Letzte Aktualisierung am 14. Juni 2015.

Mittlerweile wurde der Schlussbericht zur Schweizer Sicherheitsverbundsübung 2014 (SVU’14) veröffentlicht. Daher möchten wir hier einige Auszüge bringen, die auch für Österreich von Relevanz sind. Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem aktuellen Buch von Gunter Dueck, Schwarmdumm – So blöd sind wir nur gemeinsam, eine klare Leseempfehlung.

Die Negativstrompreiseentwicklung ist seit dem letzten Newsletter erfreulicherweise unverändert geblieben, was auch mit dem Wetter an den vergangenen Sonntagen zusammenhing.

Ende Mai kam es zu einem spektakulären Zusammenbruch des Flugverkehrs in Belgien. Ein Stromausfall bei der Flugsicherung – auch die Notaggregate waren ausgefallen – hat den Luftverkehr in Belgien sechs Stunden lang zum Stillstand gebracht. Allein am Brüsseler Flughafen waren 20.000 Passagiere betroffen. Womit die bisherige Annahme, dass bei einem Blackout Flughäfen rasch zu schwer beherrschbaren Hotspots werden, bestätigt wird. Denn in diesem Fall war ’nur‘ die Flugsicherung, jedoch nicht der Bodenbetrieb, betroffen. 20.000 Menschen über einen längeren Zeitraum zu versorgen ist wohl kaum möglich, wenn rundherum auch wenig funktioniert.

Wie beim letzten Mal angekündigt, gibt es nun eine Sammlung von Vorfällen, die eigentlich nicht hättenm passieren dürfen: ‚
Was so alles schief gehen kann …

Sicherheitsverbundsübung 2014: Erkenntnisse und weiteres Vorgehen

Ende Mai wurde der Schlussbericht zur Schweizer Sicherheitsverbundsübung 2014 der Öffentlichkeit präsentiert. Hierzu einige Auszüge daraus, die auch für Österreich relevant sein dürften und eigentlich keine weiteren Kommentare benötigen, außer, dass wir hier wohl auch noch einige Hausaufgaben zu erledigen haben:

