten wir versuchen, Dinge zu erklären oder um Erklärungen zu bitten. Erklärungen sind effektiver, um Überzeugungen zu verändern als Argumente.
  2. Fokus auf Weglassen und Vereinfachen: Anstatt immer mehr hinzuzufügen, sollten wir Lösungen im Weglassen suchen. Um Bürokratie und Komplexität zu reduzieren, muss der Wechsel in unserem Denken stattfinden, indem wir unnötigen Ballast hinterfragen und über Bord werfen. Einfache Erklärungen sind oft falsch, aber die Welt ist nicht einfach. Sich ein bisschen mit den Dingen zu beschäftigen, hilft, Vereinfachungsdenken zu vermeiden.
  3. Aus Fehlern lernen: Um den Rückschaufehler zu vermeiden und aus der Vergangenheit zu lernen, ist es effektiver, auf das zu achten, was nicht funktioniert hat.
  4. Die Zukunft konkretisieren: Um der Abwertung der Zukunft entgegenzuwirken und den Status quo zu überwinden, sollten wir uns konkret vorstellen, wie wir in einigen Jahren leben werden oder ein konkretes Ziel entwerfen. Dies macht die Zukunft wertvoll und versetzt uns in eine aktive, gestaltende Rolle.
  5. Veränderungen durch Anreize gestalten, nicht erzwingen:
    • Reaktanz clever nutzen: Statt Menschen zu drängen, kann man Reaktanz nutzen, indem man die Veränderung als exklusiv oder als freie Entscheidung darstellt. Das portugiesische Impfbeispiel zeigt, wie personalisierte Nachrichten und die Betonung der Gelegenheit erfolgreich waren.
    • Konkrete Ergebnisse und Nutzen anbieten: Ideen setzen sich durch, wenn sie mit Grundmotiven wie dem Streben nach Ergebnissen in Einklang stehen. Statt auf Verzicht oder abstrakten „Purpose“ zu setzen, sollten wir konkrete, nützliche und angenehme Angebote schaffen, die den menschlichen Drang nach mehr bedienen. Egoisten lassen sich überzeugen, wenn sie einen persönlichen Vorteil sehen (z.B. Geld sparen durch umweltfreundliches Verhalten).
    • Soziale Anerkennung und Gruppendynamik nutzen: Soziale Anerkennung ist ein starker Motor. Veränderungen setzen sich am besten durch, wenn sie mit sozialem Status verknüpft werden können. Gruppenbelohnungen und soziale Vergleiche können Individualismus überwinden und sozialen Zusammenhalt schaffen, was zu besseren Ergebnissen führt (wie im Beispiel Graubünden gezeigt). Kreativität entsteht oft durch vielfältige Kontakte.
    • Alternativen anbieten: Verbote funktionieren schlecht; man braucht zuerst eine vernünftige Alternative, dann kann man ein Verbot durchsetzen, da Menschen Ausweichstrategien suchen.
  6. Risiken neu bewerten: Sich nur auf den seltenen GAU zu stürzen ist weniger effektiv, als häufigere, kleinere Probleme zu bekämpfen. Man darf Risiken nicht so sehr scheuen, dass man Chancen verpasst. Neugier ist ein stärkerer Antrieb als Sicherheit.
  7. Egocentrism überwinden: Akzeptieren, dass die eigene Sichtweise oft ungeeignet ist, um andere zu überzeugen. Um Menschen zu überzeugen, muss man von seiner eigenen Denkweise absehen und für sie attraktive Angebote schaffen, statt zu belehren.
  8. Optimismus kultivieren: Optimismus ist entscheidend für Fortschritt, da optimistische Menschen Probleme angehen, sich mit ihnen beschäftigen und dadurch neue Ideen entwickeln. Pessimismus lähmt und kann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Man sollte darauf vertrauen, Herausforderungen schaffen zu können. Innovationen entstehen, wenn wir daran glauben, die Welt ein bisschen besser machen zu können. Krisen können Erfindungsgabe fördern.
  9. Gemeinsamen Raum schaffen: Um kollektive Probleme zu lösen, muss der Raum für eine gemeinsame Identität erhalten bleiben. Offener und meinungsoffener Austausch ist notwendig für einen ideologiefreien Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass menschliches Denken anfällig für eine Vielzahl von Fehlern ist, die durch unsere grundlegenden Bedürfnisse nach Sicherheit, Einfachheit, Bestätigung und sozialer Anerkennung verstärkt werden. Bildung allein bietet keinen ausreichenden Schutz. Um besser zu werden, müssen wir uns dieser Denkfallen bewusst werden und bewusst Strategien anwenden, die diesen natürlichen Neigungen entgegenwirken oder sie umlenken. Dies beinhaltet den Fokus auf Erklärungen, Vereinfachung, das Lernen aus Fehlern, die aktive Gestaltung der Zukunft, die Nutzung von Anreizen (Ergebnisse, soziale Anerkennung, Freiheit) statt Zwang, eine ausgewogenere Risikobetrachtung, das Überwinden des eigenen Egocentrism und die Kultivierung von Optimismus. Es geht darum, das menschliche Denken nicht zu ignorieren, sondern es clever zu nutzen, um Fortschritt und Veränderung zu ermöglichen, die nicht auf Verzicht, sondern auf attraktiven Alternativen und greifbarem Nutzen basieren.

Zitate

Krisen kommen immer überraschend, weil wir lieber in Trends denken und uns die Zukunft deswegen immer falsch vorstellen. Wir lieben unsere Ansichten so sehr, dass wir uns in Meinungsgrabenkämpfen gegen andere Menschen verschanzen, statt gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Und je gebildeter wir sind, desto besser gelingt uns genau diese intellektuelle Frontenbildung, bis am Ende ganze Gesellschaften zerfallen. Nicht aus geistiger Umnachtung, sondern als Ergebnis rhetorischer Schlachten. Wir sind so sehr von unseren ausgefeilten Denkmöglichkeiten verzaubert, dass wir bei Problemlösungen immer mehr Dinge hinzufügen, bis die Welt am Ende so komplex geworden ist, dass sie kaum steuerbar bleibt.

Dumm ist es, im Wissen um diese Denkschwächen trotzdem weiter unklug zu handeln. Genau das können wir uns hierzulande nicht leisten. Denn wir sind ein Land ohne große Ressourcen. Wir buddeln nichts aus der Erde, um es dann teuer zu verkaufen. Wir sind ein Land, das von den Ideen seiner Menschen lebt, von seiner Fähigkeit, Probleme anders anzupacken und besser zu lösen als anderswo auf der Welt. Kaum ein anderes Land ist derart darauf angewiesen, dass man sein Gehirn sinnvoll einsetzt und Dummheit (en) vermeidet.

Wissenschaft lässt uns gesünder sein – aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass wir auch glücklicher sind oder dass wir besser leben. Denn was ein »besseres Leben« ist, kann man leider nicht mit einer optimierbaren Kennzahl messen.

Früher bestand das Leben aus Fährnissen und Schicksalsschlägen – heute sind wir selbst schuld, wenn wir mit Hautkrebs ins Krankenhaus kommen, denn wir hätten es besser wissen können. Wie soll man in einem solchen übervernünftigen Lebensentwurf glücklich werden?

Es ist ein grundsätzliches Phänomen unseres Denkens, dass wir Zusammenhänge sehen, auch wenn gar keine da sind – und zwar insbesondere dann, wenn uns die Kontrolle abhandenkommt.

Und je unsicherer die wirtschaftlichen Zeiten sind, desto eher suchen Menschen Muster dort, wo keine sind: Je schlechter der Verlauf am Aktienmarkt, desto eher verkaufen sich Horoskope

Das Angebot, das die Wissenschaft in Zeiten der Unsicherheit bietet, ist einfach zu schlecht. Je komplexer die Probleme, je verworrener die Zukunft, je unsicherer die eigene Lage, desto besser ist das Versprechen einer Pseudoerklärung wie der Astrologie oder eines magischen Rituals. Es schafft Sicherheit, sogar als Placebo.

Sie haben nun schon zwei Zutaten kennengelernt, die uns irrational denken lassen: die Sehnsucht nach Erlösung und die Erfahrung von Unsicherheit. Beide sind plausibel und nachvollziehbar. Das trifft aber nicht auf die dritte Zutat zu: Bildung. Man könnte ja annehmen, dass Bildung das beste Gegenmittel gegen unwissenschaftliches Denken sei. Schließlich hat uns die Aufklärung beigebracht, dass es gerade der Erwerb von Bildung und Wissen ist, der Menschen kritisch denken lässt. Aber das ist ein Irrtum. Bildung sagt zum Beispiel nur wenig darüber aus, wie sehr sich Menschen von neuen Informationen überzeugen lassen. Eine grundsätzliche Fehleinschätzung in der Diskussion über den Klimawandel war deswegen lange Zeit, dass man den Menschen nur erklären muss, was es mit dem menschengemachten Treibhauseffekt auf sich hat – zwangsläufig würde dann die Meinung darüber, wie man dem Klimawandel begegnen soll, in Richtung erneuerbare Energien und Naturschutz kippen. Aber schon 2012 konnte eine Studie im Fachblatt Nature Climate Change zeigen, dass nicht Bildung oder Intelligenz ausschlaggebend dafür sind, ob man den Klimawandel als menschengemacht akzeptiert, sondern ob diese Ansicht mit dem eigenen sozialen Umfeld übereinstimmt.

