Letzte Aktualisierung am 27. Januar 2016.

Am 02. Juni fand die Podiumsdiskussion „Stromnetze auf smarten Wegen?“ im Festsaal der Wiener Netze statt.

Das Thema

Der Wandel in der Erzeugung, im Transport und im Konsum von Energie stellt traditionelle ebenso wie neue Marktteilnehmer vor große Herausforderungen. Was müssen die Netze der Zukunft können, um allen an sie gestellten Anforderungen gewachsen zu sein? Dezentrale Erzeuger,  Konsumenten, die zunehmend selbst einspeisen wollen, und dies alles in einem von Verwerfungen gekennzeichneten Markt: Energieversorger und Netzbetreiber müssen ihre Rolle neu definieren und wichtige Weichenstellungen für den Netzausbau vornehmen. Welche Schlüsseltechnologien werden diesen Prozess mitgestalten und welche Rahmenbedingungen braucht es für die nötigen Investitionen? Und wie kann in diesem dynamischen Umfeld die hohe Versorgungssicherheit aufrechterhalten werden? Verschiedene Marktbegleiter diskutieren zu den technischen Möglichkeiten alternativer Energieversorgung und den nötigen Rahmenbedingungen, gesellschaftlichen Veränderungen und neuen Chancen.

Der offizielle Bericht.

Auszüge aus der Diskussion, persönliche Notizen

Fehlende Gesamtsicht

Das Unbandling (Marktliberalisierung) hat zwar die verkrusteten Monopolstrukturen aufgebrochen, aber gleichzeitig wurde auch viel zerstört, da heute niemand mehr für das Gesamtsystem und damit für die langfristige Systemsicherheit zuständig ist/sich fühlt. Es fehlen nicht nur auf europäischer sondern auch auf nationaler Ebene Gesamtkonzepte, was sich etwa bei der 380kV-Salzburg-Leitung  widerspiegelt, welche dringend benötigt wird, um den Windstrom aus dem Osten auch sinnvoll zwischenspeichern zu können.

Infrastrukturen

Die Infrastrukturbetreiber, in diesem Fall die Netzbetreiber, stehen vor der zunehmenden Herausforderung von „Aging Infrastructures„. Viele Komponenten weisen bereits eine Nutzungsdauer von 50+ Jahren, zum Teil sogar über 100 Jahre (Kabel) auf. In den nächsten Jahren sind daher massive finanzielle Aufwendungen erforderlich, um die Infrastrukturen zu erneuern. Wobei heute niemand mehr mit einer derart langen Lebensdauer von Komponenten rechnet, schon gar nicht unter den derzeitigen finanziellen Rahmenbedingungen.

Wien ist seit 2006 um die Einwohnerzahl von Graz gewachsen. Das muss auch infrastrukturell bewältigt werden. In Wien kommt es jährlich zu rund 150.000 Wohnungswechsel – mit erforderlichen Schaltmaßnahmen.

90% der dezentralen Stromerzeugung wird im Verteilnetz eingespeist. Daher muss das Verteilnetz auf die neuen Anforderungen auf- und umgerüstet werden. Denn bisher erfolgte die „Steuerung“ über das Übertragungsnetz. Das Verteilnetz verfügt bisher über wenige Sensoren, 90% sind nicht überwacht, was sich ändern muss.

„Smart“ und Elektronik lässt sich leicht vermarkten, aber die Herausforderung in der Realität sind sehr groß, etwa bei der Unterbringung von Elektronik in Altbauten mit Feuchtigkeits- und Staubproblemen. Oft sind die Umfeldbedingungen nicht sehr elektronikfreundlich.

Im Burgenland gibt es mehr als 400 Windräder die im Idealfall rund 1 GW Strom erzeugen können. Dabei kommt es durchaus vor, dass innerhalb von 20 Minuten die Produktion von 0 auf 100% hochgefahren wird, wenn der Wind entsprechend kommt, was eine enorme Herausforderung für die Netzsicherheit darstellt (siehe Intradaystops).

Neue, dezentrale Speicherlösungen können zur Entlastung der Infrastruktur beitragen.

„Smart-Technologien“ werden als enabler zur Erreichung von Klima- und Energieeffizienzzielen gesehen. Gleichzeitig wollen sich die Kunden aber nicht mit der Technik beschäftigen. Der Nutzen bei Smart Meter ist etwa nur zu Beginn zur Sensibilisierung zu erwarten.

