Quelle: bnn.de

Der großflächige Stromausfall am Wochenende in Argentinien, Uruguay und Paraguay wirft die Frage auf, ob es in Deutschland zu einem ähnlichen Zwischenfall kommen könnte. Der Österreicher „Blackout-Experte“ Herbert Saurugg warnt, dass diese Gefahr unterschätzt wird. Im BNN-Interview erklärt er, warum das europäische Stromnetz immer anfälliger wird für großflächige Ausfälle – und warum die Argentinier besser auf einen Stromausfall vorbereitet sind als wir.

Herr Saurugg, könnte es zu einem Stromausfall wie am Wochenende in Südamerika auch bei uns in Deutschland kommen?

Saurugg: Bei uns könnte es sogar um ein Vielfaches schlimmer kommen. Das liegt daran, dass das europäische Stromversorgungssystem deutlich größer ist als das von Argentinien, Uruguay und Paraguay. Zudem wird die Stromversorgung immer komplexer, immer mehr Player mischen mit und der Strom dringt mit der Digitalisierung in immer mehr Lebensbereiche vor. Gleichzeitig fehlt uns die Handlungskompetenz für den Fall, dass dieses komplexe Versorgungssystem irgendwann einmal ausfällt.

Was wäre denn das Worst-Case- Szenario?

Saurugg: Dass der Strom in Europa über mehrere Tage hinweg ausfällt. Damit rechnet niemand – und das ist zugleich das Problem. In Argentinien ist die Bevölkerung Störungen und Versorgungsunterbrechungen gewohnt. Wir wiederum sind von der sehr hohen Versorgungssicherheit in allen Lebensbereichen so verwöhnt, dass wir so gut wie alle Vorsorgemaßnahmen aufgegeben haben. Eine gefährliche Idylle. Zwar haben etwa Krankenhäuser Notstromaggregate für den Fall, dass die Versorgung ausfällt, der Treibstoffvorrat reicht jedoch in der Regel für höchstens 72 Stunden. Neben direkten Folgen wie dem Wegfall von Zahlungs- und Telekommunikationsdiensten und einem Verkehrsstillstand hätte ein mehrtägiger Stromausfall auch Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die Produktion würde stillstehen, bis die Versorgung mit Strom und Telekommunikation wieder hergestellt ist.

Nach Angaben der Bundesnetzagentur wurde in Deutschland 2017 lediglich ein Stromausfall von durchschnittlich 15 Minuten verzeichnet – im ganzen Jahr. Das klingt doch zunächst so, als sei das deutsche Netz relativ sicher.

Saurugg: Dieser Wert ist natürlich sehr positiv. Aber dass dies gestern so war, heißt nicht, dass es morgen auch noch so ist. Unser Versorgungsnetz steht vor enormen Herausforderungen. Da ist zum einen der steigende Strombedarf, zum anderen die Umstellung auf erneuerbare Energien im Rahmen der Energiewende. Die Erneuerbaren können konventionelle Kraftwerke nur bedingt ersetzen. Es fehlt vor allem an den Speicherlösungen. Wir müssen zuerst die neuen Strukturen dafür schaffen, bevor wir komplett aus der Atomenergie und Kohle aussteigen können.

Was müsste man denn tun, um sich besser auf eine Überlastung oder einen Ausfall des Stromnetzes vorzubereiten?

Saurugg: Zunächst einmal müssten wir den Markt in die Schranken weisen, damit er physikalische Grenzen berücksichtigt. In den meisten europäischen Ländern, auch in Deutschland, ist der Stromhandel vom Netzbetrieb getrennt. Das führt dazu, dass Geschäfte abgewickelt werden, ohne die tatsächlichen Kapazitäten berücksichtigen zu müssen. Dies kann wiederum zu Engpässen oder Unregelmäßigkeiten in der Stromversorgung führen. Und dann brauchen vor allem wir als Gesellschaft natürlich einen Notfallplan für einen möglichen Strom- und Infrastrukturausfall.