Integrierte Sicherheitskommunikation

Das Konzept der integrierten Sicherheitskommunikation basiert auf der Dissertation „Integrierte Sicherheitskommunikation – Zur Herausbildung von Unsicherheitsbewältigungskompetenzen durch und in Sicherheitskommunikation“ von Daniela Giebel () (Google Books; weitere Publikationen):

„Das Konzept der Integrierten Sicherheitskommunikation hat die langfristige Aufrechterhaltung und nachhaltige Wiederherstellung von Handlungssouveränität zum Ziel. Ganzheitlich ausgerichtet, berücksichtigt es diverse Sicherheitsakteure – von Einsatzkräften der Behörden und Unternehmen bis hin zu Bevölkerung und Medien – und stellt auf präventive, proaktive und reaktive Ereignisphasen ab. Integrierte Sicherheitskommunikation liefert in ihrer Funktion als Schutz-, Rettungs- und Reflexionsmittel befähigende Instrumente, die zur Entwicklung und Festigung der gesellschaftlichen Resilienz beitragen.“, LIT Verlag

Daniela Giebel berücksichtigt in ihren Ausführungen die gesellschaftlichen Veränderungen durch die steigende Vernetzung und den damit einhergehenden systemischen Risiken. Ihr Konzept deckt sich in vielen Bereichen mit meinen persönlichen Erfahrungen im Umgang mit dem Thema „Blackout“ bzw. systemischen Risiken generell. Die groben Gedankengänge werden hier kurz als Zitate dargestellt und dienen als Anstoß für weitere Auseinandersetzungen (Ein Danke an die Autorin für die Unterstützung). Gleichzeitig sei hier auch noch auf die Erfahrungen im Rahmen der Schweizer Sicherheitsverbundsübung 2014 verwiesen, wo auch einige hier genannte Aspekte wiedergefunden werden können.

Das ganze Thema lässt sich wahrscheinlich auch mit „Mit der (Sicherheits-)Kommunikation steht und fällt alles“ zusammenfassen.

Sicherheit

Ungewissheit, Unwägbarkeit und nicht zuletzt Unsicherheit sind Merkmale unserer Zeit, die mit einer hohen Komplexität und Kontingenz einhergehen und immer wieder hervorgehoben werden. S. 8.

Durch die komplexe, dynamische Vernetzung sämtlicher Bereiche der Lebenswelt kann ein auf bestimmte Bereiche fokussierender Sicherheitsbegriff, wie er noch vor einigen Jahren von unterschiedlichen Disziplinen favorisiert wurde, heute nur zu kurz greifen. S. 18.

Siehe auch Die Netzwerkgesellschaft und Krisenmanagement 2.0.

Sicherheit als Wertidee meint zugleich Gefahrlosigkeit, Verläßlichkeit, Gewißheit und Sorglosigkeit. S. 21

Das oben angesprochene Gefühl der Geborgenheit, das mit einem Zustand von Sicherheit einhergeht, wird sich in unsicheren Zeiten nur schwerlich einstellen. S. 22.

Dass unsere Vorliebe für die Planbarkeit bereits bekannter, absehbarer Sachverhalte uns jedoch den Blick und die Aufmerksamkeit für nicht-alltägliche Dinge verstellt und wir daher mit Unerwartetem nur schlecht umzugehen wissen, wird meist erst bei der unmittelbaren Konfrontation damit sichtbar. S. 23.

Komplexe Systeme bestehen aus einer Vielzahl miteinander vernetzter Variablen, deren Bedingungsgefüge auf Grund ihrer dynamischen und nonlinearen Ausgestaltung weder vollständig noch abschließend fassbar sind. S. 26.

