Letzte Aktualisierung am 03. Oktober 2016.

Quelle: www.ots.at und www.risknet.de (15.04.15); Update 20.09.16diepresse.com

2014: 2.772 Schiffsunglücke weltweit, davon 75 Totalverluste Unfallhotspots: Östliches Mittelmeer und schwarzes Meer Neue Risiken: Megaschiffe und Cyberangriffe

Der langfristige Abwärtstrend bei den Schiffsverlusten hat sich 2014 mit 75 gemeldeten Großschäden weltweit fortgesetzt. Damit war das vergangene Jahr das sicherste Jahr für die Schifffahrt seit zehn Jahren.

Sicherheit auf Passagierschiffen durch Personalmangel gefährdet

Während der langfristige Abwärtstrend bei den Schiffsverlusten zuversichtlich stimmt, haben aktuelle Fährunglücke wie die der Sewol und der Norman Atlantic drei Jahre nach der Costa Concordia-Katastrophe erneut erhebliche Bedenken bezüglich der Qualität von Trainings- und Notfallmaßnahmen auf Passagierschiffen ausgelöst.

In vielen Fällen ist die Konstruktion der Schiffe nicht der einzige Schwachpunkt, wie die Studie zeigt: Die beiden Fährunglücke decken besorgniserregende Defizite bei der Notfallvorbereitung der Besatzungen von Autofähren und Passagierschiffen auf. Eine nur Minimalanforderungen genügende Personalstärke lässt nach Ansicht der AGCS-Experten kaum Spielraum für Schulungen an Bord und sollte daher nicht zur allgegenwärtigen Praxis auf Schiffen werden.

Ausblick: Megaschiffe und Hackerangriffe als neue Risiken

Die Branche sollte sich laut Studie für die Zukunft auf Großschäden von über 1 Mrd. US-Dollar einstellen, insbesondere wenn große Containerschiffe oder schwimmende Offshore-Anlagen beteiligt sind. Das maximale Risiko in diesem Zusammenhang betrifft nicht nur die Schäden an Schiff und Fracht, sondern auch Umweltschäden oder Betriebsunterbrechungen. Megaschiffe können nur wenige Tiefwasserhäfen ansteuern, zudem bestehe weltweit ein Mangel an qualifizierten Fachkräften. Die Bergung und Beseitigung von Schiffen ist ebenfalls eine Herausforderung. Wie die Bergung des Wracks der Costa Concordia zeigt, können die Kosten leicht ein Vielfaches des Kaskowerts des Schiffes betragen.

Zusätzlich stellen Cyberrisiken eine weitere neue Gefahr für die Schifffahrtindustrie dar, die stark vernetzt ist und zunehmend auf Automatisierung setzt. Künftig könnten Schiffe und Häfen zu verlockenden Zielen für Hacker werden. Ein Cyberangriff auf die Technik an Bord, insbesondere auf die elektronischen Navigationssysteme, könnte zu einem Totalverlust führen oder sogar mehrere Schiffe einer Reederei betreffen. Andere Szenarien sind zum Beispiel Cyberangriffe auf große Häfen, die Terminals außer Betrieb setzen oder Containerladungen oder vertrauliche Daten manipulieren. Solche Angriffe könnten zu erheblichen Betriebsunterbrechungsschäden oder zu Reputationsverlusten führen.

Weitere Schifffahrtsrisiken aus der „Safety and Shipping Review 2015“:

„Blindes“ Vertrauen auf elektronische Navigation: Die Kollision des Containerschiffs Rickmers Dubai mit einem unbemannten Kranschiff im Jahr 2014 zeigt die Gefahren von automatisierter E-Navigation auf. Schulungsstandards für Systeme wie das Electronic Chart Display & Information System (ECDIS) sind uneinheitlich. „Offiziere benötigen eine solide Ausbildung, um Fehlinterpretationen von ECDIS und Bedienfehler zu vermeiden, die zu teuren Katastrophen führen können. Darüber hinaus sind manuelle Navigationsinstrumente und -fähigkeiten weiterhin unverzichtbar“, so Khanna.

Update 20.09.16: Container: Ein fast perfekter Sturm

Überkapazitäten und niedrige Frachtraten, durch das Schrumpfen des Welthandels verursacht, stürzen die Container-Reedereien in eine Dauerkrise. Viele haben die finanziellen Reserven aufgebraucht. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht.

Die Nachricht schlug in der ohnedies nicht verwöhnten Branche wie eine Bombe ein: Südkoreas größte Container-Reederei Hanjin Shipping ist pleite und kämpft darum, dass die Gläubiger nicht die Schiffe einziehen. Die Banken haben der Nummer sieben der weltgrößten Container-Reedereien die Kreditlinien gekappt und damit den bisher größten Bankrott in der Branche ausgelöst. Der Schiffbruch von Hanjin ist freilich nur die Spitze des Eisbergs.