Es zeigt sich, dass gerade unter den gebildetsten Menschen die Frontenbildung hinsichtlich des Klimawandels am größten ist.

Politische Intoleranz ist am größten unter weißen, gut gebildeten Stadtbewohnern. Es kommt noch schlimmer: Je intelligenter Menschen sind, desto hartnäckiger glauben sie, gerade sie würden keinen Denkfehlern unterliegen, und fallen deswegen häufiger darauf herein.

Es bleibt der erschreckende Befund: Bildung führt zu Dogmatismus. Je höher der Bildungsgrad, desto eher tendiert man zu harten und unverrückbaren politischen Positionen und desto eher versucht man sich in seinen Ansichten zu bestätigen, statt sich zu hinterfragen. Eine Erklärung dafür lautet: Je mehr man Menschen ausbildet und mit Wissen versorgt, desto beflissener werden sie natürlich auch, ihr Wissen und ihre Position zu verteidigen. Je sorgfältiger man sich eine eigene Position erworben hat, desto widerwilliger gibt man sie wieder auf. Die Bildung kommt, doch das unkritische Denken bleibt. So entsteht die vielleicht größte Paradoxie unserer Zeit: Mit Wissen und Bildung haben wir es geschafft, die dunklen Zeiten der Menschheitsgeschichte hinter uns zu lassen. Nur um jetzt erneut ein dunkles Zeitalter der gegenseitigen Ignoranz und der pseudowissenschaftlichen Heilsversprechen zu betreten.

Erschwerend kommt hinzu, dass gebildete Menschen in ihrer kognitiven Hybris (und nichts anderes zeigen alle in diesem Kapitel genannten Studien) zu einer ganz handfesten Fehleinschätzung neigen: Man erfindet Wissen, auch wenn gar keins da ist. In den USA behauptet etwa ein Fünftel der Konsumenten, schon mal ein erfundenes, gar nicht existierendes Produkt konsumiert zu haben.

Das große Missverständnis war, dass wir vom wissenschaftlichen Fortschritt erwartet haben, dass er die Menschen besser macht. Leider müssen wir nun feststellen: Wichtiger als die rationale Erkenntnis, das selbstkritische Auseinandersetzen mit Informationen, sind uns die eigenen Interessen und die soziale Kohäsion. Wir sind den Umweg über Bildung gegangen in der Hoffnung, dass wir daraufhin auch grundsätzlich kritisch, reflektiert, ja geradezu wissenschaftlich denken. Aber im Kern ticken wir immer noch wie im Mittelalter. Im Prinzip sind wir also immer schlauer geworden, bis wir jetzt wieder dumm werden.

Überall, wo Unsicherheit (über die Gegenwart oder die Zukunft) herrscht, wo eine Erlösungssehnsucht unerfüllt bleibt und wo sich gebildete Menschen tummeln, tun sich Möglichkeiten für neue religiöse Erzählungen auf. Ich spreche bewusst nicht von neuen Religionen, aber die Parallelen zu religiösen Narrativen sind in einigen Bereichen derart frappierend, dass man sie in einem Kapitel wie diesem nicht unerwähnt lassen darf.

Unter Zeitdruck denken Menschen weniger rational und faktenbasiert, dafür eher in religiösen Dimensionen (denn wissenschaftliches Denken erfordert vor allem eines: keinen Stress).

Ein ideologiefreier Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen erfordert, dass man sich ergebnis- und meinungsoffen austauscht.

Das wäre alles kein Problem, wenn wir uns nicht so verdammt überheblich selbst einreden würden, dass wir die Welt verstehen. Ehrlicherweise haben wir gar nichts verstanden – und die Art und Weise, wie Menschen vorgehen, um die Welt um sie herum zu erklären, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer. Man schnappt zwei Worte über einen Sachverhalt auf – schon glaubt man, es kapiert zu haben. Dabei ist uns noch nicht mal klar, wie genau eine Toilette das Wasser wegspült. Genau das ist die große Paradoxie unserer Zeit: Nie standen mehr Informationen zur Verfügung, und noch nie war die Gefahr so groß, genau deswegen weniger zu wissen.

Heute besteht die größte Gefahr nicht darin, dass wir zu wenig, sondern dass wir zu viel wissen. Wir haben viel mehr Informationen als früher, doch wirklich ins wissensbasierte Handeln kommen wir trotzdem nicht.

Eine Technik, die auf dem »Illusory Truth Effect«, der »Wahrheitsillusion«, basiert: Je öfter man etwas hört, desto eher glaubt man es (selbst wenn es gar nicht stimmt).

Das Problem des »Oberflächenwissens«. Der psychologische Fachbegriff für diese Denkschwäche lautet »illusion of explanatory depth«. Gemeint ist damit dasselbe: Je eher Menschen glauben, etwas zu verstehen, desto größer ist die Gefahr, dass sie es eben nicht tun. Oder anders gesagt: Dummheit nimmt zu, je mehr man glaubt, schlau zu sein.

Begründungen sind etwas anderes als Erklärungen. Das Problem in der heutigen Welt ist, dass politische Haltungen oftmals gut begründet, aber schlecht erklärt werden. In der gesellschaftlichen Debatte zählt das beste Argument, die beste Begründung für eine Maßnahme. Niemand wählt einen Erklärbären, sondern denjenigen, der am überzeugtesten von seiner Haltung ist oder diese am besten begründen kann. Die Forschung zeigt jedoch: Genau das führt dazu, dass sich Fronten verhärten oder Menschen mit radikalen politischen Positionen identifizieren. Was in einer politischen Debatte wirklich zählen sollte, ist die bessere Erklärung, nicht das bessere Argument. Denn interessanterweise bringt man die Überzeugungen von Menschen eher ins Wanken, indem man ihnen die Dinge erklärt, nicht indem man seine eigene Position begründet.

Wissenschaftler werden mit zunehmendem Wissen bescheidener. Nicht – Wissenschaftler hingegen tendieren dazu, mit zunehmendem Pseudowissen immer selbstbewusster zu werden. Leider kommt in der öffentlichen Wahrnehmung derjenige zu Wort, der von seiner eigenen Stärke überzeugt ist. Niemand setzt einen selbstzweifelnden Sokrates in eine Talkshow. Wie soll der auch ein knackiges Statement raushauen, wenn er permanent weiß, nicht alles zu wissen?

Erklärfehler 1: Wir erklären nicht genug

Erklärfehler 2: Die Sinnsuche 

»Teleologischer Fehlschluss« auf Deutsch: Sinnfehlschluss. Man erfindet einen Sinn für Dinge oder Vorgänge, auch wenn es gar keinen Sinn gibt. Das Problem: Solche Erklärungen muten besonders plausibel an. Es gibt nichts Eingängigeres, als einen guten Zweck in der Natur zu sehen.

Nach Schicksalsschlägen suchen wir krampfhaft nach einem Sinn, denn das Leid soll ja »nicht umsonst« gewesen sein. Wir vermuten hinter Zufällen eine Absicht, ein Schicksal, ein Ziel, auf das die Dinge zusteuern. Wir suchen sogar den Sinn des Lebens, denn schließlich passiert ja nichts ohne Grund. Natürlich passiert nichts ohne Grund – aber zweifellos ohne Zweck.

Das Problem dieses Fehlschlusses ist, dass wir die Welt nach Nützlichkeitskriterien beurteilen: Wir halten uns für so wichtig, dass wir sogar die simpelsten physikalischen oder biologischen Phänomene auf uns beziehen und danach beurteilen, ob ihre Funktion für uns relevant ist.

Sobald etwas nützlich ist, wird dahinter ein Zweck vermutet.

Was stimmig ist, muss noch lange nicht stimmen.

Erklärfehler 3: Der Reiz der Einfachheit

Menschen greifen überwiegend zu den Erklärungen, die mit den wenigsten Grundannahmen auskommen. Sie suchen nach der einen Ursache für alles – es sei denn, diese eine Ursache ist mindestens zehnmal unwahrscheinlicher als die komplizierte Variante mit vielen Ursachen.

