Quelle: www.eps-dc.com

Die richtigen Maßnahmen für Betriebe und IT-Infrastruktur treffen

Unsere Kollegin Stefanie Frühwirth hat den landesweit bekannten „Blackout“-Experten Herbert Saurugg, MSC zum Interview gebeten. Thema ist die derzeitige durch Covid-19 ausgelöste Krise. Aber auch ein möglicher „Blackout“, d.h. ein plötzlicher, überregionaler, also weite Teile Europas betreffender länger andauernder Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall ist nach Ansicht des Blackout-Experten nicht auszuschließen. Was das für Betriebe und Rechenzentren bedeutet erklärt er im nachfolgenden Interview.

Welches Krisen-Szenario ist für uns denn bedrohlicher? Wo liegen die Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten dieser beiden Krisen?

Bei der COVID-19-Pandemie handelt es sich um eine schleichende Krise. Es funktioniert eigentlich noch alles und trotzdem steht vieles still. Die sogenannte „neue“ Normalität ist sehr trügerisch. Ich fürchte nämlich, wir haben erst ein Seebeben erlebt. Die wirklichen Schockwellen und die Zerstörung kommen erst. Ich möchte damit keine Angst erzeugen, aber wir sollten uns nicht nochmals unvorbereitet überraschen lassen. Wir konzentrieren uns derzeit zu sehr auf die Erkrankung und kaum auf die zeitverzögerten Nebenwirkungen in vielen anderen Bereichen. Wichtig dabei ist die mentale Vorbereitung und die Akzeptanz, dass es noch nicht vorbei ist. Nutzen wir jetzt die Zeit, um uns physisch und psychisch fit zu halten. Schauen wir auf uns selbst und die eigene Familie. Dazu gehört etwa, mögliche Entwicklungen im Kopf mit möglichen Lösungsansätzen durchzuspielen. Was wäre wenn? Wir selbst entscheiden mit unserem Umgang den Verlauf der Krise mit.

Ein Blackout, also ein europaweiter Strom- und Infrastrukturausfall, hingegen wird sofort greifbar bedrohlich. Zwar ist zunächst auch nichts kaputt, aber es funktioniert nichts mehr. Weder ein Licht noch ein Handy, kein Kochen, kein Heizen, keine Kassen. Dieser Zustand bleibt zumindest über mehrere Tage weitgehend unverändert aufrecht. Nämlich, bis nicht nur der Strom wieder fließt, sondern auch die Telekommunikationsversorgung wiederum weitgehend funktioniert. Ein Blackout ist auf jeden Fall kurzfristig bedrohlicher. Beide Szenarien werden unser Leben nachhaltig verändern.

Was versteht man unter einem „Blackout“? Und was ist der Unterschied zu einem „Stromausfall“?

Einen Stromausfall hat so gut wie jeder von uns bereits einmal erlebt. Meistens ist dieser nach wenigen Minuten oder manchmal wenigen Stunden behoben. Hauptursachen für derartige Unterbrechungen sind Grabungsarbeiten oder technische Defekte. Längere Ausfälle sind die Ausnahme und betreffen meistens Unwetterregionen im ländlichen Raum. Das Leben funktioniert mit wenigen Einschränkungen weiter. Bei einem Blackout hingegen kommt es zu einem plötzlichen, überregionalen, also weite Teile Europas betreffenden länger andauernden Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall. Eine Hilfe von außen ist nicht möglich. So etwas gab es noch nie und daher tun wir uns bei der Einschätzung auch so schwer. Auf anderen Kontinenten gibt es immer wieder Blackouts. Auch in den USA. Aber dort kann man mit solchen Störungen umgehen. Das ist auch zugleich die größte Gefahr für Mitteleuropa. Weil wir eine so gute und hervorragende Versorgung in allen Lebensbereichen haben, verfügen wir aber kaum über entsprechende Rückfallebenen und Vorbereitungen. Und das könnte katastrophal enden, wie wir das ja auch teilweise schon bei der COVID-Krise gesehen haben.

Was denken Sie, in welchem Zeitraum müssen wir mit einem „Blackout“ rechnen? Wie sicher ist die Stromversorgung in Österreich?

Die Netzbetreiber leisten eine hervorragende Arbeit, damit wir überhaupt eine so hohe Versorgungssicherheit genießen können. Aber es wird permanent schwieriger. Wir haben nämlich kein nationales Stromversorgungssystem, sondern wir sind Teil eines europäischen Verbundsystems, dem größten der Welt. Und dieses funktioniert nur im Ganzen. Das bedeutet, auch wenn wir in Österreich alle Hausaufgaben machen, hängen wir von 42 weiteren Teilsystemen ab. Geht irgendwo etwas gröber schief, würde das wahrscheinlich weite Teile Europas lahmlegen. Ich gehe fix davon aus, dass wir ein Blackout-Ereignis in nächsten fünf Jahren erleben werden.  Jetzt kommt auch noch die Corona-Krise dazu. Ein möglicher Personalausfall ist ein Thema. Da haben die Netzbetreiber bereits Vorkehrungen getroffen. Viel gravierender ist der Rückgang der Stromnachfrage durch den Lockdown. Damit haben wir zu gewissen Zeiten zu viel Strom aus Wind und PV-Anlagen im Netz und zu wenige Sicherheitsreserven. Am ersten Aprilwochenende wurden in Deutschland die Reserven bis zu 100 Prozent ausgereizt. Das wird sich in den nächsten Wochen weiter zuspitzen. Damit haben wir aktuell eine steigende Blackout-Gefahr. Ich hoffe, ich schätze das falsch ein und es ist alles nicht so schlimm, wie es sich darstellt. Nur Hoffnung allein ist zu wenig.

