Die Energiewende steht vor kritischen Herausforderungen, die unsere unmittelbare Aufmerksamkeit erfordern. Hier eine prägnante Zusammenfassung der Lage und konkrete Handlungsempfehlungen:

Aktuelle Situation

  1. Steigende Systeminstabilität
    • Die Zahl der Netzeingriffe hat drastisch zugenommen: von einstelligen Zahlen vor 20 Jahren auf über 12.000 (2022), über 15.000 (2023) und bereits über 14.000 bis Mitte November 2024.
    • Negative Strompreise: 440 Stunden bis Mitte November 2024, gegenüber 301 Stunden im gesamten Jahr 2023.
  2. Drohende Versorgungsunsicherheit
    • Frühjahr 2025: Mögliche unkontrollierbare Systemzustände durch übermäßigen Ausbau nicht steuerbarer Photovoltaikanlagen.
  3. Finanzielle Belastungen
    • Steigende Kosten für Redispatch-Maßnahmen
    • Zunehmende Subventionen für negative Strompreise

Kernprobleme

Handlungsempfehlungen

  1. Sofortige Einführung eines strukturierten Programmmanagements
    • Etablierung eines zentralen Steuerungsgremiums für die Energiewende mit interdisziplinären Fachexperten
    • Implementierung eines Plan-Do-Check-Act Verfahrens zur kontinuierlichen Anpassung
  2. Förderung dezentraler Energiestrukturen
    • Entwicklung eines „Energiezellensystems“ mit lokalem Energiemanagement
    • Stärkung der Resilienz gegen großflächige Ausfälle
  3. Überarbeitung der Anreizstrukturen
    • Einführung flexibler Vergütungsmodelle für erneuerbare Energien
    • Förderung systemdienlichen Verhaltens bei Anlagenbetreibern
  4. Beschleunigte Digitalisierung des Energiesektors
    • Ausbau intelligenter Netze zur besseren dezentralen Steuerung von Angebot und Nachfrage (u. A. Smartmeter)
    • Implementierung robuster Cybersicherheitsmaßnahmen
  5. Entwicklung eines nationalen Krisenvorsorgekonzepts
    • Vorbereitung von Behörden, Unternehmen und Bevölkerung auf mögliche Großstörungen
    • Regelmäßige Übungen und Schulungen zur Krisenbewältigung
    • Sicherung des Strombezugs aus den Nachbarländern durch Verträge und Anpassung der Grenzkuppelstellenkapazitäten (Übertragungskapazitäten)

Fazit

Die Zeit drängt. Ohne sofortige und koordinierte Maßnahmen riskieren wir die Versorgungssicherheit und die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende. Governance ist jetzt gefragt, um diese kritischen Herausforderungen anzugehen und den Weg für eine sichere, bezahlbare und nachhaltige Energiezukunft zu ebnen.

Ausformulierte Variante

Die deutsche Energiewende ist von Beginn an durch eine fehlende Programmplanung und -steuerung gekennzeichnet. Daher erfolgte der Umbau bisher weitgehend ohne Berücksichtigung der systemischen und physikalischen Voraussetzungen, um die bisher sehr hohe Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit auch in Zukunft gewährleisten zu können. Dies funktionierte bisher auch deshalb, weil das europäische Verbundsystem aufgrund seiner Größe bisher viele Fehler verziehen hat. Gerade komplexe Systeme sind Weltmeister im Puffern. Wird dem System jedoch keine Zeit mehr zur Regeneration gegeben, führt dies zu schweren Schäden oder gar zum Zusammenbruch.