Prinzipiell gewinnen Erklärungen, je einfacher sie gestrickt sind. Das Problem ist: Die Welt ist nicht einfach und schön.

Passen Sie deswegen auf, wenn Ihnen eine einfache Welterklärung angeboten wird. Sie kann stimmen, aber meistens tut sie es nicht. Das beste Gegenmittel, um nicht auf dieses Vereinfachungsdenken hereinzufallen, ist übrigens, sich ein bisschen mit den Dingen zu beschäftigen

Wenn man Menschen einen komplizierten Sachverhalt auch als kompliziert schildert, dann suchen sie sich auch eine kompliziertere Erklärung aus.

Einen Hauptgrund dafür, dass wir mehr zu wissen glauben, als es eigentlich der Fall ist, könnte man »Hierarchiekonfusion« nennen: Die allermeisten Dinge in unserem Leben sind hierarchisch organisiert. Wenn man zum Beispiel fragt, wie ein Auto funktioniert, werden die meisten sagen, dass ein Auto einen Motor hat, dass man mit einem Lenkrad lenken kann, dass man Gas geben und bremsen kann. Geht man eine Ebene tiefer, wird man vielleicht auch noch erklären können, dass Benzin verbrannt wird und den Motor antreibt oder dass man eine Kupplung hat, um den Gang zu wechseln. Sobald Menschen jedoch glauben, dass sie die ersten Hierarchieebenen eines Systems erklären können, bilden sie sich ein, das System verstanden zu haben. Man schaut gewissermaßen »von oben« auf den Sachverhalt und kann sich nicht vorstellen, dass es immer komplizierter wird, je tiefer man hinabsteigt. Wer kann schon wirklich die Funktion einer Kupplung erklären oder wofür man einen Turbolader braucht oder was eine Lambdasonde genau macht? Irgendwann wird unsere Welt so speziell, dass wir aussteigen. Wir müssen Experten das Feld überlassen, was dazu führt, dass Wissenschaft immer kleinteiliger wird.

Es gibt keine Universalgelehrten mehr, weil wir einen gesellschaftlichen Fortschrittsgrad erreicht haben, der es gar nicht mehr möglich macht, den ganzheitlichen Überblick über die Dinge zu behalten.

Über 80 Prozent aller Veröffentlichungen aus dem Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften (Psychologie, Pädagogik, Literaturwissenschaften, Soziologie oder Geschichtswissenschaften) werden überhaupt nicht zitiert – sprich: sind eigentlich für die Katz. Wir fragmentieren unsere Wissenschaften derart, dass wir irgendwann keinen Überblick mehr haben.

Wir können die in diesem Kapitel erwähnten Denkfehler nur vermeiden, indem wir häufiger erklären statt begründen. Eine Begründung zielt auf Nützlichkeit ab. Weil für jeden Menschen etwas anderes nützlich ist, schafft man auf diese Weise eine Front: Entweder das Gegenüber ist für mich oder gegen mich. Wenn ich jedoch aufhöre zu begründen und anfange zu erklären (oder um eine Erklärung bitte), verlasse ich den Boden der Konfrontation. Das bedeutet nicht, dass man sofort aufgeklärt und rational denkt, sobald man zu erklären beginnt, aber ohne gute Erklärungen werden wir keine guten Entscheidungen treffen.

Problem 1: Wir analysieren die Vergangenheit mit dem Wissen von heute

Der Fehler, den wir bei solchen Analysen begehen, nennt sich »Rückschaufehler«: Wenn man zurückschaut, erscheint auf einmal jede Entwicklung logisch und plausibel.

Erstens erinnern wir uns nur an das, was geklappt und sich durchgesetzt hat. Alle Fehlschläge werden aktiv ausgeblendet und gar nicht weiterverarbeitet. Zweitens: Weil wir wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist (wir schauen schließlich mit dem heutigen Wissen zurück), basteln wir uns ein stimmiges Bild zusammen, sodass wir den heutigen Zustand erklären können. Die Forschung zeigt sogar: Wir verfälschen aktiv unsere Erinnerung, mit dem Ziel, in einer möglichst widerspruchsfreien Welt zu leben.

Der Sinn des Gedächtnisses ist es nicht, die Vergangenheit akkurat wiederzugeben, sondern dass wir uns im Hier und Jetzt am wohlsten fühlen. Genau deswegen neigen narzisstische Menschen besonders gerne zum Rückschaufehler (schließlich sind Narzissten besonders daran interessiert, das eigene Weltbild zu schützen), und deswegen fallen ältere Menschen eher auf den Rückschaufehler rein als jüngere (denn je älter man ist, desto mehr Erinnerungsmaterial kann man nutzen, um sein Weltbild zu stützen).

Auch Wikipedia – Artikel über historische Ereignisse sind durch den Rückschaufehler systematisch verzerrt, schließlich schreiben heutige Menschen über die Vergangenheit und verzerren sie so, dass sie zur heutigen Welt passt.

Das Problem ist: Mit diesem Denken hat man es später immer besser gewusst, aber im eigentlichen Moment ist man dumm, weil man die Zukunft eben nicht antizipiert, sondern auf falsche Weise zurückschaut.

Um sich gegen den Rückschaufehler zu schützen (und aus der Vergangenheit zu lernen), ist es deswegen vielleicht besser, auf das zu achten, was nicht funktioniert hat.

Problem 2: Wir unterschätzen, wie sehr wir uns verändern

Genau deswegen haben wir auch immer Angst vor der Zukunft: Wir denken, wir müssten die Probleme von morgen mit den Techniken von heute lösen. Dabei wissen wir gar nicht, welche Techniken wir in 20 oder 40 Jahren zur Verfügung haben werden. Dieses Denkphänomen nennt sich »End of History«-Illusion.

Menschen glauben, sich in Zukunft weniger zu verändern, als sie es bisher taten.

Menschen unterschätzen systematisch (und zwar in jedem Alter), wie sehr sich ihre Lebenseinstellung in den kommenden Jahren ändern wird. Erst ab Mitte 50 gleichen sich unsere Zukunftserwartung und die tatsächliche Veränderung in unserem Leben an. Die krasseste Diskrepanz zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Veränderung gibt es übrigens im Alter von Mitte 20. Niemals im Leben unterschätzen wir mehr, wie sehr wir uns in den folgenden zehn Jahren ändern.

Joseph P. Overton, ein amerikanischer Politikanalyst, hat eine Theorie für solche Veränderungen entwickelt, die besagt, dass es einen Rahmen gibt – das nach ihm benannte Overton-Fenster –, der politische Korrektheit (man könnte auch sagen: die aktuell gesellschaftlich akzeptierte Ethik) absteckt. Ideen, die am Anfang noch völlig undenkbar oder radikal wirken, werden Stück für Stück erst akzeptabel, dann populär und irgendwann politischer Konsens.

Problem 3: Wir denken, die Welt wäre statisch

Denn biologische Prozesse sind komplex – und Komplexität ist mit einem statischen Gleichgewicht (einer ausbalancierten Waage) nicht vereinbar.

Anders gesagt: Die Vorstellung, dass man in einem statischen und ausbalancierten Zustand der Harmonie mit der Natur leben könnte, ist ein Irrtum. Ein statisches Gleichgewicht gibt es im Physikunterricht. Das war’s. Das Problem ist, dass wir uns nicht vorstellen können, dass sich eine Welt dynamisch und nicht linear entwickelt.

Es gibt in der Natur kein dauerhaft exponentielles Wachstum. Exponentielles Wachstum ist ein mathematisches Konstrukt. Tatsächlich gehen Veränderungsprozesse (gerade bei so hohen Wachstumsraten wie bei Viren oder Bakterien) irgendwann in einen chaotischen Zustand über. Was am Anfang noch exponentiell wächst, wird irgendwann unvorhersehbar.

Schließlich können sich schon winzigste Änderungen in einem komplexen System zu gravierenden Unterschieden auswachsen.

Wir sind heute die Vergangenheit von morgen. In 30 Jahren werden die Leute genauso zurückschauen und über uns lachen. Über unsere Vorstellungen, die alle nicht Wirklichkeit geworden sind. Über unsere Werte, die in einem halben Jahrhundert vielleicht völlig überholt sind. Über unsere Entscheidungen, die wir umgesetzt haben oder auch nicht. Weil man es später natürlich besser weiß. Der Punkt ist: Wir wissen es heute eben nicht besser. Das Einzige, was wir tun können, ist, uns selbst in diesem Moment nicht zu wichtig zu nehmen. Das aufzugeben, was wir haben, für etwas Besseres in der Zukunft.

Wir sollten diesen Mut haben, weil das die vielleicht einzige beständige Lektion ist, die uns die Geschichte lehrt: Spezialisten sind die Ersten, die bei Veränderungen aussterben.