Sicherheitskommunikation

Die Aussage: „We hada little problem with communication“ (ARC 2010b: 28) scheint ein allgemeines Charakteristikum von Krisen zu sein. Ganz gleich, aus welcher Perspektive sie in der Retrospektive beurteilt wird, stellt sie eine Schwachstelle und einen Problemfaktor dar. Dabei gilt insbesondere die Kommunikation während eines Ereignisses als ein kritischer Faktor in der Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg der Unsicherheitsbewältigung. Auf Grund der häufigen Verwendung des Krisenkommunikationsbegriffs im Organisationskontext ist explizit herauszustellen, dass Krisenkommunikation nicht mit PR-Kampagnen von Unternehmen zu verwechseln ist. Vielmehr sollte sie als „gemeinwohlorientierte kommunikative Unterstützung und Begleitung der Krisenbewältigung verstanden werden“ (Lorenz 2010a: 29). Der Autor plädiert hier für eine »offene Krisenkommunikation«; diese gebe Unsicherheiten durchaus auch zu und sei damit insgesamt nachhaltiger, da die Bevölkerung sich auf diese »bekannten« Unsicherheiten besser einstellen könne. S. 121.

Während die Präventionskommunikation auf eine Stärkung der Kräfte der Akteure, eine allgemeine Reduzierung der Herausforderungen auf Ereignisseite sowie auf eine Ressourcenbereitstellung materieller und sozialer Art abzielt, hat die Nachsorgekommunikation die Aufgabe, den Übergang in die »Normalität« nach einem Ereignis zu erleichtern. S. 123.

Wenn eine erfolgreiche Kommunikation während einer Krise auch zweifelsohne von großer Bedeutung im Hinblick auf die Sicherheit der beteiligten Akteure ist, so sind – wie auch die vorangegangenen Ausführungen zur Präventions- und Nachsorgekommunikation aufzeigen – nicht wenige Autoren der Auffassung, dass der Schwerpunkt der Kommunikation bereits vor dem Eintritt einer Krise oder gar Katastrophe liegen müsse (Kunz-Plapp 2008: 221). S. 123.

Eine stetige Wiederholung von Orientierungsangeboten, welche die Bedarfe der Adressaten unberücksichtigt lassen, kann nur schwerlich zum gewünschten Orientierungserfolg führen; die Problematik der Zuschreibung von Verstehen ist in diesem Kontext nur eine von vielen, die durch Fehlen von Feedbackkanälen zusätzlich erschwert werden kann. S. 124.

Daher sind Ansätze zu begrüßen, die den Fokus verstärkt auf dialogische Prozesse richten, um im Rahmen eines gemeinschaftlichen Austauschs besser mit den Unsicherheiten der gemeinsamen Lebenswelt umgehen zu können. S. 124.

Vertrauen ist ein fragiles Konstrukt, das nur in einem sehr langwierigen Prozess aufgebaut, aber ungleich schneller und dauerhafter wieder zerstört werden kann. S. 130.

Information allein ist niemals ausreichend, um Vertrauen aufzubauen oder zu erhalten. S. 131.

Das Generieren von Botschaften beansprucht Zeit – aber Zeit ist gerade während eines Zustands akuter Unsicherheit als absolute Mangelware zu betrachten. S. 131.

Neben diesen wahrscheinlich eintretenden Ereignissen, die etwa durch Risikoanalysen festgestellt werden können, kann sich die Produktion präventiver Sicherheitskommunikation jedoch auch mit der Generierung solcher Orientierungsangebote auseinandersetzen, welche die Adressaten zu einem generell erfolgreicheren Umgang mit Unerwartetem befähigen. S. 135.

Die Koordination der sicherheitskommunikativen Orientierungsangebote ist für eine erfolgreiche Unsicherheitsbewältigung unabdingbar; S. 136.

Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass Rezipienten nur sehr wenig Interesse an Kommunikationsangeboten bekunden, die Hinweise zum Verhalten in sicherheitskritischen Zuständen beinhalten oder potentiell Betroffenen Handlungsratschläge erteilen; die Meinung von Experten hinsichtlich der Ursache und Konsequenzen eines Ereignisses wird demgegenüber viel höher bewertet. (…) Geäußert wurden hier vor allem Wünsche hinsichtlich besserer, schnellerer und umfassenderer Information zu Aspekten wie „what is happening“ oder „how long it will take to resolve it“. Auf der nach Häufigkeit der Nennung sortierten Liste findet sich der Wunsch „Provide more information on the way citizens should behave“ erst auf einem der letzten Ränge.“ S. 136f

Die Anforderungen an die Gestaltung von Warnungen fasst Kunz-Plapp (2008: 219) in »vier goldene Regeln« zusammen. Ihre Empfehlungen fordern unter anderem eine klare und allgemein verständliche Formulierung der Warnbotschaft, Fachtermini sind zu vermeiden. Neben einer eindeutigen und präzisen Sprache soll eine Warnung zudem (ereignis-)spezifisch sein und möglichst konkrete Hinweise zum räumlichen Ausmaß und weiteren potentiellen Auswirkungen enthalten. Daran schließt sich unmittelbar an, dass eine Warnung auch Handlungsanweisungen enthalten muss, so dass jeder etwas zur Aufrechterhaltung und/oder (Wieder-)Herstellung der eigenen Sicherheit beitragen kann. Um ein bestimmtes Ausmaß an Handlungsmotivation zu erzielen, das für die Umsetzung der Empfehlungen zwangsläufig notwendig ist, muss eine Warnbotschaft allerdings mehr enthalten als bloße Fakten und den Hinweis, dass die individuelle Sicherheit womöglich gefährdet sein könnte: Die Dringlichkeit der Situation muss ebenso deutlich werden wie die Wahrscheinlichkeit, mit der eine potentielle Bedrohung erwartet wird. S. 142.

Auch an Sirenen können spezifische Handlungsimplikationen gebunden werden – Voraussetzung dabei ist nur, dass diese allen Adressaten bekannt sind. S. 142.

Wer genau ist eigentlich für die Erstellung kontext- und adressatengerechter Warnung zuständig und – vielleicht sogar noch wichtiger – wer hat überhaupt die Kompetenz dazu? S. 143.

Eine Warnung, die ein Individuum erst in der Katastrophe, also im Fall nahezu maximaler Unsicherheit, erreicht, hat ihren Zweck gewissermaßen verfehlt. (…) Wirksam ist eine Warnung, wenn sie innerhalb eines Netzwerkes abgegeben wird, weil sie auf vertraute Kommunikationsmuster zurückgreifen kann. S. 145

Den Adressaten müssen in einer präventiven Phase erste bestimmte Mangellagen verdeutlicht werden, sie müssen auf ihre nicht vorhandenen Bewältigungskompetenzen aufmerksam gemacht werden. Erst dann kann davon ausgegangen werden, dass eine Motivation besteht, sich Angeboten präventiver Sicherheitskommunikation zuzuwenden. (…) Dennoch sollte es nicht völlig missachtet werden, da Präventionszeit allgemein wertvolle Zeit für die Vorbereitung auf potentiell bevorstehende und sich womöglich bereits anbahnende Ereignisse sein kann. S. 153.

Integrierte und integrative Sicherheitskommunikation

Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass Insellösungen für eine umfassende und dauerhaft ausgerichtete Bewältigung von Unsicherheiten nicht zielführend sind. In Anbetracht unserer heutigen Lebensbedingungen scheint eine systemisch argumentierende Lösungsstrategie, die dynamisch-komplexen Umstände berücksichtigt, eher angemessen, um die Handlungssouveränität von Individuen, Kollektiven sowie ganzen Gesellschaften langfristig zu verbessern und zu stärken. S. 168.

Der Schwerpunkt sicherheitskommunikativer Bestrebungen in der Präventionsphase zu verorten ist. S. 169

Schadensausmaße beeindrucken uns stets stärker als Risiken. Nichts demonstriert uns das eindrücklicher als die Praxis unserer Medienberichterstattung. S. 176.