Ein Indikator dafür sind die rasant zunehmenden Eingriffe ins Netz, um die Systemstabilität jederzeit zu gewährleisten, sogenannte Redispatch-Maßnahmen, bei denen jeweils vor und hinter einem Engpass zusätzliche Kraftwerke hoch- oder heruntergefahren werden müssen, was mit erheblichen Kosten verbunden ist. Während vor rund 20 Jahren die Zahl der notwendigen Eingriffe im gesamten Jahr noch im einstelligen Bereich lag, waren es 2022 bereits über 12.000, 2023 über 15.000 und 2024 bis Mitte November bereits über 14.000 Eingriffe. Hinzu kommen weitere enorme Eingriffe und Abschaltungen von Photovoltaikanlagen in den verschiedenen Verteilnetzen. Zudem führt der stark gestiegene Zubau von Photovoltaikanlagen, von denen etwa zweidrittel kleine und damit nicht regelbare Anlagen sind, dazu, dass bereits im Frühjahr 2025 möglicherweise nicht mehr beherrschbare Systemzustände auftreten könnten, da im Wechselstromnetz Erzeugung und Verbrauch immer ausgeglichen sein müssen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Anlagenbetreiber keinen Anreiz haben, sich systemdienlich zu verhalten, da sie immer eine feste Vergütung erhalten, egal ob der Strom gerade benötigt wird oder nicht. Dies führt auch zu einem massiven Anstieg der negativen Preise, d.h. es muss sogar für die Stromabnahme bezahlt werden. Die Differenz zahlt der Steuerzahler. Während es im bisherigen Spitzenjahr 2023 noch 301 Stunden mit negativen Preisen gab, waren es 2024 bis Mitte November bereits 440 Stunden. Hinzu kommen knapp 200 Stunden mit Preisen zwischen 0 und 0,5 Euro und weitere knapp 500 Stunden mit Preisen unter 20 Euro pro Megawattstunde, in denen kein Kraftwerk wirtschaftlich betrieben werden kann.

Gleichzeitig nimmt die Zahl der Mikromanagementeingriffe durch Politik und Regulierung deutlich zu, die oft nicht zu Ende gedacht sind und neue Probleme schaffen. Zudem drängen immer mehr Akteure auf den Strommarkt, die in irgendeiner Form an den möglichen Gewinnen aus einzelnen Maßnahmen oder Förderungen partizipieren wollen. Für die Nebenwirkungen muss wieder die Allgemeinheit aufkommen. Die geforderte Flexibilisierung soll den Balanceakt zwischen steigender volatiler Erzeugung und gleichzeitig steigendem Verbrauch besser ausbalancieren. Dafür fehlt jedoch die notwendige Digitalisierung, um hier entsprechend reagieren und auch abrechnen zu können. Mit der notwendigen Digitalisierung steigt jedoch gleichzeitig die Komplexität und letztlich auch wieder die Anfälligkeit für Störungen oder Cyberangriffe.

So zieht sich eine Konstante durch die Energiewende: Ein Flickenteppich von nicht zu Ende gedachten Einzelmaßnahmen, die jede für sich gut gemeint sind, aber oft das Gegenteil erreichen. Die wesentliche Ursache dafür ist eine fehlende und mangelhafte System- und Programmplanung, um den größten Infrastrukturumbau aller Zeiten auch nur ansatzweise und noch dazu im laufenden Betrieb sicher und bezahlbar umzusetzen. Gleichzeitig handelt es sich um die wichtigste Lebensader einer modernen Gesellschaft. Ein auch nur mehrstündiger großflächiger Stromausfall durch Komplexitätsüberlastung hätte unvorstellbare Folgen und würde das ganze Land ins Chaos stürzen, da vor allem ein Infrastruktur- und Versorgungsausfall die Folge wäre, der weit länger andauern würde als der ursprüngliche Stromausfall. Schlimmer noch: Weder die Bevölkerung noch die Unternehmen oder die staatlichen Strukturen wären aus heutiger Sicht in der Lage, adäquat darauf zu reagieren.

Um die zunehmende Komplexität und damit auch Vulnerabilität in den Griff zu bekommen, wären vor allem dezentrale Strukturen und Funktionseinheiten mit einem sektorübergreifenden Energiemanagement („Energiezellensystem“) erforderlich, die sich an der Natur orientieren, wo sich zelluläre Strukturen in der Evolution bewährt und durchgesetzt haben.

Gegenwärtig gibt es jedoch einen gegenläufigen Trend: Immer mehr Zentralisierung und Mikromanagement, das wenig Aussicht auf Erfolg hat. Zudem fehlt ein geordneter Plan-Do-Check-Act-Prozess, um bei veränderten Rahmenbedingungen vergangene Entscheidungen an die neuen Bedingungen anzupassen, ohne wieder ins Mikromanagement zu verfallen. Zelluläre Strukturen könnten viele dieser Probleme auffangen, auch wenn sie nicht von heute auf morgen skalierbar sind. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der zweite Schritt, vor dem ersten, nicht zum Ziel führen wird, auch wenn eine gewisse Dringlichkeit geboten ist. Es ist absehbar, dass der derzeitige Weg weder im Hinblick auf die Versorgungssicherheit noch auf die Klimawirksamkeit zum Erfolg führen wird.