Ich durfte im Rahmen des Österreichischen Infrastrukturreports 2025 folgenden Beitrag leisten.
In den vergangenen Jahren hat das Thema Versorgungssicherheit durch verschiedene Ereignisse erheblich an Bedeutung gewonnen. Dennoch zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Problematik und der tatsächlichen Handlungsbereitschaft. Während Umfragen eine hohe Zustimmung zu Sicherheits- und Resilienzthemen vermuten lassen, offenbart die Realität ein differenzierteres Bild, insbesondere wenn es um konkrete Maßnahmen und Investitionen geht.
Diversifizierung als Schlüssel zur Resilienz
Ein prägnantes Beispiel für diese Diskrepanz zeigt sich in der Frage der Diversifizierung von Bezugsquellen aufgrund instabiler Lieferketten. Während 2023 noch eine deutliche Mehrheit diese Strategie befürwortete, sank die Zustimmung 2024 merklich. Gleichzeitig stieg die Zahl derer, die diese Frage nicht einschätzen konnten oder wollten.
Diversifizierung gilt als wesentliches Designmerkmal für robuste und resiliente Systeme. Sie steht jedoch im Konflikt mit betriebswirtschaftlichen Effizienzbestrebungen, da Redundanzen und Reserven Kosten verursachen. Dieser Trade-off zwischen Sicherheit und Effizienz stellt Unternehmen und politische Entscheidungsträger vor die Notwendigkeit komplexer Abwägungen.
Cybersicherheit: ein permanentes Katz-und-Maus-Spiel
Im Bereich der Cybersicherheit zeigt sich ein anhaltendes Defizit. Trotz jahrelanger Diskussionen wird das Thema oft nur halbherzig adressiert, was zu steigenden Schadensummen führt. Die Herausforderungen sind vielschichtig:
- Fachkräftemangel: Seit über 15 Jahren fehlt qualifiziertes Personal im Cybersicherheitsbereich. Die Ausbildungssysteme scheinen nicht in der Lage, diesen Bedarf adäquat zu decken.
- Dynamische Bedrohungslage: Cybersicherheit erfordert kontinuierliche Anpassungen und Ressourcen, da es sich um ein permanentes „Katz-und-Maus-Spiel“ handelt.
- Ganzheitlicher Ansatz: Eine reine Fokussierung auf Prävention reicht nicht aus. Es bedarf einer ausgewogenen Strategie zwischen Verhinderung, Erkennung und Reaktionsfähigkeit. Denn während die Verhinderung und die Erkennung an Spezialisten ausgelagert werden können, müssen bei der Reaktion und der Wiederherstellung alle einbezogen werden, da es sich dann nicht mehr nur um ein technisches und Spezialistenproblem handelt. Und hier fehlt oft die Akzeptanz, diesen Aufwand für Training und Übung zu betreiben. Und das gilt nicht nur für den Cyberbereich. Nach Jahrzehnten der Stabilität und der Sicherheit sind wir es nicht mehr gewohnt, in den Krisenmodus zu schalten oder uns gar darauf vorzubereiten. Und das kann für eine Gesellschaft, die von immer mehr Strukturen abhängig ist, wirklich gefährlich werden.
Versorgungssicherheit im globalen Kontext
Lieferketten und geopolitische Risiken
Die Erfahrungen aus der Suezkanal-Blockade durch die „Ever Given“ 2021 haben zu Verbesserungen in der Lieferkettenresilienz geführt. Dies zeigt sich in der aktuellen Situation im Roten Meer, wo trotz erneuter konfliktbedingter Blockaden seit Herbst 2023 kein größeres Lieferkettenchaos entstanden ist. Und das gilt nicht nur für dieses Bespiel.
Verantwortlichkeiten und strategische Ausrichtung
Dennoch offenbaren die Ergebnisse aus der Managererhebung für den Österreichischen Infrastrukturreport eine problematische Tendenz, die Verantwortung für Rohstoffverfügbarkeit primär bei nationalen Regierungen zu sehen. Nur die Hälfte der Befragten sieht die Verantwortung bei Unternehmen oder der EU. Diese Sichtweise spiegelt ein Silodenken wider, das in einer vernetzten Welt zunehmend dysfunktional wird. Eine effektive Strategie erfordert eine koordinierte Herangehensweise auf EU-Ebene, die sowohl Diversifizierung als auch Lieferkettenresilienz berücksichtigt. Und die Grundverantwortung wird weiterhin bei den Unternehmen und Branchen zu verorten sein.