‚Mythos Panik‘: Panic is often used as a justification by high-level decision makers to deny knowledge and access to the public, on the presumption that people cannot handle bad news. Häufig wird vermeintlich Betroffenen absichtlich nur ein minimales Ausmaß an Informationen zur Verfügung gestellt. Somit kann weder die gegebenenfalls noch verfügbare Zeit bis zum tatsächlichen Ereigniseintritt für präventive Maßnahmen genutzt werden, noch können die zweifelsohne bis zu einem gewissen Ausmaß bei den Betroffenen vorhandenen Unsicherheitsbewältigungspotentiale aktiviert und zielführend eingesetzt werden. Häufig führen erst eine Verzögerung der Warnungen und eine unklare Botschaft dazu, dass eine geordnete Evakuierung nicht mehr möglich ist. S. 177f.

Im Zuge von Krisenberichterstattung, also der Phase proaktiver Sicherheitskommunikation, in nahezu 80% der untersuchten Beiträge keinerlei Lösungsvorschläge vorzufinden sind. S. 184.

Denn solange Sicherheit nicht beeinträchtigt ist, scheint man keinerlei Notwendigkeit darin zu sehen, sich auf etwas vorzubereiten, was aller Wahrscheinlichkeit nach nicht – und falls doch, dann zu einem unbekannten Zeitpunkt – eintreten wird. Dieses »Präventions-Dilemma«, bestehend aus der Notwendigkeit der Vorbereitung auf einen Eventualfall, der im Idealfall aber niemals eintreten wird, scheint nahezu unlösbar zu sein. Gerade diese Feststellung, dass bei einer relativen Sicherheit Vorsorgethemen weder bei den Medien noch bei den anderen Sicherheitsakteuren Interesse hervorrufen, stellt eines der besten Argumente für den Ausbau des Konzepts einer integrierten und integrativen Sicherheitskommunikation im vorgestellten Sinne dar. Die bisherigen Vorgehensweisen greifen entschieden zu kurz, da hier immer nur einzelne Ereignisphasen (wenn überhaupt) bedient werden und/oder keine Koordination und Kooperation der einzelnen Sicherheitsakteure erfolgt. Darüber hinaus wird die Bedeutung von Motivation für eine Auseinandersetzung mit sicherheitsrelevanten und letztlich handlungsermächtigenden Orientierungsangeboten stark unterschätzt. S. 186.

Ein gezielter Einbezug von Medienvertretern in die Gestaltung kommunikativer Maßnahmen ist eine Empfehlung für politische Akteure, die sich häufig in Ergebnisberichten von Untersuchungen konkreter Ereignisfälle findet (Rohde 2009: 169). S. 187.

BBK-Broschüre »Für den Notfall vorgesorgt«: Über 92% der deutschen Bevölkerung haben noch nie etwas von dieser Broschüre gehört; (…) Auf dieser Grundlage lässt sich errechnen, dass lediglich zwischen 322.000 und 1,36 Millionen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes »Für den Notfall vorgesorgt« haben. (…) Bezogen auf die Gesamtbevölkerung (ab 16 Jahren) liegt der Anteil damit zwischen 0% und 0,86% – das bedeutet, dass lediglich maximal etwa 602.000 Personen mindestens eine der Empfehlungen aus der Broschüre realisiert haben (ebd.: 251). S. 194f.

„Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst!“ S. 195.

„Statt der aufklärenden Einbeziehung der Bevölkerung in die Bedrohungspotentiale ihrer Welt und in die vorhandenen Schutzvorkehrungen bevorzugen auch heute noch die meisten Gemeinden Anweisungen und Vorschriften, auf die die Bürger wie pawlowsche Hunde reagieren sollen.“ Der erforderliche Wandel dieses Bevölkerungsbildes wird jedoch immer offensichtlicher, die Forderungen danach immer lauter – auch wenn konkrete Konzepte für einen Einbezug der Bevölkerung bislang noch nicht existieren. S. 204.