Es haben immer die überlebt, die sich am schnellsten an neue Situationen angepasst haben.

Wir haben die Welt nicht verändert, weil wir das gemacht haben, was wir immer schon gemacht haben. Sondern weil wir uns rechtzeitig neue Sachen überlegt haben, die vielleicht nur einen kleinen, aber entscheidenden Vorsprung brachten. Dazu muss man aber proaktiv denken. Ansonsten geht es uns wie Nokia: Wir wussten es eigentlich besser, haben es aber nicht gemacht.

Die viel beunruhigendere Feststellung ist, dass die zunehmende Verfügbarkeit von Wissen nicht dazu geführt hat, dass Menschen mehr über den Tellerrand schauen. Stattdessen ist die Möglichkeit, genau die Informationen zu finden, die zum eigenen Weltbild passen, heute so groß wie nie.

Der Erfolg vieler digitaler Plattformen und Apps baut auf einem der grundlegendsten Denkfehler von allen auf: dem Bestätigungsdenken (engl.: Confirmation Bias).

Es ist menschlich, dass wir nicht aktiv Widerspruch suchen oder uns widerlegen wollen. Tatsächlich blenden wir aber auch aktiv Informationen aus, die unsere Sichtweisen angreifen – und das ist sogar im Gehirn messbar.

Im Laufe der Zeit tappen Menschen so sehr in die Bestätigungsfalle, dass sie sich auch von Freunden oder Familienmitgliedern abwenden können.

Je jünger, desto weniger definiert man sich über seine Rolle in der Gruppe, sondern darüber, wie sehr man »sein eigenes Ding« im Angesicht der Gruppe macht.

Jeder hat sein eigenes Internet. Es gibt nicht Facebook, Netflix, Google und Amazon. Es gibt Ihr Facebook, Ihr Netflix, Ihr Google, Ihr Amazon. Jeder von uns sieht etwas anderes, individuell auf sich Zugeschnittenes, wenn er ins Internet geht. Die Vorstellung, es gäbe so etwas wie einen gemeinsamen Informationsraum, wird immer mehr zum Irrglauben.

Heute werden Nachrichten nach unserem Nutzerverhalten individuell zusammengestellt. Das hat Auswirkungen auf unser demokratisches System.

Social Media sind ursächlich dafür, dass sich Menschen in ihren Meinungen radikalisieren und antidemokratischer handeln.

KI wird nicht gefährlich, weil sie schlauer wird als wir, sondern weil wir einfältiger werden als KI.

Wie will man Probleme kollektiv lösen, wenn wir dazu erzogen werden, ausschließlich uns selbst zu verwirklichen? Demokratien enden, wenn der Raum für eine gemeinsame Identität wegfällt.

In Großunternehmen sind nicht diejenigen Mitarbeiter die kreativsten, die am intelligentesten, am erfahrensten oder am gebildetsten sind, sondern diejenigen, die die meisten unterschiedlichen Kontakte haben.

Im Grunde würde es ausreichen, seinen eigenen Kopf auszuschalten und stattdessen knapp zehn vollkommen verschiedene Anlagestrategien zusammenzukopieren. Man würde gerade dann den Markt schlagen. Trotzdem machen Menschen das nicht. Wir denken, wir wüssten es selbst am besten. Das ist dumm.

Sag den Leuten, dass sie etwas nicht tun sollen, dann werden sie es erst recht versuchen.

Hinter dem Streisand-Effekt steckt ein grundsätzliches psychologisches Phänomen, das viele gut gemeinte Ideen scheitern lässt: die Reaktanz. Menschen lehnen Dinge einfach deswegen ab, weil man ihnen sagt, dass sie bestimmte Dinge tun sollen. Das kann im Extremfall zu dem führen, was man »Zurückfeuern« (engl. Backfire) nennt: Man tut genau das Gegenteil dessen, was von einem erwartet wird.

Die Uni Erfurt kam zu einem ähnlichen Befund: Mitte 2021 lehnte gut die Hälfte der Ungeimpften eine Impfung ab, weil sie »nicht dazu gedrängelt werden will«. Bei kleinen Kindern spricht man noch liebevoll von der »Trotzphase« – dabei endet dieses Trotzverhalten nie.

Reaktanz ist ein großes Problem, gerade wenn man schnell und direkt Maßnahmen durchsetzen will. Die Forschung zeigt: In solchen Fällen muss man mit Widerspruch rechnen – und zwar nicht, weil man die Maßnahmen schlecht begründet, sondern einfach aus Prinzip.

Menschen ist es wichtiger, frei zu entscheiden, statt klug zu entscheiden. Nach dem Motto: lieber dumm und unabhängig statt clever und nach Vorschrift.

Einen Klassiker kennen Sie bestimmt: das Türsteher-Phänomen. Je härter es ist, in einen Club zu kommen, desto größer ist die Versuchung, es zu schaffen. Je schwieriger man ein Produkt bekommen kann, desto eher will man es haben.

Reaktanz bedeutet auch: Was jeder hat, ist langweilig. In einem exklusiven Club zu sein, ist viel spannender, man fühlt sich besonders. Abweichendes Verhalten führt zu Exklusivität, Reaktanz ist die Tür zum Besonderen.

So wie in der portugiesischen Impfkampagne, die genau dieses Streben nach Individualität nutzte, indem man den Menschen eine persönliche Nachricht per SMS mit konkretem Impftermin schickte. Nach dem Motto: »Wir haben nächste Woche extra für Sie einen Impfstoff reserviert. Lassen Sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen! So einfach kommen Sie nie wieder dran!« Obwohl anfänglich 40 Prozent der portugiesischen Bevölkerung der Corona-Impfung skeptisch gegenüberstanden, waren am Ende 97 Prozent der über 12-Jährigen geimpft.

Gut gemeinte Ideen scheitern oft, weil man das Streben der Menschen nach freien Entscheidungen unterschätzt.

Statistisch reisen diejenigen, die sich ansonsten besonders umweltbewusst verhalten, am umweltschädlichsten in den Urlaub.

Psychologisch zeigt sich: Erst braucht es eine vernünftige Alternative, dann kann man ein Verbot durchsetzen. Denn Menschen suchen sofort Ausweichstrategien, wenn etwas verboten wird.

Ideen setzen sich dann durch, wenn sie mit den Grundmotiven des menschlichen Denkens in Einklang stehen.

Die drei Grundregeln der Veränderung: Das Streben nach Freiheit, das Streben nach Ergebnissen, das Streben nach sozialer Anerkennung.

Für unser Gehirn ist es übrigens ein großer Unterschied, ob wir uns etwas selbst erarbeitet, oder ob wir es einfach nur bekommen haben.

Das Siegen, das Überwinden von Widerständen oder Gegnern, ist für unser Gehirn ungleich erfüllender als ein Gewinn.

Das bedeutet auch, dass sich diejenigen Veränderungen am besten durchsetzen, die diesen Moment der Freiheit und Individualität betonen.

Oftmals wird davon gesprochen, dass erfüllende Arbeit sinnstiftend sein, einen »Purpose« (einen Zweck) haben sollte, wie es neudeutsch heißt. Das ist aus kognitiver Sicht Unsinn. Um in den Flow zu kommen und von der eigenen Arbeit glücklich zu werden, braucht es keinen »Purpose«, kein sinnstiftendes Ziel, sondern ein konkretes Ergebnis.

Wir alle wollen soziale Anerkennung.

Positives Feedback von Mitmenschen ist das Einzige, was sich nicht dauerhaft abnutzt.

Ohne diese soziale Wertschätzung stirbt nahezu jede Veränderung ab.

Andererseits zeigt die Studienlage auch, wie man Menschen zu wirklich nachhaltigem Verhalten motiviert: indem man ihnen ermöglicht, ihr Verhalten mit sozialem Status zu verknüpfen. Sobald man Menschen das Gefühl gibt, durch ein entsprechendes Verhalten höheres Ansehen in der Gesellschaft zu genießen, sind sie eher bereit, umweltfreundliche Produkte anstatt gleich teure, aber besser ausgestattete (sprich: luxuriösere) zu kaufen.

Wir wissen nun, wann sich gute Ideen durchsetzen: wenn man die Reaktanz der Menschen clever nutzt, eine (bessere) Alternative zum Bestehenden anbietet – und nicht vergisst, dass Menschen am Ende für ihr Verhalten einen Schulterklopfer wollen. Manchmal sind wir doch recht einfach gestrickt.

Wenn so viele Probleme schon ewig bekannt sind, warum unternimmt man nichts dagegen? Oder wird zumindest rechtzeitig aktiv, um eine absehbare Entwicklung positiv zu nutzen?

