Das Projekt Kritische Infrastrukturen – Resilienz als Mindestversorgungskonzept (KIRMin) untersuchte, welche Anforderungen und Möglichkeiten es auf kommunaler Ebene gibt, um großflächige und langandauernde Ausfälle von Strom, Wasser und Sperrungen von Zugangswegen zu überstehen, und sich besser darauf vorzubereiten. Versorgungsausfälle treten in Deutschland zum Glück selten auf, jedoch haben Winterstürme wie im Münsterland 2005 oder Hochwasser wie 2013 gezeigt, dass einzelne Ortschaften mehrere Tage ohne Strom (und damit ohne Heizung usw.) oder ohne Trinkwasser sein können. Auch Bahntrassen und andere Verkehrswege sind z.T. nach Hochwasserschäden tage- manchmal sogar wochenlang nicht wie gewohnt nutzbar.

Zum einen arbeitete das Projekt KIRMin auf, welche Ressourcen, Erfahrungen und Möglichkeiten all diese Akteure haben, um einen mehrtägigen Ausfall von Strom, Wasser, Treibstoff, Nahrung und anderen, teils lebenswichtigen Versorgungsgütern und den dazu nötigen Dienstleistungen (im Bevölkerungsschutz auch „Kritische Infrastrukturen“ genannt) zu bewältigen. Zum anderen wird auch untersucht, wo es noch Bedarf gibt, um mit solchen Krisen umgehen zu können, gerade dann, wenn sie das bislang bekannte Maß übersteigen. So sind z.B. Feuerwehren und Rettungsdienste und andere Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sehr erfahren im Umgang mit außergewöhnlichen Notlagen. Aber gerade dadurch, dass mehrtägige Ausfälle einer Infrastruktur bislang so selten auftraten, sind auch viele Einsatzkräfte damit nicht vertraut. Ein weiteres Problem ist, dass sich auch nahezu alle blind darauf verlassen, dass der Digitalfunk, der Supermarkt gegenüber, das Einsatzfahrzeug, die Wasserleitungen funktionieren. Was aber, wenn diese Kritische Infrastruktur auf einmal nicht funktioniert oder bereits woanders gebraucht wird?

Dies wurde im Projekt konkret im Raum Köln, dem angrenzenden Rhein-Erft-Kreis und auch mit Partnern aus Mülheim an der Ruhr untersucht. Von 2016-2019 haben sich Partner aus der Forschung mit Praktikern aus Stadt- und Kreisverwaltungen, Feuerwehren und Versorgern zusammengefunden, um gemeinsam von Anfang an zunächst die Probleme, Anforderungen, dann Arbeitswege und benötigten Ergebnisse zu erarbeiten.

Stand der Vorbereitung der Bevölkerung auf längere KRITIS-Ausfälle – Key Messages

Die Bevölkerung ist auf längere KRITIS-Ausfälle nicht sonderlich vorbereitet, die durchschnittliche private Vorsorge entspricht nicht den Mindestempfehlungen des BBK.

Der Grad der Vorbereitung ist sehr heterogen: Während Senioren und Familien vergleichsweise besser auf KRITIS-Ausfälle vorbereitet sind, haben vor allem Single- und Studierendenhaushalte eine schlechtere Ausstattung und wären in einer Krise schnell auf externe Unterstützung angewiesen.

Deutliche Unterschiede zeigen sich auch zwischen Stadt- und Landbevölkerung, die durchschnittlich mehr bevorratet.

Im Krisenfall macht es für staatliche Akteure Sinn, nicht nur die offensichtlichen Verwundbarkeiten beispielsweise von SeniorInnen zu berücksichtigen, sondern auch den unterschiedlichen Stand der Vorbereitung auf Ausfälle.

Im Katastrophenschutz wird davon ausgegangen, dass die Bevölkerung über eine gewisse Selbsthilfekapazität verfügt, die in einem Krisenfall essentiell ist. In der Realität ist die Bevorratung allerdings oft nicht oder nicht ausreichend vorhanden.

