Quelle: nzzas.ch

Geht die Welt wegen des Klimawandels unter? Nicht von heute auf morgen, sagt der Nachhaltigkeitsforscher Ugo Bardi. Ein Kollaps hätte aber auch sein Gutes. 

Ob es wirklich zu einem Kollaps des Klimasystems kommen kann, ist schwer zu sagen. Wir wissen, dass sich das Klima immer schneller erwärmt. Das könnte zunächst einmal einen wirtschaftlichen Kollaps auslösen und dann möglicherweise einen Kollaps unseres Ökosystems. Aber in welchem Zeitrahmen so etwas geschehen kann, ist völlig unklar.

Wie wahrscheinlich ist ein Zusammenbruch des Finanzsystems?

Das Finanzsystem kann schon morgen kollabieren. Fällt dieser Zusammenbruch schlimmer aus als im Jahr 2008, werden die Treibhausgasemissionen zurückgehen. Das könnte die Klimaproblematik zwar etwas entschärfen. Allerdings geht es nicht nur um den Ausstoss von Kohlendioxid und Methan, das Funktionieren des ganzen Ökosystems unseres Planeten ist bedroht.

Die Wirtschaft läuft doch ziemlich rund.

Das ökonomische System bricht alle zwanzig bis dreissig Jahre zusammen, weil es dermassen unter Druck steht und ständig seine Grenzen auslotet. Kollabiert das Finanzsystem wie 2008, geraten alle in Panik. Beim Klimasystem ist das anders: Weil es so träge ist, wird es nicht von heute auf morgen zusammenbrechen, und es würde Jahre dauern, bis die Menschen das wirklich merken.

«Wenn der Mensch eine unmittelbare Gefahr sieht, rennt er davon. Langfristige Planungen liegen ihm leider nicht.»

Die meisten Menschen, besonders die Politiker, verstehen nicht, mit welchen Herausforderungen wir konfrontiert sind. 

Wir können versuchen, einen Kollaps zu verhindern oder mindestens dafür zu sorgen, dass der Niedergang möglichst sanft verläuft. Es gibt keine einfache Regel. Man muss lernen zu verstehen, was zu einem Kollaps führt. Die Strategie besteht darin, den Zustand nach einem Kollaps langsam zu erreichen, ohne dass dabei allzu viel Schaden entsteht. Genau diese Fähigkeit zeichnet die Intelligenz des Menschen aus – wenn Sie stets nur für den nächsten Tag planen, dann nehmen Sie nicht einmal wahr, dass Ihnen ein Kollaps droht.

«Nichts von dem, was heute existiert, ist nicht das Ergebnis eines früheren Kollapses.»

Man muss den Wandel akzeptieren. Erst durch den Wandel können neue Sachen entstehen, die dann möglicherweise besser sind, wachsen und ihrerseits eines Tages kollabieren. Das ist der Lauf der Welt: Wir werden geboren, wachsen und müssen dann sterben.

Im Grunde genommen brauchen wir jetzt einen Kollaps. Der Mensch unternimmt alles, um weiterhin fossile Brennstoffe nutzen zu können. Das Einzige, das ihn davon abhalten kann, ist ein Kollaps. Fällt dieser nicht allzu massiv aus und wird er eher zum Crash, werden wir von dieser Sucht geheilt sein. Wir werden bessere, erneuerbare Energiequellen nutzen, um eine neue Zivilisation aufzubauen. Wir können bewährte Technologien wie die Elektrizität oder die elektronische Datenverarbeitung beibehalten – und wir kehren zurück zur Landwirtschaft. Wahrscheinlich werden wir aber kein zweites Mal eine industrialisierte Gesellschaft errichten können, weil die mineralischen Rohstoffe, die dazu notwendig sind, für immer erschöpft sein werden.

«Wachstum erfolgt langsam, der Ruin hingegen immer schnell.»