Solche Widersprüche zeigen sich aber auch an anderen Stellen. So spricht sich z. B. eine klare Mehrheit für die „Gewinnung von Ressourcen in Österreich zur Erhöhung der Energieunabhängigkeit“ aus und lehnt gleichzeitig die Gewinnung von Schiefergas in Österreich ab. Ähnliches gilt für die Frage zu „Atomstrom als Alternative zu fossilen Energieträgern“. Beide Themen sind in Österreich so verbrannt, dass auch die schwere Krise 2022 daran nichts ändern konnte was oft auch mit viel Unwissenheit und zweifelhaften Narrativen zu tun hat.
Energieversorgung und Systemrisiken
Gasversorgung als kritischer Faktor
Die erwartbare Unterbrechung russischer Gaslieferungen ab 1. Januar 2025 stellt eine signifikante Herausforderung dar. Der derzeitige Optimismus könnte sich als gefährliche Selbsttäuschung erweisen. Der Europäische Rechnungshof (EuRH) bezweifelte wohl nicht zu Unrecht Mitte 2024, dass die EU mit den bisher getroffenen Maßnahmen auf eine erneute Gaspreiskrise vorbereitet wäre.
Besonders kritische Punkte sind:
- langfristige Versorgungssicherheit für Binnenländer,
- fehlende Maßnahmen zur Preiskontrolle bei erneuter Krise,
- unklare Auswirkungen der bisherigen EU-Maßnahmen,
- potenzielle sekundäre Abhängigkeiten im Hintergrund.
Zusätzlich stellt sich hier die Frage, ob im europäischen Strommarktsystem ausreichende Maßnahmen ergriffen wurden, um eine erneute Eskalation wie 2022 durch die Kopplung des Gaspreises an den Strompreis zu verhindern. Wie so oft bei komplexen, vernetzten Systemen ist zu befürchten, dass die Risikoeigner die Folgen außerhalb ihres Fachgebiets nicht wirklich gut abschätzen können.
Blackout-Risiko und Systemkollaps
Ein Thema, das nach den – nicht zuletzt durch glückliche Umstände – ausgebliebenen Versorgungskrisen im Winter 2022/23 und im Winter 2023/24 wieder weitgehend aus der allgemeinen Wahrnehmung verschwunden ist, ist jenes einer möglichen Energielenkung im Stromsektor (Brownout) oder das noch schlimmere Szenario eines möglichen überregionalen Strom-, Infrastruktur- und Versorgungsausfalls (Blackout).
Das erste europäische Blackout seit 21 Jahren am 21. Juni 2024 in mehreren Ländern des Westbalkans konnte so schnell bewältigt werden, dass viele sonst zu erwartende Auswirkungen ausblieben. Dies trägt wohl zu einem weiteren falschen Gefühl der Sicherheit bei. Niemand kann jedoch garantieren, dass das nächste Ereignis oder ein Ereignis in Mitteleuropa ähnlich glimpflich verlaufen wird. Die potenziellen Folgen eines möglichen Blackouts in Mitteleuropa wären verheerend, da besonders die Lieferketten schwer betroffen wären:
- weitreichender Infrastruktur- und Lieferkettenkollaps bereits nach wenigen Stunden,
- wochen- bis monatelange Wiederherstellungsphase für Infrastruktur- und Logistikketten,
- unzureichende Vorbereitung der Bevölkerung und der Organisationen auf längere Versorgungsausfälle.
Gleichzeitig setzen große Teile der Bevölkerung, aber auch andere Akteure auf die völlig unrealistische Lösungskompetenz des „Staates“. Das Kernproblem ist, dass weder die Bevölkerung noch sonst jemand darauf eingestellt und vorbereitet ist, schwerwiegende Versorgungsausfälle für mindestens 14 Tage abzufedern, damit überhaupt wieder genügend Personal zur Arbeit kommt, um die Systeme wieder zum Laufen zu bringen.