2017 wurden insgesamt 1308 Personen in Köln sowie drei Gemeinden des angrenzenden RheinErft Kreises zu ihrem Stand der Vorbereitung bezogen auf einen längeren Ausfall der Strom- und Wasserversorgung befragt (Überbrückungszeitraum: 5 Tagen). Insgesamt könnte ein großer Teil der Befragten nicht oder kaum mit einem mehrtägigen Ausfall von KRITIS umgehen und würde recht schnell in eine unter Umständen lebensbedrohliche Situation kommen, wenn etwa die Trinkwasserversorgung nicht sichergestellt ist.

Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass es einen großen Bedarf für eine Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung der Bevölkerung für eventuelle KRITIS-Ausfällen gibt, um eine bessere individuelle Vorbereitung zu fördern. Hierbei sollten die beschriebenen Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen und Standorten gezielt berücksichtigt werden.

Verortung von Verantwortung für die Notfallversorgung bei Ausfällen – Key Messages

Persönliche Erwartungen hinsichtlich der Bereitstellung einer Notfallversorgung im Krisenfall beeinflussen den Stand der individuellen Vorbereitung von Haushalten.

Während viele der im Rahmen einer Umfrage befragten Personen sich ihrer Eigenverantwortung bewusst sind, ordnen nahezu genauso viele die Verantwortung für eine überbrückende Versorgung staatlichen und privaten Akteuren zu.

Auch wenn Klarheit über Verantwortlichkeiten im Krisenfall nur einer von vielen Einflussfaktoren für den Stand der Vorbereitung ist, können Aufklärung und Bewusstseinsbildung in diesem Bereich zur besseren Vorbereitung der Bevölkerung beitragen.

Um zu verstehen, warum sich Menschen nicht oder nicht ausreichend auf mögliche Ausfälle von KRITIS vorbereiten, ist es wichtig, ihre Erwartungshaltungen und die zugrundeliegenden normativen Vorstellungen bezüglich solcher Situationen zu kennen. Wer andere Akteure in der Pflicht sieht, für überbrückende Versorgung bei einem Ausfall beispielsweise der Strom- und Wasserversorgung zu sorgen, wird selber weniger Verantwortung für die eigene Vorsorge übernehmen. Im Rahmen einer Haushaltsbefragung wurde diese Frage analysiert, die Ergebnisse erlauben aufschlussreiche Einblicke in Erwartungshaltungen der Befragten sowie die daraus resultierenden Vorbereitungsmuster.

In Deutschland kommt es nur selten zu längeren Ausfällen von Kritischen Infrastrukturen wie Strom oder Wasser, entsprechend wenig geübt ist der Umgang mit solchen Situationen. Dazu zählt, dass vielen Menschen die Mandate der einzelnen Katastrophenmanagementakteure und deren Pflichten und Zuständigkeiten nicht unbedingt klar sind. Als Folge werden – neben der eigenen Person – verschiedenste weitere Akteure in der Verantwortung für eine überbrückende Versorgung bei einem längeren KRITIS-Ausfall gesehen. Dabei ist wichtig zu verstehen, wer wen in der Verantwortung sieht, um die unterschiedlichen Vorbereitungsstände innerhalb der Gesellschaft adressieren zu können. Die im KIRMin-Projekt 2017 in Köln und im RheinErft-Kreis durchgeführte Befragung von 1308 Haushalten ergab hierfür interessante Einsichten.

Mehr als 40% der Befragten sah sich in erster Linie selbst für eine überbrückende Versorgung verantwortlich, an zweiter Stelle würde man Unterstützung bei Regierung und Behörden, z.B. beim Ordnungsamt, suchen. Unterschiede gab es vor allem bei der Zahl der Befragten, die Hilfe bei Regierung oder Behörden suchen würde, die im Rhein-Erft Kreis vergleichsweise geringer war. Etwa ein Viertel der Befragten, unter ihnen vor allem Studierende/Azubis und Single-Haushalte sieht allerdings zunächst staatliche Akteure in der Pflicht, eine überbrückende Versorgung bereitzustellen. Auch privaten Versorgungsunternehmen wird – vor allem von Senioren – Verantwortung für überbrückende Versorgungsleistungen zugeschrieben. Dennoch sind Senioren überwiegend gut vorbereitet. Die im Rahmen der Befragung erfassten Vorstellungen bezüglich der Zuständigkeit für die überbrückende Versorgung bei Ausfällen zeigen, dass sich zwar ein Großteil selber als verantwortlich empfindet, dass ein zusammen genommen nahezu ebenso großer Anteil der Befragten die Verantwortung aber zunächst eher bei anderen Akteuren sieht (vgl. Abb. 9). Die Zuweisung von Verantwortung scheint ein Faktor für eine bessere oder schlechtere Vorbereitung zu sein, ist aber nicht der alleinige Faktor (vgl. Abb. 10). Es wird aber deutlich, dass es mehr Aufklärung hinsichtlich der Mandate und Verantwortungen der verschiedenen Akteure in Krisensituationen bedarf, um falsche oder übertriebene Vorstellungen auszuräumen. Parallel dazu ist es wichtig, die Rolle der Eigenverantwortung der Bevölkerung zu betonen und klar zu machen, was private und staatliche Akteure des Katastrophenmanagements leisten können und müssen.