Finanzierung

Eine sehr große Herausforderung stellt die Finanzierung der erforderlichen Maßnahmen dar, da das Stromnetz reguliert ist und die Abgeltung von der Regulierungsbehörde (E-Control) vorgegeben wird. Die Regulierungsperiode dauert 5 Jahre und nimmt kaum Rücksicht auf langfristige Planungen und Investitionen. Hier besteht ein Handlungsbedarf.

Der Kunde zahlt derzeit rund 26 von 100 Euro für Netz- und damit unverzichtbare Infrastrukturkosten. Die zunehmende Selbstversorgung (PV) führt aber dazu, dass diese Kunden auf ein sehr kostengünstiges Backup-System zurückgreifen können, aber kaum einen Anteil an der Erhaltung tragen müssen. Hier sind neue Modelle erforderlich. Etwa nicht die bezogene Arbeit (kWh), sondern die Leistung (kW; Gleichzeitigkeitsbedarf) soll stärker für die Bepreisung herangezogen werden. Das muss aber ingesamt besser kommuniziert werden, da derzeit kaum Verständnis bei den Bürgern dafür vorhanden ist, da die Zusammenhänge nicht Bewusst sind. Zudem ist es erforderlich, dass auch dezentrale Erzeuger Systemverantwortung übernehmen – dazu ist aber eine Gesamtsicht erforderlich, die derzeit weitgehend fehlt.

Die massiven Anpassungserfordernisse in den Verteilnetzen werden einiges Geld kosten. Smart Meter sind dazu nur der Anfang (derzeit mit rund 2 Milliarden Euro beziffert).

Gleichzeitig muss aber auch die Leistbarkeit für die Kunden weiterhin gewährleistet werden, wobei es nicht den homogenen Kunden gibt. Hiermit werden auch Verteilungsfragen zu diskutieren sein.

Industrie

Die Industrie kauft massiv Softwarefirmen ein, um das fehlende Know-How  im Bereich Software abdecken zu können. Die Netze stellen einen großen „Hoffnungsmarkt“ für die Industrie dar.

Geschäftsmodelle

Es ist zwar bewusst, dass neue Geschäftsmodelle erforderlich sind, jedoch steht man hier noch ziemlich am Anfang, vor allem, was die Marktintegration betrifft.

Kommentar

Das Thema Versorgungssicherheit wurde zwar immer wieder hervorgehoben, aber scheinbar ist die Tragweite dennoch nicht bewusst, was es heißen würde, wenn diese nicht mehr gegeben ist und es zu einem Blackout kommen würde. Dies auch deshalb, da zwar von „Operationen am offenen Herzen“, Unsicherheiten und Risiken beim IT-Einsatz, Betrieb an der Belastungsgrenze, fehlende Gesamtsicht, etc. gesprochen wird, jedoch gleichzeitig die Maßnahmen (Stichwort: Smart) weiter ohne kritische Bedarfs- und Kosten-Nutzen-Analysen (Stichwort: Smart Metering) weitergetrieben werden sollen bzw. ein Systemversagen quasi ausgeschlossen wird.

Bei jeder Systemänderung, Organisationsänderung, etc. kommt es zu Reibungsverlusten und es besteht die Gefahr von Rückschlägen, ganz abgesehen vom erhöhten Anschubinvestitionsbedarf. Beim größten Infrastrukturtransformationsprojekt aller Zeiten, dass noch dazu nicht auf europäischer Ebene koordiniert („orchestriert„) wird, obwohl es sich um ein europäisches Verbundsystem handelt, scheint das alles kaum ein Thema zu sein. Was durch Meldungen wie Als wenn Deutschland mit der schleppenden Umsetzung der Energiewende nicht schon genug zu tun hätte: Nun kommt auch noch die Hacker-Herausforderung dazu, die laut VKU keinerlei Aufschub duldet. getoppt wird. Sie spiegelt das fehlende Systemverständnis und die kurzfristigen und meist isolierten Betrachtungen wider. Die Systemlogik sagt – das muss schief gehen (siehe dazu auch Schwarmdumm – So blöd sind wir nur gemeinsam).

Die Energiewende ist keine reine Technikwende, sondern erfordert einen Kulturwandel und die aktive Einbindung der Menschen. Ein robustes Stromversorgungssystem ist nur mittels einem Energiezellensystem erreichbar, wovon wir noch sehr sehr weit entfernt sind. Es gibt noch viel zu tun …