Die zweifelsohne in der Bevölkerung vorhandenen Potentiale werden bisher noch nicht adäquat in die Bestrebungen zur Aufrechterhaltung und (Wieder-)Herstellung von Handlungssicherheit(en) eingebunden. S. 206.

Dieser »Outsourcing-Prozess« grundlegender Bewältigungsmechanismen führt zwar zu einer Professionalisierung des Bevölkerungsschutzes, hat aber zugleich zur Folge, dass Kapazitäten der Unsicherheitsbewältigung bei nicht professionalisierten Akteuren in Vergessenheit geraten, so dass auf sie nicht mehr ohne Weiteres zurückgegriffen werden kann. S. 208.

Zum anderen müssen aber auch Mittel und Wege aufgezeigt werden, wie die Bevölkerung als ernst zu nehmender Akteur ihre – zum Teil durchaus freiwillig – aufgegebenen Verantwortlichkeiten im Zuge einer Verbesserung ihrer Unsicherheitsbewältigungskapazitäten wieder selbständiger bestreiten kann. Hinsichtlich der derzeitigen Entwicklungen und einer zunehmenden Komplexität unserer Lebensumstände scheint an einer solchen Einbindung kein Weg vorbei zu führen, denn alleine ist keiner der Akteure dazu in der Lage, einen Zustand von Sicherheit herbeizuführen. Dies gilt sowohl für die eigene als auch im Hinblick auf eine kollektive und gesellschaftliche Handlungssicherheit. Die Eigenverantwortung eines jeden Akteurs soll und muss wieder gestärkt werden, denn eine fortwährende Verantwortungsabgabe an Technik und Expertensysteme führt zu fehlerhaftem Verhalten mit oftmals verheerenden Konsequenzen in sicherheitsrelevanten Situationen. Zum Abschluss dieses Exkurses bleibt festzuhalten, dass neben einer grundsätzlich stärkeren Einbeziehung von »Alltagsexperten« ein verstärkter Austausch zwischen Experten unterschiedlicher Herkunft und Qualität – ungeachtet künstlich gezogener Grenzen zwischen Professionellen und Amateuren – absolut notwendig ist. S. 210.

Sender-Empfänger-Modell: Mit einem solchen Verständnis von Kommunikation als einer Einbahnstraße, die lediglich dazu dient, »Informationen« unterschiedlicher Art zu nicht näher spezifizierten Teilnehmern zu transportieren, werden die Grundcharakteristika von Kommunikation und Verständigung, wie sie oben aus einer systemisch-konstruktivistischen Perspektive beschrieben sind, völlig missachtet. Ohne eine tiefere Auseinandersetzung mit den Adressatenmerkmalen, deren Kommunikationsbedürfnissen und Rezeptionsgewohnheiten werden so Orientierungsangebote erstellt, die keine rechte Intention zu verfolgen scheinen. S. 210f.