Abb 9.: Antworten auf die Frage „Stellen Sie sich vor, Strom, Wasser, Lebensmittel- und medizinische Versorgung fallen für drei bis fünf Tage aus. Wer ist dann Ihrer Meinung nach [an erster Stelle] für die Überbrückung verantwortlich?“

Abb 10.: Stand der Vorbereitung in Bezug zur Frage, wer an erster Stelle für die Überbrückung eines drei- bis fünftägigen Ausfalls von KRITIS verantwortlich wäre

Notfallversorgung mit Wasser – Key messages

Eine Unterbrechung der leitungsgebundenen Wasserversorgung stellt eine große Herausforderung für alle Länder dar, insbesondere auch für diejenigen, in denen die Versorgungssicherheit hoch und somit das Risikobewusstsein für Ausfälle eher geringer ausgeprägt ist.

In Ländern mit einem hohen Versorgungsniveau, in denen globale Mindeststandards kaum anwendbar sind, fehlen oft präzise quantitative und qualitative Mindestversorgungsstandards, die die Notfallversorgung mit Wasser unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedarfsträger regeln.

In Deutschland besteht ein Bedarf an Notfallvorsorgeplanungen, die nicht nur von globalen humanitären Standards ausgehen, sondern insbesondere die organisatorischen und technischen Mindestanforderungen und Ressourcen der Ersatz- und Notwasserversorgung unter Berücksichtigung der Erwartungen der Bevölkerung beinhalten.

Sowohl die Zunahme von Naturgefahren als auch die Veränderung von technologischen Rahmenbedingungen stellen auch für die Wasserversorgung als Kritische Infrastruktur ein erhöhtes Risikopotenzial dar. So hatten in den vergangenen Jahren beispielsweise Hochwasser- oder Starkregenereignisse eine Beeinträchtigung der Trinkwasserqualität oder gar einen Ausfall der leitungsgebundenen Trinkwasserversorgung zur Folge. Die möglichen Auswirkungen von Ausfällen und Gegenmaßnahmen hängen zunächst in hohem Maße von der Resilienz der Versorgungssysteme selbst ab, d. h. von der Fähigkeit solchen außergewöhnlichen Ereignissen zu widerstehen und (Teil-) Ausfälle zu vermeiden oder weitestgehend zu reduzieren. Somit stellt die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser auch in Ländern mit einem hohen Versorgungsniveau über leitungsgebundene – aber auch wenn notwendig – leitungsungebundene Systeme, eine große Herausforderung für Wasserversorgungsunternehmen und die zuständigen Behörden dar.

Übergeordnetes Ziel sollte sein, die leitungsgebundene Trinkwasserversorgung möglichst lange aufrechtzuhalten, da diese wesentlich weniger technische und personelle Notfallressourcen bindet und zudem die Funktion weiterer Versorgungsinfrastrukturen (Gesundheit, Abwasser) sichert. Ein ganzheitliches Notfallmanagement, einschließlich der vorbereitenden Planung und Vorbereitung von Notfallvorsorgemaßnahmen, ist daher von großer Bedeutung zur Minderung des Schadensausmaßes.

Kommunikation, Information und Medien – Key messages

Risikobewusstsein und Wissen über eine gute Vorbereitung auf KRITIS-Ausfälle sind wichtige Aspekte, die zur Selbsthilfekapazität der Bevölkerung beitragen

Verschiedene sozio-ökonomischen Gruppen einer Bevölkerung nutzen unterschiedliche Kanäle, um sich zu informieren oder Informationen zu erhalten.