  • Die Wichtigkeit der Information und Kommunikation ist unbestritten. Allerdings führen unterschiedliche Auffassungen, Erwartungen und zum Teil auch oberflächliche Kenntnisse der Zuständigkeiten und Abläufe in der Kommunikation von Bund, Kantonen und Dritten immer wieder zu Missverständnissen und Unstimmigkeiten.
  • Die SVU 14 zeigte, dass die Auswirkungen, Interdependenzen und Herausforderungen einer komplexen Notlage, vor allem anfänglich massiv unterschätzt wurden. Die SVU 14 trug aber bereits wesentlich zur Sensibilisierung vieler Kreise bei.
  • Behörden, Verwaltungen, Wirtschaft und Bevölkerung sollten auf Ebene Bund und Kantone für die Verletzlichkeit der Gesellschaft in Krisen gegenüber der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern, vor allem auch für die Thematik Strommangellage, weiter sensibilisiert werden.
  • Die SVU 14 zeigte, dass in verschiedenen Bereichen Defizite im Business Continuity Management bestehen. Dabei handelt es sich sowohl um voraussehbare Lücken im personellen Bereich (beispielsweise Durchhaltefähigkeit während einer Grippepandemie) als auch um Probleme in der Infrastruktur.
  • Die Auswirkungen einer längerdauernden Strommangellage im Gesundheitswesen sind nicht genügend bekannt. Das Gesundheitswesen kann zumeist nur kurzfristige Stromausfälle bewältigen.
  • Die Herausforderungen an das Business Continuity Management werden jedoch eher unterschätzt.
  • Die SVU 14 zeigte, dass in einer länger dauernden Strommangellage die Grundversorgung binnen weniger Tage massiv eingeschränkt und teilweise gefährdet wäre.
  • Vom Bund/BWL wurde zusammen mit der Wirtschaft und kantonalen Stellen bereits umfangreiche Vorbereitungen und Vorsorgemassnahmen getroffen. Die Kontingentierung bei Grossverbrauchern allein bedingt sehr umfangreiche und mehrjährige Vorbereitungen.
  • Die genaueren Kenntnisse bezüglich der vorgesehenen und geplanten Massnahmen fehlen jedoch vielerorts. Der diesbezügliche Nachholbedarf ist erkannt. Allenfalls muss in diesem Bereich inskünftig teils vom bisher geltenden Hol-Prinzip abgewichen werden. Einige Kantone suchen bereits nach Lösungen, um besser auf eine Strommangellage, ihre Auswirkungen und Folgen auf Gesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Behörden vorbereitet zu sein. Dies ist aber nur in engem Austausch mit allen Beteiligten von Bund, Kantonen und der Wirtschaft sowie den Betreibern kritischer Infrastrukturen wirkungsvoll möglich.
  • Was für die Stromversorgung bezüglich fehlender Kenntnisse betreffend Vorsorgeplanungen Gültigkeit hat, gilt sinngemäss auch für die Versorgung mit Lebensmitteln. VertreterInnen der Exekutive sowie der kantonalen Führungsorgane sind sich der Abhängigkeiten von Strom, von Versorgungsketten (vom Produzent bis zum Detaillist) und der Grenzen des justin-time-Systems bewusster geworden. Auch hier sind Kantone daran, nach geeigneten Lösungen zu suchen, um sich besser auf eine eventuelle Notlage vorzubereiten.
  • Die Sorge um eine sichere Kommunikation war oft Gegenstand von Diskussionen. Die Forderung nach einem krisen- und abhörsicheren, flächendeckenden Breitband-Kommunikationssystem wurde allgemein unterstützt. Dies ist zweifellos ein entscheidender Schritt für die Führung in der Krise und zur Erhöhung der Resilienz.
  • Die Betreiber kritischer Infrastrukturen erbringen für Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zentrale Produkte und Dienstleistungen. Der Staat hat deshalb ein Interesse daran, dass Ausfälle vermieden und allfällige Auswirkungen gering gehalten werden können. Im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeiten sind grundsätzlich die Betreiber für die Funktionsfähigkeit und den Schutz ihrer Infrastrukturen zuständig. Sie werden aber mit verschiedenen Massnahmen u.a. der wirtschaftlichen Landesversorgung und im Rahmen der Schutz-Kritischer-Infrastruktur-Strategie (SKI) vorbeugend unterstützt (z.B. Leitfaden SKI). Im Ereignisfall können sie, wenn die eigenen Mittel ausgeschöpft sind oder behördliche Massnahmen angeordnet sind, subsidiär unterstützt werden. Die SVU14 lässt erahnen, dass eine langandauernde Strommangellage zu massiven Auswirkungen und damit auch zu Hilfsgesuchen an die Behörden führen würde.
  • Vor und während der SVU 14 zeigte sich, dass Strukturen, Aufgaben, Kompetenzen, rechtliche Grundlagen sowie auch Konzepte und Planungen teilweise nicht oder zu wenig bekannt waren. Das führte zu Missverständnissen, Verunsicherungen und teilweise Bedenken. Dies gilt es in Zukunft zu verhindern. Die Kantone und der Bund sind in der Regel mit der Bewältigung lokaler oder allenfalls kantonsübergreifenden Ereignissen konfrontiert, nicht aber mit den Herausforderungen einer nationalen Krise. Die SVU 14 hat gezeigt, dass Schwachstellen im nationalen Krisenmanagement erst sichtbar werden, wenn Sicherheitsakteure von Bund und Kantonen gleichzeitig mit einem gemeinsamen Szenario üben.

Schwarmdumm – So blöd sind wir nur gemeinsam

Gunter Dueck war bis 2011 Chief Technology Officer der IBM Deutschland und hat jünst das Buch
‚Schwarmdumm: So blöd sind wir nur gemeinsam‚ herausgegeben. Der Titel mag vielleicht zuerst etwas abschrecken, jedoch hat er eine brilliante Analyse unseres derzeitigen Gesellschaftssystems erstellt, die hier mit einigen Auszügen wiedergegeben wird.

