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Wie wichtig ist Energieautarkie? Herbert Saurugg hilft Gemeinden, sich auf das Worst-Case-Szenario eines flächendeckenden Stromausfalls vorzubereiten. Die Unterbrechung lebenswichtiger Infrastrukturen lässt laut dem Experten nicht lange auf sich warten.

Herr Saurugg, alles spricht von Corona, aber Sie sagen, wir sollten uns nicht nur auf die aktuelle Krise konzentrieren, sondern auch auf die nächste „böse Überraschung“. Was meinen Sie damit?
Herbert Saurugg: Wir steuern mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten drei bis fünf Jahren auf einen europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall zu. Dieses Blackout hätte verheerende Folgen für unsere stromabhängige Gesellschaft – wenn sie sich nicht entsprechend darauf vorbereitet. Leider sind wir aber weder als Einzelne noch als Gemeinschaft auf so ein Szenario vorbereitet. 

Sie beraten Gemeinden zum Umgang mit so einem Blackout. Wieso konzentrieren Sie sich eigentlich auf die unterste Verwaltungsebene?
Ein großflächiger Stromausfall zieht das völlige Erliegen wichtiger Infrastrukturen und der Versorgung mit sich. Auch die Telekommunikation, also Handy, Festnetz und Internet fallen unmittelbar nach dem Stromausfall aus. Die Gemeinde ist in so einem Fall die einzige Struktur, die noch funktionieren kann, weil sie kleinräumig organisiert ist und auch ohne technische Mittel die Kommunikation zwischen den wichtigen Verantwortungsträgern aufrechterhalten kann. Außerdem ist die Gemeinde für lebensnotwendige Bereiche wie Wasser- und Abwasserversorgung zuständig, die in so einer Krise höchste Priorität haben. Die organisierte Hilfe und die Einsatzorganisationen können bei einem massiven Crash nur wenig ausrichten – die Stabilisierung muss von unten beginnen. 

Wie können sich Gemeinden auf eine so wichtige Aufgabe vorbereiten?
Sie müssen sich über die Ressourcen im Klaren sein, auf die sie im Ernstfall zugreifen können. Was haben wir lokal verfügbar, wie können wir es strukturiert verteilen – diese Fragen müssen sich die Verantwortlichen im Vorfeld stellen. Es braucht dann auch dezentrale Anlaufstellen, an die sich die Bürger im Bedarfsfall wenden können, um zum Beispiel einen Notruf abzusetzen. Das sollte aber jetzt vorbereitet werden. 

Lokale Wirtschaftsbetriebe können ebenfalls zu den Ressourcen einer Gemeinde im Notfall zählen. Welche Bedeutung spielen sie in der Krisenbewältigung?
Sie verfügen oft über wichtige Ressourcen, die bei der Krisenbewältigung hilfreich sein können. Die Herausforderung besteht darin, ohne die sonst üblichen Kommunikationsmöglichkeiten und logistischen Mittel eine Verteilung oder Verwertung zu ermöglichen. Ganz heikel sind hier verderbliche Waren, wenn diese nicht rechtzeitig abgegeben und verbraucht werden können. Es ist wichtig, in den Unternehmen ein Bewusstsein zu schaffen, damit die Schäden reduziert werden können. 

Was raten Sie Unternehmen, damit sie für den Ernstfall gerüstet sind?
Photovoltaikanlagen, die auch im Inselbetrieb funktionieren – also ohne ein funktionierendes Stromnetz Energie liefern und über Pufferspeicher verfügen. Da gibt es seit ein paar Jahren die ersten brauchbaren Lösungen, davor bestanden zu viele technische und finanzielle Hürden. Für Unternehmen sind solche Anlagen nicht nur im Notfall, sondern auch im Alltag eine große Chance. Im Normalbetrieb lassen sich Verbrauchsspitzen und Energiekosten reduzieren. Das ist auch für die Umweltbilanz gut. Bei einer entsprechenden Auslegung können bei einem Stromausfall auch noch die wichtigsten Prozesse, beispielsweise die Kühlkette, aufrechterhalten werden.

Sind die Hausaufgaben für die Betriebe damit erledigt?
Bei Weitem nicht. Zu den wichtigsten Maßnahmen der Krisenvorsorge der Unternehmen zählen tiefgehende Überlegungen im Vorfeld: Ab wann wird ein Stromausfall kritisch? Was wird benötigt, um sicher herunterfahren zu können? Welche Voraussetzungen sind erforderlich, damit ein Wiederhochfahren überhaupt Sinn macht? Vor allem, welches Personal brauche ich und welche selbstständigen Handlungen sind notwendig? Wer auf diese Fragen Antworten hat, kann dazu beitragen, dass die Bevölkerung im Ernstfall nicht völlig auf sich alleine gestellt ist. 

Apropos Bevölkerung, wie gut ist Ihrer Ansicht nach jeder und jede Einzelne auf ein Blackout vorbereitet?
Gar nicht. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass sich rund ein Drittel der Bevölkerung für maximal vier Tage selbst versorgen kann, zwei Drittel rund sieben Tage. Geht man davon aus, dass die Grundversorgung nach einem Blackout aber bis zu zwei Wochen unterbrochen sein kann, besteht enormer Aufholbedarf. Das heißt nicht, dass Leute verhungern werden, aber es besteht dann die Gefahr von unüberlegten Handlungen. Besonders schlimm wäre es, wenn dadurch Verkaufseinrichtungen zerstört würden. Denn dann würde die Versorgung noch viel länger nicht wieder aufgenommen werden können. Das darf nicht passieren.

Wie kann so eine Situation verhindert werden?
Indem jeder Einzelne die persönliche Vorsorge ernst nimmt. Man muss sich überlegen, wie man für zwei Wochen lang sich selbst versorgt, ohne einkaufen zu gehen. Das geht, wenn man sich einen zweiwöchigen Camping-Urlaub vorstellt: Welche Nahrungsmittel und Medikamente brauche ich, um diese Zeit durchzuhalten? Mit einem gut angelegten Vorrat schütze ich mich nicht nur selbst, sondern auch die Gemeinschaft rund um mich.

Inwiefern?
Wenn Menschen zu Hause ein Problem mit der Grundversorgung haben, fallen sie auch als Mitarbeiter in Einsatzorganisationen, Unternehmen oder Verwaltung aus. Das ist ein Teufelskreis, der die vorhandenen Probleme noch verschlimmert und das Hochfahren nur weiter verzögert. 

Nach dem Blackout ist das Hochfahren der Stromversorgung das oberste Ziel. Wie gut sind die österreichischen Stromversorger dafür gewappnet?
Mittlerweile sehr gut, auch weil in Österreich viel für den Ernstfall geübt wird: Man probt Cyberangriffe, Terrorattacken oder das wahrscheinlichste Szenario, einen Systemkollaps. Andere Staaten machen das nicht. Aber auch mit der vielen Vorbereitung wird es mindestens einen Tag dauern, bis die Stromversorgung nach dem Blackout wieder weitestgehend funktioniert, auf europäischer Ebene überhaupt erst nach einer Woche. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass auch alles andere so bald wieder funktioniert.