Um einen möglichst großen Teil der Bevölkerung zu erreichen, müssen zielgruppengerechte Informationen in passenden Formaten erstellt und über die jeweils bevorzugten Kanäle an die entsprechenden Zielgruppen gespielt werden.

Ob und wie sich Menschen auf potentielle KRITISAusfälle vorbereiten, ist unter anderem davon abhängig, wie und über welche Medien das Thema kommuniziert wird. Hierbei sind nicht nur der Inhalt, sondern vor allem auch die Kanäle der Verbreitung sowie das Format der Vermittlung von Belang. Auch die Glaubhaftigkeit des Mediums sowie der Zeitpunkt der Vermittlung spielen eine Rolle. Informationen von staatlicher Seite werden derzeit vorwiegend über Informationsbroschüren und Onlineauftritte der entsprechenden Behörden und Organisationen verteilt. Im Rahmen einer 2017 im KIRMin Projekt durchgeführten Haushaltsbefragung in Köln und im Rhein-Erft-Kreis wurden unter anderem Fragen zu Informationsstand, Bedarf an weiteren Informationen und bevorzugten Medien gestellt und unter anderem nach den Verhaltensmustern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen analysiert.

Die Auswertung der Befragungsergebnisse von insgesamt 1308 Haushalten zeigen unter anderem, dass sich zwar viele Menschen und insbesondere Familien mehr Informationen zu KRITIS-Ausfällen wünschen, aber mehr als die Hälfte der Befragten angeben, nie Informationen dazu erhalten zu haben (vgl. Abbildung 30). Dabei bleibt offen, ob tatsächlich nie Informationen erhalten wurden oder eventuelle Auskünfte nicht wahrgenommen wurden, was ein Hinweis auf eine falsche Art der Informationsvermittlung wäre. Diejenigen, die angeben, gut informiert zu sein, bezogen die Informationen über unterschiedliche Kanäle, hierbei gibt es deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Senioren nutzen beispielsweise vor allem das Fernsehen, Radio und Zeitungen, während Jüngere ihre Informationen zunehmend über Internet und Social Media beziehen.

Die Ergebnisse legen nahe, dass für erfolgreiche Risikokommunikation zielgruppenspezifische Kanäle und Formate genutzt werden müssen. Informationsbroschüren, die zurzeit das Hauptmedium der Vermittlung von Informationen zur Vorbereitung auf und Verhalten in Situationen eines KRITIS-Ausfalls sind, werden von keiner der Gruppen viel genutzt. Allerdings werden sie neben Radio bzw. Fernsehen und Zeitungen von allen befragten Gruppen als gewünschtes Medium der Informationsvermittlung genannt (vgl. Abbildung 31). Daneben würden vor allem Jüngere sich vergleichsweise häufiger web-basierte Informationen über Internet und Social Media wünschen. Während eine zielgruppenspezifische Kommunikationsstrategie zunächst einen Mehraufwand bedeuten würde, hätte sie den entscheidenden Vorteil, für die jeweilige Zielgruppe und ihre besonderen Bedürfnisse angepasste Informationen vermitteln zu können und so angemessener zu einer besseren Vorbereitung auf KRITIS-Ausfälle beizutragen als bisherige Konzepte.

Abb. 30: Antworten auf die Frage „Haben Sie jemals Informationen zur Vorbereitung auf mögliche Ausfälle oder Knappheit der Strom- und/ oder Wasserversorgung erhalten? Wenn ja, in welcher Form?“ (n = 1308, Mehrfachantworten möglich)

Abb. 31: Antworten auf die Frage „Würden Sie sich weitere Informationen zum Umgang mit längeren Ausfällen der Strom- und/oder Wasserversorgung wünschen? In welcher Form? (n = 1308, Mehrfachantworten möglich)

Integration von KRITIS Management, sozialer Vulnerabilität und Mindestversorgung

Das Thema KRITIS wird in Forschung und Praxis vorwiegend aus technischer Sicht betrachtet, Mindestversorgung und soziale Vulnerabilität gegenüber Infrastrukturausfällen werden vergleichsweise weniger thematisiert.