Das Ergebnis der Managererhebung für den Österreichischen Infrastrukturreport, dass die Bundesregierung zu wenig für die Versorgungssicherheit tue, dürfte daher intuitiv richtig sein, auch wenn die Befragten wahrscheinlich etwas anderes im Sinn hatten.
Auch wenn viele Akteure einen überregionalen Stromausfall für sehr unwahrscheinlich halten, hat die Realität einmal mehr gezeigt, dass ein solcher jederzeit möglich ist. Angesichts der fundamentalen Umwälzungen im europäischen Stromversorgungssystem und der damit verbundenen Verwerfungen durch eine nicht systemisch vorangetriebene Energiewende und andere Faktoren ist eine solche Aussage zudem nur schwer nachvollziehbar. Und letztlich geht es vor allem um die absehbaren Folgen, auf die wir als Gesellschaft in keiner Weise vorbereitet sind.
Handlungsempfehlungen
- Systemisches Denken fördern: Die Komplexität vernetzter Systeme erfordert integrierte Lösungsansätze, die über Einzelmaßnahmen hinausgehen.
- Krisenvorsorge stärken: Implementierung umfassender Vorbereitungsmaßnahmen für Bevölkerung und Unternehmen, um kritische Versorgungsausfälle für mindestens 14 Tage abfedern zu können.
- Koordinierte Sicherheitskommunikation: Etablierung einer zentralen, aufklärenden Kommunikationsstrategie, die die Menschen zur eigenverantwortlichen Vorsorge bewegt, ohne in falscher Sicherheit zu wiegen.
- Resilienz in der Energiewende: Sicherstellung einer systemischen Herangehensweise bei der Transformation des Energiesystems, um die Gefahr von Verwerfungen zu minimieren.
- Einheit der Führung stärken: Unterstützung des neuen Krisenkoordinators der Bundesregierung mit notwendigen Kompetenzen und föderaler Kooperation.
- Diversifizierung und Redundanz fördern: Trotz kurzfristiger Kostennachteile sollten Unternehmen und politische Entscheidungsträger die langfristigen Vorteile robuster Systeme berücksichtigen.
- Cybersicherheit ganzheitlich angehen: Entwicklung einer ausgewogenen Strategie, die Prävention, Erkennung und Reaktionsfähigkeit gleichermaßen berücksichtigt.
- Fachkräfteentwicklung forcieren: Anpassung der Ausbildungssysteme zur Deckung des akuten Bedarfs an Cybersicherheitsexperten.
- EU-weite Koordination stärken: Förderung einer strategischen Sichtweise und Moderation auf EU-Ebene, insbesondere bei Fragen der Rohstoffverfügbarkeit und der Energiesicherheit.
- Bewusstsein für Systemabhängigkeiten schärfen: Aufklärung über die weitreichenden Folgen von Versorgungsunterbrechungen, insbesondere im Gas- und Stromsektor, für systemkritische Prozesse und Lieferketten.
Fazit
Die Versorgungssicherheit bleibt ein kritisches Thema, das weit über einzelne Sektoren hinausgeht. Die Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen erfordert ein tiefgreifendes Verständnis der Systemzusammenhänge sowie die Bereitschaft, innovative und vernetzte Lösungswege zu beschreiten. Nur durch eine ganzheitliche Herangehensweise, die Prävention, Vorbereitung und Reaktionsfähigkeit gleichermaßen berücksichtigt, können die komplexen Risiken der modernen, vernetzten Welt adäquat adressiert werden.
Die Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen Bedeutung von Versorgungssicherheit und der tatsächlichen Handlungsbereitschaft muss überwunden werden. Dies erfordert nicht nur technische und organisatorische Maßnahmen, sondern auch einen kulturellen Wandel hin zu mehr Risikobewusstsein und Eigenverantwortung auf allen Ebenen der Gesellschaft.
Letztendlich wird die Resilienz unserer Systeme davon abhängen, wie gut es gelingt, die Balance zwischen Effizienz und Sicherheit zu finden, ohne dabei die Dynamik und die Komplexität globaler Herausforderungen aus den Augen zu verlieren. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die getroffenen Maßnahmen ausreichen, um den vielfältigen Bedrohungen für unsere Versorgungssicherheit standzuhalten.