Wir wissen an so vielen Stellen, dass wir etwas tun müssen. Wir haben auch so viele Pläne und gute Ideen auf dem Tisch. Doch wir kommen nicht in die Gänge. Das liegt nicht nur daran, dass wir die Zukunft falsch einschätzen, sondern auch daran, dass wir in unserem Denken zwei Grundfehler machen, mit denen wir uns eine bessere Zukunft verbauen: Wir denken lieber an die Gegenwart als an die Zukunft. Und wir halten im Zweifel an dem fest, was wir jetzt schon haben.

Wir leben also gern auf Kosten zukünftiger Generationen, denn wir kennen sie ja nicht. Nun könnte man einwenden, dass man vielleicht etwas mehr an die Zukunft denkt, wenn man eigene Kinder oder Enkel hat. Doch eine groß angelegte US-Studie zeigte ein anderes Ergebnis: Grundsätzlich macht sich mehr als die Hälfte der Menschen gar keine oder nur sehr selten (einmal im Jahr) Gedanken über das eigene Ich in 30 Jahren – und ob man Kinder hat oder nicht, ändert daran wenig.

Eigentlich paradox: Erst wenn man die eigene Endlichkeit zu spüren beginnt, macht man sich wirklich Gedanken über das, was kommen kann. Wenn es dann mal nicht zu spät ist. Kurz gesagt: Wir leben im Augenblick, weil wir zur Zukunft gar keinen Draht haben.

Die Hirnforschung zeigt: Was wir nicht konkret spüren und erleben können, hat für uns keine Relevanz.

Im Zweifel schützen wir deswegen lieber das, was wir haben, statt es für eine unsichere Zukunft aufzugeben. Das kann man gut finden oder auch nicht (ich tue es nicht), aber leider ticken wir nun mal so.

Trotzdem ist den Menschen eine unmittelbare Belohnung mehr wert als eine zukünftige.

Das mentale Abwerten der Zukunft ist eine der am besten belegten menschlichen Denkfallen. Es trifft übrigens nicht nur auf finanzielle Entscheidungen zu, sondern auch auf emotionale: Das gleiche schöne Ereignis jetzt zu erleben, macht uns mehr Spaß, als zu wissen, dass man es später erleben wird. Einen Grund dafür haben Sie soeben schon gesehen: Wie es unserem zukünftigen Ich geht, kümmert uns wenig.

Wer an die Zukunft denkt und kurzfristige Impulsivität unterdrückt, ist erfolgreicher, altert langsamer und lebt gesünder.

Doch mittlerweile sieht man die Untersuchungen zum Belohnungsaufschub kritischer: Folgestudien mit einer breiteren Stichprobe zeigten, dass der »Marshmallow-Effekt« ziemlich gering ist. Denn in den ursprünglichen Studien wurden nur Kinder der amerikanischen Elite untersucht (nämlich Kinder von Leuten, die an der Uni Stanford arbeiteten), die eher darauf vertrauten, dass sich das Warten lohnt. Wer hingegen aus einem weniger gut situierten Milieu stammt, für den ist nicht der Belohnungsaufschub am erfolgversprechendsten, sondern die Fähigkeit, jede Gelegenheit sofort beim Schopfe zu packen. Genau dann denken wir kurzfristig – unsere Zukunft ist uns regelrecht egal. Und zwar ganz wortwörtlich.

Das Festhalten am Status quo hat einen gewaltigen Vorteil: Man muss nicht viel denken, sondern kann sein Standardverhalten einfach abspulen.

Das Status-quo-Denken spart Zeit und Energie – und führt sehr leicht zu Gewohnheiten. Das klingt harmlos, aber tatsächlich sind Gewohnheiten der maßgebliche Faktor dafür, dass wir unser Verhalten nicht ändern.

Sie können eine Gewohnheit nicht löschen, Sie können sie nur mit einer neuen Gewohnheit überschreiben. Das liegt auch daran, dass Gewohnheiten in Hirnregionen verarbeitet werden, die unserem Bewusstsein nicht zugänglich sind: den Basalganglien, die automatisierte Handlungen steuern. Sobald Sie also auf einen Schlüsselreiz treffen, werden Sie mit einem automatisierten Verhalten (einer Routine) reagieren.

Lieber sterben wir einen Tod durch unterlassene Umsetzung guter Ideen, statt voreilig das aufs Spiel zu setzen, was wir schon erreicht haben.

Bittet man Menschen zum Beispiel, sich konkret vorzustellen, wie sie in einigen Jahren leben werden, so werten sie die Zukunft weniger ab. Sie verhalten sich sozialer oder sorgen cleverer für die Zukunft vor.

Menschen treffen jedoch in einem komplexen Umfeld dann die besten Entscheidungen, wenn sie sich nicht im Klein-Klein verlieren, sondern ein übergeordnetes Ziel im Sinn haben. Leider machen wir das nicht. Statt zu fragen »Wo will ich hin? Was wird dafür am besten funktionieren?«, orientieren wir uns wie Gewohnheitstiere an unseren letzten Entscheidungen. Was gestern schon gut war, wird morgen auch gut sein.

Das größte Hindernis, dieses Neue auch wirklich anzugehen, ist sicherlich unser Gewohnheitsdenken, das Festhalten am Bestehenden. Interessanterweise setzen sich große Umbrüche nicht deswegen durch, weil sie irgendwann (nach vielen Jahren) einen Vorteil bringen, sondern meistens schon ganz konkret ab dem ersten Moment ihrer Umsetzung.

Niemand baut eine Wärmepumpenheizung ein, weil man dann in 15 Jahren mehr Geld gespart hat als mit einer Gasheizung. Denn erstens sind wir uns in 15 Jahren ziemlich egal, und selbst wenn wir unser zukünftiges Ich ernst nehmen sollten: Je später sich ein Investment rentiert, desto eher sollte man nicht investieren. Denn möglicherweise gibt es bis dahin gewinnbringendere technologische Alternativen. Sobald man jedoch einen kleinen Vorteil hat, und sei er noch so klein, springen Menschen sofort auf einen neuen Trend auf – und ändern sogar ihre Gewohnheiten.

Die schlechte Nachricht ist also: Menschen tun sich mit Veränderungen sehr schwer. Die gute ist: Sobald Veränderungen einmal angestoßen werden, setzen sie sich oft sehr radikal und schnell durch – solange wir uns nicht vor der Unsicherheit zu sehr fürchten.

Gerade weil wir so schlecht darin sind, mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen, schätzen wir zum Beispiel Risiken falsch ein. Oder wir betreiben viel zu viel Aufwand, um auch das letzte bisschen Restrisiko zu minimieren. Wir fokussieren uns auf die falschen Probleme und blenden mindestens genauso wichtige Probleme aus. Und wir werden irgendwann so risikoscheu, dass wir uns gar nichts mehr trauen. In einem Land, das auf Fortschritt angewiesen ist, kann das ein sehr teurer Fehler sein.

Denn das Bild im Kopf ist wichtiger als die relative Eintrittswahrscheinlichkeit. So entsteht irrationales und dummes Verhalten. Was ist beispielsweise gefährlicher: dass man mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:100.000 von radioaktiven Abfällen Krebs bekommt – oder dass man mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:100.000 aufgrund von natürlich vorkommendem Radongas Krebs bekommt? Selbst bei exakt identischen Risiken sagen Menschen dennoch, dass der radioaktive Abfall gefährlicher ist als das natürliche Radon – und zwar nicht nur ein bisschen, sondern 4000 – mal gefährlicher.

Selbst wenn sich Menschen dieser Vollkaskomentalität bewusst sind, zahlen sie trotzdem einen Aufpreis. Denn das Gefühl der »absoluten Sicherheit« ist Lohn genug. Das Problem ist, dass die Kosten für die letzten Prozente Sicherheit immer weiter ansteigen.

Wider besseres Wissen versuchen wir, das letzte bisschen Restrisiko zu bekämpfen, und konzentrieren uns dabei auf die falschen Probleme. Dieses Denken führt zu einer seltsamen Risiko-Fehleinschätzung: Die Furcht vor bestimmten Dingen verdrängt andere Probleme aus unserem Blickfeld.

»Omission Bias«, den Unterlassungsfehler.

Karl Popper: Der Beweis einer Nichtexistenz (auch von Gefahren) ist unmöglich.

Menschen neigen dazu, zu viel gegen das letzte bisschen Restrisiko zu investieren. Viel schlimmer ist jedoch, dass eine falsche Risikoeinschätzung auch dazu führen kann, dass man die falschen Probleme zuerst löst. Ein Phänomen, das in der Wissenschaft als »Worst-first-Heuristik« bekannt ist. Anders gesagt: Wir stürzen uns auf den Worst Case und verlieren dadurch andere Probleme aus dem Blick.

