Aufgrund der aktuellen Situation haben wir uns dazu entschlossen, kurzfristig einen weiteren Newsletter zu versenden.

Stromnetze an der Belastungsgrenze

Zeitgleich zum Themenabend „Stromausfall“ im ORF III bestand am vergangenen Montag das europäische Stromnetz eine enorme Belastungsprobe, wie das Wirtschaftsblatt heute berichtet. Die Austrian Power Grid (APG) musste die gesamte in Österreich zur Verfügung stehende Kraftwerksleistung anfordern, um das Netz vor dem Zusammenbruch zu bewahren.“ Laut Insidern war der Handlungsspielraum für weitere Maßnahmen weitgehend ausgereizt. Besonders besorgniserregend ist, dass die ausschlaggebende Windsaison erst begonnen hat und bis Ende Jänner 2016 noch weit heftigere Situationen zu erwarten sind. Auch wenn wir immer wieder auf die Blackout-Gefahr hingewiesen haben, so konkret wie derzeit die Situation ist, war sie noch nie bzw. war sie erst immer im Nachhinein erkennbar.

Ernährungsvorsorge in Österreich

Gleichzeitig liegen nun die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt „Ernährungsvorsorge in Österreich“ offiziell vor. Die Zusammenfassung ist wenig schmeichelhaft und sollte uns zu Denken geben:

  • Hauptproblem: „ungeklärte Zuständigkeiten“
  • 60 % der Unternehmen (in der Lebensmittelversorgungskette) haben scheinbar kein konkretes Risiko- und Krisenmanagement implementiert, um im Falle eines längeren Strom- und Infrastrukturausfalls ihre Produktionsanlagen in einen sicheren Zustand herunterfahren zu können, um danach wieder möglichst rasch hochfahren zu können. Wenn gleichzeitig 87 % der selben Unternehmen davon ausgehen, dass sie innerhalb von 8 Stunden einen Normalbetrieb vollständig wiederherstellen können, dann hat das wohl mit dem fehlenden Wissen und einer bekannten Selbstüberschätzung zu tun. Die Schweizer Kollegen gehen davon aus, dass es bereits bei einem 12-stündigen Stromausfall zu Totalausfällen in der Produktion/in Produktionsanlagen kommt. Ein österreichisches Unternehmen – eines der wenigen, wo man sich mit diesem Thema intensiv befasst – rechnet mit Unternehmensschäden von bis zu 600 Millionen Euro.
  • Etwa ein Drittel der Bevölkerung gibt in einer Selbsteinschätzung an, dass sie spätestens am 4. Tag nur mehr sehr eingeschränkt selbstversorgungsfähig ist.
  • Rund 1-2 Millionen Menschen (regional unterschiedlich) verfügen über KEINE Wasservorräte!!
  • Im Zuge der Projektbearbeitung stellte sich hinsichtlich des Blackout-Szenarios beträchtlicher Handlungsbedarf heraus.

Als besondere Gefahrenfelder wurden identifiziert:

  • Geringe „Awareness“ hinsichtlich Krisen/Katastrophen („Den Bedarfsträgern dieser Studie fehlen wesentliche Voraussetzungen und Informationen für die Erarbeitung von Maßnahmen- und Krisenplänen sowie entsprechender gesetzlicher Regelungen.“, „Als Gefahrenfeld in diesem Zusammenhang ist in jedem Fall ein mangelndes Bewusstsein der Bevölkerung hinsichtlich der Gefahr eines Blackouts, aber auch gegenüber Krisensituationen im Allgemeinen zu nennen.“)
  • Zuständigkeiten und Abläufe unklar
  • Große Ungewissheit / Unsicherheit bezüglich Blackout
  • Geringe Lagerhaltung in Unternehmen -> Just-in-Time („Den Unternehmen scheint dies als Gefahr bewusst, Lösungsansätze zur Reduktion dieser Abhängigkeit werden aber kaum gesehen.“)