Das Universum ist so verzahnt, dass Systeme bevorzugt werden, die irgendwann kollabieren. Deshalb ist der Kollaps so verbreitet. Das gilt sowohl für natürliche Systeme als auch für solche, die der Mensch geschaffen hat. Das Schöne ist, dass ein Kollaps oft umkehrbar ist, manchmal auf unvorhersehbare Weise. Und ehrlich gesagt, bin ich nicht allzu pessimistisch in Bezug auf den Menschen. Menschen können sich sehr gut anpassen, Systeme dadurch auch komplexer und stabiler machen.

Kann man einen Kollaps einigermassen zuverlässig vorhersagen?

Nein, leider nicht. Ein Kollaps erwischt einen immer auf dem linken Fuss, ausser, man ist ein Philosoph. 

Sie schreiben, «wir sollten uns vorbereiten auf die andere Seite des Wachstums, lange bevor der Kollaps eintritt». Was ist so schlimm am Wachstum?

Wachstum ist nicht an sich problematisch. Schwierig wird es erst, wenn das Wachstum überschiesst. Der amerikanische Ingenieur Jay Forrester hat schon vor fünfzig Jahren festgestellt, dass die Menschen ein Problem meistens richtig identifizieren, aber das Falsche unternehmen, um damit umzugehen, und so alles nur noch schlimmer machen. Die zunehmende Verschmutzung und die Erschöpfung der mineralischen Rohstoffe – also höhere Kosten auf der einen und geringerer Output auf der anderen Seite – führen dazu, dass unser Wirtschaftssystem nicht mehr so schnell wachsen kann, wie wir das gerne hätten. Und was tun wir? Alle fordern noch mehr Wachstum, und die Verschmutzung sowie die Ausbeutung der Erde nehmen weiter zu. Was wir brauchen, ist weniger Wachstum oder die andere Seite des Wachstums: negatives Wachstum. Das schont die Umwelt und vermindert den Druck auf die natürlichen Bodenschätze.

Auch ich denke, wir sollten Wohlstand anstreben. Das ist aber nicht dasselbe wie Wachstum. Wohlstand bedeutet: Man geht vernünftig mit jenen Ressourcen um, die man hat, und man lässt etwas für die Generationen übrig, die nach uns kommen. Unser System muss lernen, wie es weiterlaufen kann, ohne ständig zu wachsen.

Es gibt gute und schlechte Technologien, die meisten sind allerdings schlecht – sie schaffen mehr Probleme, als sie lösen. Denken Sie nur an das Fracking: Damit lässt sich scheinbar mehr Erdöl fördern, in Tat und Wahrheit erschöpft sich diese Ressource nur noch schneller. Und das wird den Kollaps heftiger ausfallen lassen.

Kennen Sie den Cartoon, in dem ein Kojote über ein Kliff hinausrennt, einen Moment in der Luft hängenbleibt und dann feststellt, dass es nach unten geht? Heute geht es vielen Menschen einigermassen gut. Doch auch das ist typisch für einen Kollaps: Der Wohlstand nimmt zu, und auf einmal erfolgt der Absturz. Die Vergangenheit ist keine Garantie für die Zukunft.

Im Schutze der Gemeinschaft vernachlässigt der Mensch Gefahren eher. Dieses Verhalten scheint zu seiner genetischen Grundausstattung zu gehören.

Was kann denn der Einzelne tun, damit der Kollaps nicht allzu heftig ausfällt?

Wir sollten versuchen, die anstehenden Probleme zu mildern. Das geschieht, indem man seinen Partner, seinen Nachbarn und seine Regierung davon überzeugt, sich auf das vorzubereiten, was kommt. Es muss nicht zwingend schlimm sein, vielleicht kommen wir ja auch mit einer Beule davon. Wenn zum Beispiel in der Schweiz wegen des Klimawandels Erdrutsche zunehmen, dann müssen Sie sich jetzt darauf vorbereiten.

Kommentar

Es ist das ganze Interview empfehlenswert und unter nzzas.ch nachzulesen.

Ugo Bardi, Professor für Physikalische Chemie an der Universität Florenz ist Mitglied des Club of Rome – jenes Gremiums von Experten, das seit den 1970er Jahren regelmässig Berichte über den Zustand der Welt veröffentlicht. Siehe auch Ugo Bardi, Der Seneca-Effekt. Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können bzw. Die Grenzen des Denkens und Die Grenzen des Wachstums