Konkrete Angaben zu Mindestversorgung finden sich kaum in der Literatur und sind mit der Ausnahme des Gesundheitssektors nicht differenziert nach verschiedenen gesellschaftliche Gruppen und deren spezifischer Vulnerabilität.

Die Betrachtung der Kapazitäten verschiedener Bevölkerungsgruppen für die Bewältigung von KRITIS-Ausfällen und die Rolle, die Mindestversorgung für die Minderung negativer Auswirkungen spielen kann, sind von hoher Relevanz für das Management von Ausfällen.

Fragen nach der Widerstandsfähigkeit Kritischer Infrastrukturen im Kontext einer steigenden Zahl und Intensität von Extremereignissen gewinnen an Bedeutung. Auffallend wenig Aufmerksamkeit wird dabei jedoch auf die Frage von sozialer Vulnerabilität in Bezug auf den Ausfall Kritischer Infrastrukturen sowie auf die Entwicklung und Umsetzung von Mindestversorgungsstandards bei langanhaltenden Infrastrukturausfällen gelegt. Basierend auf einer strukturierten Literaturanalyse von etwa 5.500 Seiten wissenschaftlicher Publikationen und nationaler, europäischer und internationaler behördlicher und staatlicher Veröffentlichungen und Gesetzestexte werden Lücken in der Betrachtung von KRITIS-Ausfällen analysiert und bewertet. Während sich ein großer Teil der Publikationen mit der Resilienz Kritischer Infrastrukturen befasst, werden Mindestversorgung und soziale Vulnerabilität gegenüber Ausfällen vergleichsweise weniger thematisiert und beschränken sich oft auf Fallbeispiele zur Betroffenheit bestimmter Bevölkerungsgruppen bei Ausfällen.

Ergebnisse und Mehrwert:

Die Literaturauswertung verdeutlicht einen erheblichen Wissensbedarf über die Vulnerabilität verschiedener Bevölkerungsgruppen beim Ausfall Kritischer Infrastrukturen, insbesondere bei Ausfällen von Strom- und Wasserversorgung. Anhand verschiedener Fallbeispiele wurde deutlich, dass oft die ohnehin vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen an solchen Orten und in solchen Stadtteilen wohnen, die am schwersten von Extremereignissen betroffen sind. Fehlende eigene Kapazitäten zur Überbrückung von längeren KRITIS-Ausfällen können damit gravierende Folgen haben. Konkrete Angaben zur Mindestversorgung fehlen in den meisten Fällen und sind, mit der Ausnahme des Gesundheitssektors, nicht differenziert nach gesellschaftliche Gruppen und deren unterschiedlicher Vulnerabilität. Die Gesamtergebnisse legen nahe, dass die Bewertung sozialer Vulnerabilität verschiedener Bevölkerungsgruppen in Bezug auf Ausfälle Kritischer Infrastrukturen von elementarer Bedeutung für die Diskussion und Entwicklung von Mindestversorgungsstandards.

Trotz der stetig wachsenden Zahl von Publikationen zu Kritischen Infrastrukturen und Infrastrukturausfällen werden Mindestversorgungskonzepte zur Bewältigung von Ausfällen oder Untersuchungen über die Bedürfnisse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen wie Senioren oder Kranke kaum oder gar nicht thematisiert. Diese gravierende Lücke blockiert ein erweitertes Verständnis über die Risiken im Zusammenhang von Ausfällen Kritischer Infrastrukturen und damit verbesserte Katastrophenvorsorge. Die Analyse verdeutlicht, dass die wichtigste Herausforderung nicht etwa in der Lösung technologischer oder betrieblicher Fragen liegt, sondern in der Beantwortung normativer, ethischer und politischer Fragen zur Verantwortlichkeit für Priorisierung von Mindestversorgung an der Schnittstelle zwischen staatlichen Akteuren, privatwirtschaftlichen Betreibern und der Zivilgesellschaft.

