Letzte Aktualisierung am 19. Januar 2016.

Quelle: www.sonntagszeitung.ch

Um Arbeitsplätze zu schaffen und neue Organisationsformen zu finden, müsse die Gesellschaft auf kollektive Intelligenz und Selbstorganisation setzen, sagt der Soziophysiker Dirk Helbing

Dirk Helbing möchte uns nicht ängstigen. Aber egal wie sachlich und nüchtern der Komplexitätsforscher der ETH Zürich sein Anliegen auch vorbringt, seine Worte gehen durch Mark und Bein.

Laut Helbing ist nun die Öffentlichkeit an der Reihe, sich Gedanken über die digitale Gesellschaft der Zukunft zu machen. Es sei höchste Zeit, eine Debatte darüber zu lancieren – selbst wenn die Entwicklung am Ende etwas langsamer ablaufen sollte, als manche Experten befürchten. «Wir stehen heute an einem Scheideweg», sagt Helbing. Wir können entweder in eine von oben dirigierte Überwachungsgesellschaft hineinschlittern. Oder wir bauen eine partizipative digitale Gesellschaft und nutzen die Möglichkeiten der kollektiven Intelligenz und der Selbstorganisation. «Wenn uns das gelingt», sagt Helbing, «schreiten wir in ein lichtes, ein besseres Zeitalter, in dem wir einige der Probleme lösen können, die unsere Gesellschaft heute noch plagen .»

Kommentar

Ein sehr spannender Artikel über die Transformation zur Netzwerkgesellschaft, der in Teilen aufzeigt, welche Herausforderungen uns so in nächster Zukunft erwarten könnten. Sind wir darauf vorbereitet? Wohl kaum … sofern man sich darauf vorbereiten kann. Aber wenn man zumindest eine Ahnung bekommt, welche Umbrüche auf uns zukommen, dann kann man eher und besser damit umgehen. Dazu ist auch einmal mehr vernetztes Denken und Handeln erforderlich.

Ein paar zusätzliche Anmerkungen

Doch die Entwicklung geht mit irrsinnigem Tempo weiter – denn sie basiert auf Computerprozessoren, deren Leistung sich etwa alle 18?Monate verdoppelt.

Das ist lineares Denken. Da wir bereits knapp an den physikalischen Grenzen stehen, ist das zumindest mit den heutigen Technologie kaum vorstellbar. Was nicht heißt, dass es neue Entwicklungen geben wird.

In etwa zehn Jahren werden Rechner die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns erreichen.

Ja, auch wenn man hier linear hochrechnet vielleicht, aber eher nicht, da die derzeitigen Computer noch weit weg von der Leistungsfähigkeit unseres Hirns sind. Sie können vielleicht die Datenmengen verarbeiten, aber ob sie deshalb nur annähernd an die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit eines Hirns herankommen, ist zu bezweifeln. Die Neuroforscher sagen da ziemlich klar nein. Was nicht heißt, dass man nicht einzelne Funktionen trotzdem wesentlich besser abbilden kann. Etwa mit dem IBM Supercomputer Watson, der jetzt mit Krankheitsgeschichten gefüttert wird und damit besser wie jeder Arzt wird und auch ganz seltene Fälle erkennen kann. Auch hier ist wieder ein sowohl-als-auch-Denken erforderlich.

Auch die Datenmenge explodiert: Innerhalb eines einzigen Jahres produzieren wir so viele Daten wie in der gesamten Menschheitsgeschichte zusammen.

Die Frage ist, welchen wirklichen Mehrwert man daraus generiert. Sammeln ist nicht das Problem …

«In zehn Jahren werden 150 Milliarden Gegenstände im Internet der Dinge verknüpft sein.» Wir schlittern also in eine immer stärker vernetzte Welt mit immer mehr Abhängigkeiten.

Wenn man hört: „Bald gibt es nur noch drei relevante PC-Hersteller“ stellt sich die Frage, ob Thomas Grüter’s Vorhersagung in Offline! schneller eintreten könnte, als wir glauben … Gut, es kommen wieder neue Player … aber derzeit steuern wir überall auf too-big-to-fail zu. Und das sollte uns zu Denken geben.

«Die Komplexität der Gesellschaft wächst sogar noch schneller als die Rechenleistung der Supercomputer», sagt Helbing. Das heisst: Selbst mithilfe der schnellsten Rechner wird es sogar der klügsten und verantwortungsvollsten Regierung nicht mehr gelingen, die sich rasch wandelnden Regeln und Muster unserer digitalen Welt schnell genug zu erfassen und der Komplexität Herr zu werden. «Die Vorstellung, man könnte ein globales System dieser Komplexität noch zentral steuern, ist einfach falsch», sagt Helbing. «Die Grösse der Herausforderung übersteigt die Möglichkeiten klassischer Lösungsansätze.»