Menschen versuchen eher, den seltenen GAU zu vermeiden, anstatt die Kräfte auf ein sehr viel häufiger auftretendes Problem (mit geringem Schaden) zu fokussieren, dessen Bekämpfung insgesamt einen größeren Effekt haben würde.

Sobald verschiedene Entscheidungen miteinander konkurrieren (soll man lieber aus der Atomkraft oder aus der Kohle zuerst aussteigen?), gewichten wir Hochrisikoinformationen stärker als Informationen über ein niedriges Risiko. Weil einem ein explodierendes Atomkraftwerk in der Nachbarschaft ganz schön den Tag versauen kann, fürchtet man sich folglich mehr vor den Folgen einer Nuklearkatastrophe als vor dem unscheinbaren, schleichenden Gifttod infolge andauernder Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke. Oder wir haben Angst vor der Unvermeidbarkeit der Klimakatastrophe – dabei ist das eigentliche Problem viel unscheinbarer: der Fachkräftemangel. Leider ist dieses Wort so spröde, dass man sich seiner Gefahr nicht bewusst wird. Wie sollen wir das Land umkrempeln, wenn wir keine Leute haben, die unsere Häuser sanieren, neue Wärmepumpen einbauen oder überhaupt an noch effizienteren Speichertechnologien und besseren Stromnetzen arbeiten? Aber »Fachkräftemangel« klingt viel zu langweilig.

Natürlich wäre es dumm, sich nicht auf Risiken vorzubereiten. Genauso dumm ist es jedoch, das Risiko so sehr zu scheuen, dass uns die Chancen entgehen.

Je älter und reicher eine Gesellschaft wird, desto risikoaverser wird sie. Das liegt zum einen daran, dass Menschen im Alter generell eher das Risiko scheuen als junge Leute.

Das ist gefährlich, denn je risikoaverser eine alternde Gesellschaft wird, desto mehr würgt sie das Wirtschaftswachstum ab.

Die Neugier ist der stärkste Trieb des Menschen, nicht das Streben nach Sicherheit.

Dieses Phänomen nennt man in der Psychologie den »Spotlight-Effekt« – das Gefühl, man stehe immer im Mittelpunkt und alle anderen schauten auf einen. So wird man auf eine eigenartige Weise intolerant: nicht dadurch, dass man die anderen Haltungen direkt und konfrontativ ablehnt, sondern dadurch, dass man sich so sehr um sich selbst dreht, dass man sich gar nicht mehr vorstellen kann, jemand anderes würde auf andere Weise denken. Der Spotlight-Effekt ist eines der am besten untersuchten psychologischen Phänomene, und er kommt häufig in Begleitung anderer Denkprobleme, die verhindern, dass wir uns aus unserer ultra – subjektiven Position befreien – mit schwerwiegenden Auswirkungen auf unser Entscheidungsverhalten.

Menschen denken, andere Menschen würden besonders auf sie achten, dabei ist man den anderen meistens egal.

Wenn wir uns für den tollsten Hecht halten, sind wir den anderen besonders egal. Warum ist das so? Eine aktuelle Hypothese geht davon aus, dass wir in unserem Denken zu Beginn immer einen festen Halt suchen, eine Orientierungsgröße, mit der wir die Wirklichkeit vergleichen können. Was wir dabei praktisch immer zur Hand haben, sind wir selbst. Wir vergleichen uns also immer mit unserem »Durchschnitts-Ich« und überbetonen anschließend jede Abweichung. Deswegen denken Menschen, die ganze Welt würde auf sie schauen, wenn sie mal mit einem Pickel auf der Stirn zur Arbeit gehen oder sich die Haare nicht machen konnten. Man überschätzt seinen eigenen Einfluss auf sein Umfeld gewaltig.

Wir denken nicht nur, dass alle Welt auf uns achtet, sondern auch, dass unsere Ansichten völlig nachvollziehbar sind und deswegen von allen anderen geteilt werden. Das Phänomen, dass man allzu leicht glaubt, die eigenen Ansichten müssten bei den anderen verfangen, nennt man in der Wissenschaft »Transparenz-Illusion«.

Je mehr man von seinen Ansichten überzeugt ist, desto eher denkt man, dass andere Menschen die eigene Ansicht wohl teilen müssten.

Wenn man seine eigenen Ansichten auf die Welt überträgt, ist man nicht in der Lage, kollektiv kluge Entscheidungen zu treffen.

Problematisch wird es allerdings, wenn kollektive Lösungen gefragt sind und die Weltsicht des Einzelnen weniger zählen muss als die Weltsicht der Gruppe. Dann zeigen der Spotlight-Effekt und seine Begleiter ihr hässliches Gesicht: Überheblichkeit, Ignoranz und kollektive Unfähigkeit, Probleme zu lösen. Im Grunde ist dieses Phänomen eine der größten Bremsen, wenn es darum geht, gemeinschaftlich an der Zukunft zu arbeiten.

Niemand kann auf Anhieb unsere Probleme und Lösungen nachvollziehen. Und als Vorbild für andere Länder taugen wir nur, wenn deren Probleme irgendwie mit unseren vergleichbar sind. Viel wichtiger, als sich als Vorbild aufzuspielen (nebenbei bemerkt: was für eine westliche Überheblichkeit), ist es, anderen Ländern konkrete Angebote zu machen, die ihnen helfen können.

Wir übertragen unsere eigenen Ansichten viel zu leicht auf andere Menschen. Der Vorteil: Wir schaffen uns ein konsistentes Weltbild. Der Nachteil: Wir verlieren Mitstreiter auf dem Weg zu kollektiven Problemlösungen. Wir wundern uns darüber, dass wir nicht alle an einem Strang ziehen, um die Energiewende zu meistern oder die Digitalisierung in Deutschland umzusetzen. Kunststück, wenn wir erst mal denken, dass alle Welt so denkt wie wir selbst. Einem egozentrischen Besserwisser folgt man schließlich ungern in die Zukunft.

Wenn man Menschen von einer neuen Verhaltensweise überzeugen will, muss man damit beginnen, sich von seiner eigenen Denkweise zu verabschieden. Andersdenkende Menschen brauchen ein für sie attraktives Angebot, warum sie ihre Meinung ändern sollten, keine Belehrungen. Üblicherweise geht man jedoch anders vor: Man bewaffnet sich mit guten Argumenten, wissenschaftlichen Fakten, griffigen Erklärungen und hofft dann, damit andere Menschen umzustimmen. Das passiert aber nicht. 

Allzu aufdringliche Belehrungen können zurückschlagen und das Gegenteil auslösen.

Will man die Welt verändern, muss man davon ausgehen, dass die eigene Sichtweise ungeeignet ist, um andere zu überzeugen.

»Vielleicht sollten wir akzeptieren, dass der Klimawandel kommt. Und uns dann fragen, wie wir mit dieser Tatsache Geld verdienen können.« Anstatt die Leute mit Kampagnen zu einem besseren Verhalten zu bewegen, müssen sie von selbst erkennen, dass es sich lohnt.

Es gibt drei Arten von Menschen, die man dabei überzeugen muss: erstens diejenigen, die sozial eingestellt sind. Bei ihnen ziehen oftmals Erzählungen, dass man im Sinne der nachfolgenden Generationen umweltbewusst handeln oder seinen Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen sollte. Daneben gibt es die biosphärisch denkenden Menschen. Das sind diejenigen, die sich für das »Wohl des Planeten« einsetzen. Für sie zählt Umweltschutz schon allein deswegen, weil man sich nicht an »Mutter Natur« vergehen sollte. Die wichtigste Gruppe sind jedoch die Egoisten, die sich vor allem darum sorgen, ob es ihnen persönlich gut geht. Diese Leute werden sich niemals eine Wärmepumpe einbauen, um den Planeten zu retten, sondern nur, um Geld zu sparen. Sie würden auch nur dann ein Elektroauto kaufen, wenn es krasser fährt als ein Benziner, mehr Komfort bietet oder weniger kostet. Man stelle sich eine Welt vor, in der der Strompreis bei unter zehn Cent pro Kilowattstunde liegt (wie in Schweden übrigens). Man bräuchte dann weder politische Kampagnen für Wärmepumpen noch Subventionen für Elektroautos. Vorausgesetzt, der Strom wird klimaneutral erzeugt, würde man viele Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Egoisten würden zum Klimaschutz beitragen, weil sie einen persönlichen Vorteil daraus ziehen. Die Vorstellung jedoch, man könnte Menschen mit vernünftigen Sachargumenten oder apokalyptischen Zukunftsvisionen überzeugen, ist Unsinn. Es widerspricht der Art des menschlichen Denkens (zumindest bei den meisten), und diese Tatsache nicht zu akzeptieren, wird jede Zukunftsidee (ob Klimaschutz oder etwas anderes) scheitern lassen.

