Quelle: orf.at

Emmanuelle Charpentier gilt als aussichtsreiche Nobelpreiskandidatin. Die Französin hat ein Werkzeug entwickelt, mit dem sich das Erbgut von Lebewesen einfach verändern lässt – auch jenes des Menschen. Die Technik hat enormes Potenzial, bereitet Forschern aber auch Sorgen: Sie warnen vor „Frankenstein-Experimenten“.

Das System hört auf den etwas sperrigen Namen Crispr-Cas9 und verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Hunderte Wissenschafter rund um den Globus arbeiten damit – so günstig, einfach und präzise ist die Methode. Dabei gibt es die Technik erst seit drei Jahren.

Crispr-Cas9 erlaubt im Prinzip auch genetische Veränderungen in menschlichen Spermien, Eizellen oder Embryonen. Man spricht von Keimbahn-Manipulationen. Das ist praktisch die Königsklasse der Gentechnik – und hoch umstritten.

Die Folge wäre ein manipulierter Mensch, der seine veränderte DNA an seine Nachfahren weitergibt. Sie wäre dauerhaft in der Welt. Das weckt zwar Hoffnung, bestimmte Erbkrankheiten zu heilen. Allerdings ist unklar, welche Konsequenzen das nach sich zieht. Ethiker und Teile der Forschergemeinde haben deshalb große Bedenken und sagen: Stop.

Im März sorgten US-Forscher mit der Ankündigung für Aufsehen, mit Crispr-Cas9 bestimmte Insekten so zu verändern, dass sie keine Krankheiten mehr auf den Menschen übertragen können – beispielsweise Malaria-Mücken. Die Tiere würden ihre neue Eigenschaft an ihren Nachwuchs vererben. Ganze Populationen wären in relativ kurzer Zeit modifiziert. Kritiker fürchten die Konsequenzen. Was passiert, wenn solche Test-Insekten aus dem Labor entkommen? Sollte in das Erbgut frei lebender Tiere so stark eingegriffen werden?

Die Crispr-Cas9-Erfinderin selbst fordert ein Verbot von Keimbahn-Experimenten. „Ich finde das nicht gut. Für mich ist die Frage: Warum? Welchen Zweck hat es, menschliche Keimbahnzellen zu manipulieren?“, sagt Emmanuelle Charpentier. Es sei besser, Keimbahn-Experimente komplett zu untersagen, als umständlich einzuschränken.

Kommentar

Die Geister die ich rief … Aus systemischer Sicht werden hier sehr gefährliche Schritte gesetzt. Denn neben jeder Sonnenseite gibt es auch Schattenseiten. Der Mensch hat schon immer in die Natur eingegriffen – das ist nicht neu. Aber mit diesem Möglichkeiten steigt die Geschwindigkeit und Reichweite ins unermessliche. Dabei sollten wir uns weniger vor Manipulationen an Menschen fürchten – denn diese dauern viele Jahre und wirken sich erst stark zeitverzögert aus, wo man ev. auch noch einschreiten kann. Tier- und Pflanzenmanipulationen weisen hingegen eine enorme Zerstörungskraft auf, die noch dazu irreversible ist. Wenn etwa Steckmücken durch nicht vorher berechenbare Störungen infolge in eine völlig andere Richtung mutieren, dann könnte das unsere kühnsten Horrorvorstellungen übersteigen. Alles übertriebene Sorge? Dann haben wir wohl noch nicht viel von den Bioinvasoren gelernt. Nur so nebenbei sei erwähnt, dass 2013 die Initiative der Europäischen Kommission im Kampf gegen Invasive alien species gestartet wurde, um den zunehmenden Problemen zu begegnen.