Daher wird es wohl bald ziemlich turbulent werden … wenn die alte und neue Weltanschauung aufeinanderprallt.

Symptome dieser Komplexität seien zum Beispiel Finanz- und Wirtschaftskrisen. Die Europäische Zentralbank habe bisher keine überzeugende Antwort darauf gefunden, sagt Helbing. Weitere Nebenwirkungen der digitalen Revolution sind Cyberkriminalität, Cyberkrieg und die negativen Seiten von Big Data: Die gigantischen Mengen an Information und persönlichen Daten, die Firmen wie Google, Apple, Amazon, Facebook, Twitter und die Geheimdienste anhäufen, sind nicht mehr zu kontrollieren.

In den nächsten Tage wird es wohl bereits zu einigen Turbulenzen auf den Finanzmärkten kommen.

Die Volksrepublik ist neben den USA die größte Lokomotive der Weltwirtschaft. Etwa 15 Prozent der globalen Wirtschaftsleistungen auf ihr Konto. Übertroffen wird das nur von den Vereinigten Staaten, die bei rund 25 Prozent liegen. China ist überdies seit Jahren Exportweltmeister und in vielen wichtigen Branchen der größte Absatzmarkt. So werden nirgendwo so viele Autos gekauft wie dort. „China ist ein Riesen-Risikofaktor“, warnt deshalb der Chef des Exportverbandes BGA, Anton Börner, angesichts der Börsenturbulenzen. Darin sieht er „ein große Bedrohung für die Stabilität der Weltwirtschaft“. Quelle: www.boerse-online.de

«Die neuen Firmen werden wohl nicht in der Lage sein, das Äquivalent der wegfallenden Arbeitsplätze neu zu schaffen.»

Man kann ein Problem nicht mit den gleichen Denkstrukturen lösen, die zu seiner Entstehung beigetragen haben. soll Albert Einstein gesagt haben. Wir müssen uns wohl anders organisieren, wenn wir in Frieden weiterleben wollen. Siehe auch Humans Need Not Apply.

Diversität schlägt die beste Lösung.

Hat uns die Natur schon lange vorgezeigt.

Ein Beispiel: San Francisco wird hin und wieder von schweren Erdbeben erschüttert. Um die Widerstandsfähigkeit der Region im Falle einer solchen Naturkatastrophe zu verbessern, haben sich Programmierer bei einem von Helbing mitorganisierten Workshop in San Francisco eine App ausgedacht. Wer diese App auf dem Handy hat, kann sich melden, wenn er Hilfe, Wasser, Babynahrung oder warme Decken braucht. Die Info wird hochgeladen, und andere Leute aus der Nachbarschaft können sehen, was wo benötigt wird. Wer Wasserflaschen oder Babynahrung im Keller hortet, kann diese ein paar Häuser weiter zu den Bedürftigen bringen. So finden die Bürger via App rasch zueinander, lange bevor ein Katastropheneinsatzteam bereit ist – je nachdem verzögern eingestürzte Brücken oder zerstörte Strassen deren Vorstoss ohnehin.
Natürlich wird auch der Krisenstab von den Informationen der App profitieren: Selbst wenn noch keine professionellen Helfer vor Ort sind, zeigt die App, wo die Not am grössten ist. Doch vor allem wird dank der App die grundsätzliche Hilfsbereitschaft der Menschen zum Nutzen aller geschickt koordiniert und Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht.

Das bräuchten wir auch hier …

Siehe zusätzlich Die nächsten 20 Jahre werden mehr Veränderung bringen, als die letzten 100 Jahre.

Update 17.01.16

Wegen des zunehmenden Einsatzes von Robotern und der fortschreitenden Digitalisierung der Wirtschaft werden die Industrieländer einer Studie des Weltwirtschaftsforums zufolge in den nächsten fünf Jahren rund fünf Millionen Jobs verlieren. Die nächste industrielle Revolution, die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ firmiert, mache Millionen Arbeitsplätze überflüssig. Betroffen seien weniger die Fabriken, die bereits weitgehend automatisiert sind, sondern Büros und Verwaltung. Dem gegenüber stehen nur zwei Millionen neue Stellen, die für Spezialisten im Bereich Computer und Technik bis zum Jahr 2020 neu geschaffen werden sollen. orf.at

Frauen seien von dem Wandel besonders negativ betroffen. Es gibt bereits einige ähnliche Vorhersagen. Der MIT-Ökonom Andrew McAfee etwa warnt seit Jahren nicht nur davor, dass eine Heerschar von Robotern viele Jobs übernehme, sondern auch eine „strukturelle Massenarbeitslosigkeit“ drohe. www.heise.de

Siehe auch Aufbrechen! Warum wir eine Exzellenzgesellschaft werden müssen.