Welche Maßnahmen müssen Betriebe, Organisationen und Gemeinden jetzt treffen? Können Sie 5 Tipps geben? Wie können wir unabhängiger werden?

  • Dezentrale funktionale Einheiten schaffen, also sogenannte Energiezellen. Mit Millionen Erneuerbare Energien-Anlagen wird das in dieser Form absehbar nicht funktionieren. Es fehlen vor allem die Puffer und Speicher.
  • Die Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch im Einklang halten. Auf europäischer Ebene gehen die Bestrebungen aber zu noch mehr Zentralisierung und Markt. Das wird nicht gut gehen.
  • Sich kurzfristig auf diese Katastrophe vorbereiten und einstellen. Und hier ist jede Einzelne, jeder Einzelne von uns gefragt: Sich so vorzubereiten, damit man selbst und die eigene Familie zwei Wochen ohne Einkaufen gehen zu müssen, überstehen können: ein paar Tage Wasser (2 Liter pro Person und Tag), Lebensmittel, wichtige Medikamente oder spezielle Bedürfnisse (Kleinkinder, Haustiere).
  • Auf der Gemeindeebene dafür sorgen, dass die wichtigsten Versorgungsleistungen (Wasser, Abwasser, Information, Gesundheit) zumindest notdürftig aufrechterhalten werden können. Dazu sind auch dezentrale Anlaufstellen, sogenannte Selbsthilfe-Basen, vorzubereiten, wo die Menschen Notrufe absetzen und sich selbst in der Nachbarschaft organisieren können.
  • Betriebe müssen wissen, wie sie ihre Systeme komplett oder in einen sicheren Notbetrieb herunterfahren können, wenn nichts mehr geht. Das muss vorbereitet sein, auch in den Köpfen der Mitarbeiter vorhanden sein, damit diese im Fall des Falles rasch handeln können. Wenn ein Notbetrieb aufrechterhalten werden muss, dann sind die wichtigste Ressource die MitarbeiterInnen. Daher ist das auch ein ganz zentraler Punkt in der Vorsorge: Die eigenen MitarbeiterInnen zur Vorsorge zu animieren!

Welche Vorteile hat der Einsatz von Notstromaggregaten?

Wenn man eine professionelle Notstromversorgung vorhält und auch laufend wartet, dann hat man für eine derartige Unterbrechung eine Notstromversorgung. Ich betone dabei vor allem die Wartung und die Treibstoffverfügbarkeit und -qualität. Denn sonst kann man in der Krise eine böse Überraschung erleben. Oft wurde vor langer Zeit einmal ein Notstromaggregat angeschafft, die Organisation hat aber mittlerweile einen viel höheren Verbrauch. Daher muss man da auch schauen, ob noch alles zusammenpasst. Oder wieviel Treibstoff sich im Minimum im Tank befindet. Auch da erlebt man oft seine Überraschungen. Die Differenz vom möglichen Tankinhalt und der Realität beträgt durchaus bis zu 100 Prozent.  Aber wenn man das berücksichtigt, hat man zumindest diese wichtige Rückfallebene.

Viele Menschen setzen auf PV-Anlagen. Wie unabhängig bin ich dadurch wirklich?

Die meisten PV-Anlagen sind netzgeführt . Das bedeutet, dass sie bei Netzausfall keinen Strom liefern. Dazu bräuchte man eine inselbetriebsfähige PV-Anlage mit Speicher, was aber bisher die Ausnahme darstellt. Mein Zugang ist, derartige Systeme zu forcieren, weil man dann auch im Alltag einen Mehrwert hat. In kritischen Bereichen sollte man eher auf ein Notstromaggregat zurückgreifen. Wobei die beste Lösung eine Kombination aus beiden Bereichen ist. Damit kann ich die Vorteile aus beiden Welten nutzen. Das ist zwar aufwendiger und teurer, aber auch robuster.

Was denken Sie, wie lange wird uns das Coronavirus im Alltag noch begleiten? Und was wird sich nach dieser Krise verändern? Wer werden die Gewinner und Verlierer sein?

Solange es keinen Impfstoff gibt, werden wir aus dem Krisenmodus nicht herauskommen. Sollten die Infektionen dann wieder hochschnellen, muss wohl wieder zurückgerudert werden. Daher sollten wir mit Wellenverläufen rechnen. Einen Impfstoff wird es nach derzeitigen Einschätzungen frühestens 2021 geben.  Verlierer werden wir alle sein, zumindest, wenn wir als Maßstab unseren bisherigen Wohlstand hernehmen. Gewinner werden vor allem jene sein, die sich am raschesten an die neue Situation und an die neuen Rahmenbedingungen anpassen können. Diese werden sich wohl weiterhin mit hoher Dynamik verändern. Leider kann ich keinen positiveren Ausblick geben. Viele Dinge liegen nicht in unserer Hand. Aber wir können Eigenvorsorge, mentale und physische Stärke aufbauen.

Vielen Dank für das Interview – bleiben Sie gesund.