Handlungsoptionen und Maßnahmen

  • Einbindung der Bevölkerung unverzichtbar!
  • Private Bevorratung und Vorsorge („Die Haushaltsbefragung ergab, dass sich die Bevorratungssituation der privaten Haushalte vor allem im urbanen Raum als unzureichend darstellt.“)
  • Klärung der Zuständigkeit
  • Steigerung der Resilienz im Ernährungssektor

Selektive Wahrnehmungen

Wie selektiv unsere Wahrnehmungen und Reaktionen sind, zeigen auch zwei aktuelle Terrorsituationen. Auf der einen Seite der Massenmord in Paris – 1.000 km von Wien entfernt. Gleichzeitig gab es gestern einen weiteren verheerenden Terroranschlag – 1.400 km im Osten – die Sprengung der Strommasten, welche die Krim mit Strom versorgten. 2 Millionen Menschen waren unmittelbar betroffen. Nach letzten Informationen sind weiterhin rund 1,5 Millionen Menschen ohne Strom- und teilweise ohne Wasserversorgung. Es wurde von keinen unmittelbaren Todesfolgen berichtet, dennoch ist davon auszugehen, dass auch wenn die Bevölkerung auf der Krim mit Entbehrungen umgehen kann, dieses Blackout nicht spurlos vorübergehen wird. Hier spielen auch unterschiedliche psychologische Aspekte eine Rolle. Nichtsdestotrotz zeigt dieses Beispiel, dass wir uns vor den falschen Risiken fürchten (siehe das Risikoparadox). Oder kann jemand garantieren, dass ein solches Szenario mitten in Europa nicht möglich ist? Beim Blackout 2003 in Italien reichten auch zwei Stromleitungen aus …

Wären wir darauf vorbereitet?

Abschließend möchten wir einmal mehr die Frage stellen: Wären wir auf einen europaweiten Stromausfall vorbereitet?

Die Warnzeichen werden dichter – wollen wir sie weiterhin ignorieren und uns wie eine Maus vor einer Schlange nur auf das gerade aktuelle Thema konzentrieren? (Siehe auch den letzten Newsletter). Wir können und sollten uns das nicht leisten!

Wer ist überhaupt zuständig? Wir alle! Denn wir alle haben es wahrgenommen und gewusst. Und wir werden gefragt werden, warum wir nicht mehr unternommen haben! Wie gut sind Sie bzw. Ihre Familie, Ihr Umfeld, Ihre Organisation auf ein sehr wahrscheinliches Blackout vorbereitet? Noch haben wir einen Handlungsspielraum. Nutzen wir ihn!

Uns ist bewusst, dass wir damit einen schmalen Grad betreten – zwischen aufrütteln und abschrecken. Doch das Einzige wovor wir wirklich Angst haben müssen, ist die Angst selbst. In diesem Sinne hoffen wir, dass Sie mit uns die Chance ergreifen, doch noch etwas zu bewegen. Jeder kleine Schritt, jede kleine Vorbereitung zählt und ist bereits eine Verbesserung! Nutzen Sie zur Vorbereitung auch die Leitfäden:

Gerade weil wir in den letzten Jahrzehnten so eine hervorragende Stromversorgung hatten, sind wir verwundbar. Uns fehlen die Erfahrungen, die Achtsamkeit und die Handlungskompetenzen, um mit größeren Störungen umzugehen. Der Erfolg wird zur Gefahr („Der Glaube, die moderne Gesellschaft könne die in ihr erzeugten Gefahren kontrollieren, zerfällt – nicht aufgrund von Versäumnissen und Niederlagen der Moderne, sondern aufgrund ihrer Siege.“ Ulrich Beck).

Verschiedene Meldungen und Berichte

Stromversorgung

Krisenmanagement

Situation im europäischen Stromversorgungssystem

Die angeführten Beispiele stammen rein aus öffentlich verfügbaren Quellen. Sie zeigen die aktuellen Herausforderungen auf und sollten uns an die Truthahn-Illusion  erinnern.