Menschen sparen nämlich nur dann ein, wenn es wirklich zu teuer wird (wie vor der drohenden Gaskrise im Ukrainekrieg 2022). Oder wenn sie ihren eigenen Fortschritt sehen können und er zu einem sozialen Vergleich führt. In Graubünden ging man deswegen anders vor als üblich. Anstatt den Leuten für jede eingesparte Kilowattstunde ein paar Punkte anzurechnen, die sie irgendwann in eine Prämie umtauschen konnten (klassische Belohnungen arbeiten nach genau diesem Prinzip), stellte man den persönlichen Erfolg beim Energiesparen auf eine Plattform, die in der Nachbarschaft einsehbar war. Ganz am Ende belohnte man nicht die einzelnen Nachbarn für ihre Energieeinsparung, sondern die komplette Nachbarschaft. Gruppenbelohnung statt Individualismus: So überwindet man den Spotlight-Effekt auf elegante Art. Außerdem schafft man sozialen Zusammenhalt: Wer viel gespart hatte, konnte vor seinen Nachbarn nicht nur angeben und seinen sozialen Status erhöhen (man hatte ja viel für die Gruppe getan), sondern man konnte sich vor allem austauschen, wie es mit der Energieeinsparung noch besser gelingen könnte. Trittbrettfahrer? Keine. Endergebnis: 17 Prozent mehr Einsparung als bei klassischen Energiekampagnen.

Drehen wir uns zu sehr um uns selbst, werden wir auch die tollsten Ideen niemals umsetzen können. Andererseits gelingt genau das, wenn man das Gruppendenken von Menschen ausnutzt, um eine gemeinsame Idee von Fortschritt und Veränderung zu schaffen.

Minderheiten haben es schon allein deswegen schwer, sich gegen Mehrheiten durchzusetzen, weil sich eine vorherrschende Meinung viel leichter in der Wahrnehmung der Menschen festsetzt als eine Minderheitsposition.

Minderheiten müssen Menschen auf andere Weise überzeugen, als es Mehrheiten tun. Die Mehrheit mag der Minderheit eine Meinung aufdrücken – allein schon, weil sie in der Mehrheit ist. Niemand will einfach so aus der Gruppe herausfallen. Es sei denn, man ist ein Individualist oder hat sehr gute Argumente. Denn schließlich kann es teuer werden, sich als Außenseiter zu irren.

  • Problem 1: Wir fügen immer mehr hinzu
  • Problem 2: Wir suchen die umständliche Lösung
  • Problem 3: Wir lieben das Komplizierte »Seductive Allure«-Effekt, Verführungsreizeffekt, nennt sich dieses Prinzip, nach dem man Dinge einfach nur ein bisschen komplizierter machen muss, als sie eigentlich sind, um eine Begehrlichkeit zu wecken.
  • Problem 4: Wir erfinden neue Probleme

Noch nie waren die technischen Möglichkeiten zur Zeitersparnis so groß wie heute. Und noch nie haben sich Menschen derart gehetzt gefühlt.]​ Das liegt vornehmlich daran, dass Menschen noch nie in ihrer Geschichte technischen Fortschritt eingesetzt haben, um Zeit zu sparen. Im Gegenteil: Wenn man die gleichen Sachen in kürzerer Zeit erledigen konnte, machte man in derselben Zeit einfach mehr.

Der Arbeitsumfang von Projekten liegt deswegen immer am Limit (aber nicht darüber), genauso wie eine Gefriertruhe immer voll ist. Wenn Sie das Fassungsvermögen Ihrer Gefriertruhe verdoppeln, werden Sie nach einiger Zeit nicht etwa feststellen, dass sie nur halb voll ist.

»Arbeit dehnt sich in dem Maße aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.«​]​ Anders gesagt: Mehr Technik hilft nicht, um Bürokratie, eskalierende Vorschriften oder unnötig komplizierte Abläufe zu bändigen. Im Gegenteil: Je mehr Ressourcen ich für die Bekämpfung des Problems einsetze, desto größer wird das Problem werden. Ein Teufelskreis. Spannend ist übrigens eine andere Variante des »Parkinson-Effekts«: dass nämlich die Zeit, die man für die Lösung eines Problems aufwendet, umgekehrt proportional zu dessen Kosten ist.

Das Bürokratie-Monster bändigen: Irgendwann werden solche Gesellschaften derart übersteuert, dass sie kaum noch anpassungsfähig für neue Probleme sind.

Nicht umsonst liegen die jährlichen Kosten, um die bürokratischen Vorschriften in Deutschland einzuhalten, bei 17 Milliarden Euro.

Erprobt sind beispielsweise »Sunset-Klauseln«, die Gesetze oder Vorhaben mit einem Ablaufdatum versehen. Eine Verordnung müsste sich erst im Laufe der Zeit als nützlich erweisen und dann bestätigt werden, bevor sie dauerhaft wird. Ein Verfahren, das zumindest einen ersten Schutz gegen automatische Bürokratieeskalation bietet und in angelsächsischen Ländern häufiger Anwendung findet.

Sobald wir uns bewusst machen, dass Lösungen auch im Weglassen bestehen können, findet man sie auch.

Je klarer das zu erreichende Ziel und desto definierter die dafür einsetzbaren Ressourcen, desto schlanker wird die Umsetzung. Das heißt nicht, dass sich jedwedes Problem flott und zügig umsetzen lässt, doch der eigentliche Wechsel muss in unserem Denken erfolgen. Wir denken zu wenig daran, für den Fortschritt unnötigen Ballast oder verschlimmbessernde Prozesse über Bord zu werfen. Wir nehmen viele Dinge als gegeben hin und hinterfragen sie nicht mehr.

Immerhin könnte Verzicht der Schlüssel zu einem nachhaltigen Leben sein. Hat nicht schon der »Club of Rome« in seinem legendären Bericht über die »Grenzen des Wachstums« 1972 vor den Folgen eines unkontrollierten Wachstums gewarnt? Die Idee ist schließlich wundervoll einleuchtend: Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Irgendwann sind alle Ressourcen aufgezehrt, spätestens dann kommen wir ans Limit unserer menschlichen Existenz. Natürlich ist dieser Gedanke unvollständig. Denn selbstverständlich können begrenzte Dinge Unendlichkeit ermöglichen. Eine Kugeloberfläche ist zum Beispiel endlich, hat aber keine Grenzen. Deswegen können Sie auf einer Kugeloberfläche unendlich weit herumfahren, ohne je an eine Grenze zu stoßen. Um im Bild zu bleiben: Auch ein Gehirn hat nur begrenzte Ressourcen. Es passt in Ihren Schädel und wiegt gerade einmal anderthalb Kilo. Dennoch sind die Möglichkeiten des menschlichen Geistes praktisch unbegrenzt. Denn bei der Frage des Wachstums (auch des geistigen) darf man nicht unterschätzen, dass man dieselben Ressourcen auch mehrfach verwenden kann. Wir trinken zum Beispiel nahezu dasselbe Wasser wie die Dinosaurier.

Je mehr wir erwarten, desto stärker muss die Dopaminausschüttung sein, um glücklich zu werden. Umgekehrt gilt auch: Bei niedriger Erwartungshaltung reicht schon ein bisschen Dopamin, um sich besser zu fühlen. Das bedeutet wiederum, dass wir eigentlich nur glücklich sein können, weil wir uns in unserer Erwartungshaltung geirrt haben. Wir werden von der Wirklichkeit positiv überrascht – und genau diese Überraschung wird in ein Mehr an Dopamin übersetzt.

Deswegen ist Glück niemals absolut, sondern immer nur relativ.

Sie vergleichen sich immer mit Ihrer Umgebung. Unweigerlich beeinflusst unser Umfeld immer unsere Erwartungshaltung.

Nur wenn Sie mehr haben, als Sie erwartet hatten, können Sie biochemisch glücklich werden. Leider passen wir unsere Erwartungshaltung fortwährend an und schrauben sie nach oben, sobald wir ein Glücksgefühl hatten. Erhöhen wir jedoch den Dopaminpegel, muss er das nächste Mal noch höher sein, damit wir glücklich sein können.

Dies ist der erste Grund dafür, weshalb Verzicht so schwer ist: Wir definieren uns nicht darüber, was wir haben, sondern darüber, ob wir mehr oder weniger haben als zuvor. Und egal, welche psychologischen Tricks Sie anwenden, gegen die Natur Ihres Gehirns kommen Sie nicht an. Wenn Sie weniger von dem haben, was Sie vorher glücklich gemacht hat, dann macht Sie dieser Verzicht unglücklich.

Die Angst davor, weniger zu haben als zuvor, ist tief in uns verwurzelt.

