Quelle: SWR2 Wissen: Aula – Gespräch mit Jürgen Neffe
Wer heute Betriebswirtschaftslehre oder Wirtschaftswissenschaften studiert, kommt kaum mehr mit Marx in Kontakt, es dominiert eine rationale mathematische Methode. Dabei kann man noch heute von diesem genialen Theoretiker viel lernen. Die meisten seiner Konzepte haben nach wie vor eine große Aktualität.

Die Kernaussage von Marx lässt sich in einem Wort zusammenzufassen: „Kontrollverlust“. Damit meint er: Wir Menschen – und das hat Marx aus der Religionskritik übernommen –  haben mit dem Kapitalismus ein System geschaffen, das sich unserer Kontrolle entzogen hat. Wir werden paradoxerweise von etwas beherrscht, was wir selbst in die Welt gesetzt haben.

Diese Argumentationsfigur kommt aus der damaligen jung-hegelianisch aufgeladenen Religionskritik. Gemeint war damit: „Gott ist nur eine Erfindung des Menschen.“ Feuerbach etwa sagt: „In Gott beten die Menschen ihr besseres Ich an.“ Gott ist also einerseits ein Geschöpf des Menschen, andererseits hat er sich als Wesen verselbständigt. Marx überträgt das auf den damals noch jungen Kapitalismus. Er sagt, da ist etwas Ähnliches passiert: Ein von uns geschaffenes Etwas hat sich verselbständigt. Und dann erst geht er daran, dieses große Etwas zu untersuchen.
Ein Blick auf die heutige Industrie 4.0, die Entwicklung im Bereich künstliche Intelligenz, die Datenströme, zeigt, dass wir in den nächsten Jahren möglicherweise den totalen Kontrollverlust erleiden, wie Marx das im Ansatz vorausgesehen hat.
Die neuen Systeme, die gerade geschaffen werden und schon fast transhumanistisch sind, also künstlich intelligente Systeme, könnten uns in Zukunft vorschreiben, was wir zu tun haben und was nicht. Schon heute hören wir auf abstrakte Algorithmen, die uns sagen, wie wir unsere Gesundheit optimieren können oder welcher Partner zu uns passt. Und Roboter arbeiten schon jetzt in vielen Bereichen besser als Menschen und werden in Zukunft weitere Tätigkeiten automatisieren. Insofern ist Marx auch auf dieser Ebene hoch aktuell.

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Kommentar

Sehr empfehlenswertes Interview! Marx polarisiert ganz klar und wird meistens mit Kommunismus, etc. gleichgesetzt. Blendet man diese Voreingenommenheit einmal aus und versucht andere Aspekte wahrzunehmen, könnten sich durchaus interessante neue Gesichtspunkte und Anregungen ergeben.