Letzte Aktualisierung am 31. Oktober 2016.

Quelle: orf.at – Intelligente Achillesferse

„Stell dir vor, es geht das Licht aus, sag, was würdest du dann tun“, heißt es in einem alten österreichischen Filmlied. 1952 sangen es Paul Hörbirger und Maria Andergast – Angst vor Stromausfällen sollte es nicht wecken. Dabei ist die Furcht vor großflächigen Blackouts laut Experten nicht unbegründet – gerade weil die Stromnetze immer intelligenter werden sollen.

Ein Angriff auf das Stromnetz – dafür habe man früher Leitungen durchtrennen oder Generatoren sprengen müssen, sagt Sujeet Shenoi im Gespräch mit ORF.at. Er ist Professor an der US-Universität Tulsa und Experte für Cybersicherheit. Das macht ihn mittlerweile auch zum Experten, wenn es um Angriffe auf unsere Energieversorgung geht. Denn die dazugehörige Infrastruktur wird zunehmend an das Internet angebunden. Und damit droht auch Gefahr aus dem Netz.

Nicht ob, sondern wann

Bisher sei noch kein Massenangriff auf intelligente Strommesser gelungen, sagt Shenoi. Dass solche Attacken in Zukunft möglich sein werden, ist für den IT-Experten aber keine Frage des Ob, sondern des Wann. Und laut ihm lassen sich über einen derartigen Angriff Stromnetze nicht nur großflächig, sondern auch für längere Zeit lahmlegen.

Blackout mit Folgen

Glaubt man dem US-Experten Shenoi, dann werden zukünftig noch mehr solcher „Game Changer“ nötig werden. Er sieht in Cyberangriffen auf Stromnetze eine der größten Gefahren unserer Zeit. Ein lange andauernder Stromausfall würde unsere Gesellschaft schnell an ihre Grenzen führen – ähnlich wie das der österreichische Autor Marc Elsberg in seinem Roman „Blackout“ beschreibt. Shenoi plädiert deshalb für ein Abkommen vergleichbar dem Atomwaffensperrvertrag, indem die Staaten sich verpflichten, gegeneinander keine Cyberangriffe zu führen.

Doch auch ohne apokalyptische Szenarien können die Folgen eines Blackouts Bauchweh bereiten. Das Energieinstitut an der JKU Linz – zugleich einer der SPARKS-Projektpartner – hat einen Stromausfallrechner entwickelt. Damit lassen sich die ökonomischen Schäden durch große Stromausfälle in Europa simulieren. Allein für Österreicher wären die finanziellen Folgen gewaltig. Über eine Milliarde Euro würde es kosten, sollte in Österreich nur einen Tag lang der Strom ausfallen.

Kommentar

Smart Grid Protection Against Cyber Attack und ähnliches ist zwar wichtig, aber das eigentliche Problem geht von der zunehmenden Komplexität aus, die bereits 2013 beinahe zum Kollaps geführt hat. Siehe Leittechnikstörung 2013.

Gesetze zur Cybersecurity sind zwar auch ein Teil der möglichen Lösungen, aber greifen viel zu kurz. Denn wenn etwas richtig schief geht, dann sehr schnell und umfassend, wo kein Gesetz mehr hilft.
Siehe dazu Im Blickpunkt: Das IT-Sicherheitsgesetz – Risikofaktor Scheinsicherheit

„Ein lange andauernder Stromausfall würde unsere Gesellschaft schnell an ihre Grenzen führen“ – Alles über 2-3 Tage wäre bereits verheerend (siehe etwa TAB-Studie 2011, oder „Ernährungsvorsorge in Österreich“, 2015)… und das ist aber eine sehr realistische Zeitspanne, die erforderlich sein wird, um das System europaweit wieder hochzufahren. Siehe etwa Tinetz sieht sich für Blackout gewappnet

Der Blackout-Simulator ist viel zu optimistisch, kalkuliert er doch nur die Nichterbringbarkeit von Leistungen. Ein Glasschmelzofen kostet etwa 24 Millionen Euro, ein Koks-Ofen 700 Millionen Euro … und davon werden wir einige Schäden sehen … ganz abgesehen von den menschlichen Opfern; auch bei einem wenige Tage dauernden europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall.

Ergänzung Franz Hein:

Wenn etwas als „intelligent“ bezeichnet wird, überträgt sich diese Bezeichnungsweise nicht auf das, was so bezeichnet wird. Besonders Stromnetze werden nicht intelligent, auch wenn sie so inzwischen immer öfters bezeichnet werden. Diese Wortwahl ist eine der größten Volksverdummungen. Leider ist das nicht auszurotten, genauso wie der inzwischen inflatorisch gebrauchte Begriff „Digitalisierung“.

Das gegenwärtige Denken im Zusammenhang mit der dringend nötigen Umstellung unserer gesamten Energiewirtschaft hat allerdings tatsächlich eine Achillesferse, nämlich mindestens zwei gewaltige Schwachpunkte. Das Energieversorgungssystem wird derzeit durch folgende Entwicklungen extrem anfällig gemacht.

Die eine Entwicklung hat mit unserer inzwischen totalen Überbewertung des ökonomischen Denkens zu tun. Damit wird die durch Gesetze der Natur bestimmte Wirklichkeit durch eine von uns gedachte (angebliche) „Wirklichkeit“ ersetzt. Ein noch so ausgeprägter „Markt“ kann physikalische Gesetze nicht überflüssig oder irrelevant werden lassen. In der Stromversorgung müssen aber physikalische Gesetze nicht nur beachtet werden. Sie sind für das Funktionieren maßgebend. Geld kann das nicht ersetzen.

Die weitere Entwicklung hat mit der intensiven und weltweiten Vernetzung sämtlicher „Maschinen“ zu tun (fälschlicher Weise mit „Digitalisierung“ bezeichnet). Wer meint, dass durch Maßnahmen der Cybersicherheit jedwede Beeinträchtigung ausschließen zu können, glaubt offenbar auch noch an die Quadratur des Kreises oder an das Perpetuum mobile. Wir brauchen robuste Systeme. Sichere Systeme sind eine Fata Morgana.

Damit lassen sich die ökonomischen Schäden durch große Stromausfälle in Europa simulieren.

Was für eine eingeschränkte Sicht? Das ist der gleiche Blödsinn, den ich bei einem Vortrag über die Ergebnisse der Untersuchung in Deutschland über die Folgen eines längeren Stromausfalles erleben musste. Auf den Einwand, dass man das einmal „wirtschaftlich“ bewerten müsste, antwortete der Vortragende: Wie würden Sie das wirtschaftlich bewerten, wenn ein Blackout in der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag ca. 60.000 Menschenleben kosten würde.

Wir verblöden uns selbst und schaffen uns ab, wenn wir so langsam alles nur mit einer „ökonomischen“ Brille betrachten. Wo bleibt die Menschlichkeit?