Quelle: www.bevoelkerungsschutz.admin.ch

Das Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat die Stiftung Risiko-Dialog im Herbst 2013 beauftragt, eine Literaturstudie zum Verhalten der Bevölkerung in Katastrophen und Notlagen durchzuführen. Ziel dabei ist es, in systematischer Weise den aktuellen Forschungsstand zum Bevölkerungsverhalten und dessen Einflussfaktoren darzustellen. Dabei liegt der Fokus auf dem Verhalten bei Eintritt einer Katastrophe bis maximal einige Tage danach.

Fazit

Das umfassende Wissen um das Verhalten der Bevölkerung und dessen Einflussfaktoren ist ein zentrales Element für ein erfolgreiches Katastrophenmanagement.

  1. Die vorliegende Literaturstudie zeigt auf, dass zwar bereits viele theoretische Grundlagen erarbeitet wurden, es allerdings an empirischen Untersuchungen mangelt. Weiter existiert bis anhin kein Gesamtmodell, welches die verschiedenen Erkenntnisse zum Verhalten des Menschen in Katastrophen und Notlagen systematisch zusammenfasst. Dies hat zur Folge, dass die Bedeutsamkeit unterschiedlicher Einflussfaktoren nicht ausreichend geklärt ist.
  2. Eine trivial klingende aber bedeutsame Haupterkenntnis ist, dass es sich bei der Bevölkerung nicht um eine homogene Gruppe handelt. Dementsprechend divers und zahlreich sind auch die Verhaltensmuster, die zudem auch parallel ablaufen können, wobei der Fokus der vorliegenden Studie auf dem Verhalten bei Eintritt einer Katastrophe bis maximal einige Tage danach liegt. Für die Analyse und das Beschreiben des Bevölkerungsverhaltens sind Differenzierungen notwendig, welche nach folgenden Einflussfaktoren erfolgen können: gesellschaftliche und ereignisspezifische Faktoren, Risikowahrnehmung, Wissen und Vertrauen in zuständige Institutionen sowie psychologische Verarbeitungsmechanismen. Dabei gilt zu betonen, dass es sich nicht um isolierbare Faktoren und Mechanismen handelt. Die soziale Interaktion zwischen einzelnen Individuen und zwischen unterschiedlichen Zielgruppen, gilt es, in der weiteren Forschung und vor allem in der Praxis unbedingt zu berücksichtigen.
  3. Da das Verhalten von vielen Rahmenbedingungen abhängt, ist es schwer vorhersagbar und steuerbar. Es erscheint demnach sinnvoll, eine Stärkung der Eigenkompetenzen bzw. Förderung adäquaten Bewältigungsverhaltens anzustreben – in Ergänzung zur eher hierarchischen Führung und Information durch Behörden und Einsatzkräfte. Mittels Berücksichtigung gesellschaftlicher und ereignisspezifischer Faktoren und zielgruppenspezifischer Kommunikation können die Risikowahrnehmung, das Wissen und das Vertrauen in die gewünschte Richtung gefördert und somit ein adäquates Bewältigungsverhalten unterstützt werden. Das adäquate Bewältigungsverhalten stellt ein durch differenzierte Informationsverarbeitung, einen angemessenen Stresslevel und hohe Selbstwirksamkeitserwartung geprägtes Verhalten dar, welches ein rationales und proaktives Handeln zu Gunsten der eigenen Sicherheit und der des Umfeldes fördert. Die Stärkung individueller Bewältigungskompetenzen geht somit auch mit einer erhöhten gesellschaftlichen Resilienz einher. Das Wissen um mögliche Verhaltensmuster stärkt aber nicht nur die Kommunikation, sondern bietet die Möglichkeit, Szenarien, Übungen und mögliche Lagebilder differenzierter weiterzuentwickeln.
  4. Bisherige Verhaltensannahmen, auf welchen sowohl die Öffentlichkeit als auch der Bevölkerungsschutz aufbaut, sind teilweise verzerrt und verleiten zu Fehlschlüssen. Massenpaniken, Gewalt und Plünderungen sind weitaus seltener als angenommen. Menschen zeigen sich in Katastrophensituationen überwiegend ruhig, rational und vor allem sehr hilfsbereit, falls sie nicht unmittelbar an Leib und Leben gefährdet sind. Verzerrten Annahmen gilt es zu berichtigen und im Katastrophenmanagement zu integrieren.

Da die Erkenntnisse auf internationaler Literatur basieren, gilt es für den Kontext Schweiz konkrete Transferüberlegungen anzustellen. Es gilt abzuklären, wie die spezifischen Faktoren, wie zum Beispiel Vertrauen in die Behörden oder Wissen um adäquates Verhalten, in der Schweiz ausgeprägt sind, welche Grundlagen im Bevölkerungsschutz bestehen und welche Möglichkeiten für weitere Umsetzungsideen bestehen.

Kommentar

Diese Studie belegt einmal mehr die unverzichtbare Rolle der aktiven Sicherheitskommunikation und die Notwendigkeit einer aktiven Einbindung der Bevölkerung in die Krisenvorbereitung und -bewältigung. Dazu reicht es nicht aus, sie nur passiv zu informieren. Ziel muss die Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Resilienz sein, um mit den zunehmenden Unsicherheiten und Ungewissheiten in der absehbaren turbulenten Zeit (Transformation) besser umgehen zu können.