Indem man davon ausgeht, dass die bloße, punktuelle Bereitstellung von Informationen ausreichend sei, um die – vermeintlich – identifizierten Bedarfe der Bevölkerung zu befriedigen, beraubt man sich einer Reihe an Möglichkeiten, die im Hinblick auf eine allgemeine Verbesserung der Krisenfestigkeit sowie den Ausbau persönlicher Unsicherheitsbewältigungskapazitäten erfolgversprechende Ansatzpunkte darstellen. Um dieses Ziel zu verfolgen, ist es scheinbar nicht ausreichend, eine Vielzahl unterschiedlichster Informationen lediglich »zur Abholung bereitzustellen«. Sie werden nicht genutzt und/oder ihre Existenz ist gar nicht erst bekannt. Vielmehr gilt es, die Bevölkerung nicht nur als Akteur anzuerkennen, sondern ihr im gleichem Zuge auch ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenzubringen: Man muss ihr zutrauen, Bedürfnisse selbst zu erkennen, zu kommunizieren und womöglich gar eigenständig für deren Befriedigung zu sorgen. Daher wird unter Rückgriff auf motivationstheoretische Aspekte im Folgenden dahingehend argumentiert, dass die Bevölkerung Sinn und Zweck für ein eigenes Aktivwerden in der Unsicherheitsbewältigung erkennen und dessen Notwendigkeit erfahren muss. Ohne diese Erkenntnis und den entsprechenden Antrieb kann weder ein Lernen noch eine Weiterentwicklung in diesem Bereich erfolgen. Um diese eigenmotivierte Auseinandersetzung zu erreichen, müssen notwendigerweise bestimmte Relevanzschwellen erst einmal überschritten werden. Eine integrierte Herangehensweise, wie es sie im folgenden Abschnitt detailliert vorzustellen gilt, kann hierbei als eine bedeutsame Unterstützung betrachtet werden. Durch eine frühzeitige und kontinuierliche Konfrontation mit sicherheitsrelevanten Themen, die auch eine (partizipative) Entwicklung sicherheitsförderlicher Handlungspraktiken berücksichtigt, können die Eintrittsschwellen für eine motivierte Auseinandersetzung niedriger werden. S. 221.

Die Einbindung der Bevölkerung als einem gleichwertigen Akteur von Sicherheitskommunikation, inklusive der damit einhergehenden Verantwortlichkeiten und dem dazu erforderlichen Maß an Eigeninitiative, ist auch von den anderen Akteuren mit zu tragen und zu fördern. Lorenz (2010a: 32) stellt in diesem Zusammenhang treffend fest: „In diesem Sinne darf Bevölkerung nicht nur willfähriges Schutzziel sein, sondern muss auch Mittel des Schutzes ihrer selbst werden, ohne freilich in einer rein instrumentellen Bestimmung aufzugehen.“ S. 223.

Gerade Kinder verkörpern eine vielversprechende Zielgruppe sicherheitskommunikativer Orientierungsangebote: „Many lifelong consummatory habits are formed during childhood years. It is easier to prevent wasteful practices than to try to change them after they have become deeply entrenched as part of a lifestyle“ (Bandura 2004: 95). Werden bereits Kindern bestimmte Fertigkeiten vermittelt, so kann davon ausgegangen werden, dass diese weiter entwickelt werden und auch im Erwachsenenalter noch Bestand haben. (…) Es bietet sich demnach an, dass Sicherheitskommunikation im Hinblick auf die Herausbildung von Unsicherheitsbewältigungskompetenzen (Persönlicher Unsicherheitsbewältigungskompetenzen – PUK) bereits in einer frühkindlichen Phase, etwa im Kindergartenalter, spätestens jedoch mit Eintritt in die Grundschule ansetzt. S. 226.

Insellösungen minimieren die Potentiale einer integrierten, ganzheitlichen Ausrichtung von Sicherheitskommunikation enorm. S. 228.

Die Berücksichtigung lokaler Ressourcen, seien sie materieller Art oder, wie in Form von Wissen, immateriell vorhanden, ist ein ausschlaggebender Erfolgsfaktor für eine langfristige (Wieder-)Herstellung und Aufrechterhaltung von Handlungssouveränität auf individueller und kollektiver Ebene. Sicherheitskommunikation kann sich diese Umstände zu Nutzen machen, indem sie bei der Förderung von Kompetenzen zur Unsicherheitsbewältigung bewusst auf lokale Kontexte (Familie, Freunde, Nachbarschaften etc.) eingeht, denn so können nach Lorenz (2010a: 77) Netzwerke entstehen, die im Ereignisfall unkomplizierte und direkte Hilfe versprechen. S. 229.

Speziell lokale Medien nehmen für die Sicherheitskommunikation insgesamt eine wichtige Rolle ein, stellen aber besonders im Hinblick auf präventive, lokal ausgerichtete Orientierungsangebote einen bedeutsamen, unterstützenden Funktionsträger dar. S. 230.