Menschen bewerten Verluste etwa doppelt so hoch wie Gewinne. Oder anders gesagt: Es fühlt sich doppelt so schlimm an, 10 Euro zu verlieren, wie es sich gut anfühlt, 10 Euro zu bekommen. Genau deswegen ist es so schwierig, zu verzichten.

Europa zählt beispielsweise zu den verlustängstlichsten Gegenden der Welt.

Verlust muss man sich leisten können. Plus: Reiche Menschen wurden oftmals reich und mächtig, weil sie eher ins Risiko gingen. Sie sind vielleicht nicht weniger verlustängstlich, sondern vielmehr gewinnsuchend.

Allen, die dauerhaften Verzicht predigen und ihn als Ausweg aus unserer prekären planetaren Situation preisen, sind die Grundlagen des menschlichen Denkens offenbar unbekannt.

Glückliche Menschen haben schließlich noch nie die Welt verändert. Sie wollen ja gerade nichts mehr ändern, denn wenn man glücklich ist, will man diesen Zustand konstant halten.

Die Verzichtsgesellschaft ist eine akademische Reißbrettidee. Sie klingt auf dem Papier gut, unterschätzt jedoch die Grundlagen menschlichen Denkens, das organisch immer auf den Vergleich eingestellt ist.

Die Idee, dass man Verzicht und ökologisches Verhalten durch Aufklärung besonders gut »reframen« (also umdeuten) kann, wird von der wissenschaftlichen Verhaltensforschung nicht gedeckt.

Die Vorstellung, man könne Menschen durch eine einfache »Verzicht kann auch ein Gewinn sein«-Umdeutung motivieren, geht an der Wirklichkeit unseres Denkens vorbei.

Wenn Sie keine produktive Aufbruchsperspektive anbieten, stirbt die gesellschaftliche Identität.

Verzicht ist kein globales Exportmodell. Nur weil wir es uns in einer konsumgesteuerten Überflussgesellschaft erlauben können, auf ein bisschen zu verzichten, machen uns das andere nicht gleich nach.

Entweder man schafft ein ganz konkretes Nützlichkeitsversprechen – oder man wird gegen Windmühlen kämpfen. Im Grunde muss man das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden.

Es ist nicht nur die Aufgabe, sondern die verdammte Pflicht der Menschheit, solche Technologien zu entwickeln – und Aufbruchsversprechen zu erschaffen, die nachhaltig sind und trotzdem den menschlichen Drang nach mehr bedienen.

Als Deutscher hatte ich keine Probleme, den US-Kollegen mal richtig zu erklären, wie man die Welt schlechtredet. Wenn man in den USA seine Schuhe richtig zubinden kann, ist das gleich »fantastic«, »awesome« oder »great«. Das größte Kompliment, das man von einem Deutschen hören wird, ist die Verneinung des Negativen: »Nicht schlecht«, »Gar nicht übel« oder der Klassiker: »Es hätte schlimmer kommen können.«

Fairerweise muss man jedoch anmerken, dass wir Deutsche mit unserem Schwarzsehen nicht alleine sind: Weltweit denken knapp zwei Drittel der Menschen, dass ihr Land die aktuellen und zukünftigen Probleme nicht gebacken bekommt.​

Optimismus siegt. So treffen Optimisten bessere Finanzentscheidungen (und sorgen in Finanzfragen sogar eher für schlechte Zeiten vor als Pessimisten)​, werden häufiger befördert​​ oder sind besonders gut darin, Leute für Neues mitzureißen.​Pessimismus kann hingegen lähmen und dadurch zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.

Der Naivling weiß eigentlich, dass es nicht funktioniert, probiert es aber trotzdem. Das ist dumm. Der Optimist lässt sich auf Herausforderungen ein, die er schaffen kann. Er vertraut mit gutem Grund darauf, dass er es packt. Wenn er dann scheitert, muss er zwar damit klarkommen. Aber er hat vielleicht doch einen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Wenn wir nie das Vertrauen gehabt hätten, dass wir die Welt ein kleines bisschen besser machen können, wir hätten niemals etwas erfunden. Der Optimist verändert die Welt, der Pessimist wartet darauf, dass es nicht ganz so schlimm wird.

Trotz seiner gewaltigen Nachteile ist Pessimismus weltweit verbreitet. Mit einer Ausnahme: die großen Schwellenländer wie Indien oder China. Dort überwiegt der Optimismus, dass die Zukunft besser wird. Es verwundert nicht, dass diese Länder aktuell das größte technologische Momentum haben.

Erstens: Menschen unterschätzen die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs.

Zweitens: Menschen denken, früher war alles besser. Menschen haben schon immer so gedacht. Während die Zukunft unsicher ist und man mit Sicherheit irgendwann sterben wird, ist die Vergangenheit gewiss, und wir haben sie überlebt. Wir kontrollieren sie gedanklich, das gibt uns ein gutes Gefühl.

Drittens: Menschen erkennen den Fortschritt nicht. Das Unglück ist sichtbar. Das Glück auch. Aber wir sehen es nicht. Denn Fortschritt ist oftmals das, was selbstverständlich geworden ist, oder das, was nicht mehr passiert. Fortschritt ist meistens das, was nicht mehr passiert: dass eben keine Kinder mehr nach der Geburt sterben, dass es viel weniger Tote im Straßenverkehr gibt oder keine Kinderlähmung, keine Pocken, keine Cholera. Fortschritt ist auch deswegen nicht sichtbar, weil er meistens viel langsamer vonstattengeht als ein negatives Ereignis.

Wer ein pessimistischer Schwarzseher ist, den umgibt die Aura des Intellektuellen.

Wer hingegen heute schon die heraufziehenden Krisen ausmalt, gilt als weitsichtiger Vordenker.

Pessimisten klingen schlau, Optimisten verdienen das Geld.

Der Realist wird zum Pessimisten, der Optimist muss ein Träumer sein. Das ergibt sich zwangsläufig aus der Asymmetrie von Problemlösungen. Denn bevor wir eine Lösung haben, haben wir erst mal nur das Problem. Indem wir die zu lösenden Probleme in die Zukunft fortschreiben, unsere Lösungsmöglichkeiten aber nicht, stehen wir den Problemen immer hilflos gegenüber. Zumindest gibt es immer den Moment, an dem man keine Ahnung hat, wie man die Probleme lösen soll. An so einem Punkt stehen wir Menschen praktisch immer. Genau deswegen sehen die größten Mahner und die klügsten Pessimisten von gestern heute manchmal verdammt alt aus. 1897 wollten Lebensversicherungen beispielsweise keine Männer unter Vertrag nehmen, die Fahrrad fuhren. Begründung: Die Forschung hätte gezeigt, dass Fahrradfahren einige Körperfunktionen ebenso sehr schädigen würde wie Biertrinken.

Solange die besten Funktionen von KI darin bestehen, der menschlichen Produktivität zu assistieren und unser Denken zu beschleunigen (und auf diesem Niveau befindet sich KI gerade), wird der damit einhergehende Produktivitätszuwachs niemals in Massenarbeitslosigkeit münden, sondern in einen Zuwachs an Arbeit.

Menschen überschätzen den Fortbestand eines Problems (Stichwort: Trenddenken) in der Zukunft – und unterschätzen, dass wir neue Technologien zu dessen Lösung haben werden.

Niemals werden wir die Probleme von morgen mit den Technologien und Denkweisen von heute lösen. Und niemals haben Pessimisten die Welt gerettet. Sie waren nur in den größten Krisen besser vorbereitet. Deswegen sind sie nicht ausgestorben. Auch das kann ja manchmal ein Vorteil sein.

Pessimismus geht mit der Angst vor Kontrollverlust einher. Denn wer davon ausgeht, dass man die Dinge nicht im Griff hat, für den ist es besser, pessimistisch zu sein. Hingegen neigen Menschen dazu, optimistisch zu sein, wenn sie ihr Glück selbst steuern können.

Menschen sind immer dann am pessimistischsten, wenn es um die großen Trends in der Welt geht, die sie nicht aktiv beeinflussen können.

Der Grund, optimistisch sein zu sollen, liegt vielmehr darin, dass optimistische Menschen Probleme lösen, indem sie sich mit ihnen beschäftigen. Folglich verändern sie die Problematik und kommen dadurch auf neue Ideen.

Es ist das Wesen von menschlichem Fortschritt (und auch von Wissenschaft), dass jede Antwort neue Fragen und Probleme schafft.

Wenn wir Pech haben und uns die Ideen ausgehen, dann war’s das mit unserem Fortschritt. Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass Fortschritt davon abhängt, was wir daraus machen, dann sollten wir allen Grund haben, optimistisch zu sein.

Menschen sind dann am erfindungsreichsten, wenn die Krisen am größten sind.