2008 war der Höhenrausch jäh zu Ende. Der Wert des Welthandels werde im laufenden Jahr (auf Dollarbasis gerechnet) um zwei Prozent schrumpfen, prognostiziert der weltweit führende Kreditversicherer Euler Hermes. Was allerdings nicht im selben Ausmaß zurückging, war die Zahl der Schiffe. Viele sind noch im Bau – sie wurden noch in den Boomzeiten bestellt. [Zeitverzögerte Wirkungen]

Der globale Rückgang des Warenverkehrs ist auf den Expansionswahn getroffen, der angesichts der langen Bauzeiten der riesigen Kähne nicht so schnell gestoppt werden kann.

Der sinkende Ölpreis habe zudem einen Dominoeffekt – vorrangig bei den reichen Ölstaaten – ausgelöst: Wer weniger Geld hat, kauft weniger Waren.

Ursprünglich hatte der Trend zur Größe sogar Sinn. [Was leider fast immer der Fall ist: Jedoch rächt sich irgendwann doch die Ignoranz von Komplexität] Als nämlich der Ölpreis weit über 100 Dollar je Barrel lag, sollten größere Schiffe die Stückkosten drücken. Jetzt, bei einem Ölpreis von 50 Dollar und weniger, ist diese Rechnung obsolet. Aber die enormen Überkapazitäten sind auf dem Markt.

Weil jedoch – ähnlich wie in der Luftfahrt – ein stehendes Schiff ein wirtschaftlicher Albtraum ist, lassen die Reedereien die Ozeanriesen auch halb beladen weiterfahren. Das bringt an sich schon schwere Einbußen. Die inzwischen auf 1000 Dollar und darunter gefallenen Frachtraten verschärfen die finanzielle Schieflage. Nicht einmal der niedrige Ölpreis verschafft den Reedern Entspannung.

Und Hanjin ist kein Einzelfall: Zwischen Jänner und Mai dieses Jahres sind die Pleiten in der Branche im Vorjahresvergleich um mehr als zehn Prozent gestiege.

In den Abwärtsstrudel gerieten freilich auch die finanzierenden Banken – viele Schiffe wurden ohne Eigenmittel auf Kredit gebaut. [Auch hier hat das Risikomanagement versagt.]

In der Tat werden auch viel weniger Schiffe bestellt – das wiederum löst freilich eine Kettenreaktion aus, weil damit die Werften schwer unter Druck geraten.

Vorerst suchen Schiffseigner ihr Heil nicht nur in Fusionen, sondern auch in Allianzen.  Auf den Weltmeeren geht es um die bessere Auslastung des Schiffsraums und die Möglichkeit, zusätzliche Routen anzubieten.

Kommentar

Ein spannender, wenngleich auf dem ersten Blick artfremder Beitrag. Aber hier verbirgt sich ein klassischer Schwarzer Schwan sowie das Verletzlichkeitsparadox. Durch die steigende Effizienzsteigerung (weniger Personal, größere Schiffe) steigt jedoch auch der Schaden bei einem Zwischenfall. Die zunehmende Digitalisierung führt zudem zur steigenden Gefahr von Cyber-Angriffen. Aber es muss nicht immer ein Angriff sein – auch Softwarefehler oder -ausfälle können zu weitreichenden Folgen führen. Aus systemischer Sicht durchaus zu hinterfragende Entwicklungen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, was passiert, wenn die kleineren Schiffe/Rederer unrentable werden und vom Markt verschwinden und es dann zu einem wirtschaftlichen Einbruch kommt. Sind dann die Großschiffe auch noch retable zu betreiben, oder muss dann einfach der Kunde die Kosten für das Wachstum schlucken? Wir werden es wahrscheinlich noch erfahren.

Update 20.09.16

Knapp 1 1/2 Jahre später sehen wir bereits die Auswirkungen, auch wenn wir dabei nach wie vor am Beginn einer sehr turbulenten Phase stehen. Der Artikel beschreibt sehr gut ein komplexes System, das ins Straucheln gerät. Derzeit wackeln die Dominosteine noch innerhalb der Schifffahrtsbranche. Wie angedeutet wird, könnten weitere umfallende Dominosteine rasch andere Sektoren, insbesondere im Banken und Finanzsystem mitreisen, bzw. dort weitere Dominoeffekte auslösen. Auch die Unternehmen, deren Waren auf den festsitzenden Schiffen lagern, werden solche Ausfälle nicht ohne weiteres hinnehmen können insbesondere wenn die Ausfälle weiter ansteigen.

Fusionen und Allianzen können entweder neue Monopole schaffen, oder zur von Jeremy Rifkin beschriebenen „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft„.