Eine entscheidende Rolle dabei spielt nicht zuletzt die betroffene Bevölkerung selbst, deren Selbsthilfekapazitäten von vielen Faktoren abhängen. Es ist daher dringend notwendig, Diskussionen über die Verantwortung für Mindestversorgung und Risikominderung zu führen und in die Öffentlichkeit zu tragen, insbesondere im Hinblick auf die zu erwartenden steigenden Risiken durch Naturgefahren. Ein größeres Bewusstsein über die Zusammenhänge und die Möglichkeiten, die negativen Folgen von Ausfällen zu mindern – sowohl auf staatlicher als auch auf individueller Ebene – sollte unbedingt gefördert werden. Abbildung 36 zeigt das aus der Analyse abgeleitete Modell für die Verknüpfung von Kritischen Infrastrukturen, sozialer Vulnerabilität und Mindestversorgung. Eine umfassendere Betrachtung der Folgen eines Ausfalls Kritischer Infrastrukturen und der Zusammenhänge verschiedener Faktoren für die Minderung der zu erwartenden Folgen kann einen wichtigen Beitrag für bessere Vorbereitung und Krisenmanagement leisten. Dieser Prozess ist umso notwendiger angesichts einer sich ändernden Gesellschaft und damit anderer oder neuer Vulnerabilitäten und des zu erwartenden zunehmenden Katastrophenrisikos.

Abb. 36: Modell für die Verknüpfung von Kritischen Infrastrukturen, sozialer Vulnerabilität und Mindestversorgung

KIRMin – was kam heraus?

Große Schadenslagen oder gar Katastrophen kommen selten vor und würden auch die besten Vorbereitungen stellenweise überfordern. Hierfür wurde speziell untersucht, an welche Grenzen man stoßen würde, hätte man unerwartet eine Flächenlage und Dauerlage z.B. eines mehrtägigen Stromausfalls, Hochwassers, oder anderen Ereignisses zu bewältigen.

Da solche Untersuchungen sehr breit und uferlos werden können, wurde andersherum gedacht; was, wenn alle Versorgung übergangsweise zusammengebrochen ist; welche Bereiche müssen dabei minimal versorgt werden, damit ein Wiederaufbaumöglich ist? Dazu zählen bestimmte Backupsysteme, Wiederanlaufsysteme und auch die Ressourcen und Liegenschaften des Katastrophenschutzes und anderer Bestandteile, die als Rückgrat im Alltag wie Krisenfall unerlässlich sind. Dazu wurden die sogenannten Kritischen Infrastrukturen im Projekt genauer untersucht; welche Straßen, Wasser-, Strom-, Energieversorgungsstränge sind besonders wichtig?

Kommentar Herbert Saurugg

Leider wurden mit diesem Forschungsprojekt einmal mehr meine bisherigen Erkenntnisse und Erfahrungen bestätigt. Vor allem, dass Resilienz zunehmend als Modebegriff verwendet wird, aber dahinter meist nur bisher gelebte Konzepte (Schutz, absichern, verhindern, Widerstandsfähigkeit = Robustheit) stehen. Die Bewältigungsfähigkeit, also die Schadensbewältigung bzw. die vorbeugende Anpassung (Lernen) hingegen wird noch kaum adressiert bzw. gelebt und wenn, dann geht es meist um technische Aspekte (=Robustheit!). Der Faktor Mensch als wesentlicher Träger von Resilienz und die Basis für alle anderen Maßnahmen kommt deutlich zu kurz. Die Themen Mindestversorgung, Eigenversorgungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit sind nach wie vor Randthemen. Aber gerade beim Thema KRITIS-Ausfall werden auch die Helfer und deren Familien unmittelbar davon betroffen sein. Das notwendige Wissen, dass es hier massive Lücken gibt, steht seit Jahrzehnten zur Verfügung (siehe etwa Defizite der Katastrophenvorsorge in Industriegesellschaften am Beispiel Deutschlands, 1996). Wir schaffen offensichtlich nicht den Transfer in die breite Masse. Zudem wurde bereits vielfach belegt, dass Informationsbroschüren alleine nicht ausreichen bzw. nicht zur gewünschten Verhaltensänderung führen. Damit bestätigt sich auch einmal mehr das Sicherheitsparadox: Je sicherer ein System scheint, desto verwundbarer ist es, weil die Handlungskompetenzen fehlen, um mit größeren Störungen umgehen zu können. Damit stellt sich einmal mehr die Frage: Are we fit enough to survive?