  • Die bisher besprochenen Möglichkeiten, zu mehr Gewinn zu kommen, versuchen, die Spielregeln möglichst krass auszunutzen. Alles, was irgendwie erlaubt ist, wird gemacht, eventuell noch ein bisschen mehr. Man schaut nicht so genau hin, ob es immer noch Fett ist, was beim Optimieren abgeschnitten wird, oft ist schon Muskelfleisch des Unternehmens dabei und es blutet beim Schneiden. Statt solcher rigorosen Optimierung innerhalb der Spielregeln des Marktes kann man aber auch versuchen, die Regeln zu ändern. S. 245. Siehe auch
    Wenn betriebswirtschaftliche Optimierungen systemgefährdend werden.
  • Georg Arthur Akerlof, Nobelpreisträger 2001 mit „The Market for Lemons“ (Zitronenproblem). Wenn die Marktteilnehmer mit dem Informationsvorsprung opportunistisch bis hinzu ausbeuterisch umgehen, dann kommt es zu der Todesspirale des ganzen Marktes, bis es nur noch niedrigste Qualität zum Schleuderpreis gibt. S. 110.
  • Wie kann man von der Akerlof-Abwärtspirale in eine Aufwärtsspirale kommen? Das ist die entscheidende Frage. Die Antwort liegt fast auf der Hand: radikale Umkehr. Das aber wollen die Politiker, Manager, Lobbyisten, Beratungsfirmen, Einzelmenschen absolut nicht. Sie suchen die einfache Erfolgsformel für die schnelle Lösung – „Quick Fix“. Die aber gibt es nicht. S. 185.
  • Ich sage nicht, dass die eine oder die andere Seite besser oder schlechter ist. Es ist aber dumm, nur eine zu kennen und zum Maßstab zu machen. (…) Aber das Management erklärt die eigene Auffassung zum Standard und versucht, alle anderen Menschen zu seiner Seinsauffassung zu zwingen. Sie zwingen die Fachleute, unter leistungsschwächendem Stress zu arbeiten und schlechte Ergebnisse zu erzielen. Dann gibt es noch mehr Stress, wenn die Ergebnisse schlecht sind! Es ist aber eine Art globaler Wahnsinn der Manager, alles müsste unter Stress stehen! S. 207.
  • Wie kann sich nun Vernunft im Zahlenwahn behaupten? Die traurige Wahrheit: Vernunft wird im dummen Schwarm als extrem nörglerisches Omega wahrgenommen. Die Vernunft sieht ja die ganze Akerlof-Spirale, sie sieht, dass restlos alles gegen die Wand fährt, sie kritisiert das Ganze radikal – weit über die jeweilige Abteilung hinaus, in der sie Kritik übt. Und eben deshalb sagen alle zur Vernunft: ‚Bring einfach deine Zahlen, halte nicht alles durch sinnloses Predigen auf. Wir wissen, was eigentlich und theoretisch vernünftig wäre, aber wir leben in der Realität. Deshalb ist die Vernunft in einem schwarmdummen System ein Netzbeschmutzer. S. 237f.
  • In schwarmdummen Teilen der Betriebswirtschaftslehre wird oft von Skalierung geschwärmt. (…) Die Erkenntnis, dass sich bei einer Vergrößerung viele Zahlenverhältnisse verzerren, ist nicht sehr verbreitet. (…) Eine Größenverzehnfachung bedeutet stets ein Volumenvertausendfachung! Das Volumen eines Körpers wird in „hoch 3“ gemessen. S. 26. Siehe hierzu auch exponentielle Entwicklungen, die bei komplexen Systemen eine zentrale Rolle spielen.
  • Wer unter Beschleunigung arbeitet, muss sehr viel präziser arbeiten, weil Fehler unter Stress öfter vorkommen und sich schrecklicher auswirken (es ist keine Zeit, sie zu berichtigen). S. 28.
  • Alles über 85 Prozent Auslastung führt zu Chaos bis hin zu Katastrophen. S. 61.
  • Der durch den Auslastungswahn erzeugte Stress führt zu einer Aversion gegen alles, was nicht gerade jetzt im Augenblick wichtig ist. Diese Aversion erzeugt einen Tunnelblick auf die aktuellen Probleme, die zu einem großen Teil aus einer Zusatzarbeit besteht, die aus dem Stress entstanden ist. S. 78.
  • Wenn die Marktteilnehmer mit dem Informationsvorsprung opportunistisch bis hin zu ausbeuterisch umgehen, dann kommt es zu der Todesspirale des ganzen Marktes, bis es nur noch niedrigste Qualität zum Schleuderpreis gibt. S. 110.
  • Man kann das Große nur im Ganzen erfassen – ja, und manchmal lässt sich das Geniale erst viel später erkennen. (…) Die Zweitklassigen brauchen Regeln, Empfehlungen und Rezepte, um etwas zu erzeugen – und die gibt es für das Erstklassige eben meistens nicht. S. 136.
  • Das feste Behaupten oder Suggerieren von (falschen) Kausalzusammenhängen ist ein fabelhaftes Mittel zur Verdummung, zum Verkaufen, zum politischen Agitieren und Manipulieren und zum Erzeugen vorschneller Vorurteile. S. 180.
  • Bei vielen Veränderungen, zum Beispiel bei größeren Innovationen, lässt sich nicht vorher berechnen, wie viel Mehrgewinn eingefahren werden kann. Es geht einfach nicht! S. 247.
  • Wirklich verändernde Innovationen oder Wechsel zu neuen Technologien oder Geschäftsmodellen sind inzwischen fast unmöglich geworden. Sie scheitern an den Denkgewohnheiten und den Genehmigungsprozessen, die an jeder Stelle nach einem exakt berechneten Nutzen in kurzer Zeit fragen. S. 249.
  • Das ist nicht nur gesunder Menschenverstand, es ist Mathematik: Irgendwann ist das lokale Optimieren „fertig“, und von diesem Zeitpunkt an werden die Kosten nur noch hin und her geschoben. S. 253.

