Quelle: www.nzz.ch

Erst das Verhalten der Menschen hat das Ausbleiben des Sommers 1816 zur Krise gemacht. Der Einfluss drohenden Hungers auf die Gesellschaft ist jedoch noch wenig erforscht.

Bis im Juni schneite es 1816 immer wieder auch in tiefen Lagen. Es folgte ein nasskalter Sommer. Es regnete im Juli an 28 Tagen, meistens von morgens bis abends. Das «Jahr ohne Sommer» bescherte den Bauern eine Missernte. Das Getreide verrottete teilweise auf den Feldern, die Kartoffeln mussten im Herbst aus dem Schnee gegraben werden. Ursache war der grösste Vulkanausbruch der überlieferten Geschichte am 10./11. April 1815 – des 400 Jahre lang inaktiven Tambora in Indonesien.

Das Verhalten der Regierungen war kein Ruhmesblatt in einer ohnehin wenig ruhmreichen Zeit. Von gegenseitiger Hilfe im 1815 vertraglich gebildeten Staatenbund war nichts zu spüren. Indem die Kantone untereinander die Grenzen schlossen, verschärften sie die Not noch. Die Fachleute sind sich heute darüber einig, dass der Tambora die Krise wohl auslöste, diese aber eher von den Menschen gemacht war. Die Temperatur sank 1816 etwa um ein Grad, die Ernteausfälle betrugen in der Schweiz landesweit rund 20 Prozent. Das allein hätte noch keine Hungersnot verursacht. Entscheidend war, in welchem Zustand sich die Gesellschaft befand – und wie sie auf die Krise reagierte.

1816 waren die Staaten Europas ausgelaugt von den Napoleonischen Kriegen, die Vorräte durch die Beherbergung der Truppen aufgebraucht. Die Klimakrise traf eine Gesellschaft, die verletzlich war. Die Machthaber in der Schweiz handelten sehr unterschiedlich. Während im Westen, besonders in Genf, die Kantone die Not mit dem frühen Kauf von Getreide milderten, blieben die Regierungen im Osten, auch in Zürich, lange passiv, verwalteten die Not und appellierten an die Frömmigkeit der Menschen.

Die Ostschweiz traf es auch deshalb stärker, weil hier die Industrialisierung relativ weit fortgeschritten war. Das Bevölkerungswachstum war grösser, viele Regionen konnten sich nicht mehr selber ernähren.

«Es wäre heute wie bei der jüngsten internationalen Lebensmittelkrise 2008: Viele Staaten würden die Grenzen schliessen und zuerst für sich schauen.»

Kommentar

Ein sehr interessanter historischer Rückblick, von dem man sicher einige Lehren für die Gegenwart ableiten könnte.

Etwa, dass

  • eine Isolierung in der Krise kontraproduktiv ist – was wir gerade an der Flüchtlingskrise gut sehen können;
  • zögerliches Verhalten der Regierungen/Verantwortlichen Krisen verstärken – was wir auch sehen;
  • hohe externe Abhängigkeiten (etwa in der Versorgung) werwundbar machen;
  • wir in den letzten 200 Jahren nicht wirklich so viel dazugerlernt haben.

Spätestens nach einen Blackout werden wir das überprüfen können, wenn es Tage und Wochen dauern wird, die (Lebensmittel-)Versorgung wieder zu normalisieren und mangels entsprechender Vorsorgen (siehe Ernährungsvorsorge in Österreich) durchaus auch Hungersnöte erwartet werden müssen. Wir können heute zwar zum Mond und zum Mars fliegen … aber Resilient sind wir nicht.