Quelle: www.klimaretter.info
Strom aus Braunkohle muss als „Brückentechnologie“ erhalten bleiben, sagen Verfechter fossiler Energien. Grüne Quellen wie Wind und Sonne seien noch nicht sicher genug. Eine Studie aus Brandenburg scheint ihnen nun recht zu geben.
Fünf Jahre sind für Kraftwerke keine lange Zeit. Einmal gebaut, laufen Kohleblöcke 40 Jahre und mehr. Windkraftanlagen sind für 20 Jahre ausgelegt, können aber, wie erste Erfahrungen zeigen, deutlich länger ihre Rotoren drehen.
Eine jetzt veröffentlichte Studie der BTU Cottbus sollte deswegen im Auftrag des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums untersuchen, ob die Erneuerbaren schon in fünf Jahren – 2023 – so weit sind, um mit ihnen das deutsche Stromnetz stabil und sicher zu betreiben.
Die BTU-Studie kommt in puncto Versorgungssicherheit für 2023 auf beunruhigende Zahlen: Die gesicherte Kraftwerksleistung über alle Erzeugungsformen von heute etwa 90.000 Megawatt werde in den fünf Jahren bis dahin um 24.000 Megawatt oder mehr als ein Viertel sinken. Sie läge dann bei 66.000 Megawatt und damit deutlich unter der laut Netzentwicklungsplan zu erwartenden Jahreshöchstlast von 84.000 Megawatt.
Als Grund, warum die „gesicherte Leistung“ um 24.000 Megawatt zurückgehen soll, geben die Cottbuser Forscher den Atomausstieg an, der 10.000 Megawatt kostet, außerdem die Kohlereserve von Braunkohlekraftwerken, bei der 2.700 Megawatt bis 2020 vom Netz gehen.
Zusammengerechnet ergibt das aber „nur“ 12.700 Megawatt. Um die Differenz zu den 24.000 zu erklären, verweisen die Studienautoren auf eine unwirtschaftliche Erlössituation für konventionelle Kraftwerke sowie auf das absehbare Ende der Lebensdauer von Stromerzeugungsanlagen. Genaueres ist beim Ministerium in Potsdam auch auf Nachfrage bis dato nicht zu erfahren.
Das Herangehen der Forscher aus Cottbus ruft Kritiker auf den Plan. Der Aspekt, ob auch einzelne Braunkohlekraftwerke stillgelegt werden können, werde in der Studie gar nicht untersucht, wendet Hauke Hermann vom Öko-Institut ein. Die BTU analysiere nur, ob man im Jahr 2023 alle fossilen Kraftwerke abschalten könnte und ob dann die Regelleistung im Stromnetz komplett durch Windkraft und Photovoltaik erbracht werden kann. Das wäre zwar, wie Hermann betont, eine Herausforderung, vor allem ohne Neuinvestitionen in Speicher oder Netze. „Aber die Komplettabschaltung aller fossilen Kraftwerke im Jahr 2023 will ja auch niemand.“
Die Bundesnetzagentur ging übrigens anders heran als die BTU. Vor drei Jahren wollte die Behörde herausfinden, wie viel konventionelle Megawatt für ein sicheres Netz gebraucht werden. In einer Studie berechnete sie zunächst eine sogenannte Mindesterzeugung, die nötig ist, um das Stromnetz regelbar und sicher zu fahren. Diese veranschlagt die Behörde auf gerade mal 3.200 bis 4.600 Megawatt.
Davon unterscheidet sie einen sogenannten „konventionellen Erzeugungssockel“, der praktisch immer – Tag und Nacht, sommers wie winters – in Deutschland Strom erzeugt und der 18.800 bis 23.600 Megawatt groß ist – in etwa das Sechsfache der Mindesterzeugung.
Dieser „Sockel“ entsteht, weil zum Beispiel Kohlekraftwerke auch Industrie- oder Fernwärme liefern, was eine bestimmte Leistung verlangt. Oder weil Anlagen, statt sie bei einem Überangebot herunterzufahren, weiter Strom erzeugen. „Dies geschieht zumindest so lange, wie die Kraftwerksbetreiber davon ausgehen, dass ein Ab- und Anfahren teurer ist als ein Weiterlaufen und die damit verbundenen vorübergehenden finanziellen Verluste“, erläutert Carsten Pfeiffer vom Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE).

Kommentar

Dieser Beitrag zeigt einmal mehr, wie engstirnig oft die Diskussion rund um unsere (überlebens)wichtigste Lebensader geführt wird. Natürlich verfolgt jede Sichtweise ihre eigenen Interessen. Dadurch wird es natürlich für Entscheidungsträger auch immer schwieriger, einzuordnen, wem oder welchem Vorschlag man folgen kann/soll. Die größte Gefahr ist daher, wie der Bericht auch zeigt, dass man nicht das europäische Gesamtsystem und die damit verbundenen wechselseitigen Abhängigkeiten betrachtet und mit Zahlen gespielt. Das dahinter auch konkrete technische Leistungen stecken, wie etwa die für das derzeitige System überlebenswichtige Momentanreserve, gehen dabei schnell unter. Zum anderen führen Entscheidungen auf Basis solcher Zahlenspiele in komplexen Systemen rasch zu kleine Ursache, große Wirkung. Die dazu erforderlichen Betrachtungen sind jedoch kaum zu finden. Daher wird hier einmal mehr die Feststellung getroffen, dass wir binnen der nächsten fünf Jahre einen europaweiten Strom- und Infrastrukturausfalls („Blackout“) erleben werden, wenn nicht rasch und fundamentale Änderungen in der Herangehensweise bei der Transformation des europäischen Stromversorgungssystems passieren.