Von Bedeutung ist allerdings, dass neben der Vorbereitung auf eher wahrscheinliche Ereignisse auch eine gewisse Denk- und Handlungsflexibilität vermittelt wird, die besonders beim Eintritt unerwarteter, Unsicherheit erzeugender Ereignisse von hoher Relevanz sein kann. S. 233.

„In diesem Sinne gilt es, neben Expertenwissen auch Laienwissen zuzulassen und nicht – wie im Alltag üblich – von vornherein zu Gunsten des ersteren zu votieren.“ S. 238.

Bisher erfolgt bei den meisten Präventionsprogrammen keinerlei Evaluation (Porzsolt 2007: 505). Die Auswertung von Übungen kann, sofern sie erfolgt, weder als systematisch und analytisch, noch als detailliert bezeichnet werden. Die häufig anzutreffende Erkenntnis, dass »alles reibungslos« verlaufen und man der Konfrontation mit jeglicher Unsicherheit gewachsen sei, trägt bei genauerem Hinsehen allerdings allzu oft den faden Beigeschmack einer Verdrängungstaktik – die für den Menschen an sich nicht unüblich ist, wie bereits gezeigt wurde. S. 242.

Je größer die Unsicherheit ist, auf desto weniger Handlungsmöglichkeiten kann ein Individuum zurückgreifen bzw. je weniger Handlungsoptionen verfügbar sind, desto mehr steigt die Unsicherheit. (…) Unsicherheiten und ihre erfolgreiche Bewältigung sind somit immer wieder ein Schritt hin zu einer verbesserten Sicherheit. Erst eine grundlegende Einsicht, dass Unsicherheiten nicht völlig zu unterbinden sind, kann zu einer bewussten Auseinandersetzung sowie einer Akzeptanz dieses Umstandes führen. In den Augen Bochniks (2002: 672) fördert eine solche Akzeptanz die individuelle Gelassenheit, was wiederum ein besonnenes Wahrnehmen, Abwägen und Entscheiden begünstige. S. 248.

„Je mehr sich der Staat um den Katastrophenschutz kümmert, um so mehr vernachlässigt der Bürger seine eigene Katastrophenvorsorge.” Im Sinne einer »Vollkasko-Mentalität« scheint die Bevölkerung oftmals keine Notwendigkeit in Präventions- und Schutzmaßnahmen zu sehen, da sie im Schadensfall auf Ausgleichszahlungen des Staates hofft, so eine Vermutung von Glade/Greiving (2011: 19). S. 251.

Ausblick

Insgesamt ist festzustellen, dass die Bedeutung von Kommunikation für die Bewältigung von Unsicherheit vor dem Hintergrund komplexer, systemisch-dynamischer Prozesse in vielen Fällen noch immer unterschätzt wird. S. 256.

Insbesondere im Hinblick auf den sich ständig erweiternden Bereich der Mensch-Technik-Interaktionen sollte auf eine produktive Balance und das Vorhalten ausreichender Rückfallebenen geachtet werden, die wiederum nicht ausschließlich technischer Natur sein sollten. S. 257.

Hervorgehoben wird meist nur der Aspekt, dass Sicherheit Geld kostet – und weniger, dass sich Investitionen in Sicherheit langfristig auch auszahlen. S. 262.

Gerade die kollektive Herausbildung von Unsicherheitsbewältigungskompetenzen bedeutet aus einer Makroperspektive heraus ein enormes Potential für eine gesellschaftliche Resilienz. S. 262.

Auch eine Sicherheitskultur trägt zu einer Reduktion von Komplexität und Unbestimmtheit bei. S. 265.

Eine gesteigerte Resilienz einzelner Sicherheitsakteure schlägt sich demnach auch für eine Gesellschaft im positiven Effekt einer verminderten Vulnerabilität nieder. S. 266.