Quelle: derstandard.at

In der Ukraine mussten durch Cyberattacken mehrfach hunderttausende Bürger ohne Strom durchkommen – Experten: Österreicher haben zu wenige Vorräte

„Offene Fragen“

Eine Studie des Instituts für Technikfolgenabschätzung, deren Endfassung im März 2017 erschien, bescheinigt Österreich zwar, „in vielerlei Hinsicht gut für diverse Krisen und Katastrophen gewappnet“ zu sein, allerdings müsse für gewisse Aspekte „mehr Bewusstsein“ geschaffen werden. „Auch bei der Notversorgung der Bevölkerung gibt es einige offene Fragen“, so die Studienautoren.

Eine leicht euphemistische Formulierung: Denn Experten gehen davon aus, dass beispielsweise die Wiener Bevölkerung nach drei Tagen ernste Probleme hat, sich mit Essen und Wasser zu versorgen. Die Studie „Ernährungsvorsorge in Österreich“ aus dem Jahr 2015 weist etwa aus, dass sich am vierten Tag einer Katastrophe rund drei Millionen, am siebten Tag sogar rund sechs Millionen Menschen nicht mehr ausreichend selbst versorgen können.

Kein Strom, kein Wasser, kein Essen

Man denke beispielsweise an das Leitungswasser: Natürlich spielt Strom eine Rolle dabei, dass Wasser aus der Leitung fließt. Doch gerade, weil die Versorgungsqualität in Österreich prinzipiell hoch ist, legen Einwohner keine Vorräte an, erklärt der Blackout-Experte Herbert Saurugg, der sich seit Jahren mit der Thematik beschäftigt. In Südeuropa sei die Bevölkerung an lokale Ausfälle gewohnt, weshalb meist genügend Wasser zu Hause eingelagert ist. : Besonders in Städten seien es Menschen gewöhnt, mindestens alle zwei Tage einkaufen zu gehen. Vorräte werden – auch aus vermeintlichem Platzmangel – kaum angelegt. „Eine Achillesferse für unsere moderne Gesellschaft“, sagt Saurugg zum STANDARD.

Experten wie Saurugg sprechen hier von sogenannten Kaskadeneffekten. Es handelt sich um den sprichwörtlichen Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Hurrikan auslöst. Deutlich sichtbar wurden derartige Kaskadeneffekte etwa 1975, als in China der Banqiao-Staudamm brach. An der Überschwemmung starben 26.000, an den daraus resultierenden Folgen jedoch über 145.000 Menschen. Elf Millionen Einwohner mussten flüchten.

„Lichtinseln“

Ein derartiger Kaskadeneffekt könnte laut der Studie des Instituts für Technikfolgenabschätzung etwa sein, dass Orte mit Notstromversorgung „überrannt“ werden. Von Experten werden diese Plätze als „Lichtinseln“ bezeichnet, weil sie eben als einzige Gebäude in der dunklen Stadt über Licht verfügen. Es könnte dazu kommen, dass „jene Einrichtungen, die bei einem nächtlichen Blackout noch Strom haben (…) von großen Teilen der Bevölkerung aufgesucht werden, in der Hoffnung, dort Gesellschaft und Informationen zu finden“, heißt es in der Studie. Dann könnte es „zu betrieblichen Einschränkungen kommen, wenn zum Beispiel eine Menschenmenge Zu- oder Abfahrtswege zu Krankenhäusern oder Feuerwachen blockiert.“

Damit ist ein weiterer wichtiger Faktor bei Blackouts genannt: Die Informationspolitik. Auch wenn der Akku der privaten Smartphones noch hält, wird etwa das Mobilfunknetz binnen Minuten ausfallen – wenn nicht durch den Stromausfall direkt, dann durch Überlastung. Batteriebetriebene Radios haben eine immer geringere Verbreitung, höchstens über das Autoradio könnten sich noch viele Bürger informieren. Saurugg plädiert deshalb dafür, dass mehr Orte als Erstversorgungsstation designiert werden. Wahllokale wären etwa ein logischer Platz, an dem sich Einwohner bei Stromausfällen versammeln und erste Informationen oder Hilfe erhalten könnten. Diese Ort, sogenannte Selbsthilfe-Basen oder Katastrophenschutz-Leuchttürme, sollten aber bereits vor einem möglichen Ereignis für diese Aufgabe vorbereitet werden.

„Entscheidend für die tatsächliche Krisenbewältigung ist jedoch, wie gut die Bevölkerung und die Gemeinden auf eine solche sehr realistische Krise vorbereitet sind“, mahnt Saurugg ein. Er sieht hier erhebliche Lücken und oft mehr Wunschdenken, als Fakten.

Bürger können jedoch selbst aktiv werden. Saurugg rät jedem, zumindest ein bescheidenes Notfallpaket zusammenzustellen. Empfehlenswert sind lang haltbare Nahrungsmittel, die teils ohne Strom genossen werden können – etwa Gemüse oder Hülsenfrüchte in Dosen; gemischt mit Nahrungsmitteln, die mit Kochwasser zubereitet werden können, also Reis oder Nudeln. Außerdem sollten Wasser, Medikamente und Batterien verfügbar sein; Haltbarmilch, Zucker, Taschenlampe und Radio schaden ebenfalls nicht. Informationen dazu gibt es etwa beim Zivilschutzverband Wien.