Die folgende Schlüsselstelle dürfte wohl vielen Lesern, die sich mit dem Thema ‚Sicherheit‘ beschäftigen (müssen), bekannt vorkommen:

Der einsame Mahner mitten im opportunistischen Schwarm

‚Was kann ein einzelner Vernünftiger tun? Ich habe einmal als Berater den kompletten Vorstand eines Unternehmens gewarnt, jedes Vorstandsmitglied einzeln nacheinander, dass es logisch gesehen eine große Katastrophe geben würde. Sie blockten ab. Einer sagte – das habe ich heute noch im Ohr: ‚Es ist logisch, was Sie sagen. Wahrscheinlich stimmt es sogar. Aber es sagt sonst niemand. Nur Sie. Nehmen wir an, ich setze um, was Sie sagen – und nehmen wir an, es geht schief. Dann werden mich die Shareholder fragen, warum ich so entschieden habe – als Einziger unter vielen Unternehmenschefs. Ich werde dann antworten, dass mir Gunter Dueck das so empfohlen hat. Den Dueck kennen meinen Shareholder leider nicht – ich wäre daher sofort meinen Job los. Warum also soll ich Ihnen überhaupt zuhören, wenn Sie etwas vorschlagen, was keiner sonst vorschlägt?‘ – Ich erwiderte: ‚Weil es nach normaler Logik eine Vollkatastrophe gibt, wenn Sie nicht auf mich hören.‘ – ‚Aber nicht für mich, Herr Dueck, weil alle anderen Unternehmen ebenfalls in dieselbe Katastrophe laufen. Wenn mich dann die Shareholder fragen, warum ich versagte, dann kann ich damit auftrumpfen, dass es in der Branche niemand richtig gemacht hat, sodass ich es also nicht habe erkennen können, weil es ja kein Einziger erkannt hat. Sie sind sehr intelligent, Herr Dueck, ich aber auch. Verstehen Sie mich in der vollen Tragweite?‘

‚Wenn alle dumm zu sein scheinen, ist es unter vielen Umständen besser, sich selbst auch dumm zu stellen. (…) Wie ging es weiter? Logik ist Logik, die Katastrophe kam sechs Monate später. (…) Man löst im Schwarm Probleme, wenn sie kommen, eins nach dem anderen – und man wartet gelassen (= schwarmdumm?), bis sie kommen. Es hat keinen Sinn – so sagen viele oder so sagt die Mehrheit -, Probleme zu lösen, die noch nicht gekommen sind. Vieles erledigt sich bekanntlich von selbst, und die meisten Probleme kommen dann doch nicht. Manager sind nicht gut beraten – so sagen viele -, zu sehr auf dünnhäutige Schwarzseher zu hören.‘ S. 122f

Und einmal mehr zeigt sich hier, dass es nicht am Wissen oder an der Technik fehlt, sondern am vernetzten Denken, das sich an langfristig lebensfähigen Systemen orientiert. Es ist zwar nicht besonders ermutigend, zu wissen, woran es hapert, wenn der Lösungsweg derzeit unerreichbar scheint, aber es schafft zumindest neue Perspektiven. Und je mehr Menschen sich dieser Muster bewusst sind, desto eher besteht die Chancen, dass wir doch neue Wege einschlagen können, ohne dass es zuvor großer Katastrophen bedarf.

Verschiedene Meldungen und Berichte

Situation im europäischen Stromversorgungssystem

Die angeführten Beispiele stammen rein aus öffentlich verfügbaren Quellen. Sie zeigen die aktuellen Herausforderungen auf und sollten uns an die Truthahn-Illusion erinnern.