Letzte Aktualisierung am 04. Mai 2016.

Mungenast, Dominik: Staatliches Katastrophenmanagement: Krisenkommunikation 2.0 – Wie können Behörden Soziale Medien sinnvoll einsetzen?. Wien: Masterarbeit Fachhochschule FH Campus Wien, 2014

Kurzfassung

Staatliche Krisenkommunikation findet in Österreich derzeit weitgehend nur über klassische Medien statt. Soziale Medien wie Facebook, Twitter, Instagram, etc. werden kaum berücksichtigt. Dieses Feld wird lieber privaten Initiativen oder Personen überlassen. Die Gründe dafür scheinen vielzählig: Berührungsängste, Unwissenheit über die Einsatzmöglichkeiten der verschiedenen Tools oder ein noch immer vorhandenes Hoheitsdenken in der Verwaltung, welche der Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe eher weniger Bedeutung beimisst. Dabei bietet das Netz auch für die Verwaltung viele Gestaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig entwickelt die InternetCommunity häufig Schwarmkräfte und wird dadurch immer öfter zu einer „fünften Gewalt“. Als solche beginnt die Bevölkerung dann auch „[…] das Kommando zu übernehmen.“ Als Beispiele seien hier die #Unibrennt-Bewegung in Österreich, der arabische Frühling oder zuletzt auch Russland mit seinen Olympischen Spielen genannt. Dass die Selbstorganisationsfähigkeit der UserInnen auch in Katastrophen- und Krisenfällen funktionieren kann, dafür gibt es mittlerweile genügend Beispiele. Dabei werden private Initiativen häufig zu EntscheidungsarchitektInnen im öffentlichen Raum mit zum Teil erheblichem Einfluss. Doch ihre Aktivitäten basieren nicht immer auf altruistischen Grundsätzen. Häufig gilt: Wer zuerst kommt, hat die größten Erfolgschancen die meisten UserInnen zur Unterstützung „abzustauben“, hat damit auch die größte öffentliche Aufmerksamkeit und letztlich auch einen gewaltigen Werbewert. Das zeigte sich zuletzt etwa beim Hochwasser 2013 als ein zuvor weitgehend unbekannter Energydrink-Hersteller aus Österreich die Facebook-Seite „Infoseite Hochwasser 2013 Österreich“ gegründet hat. Nach zwei Tagen war die „100.000 Fans“Marke geknackt. Weitgehend unreflektiert scheinen UserInnen diesem Herdentrieb nicht widerstehen zu können. Dabei handelt es sich um ein uraltes und doch neues Problem: Schaulust 2.0 – das Daumen sammeln, Gaffen und Staunen im Netz. Schaulustige im Netz liken, sharen, kommentieren Inhalte auf Seiten solcher Initiativen, die weder geprüft noch autorisiert sind und pushen damit die Interaktionen und Reichweite in die Höhe. Es wird nicht davor zurückgescheut, die persönlich(st)en Daten solchen Initiativen zur Verfügung zu stellen und damit das eigene „Leben“ für alle einsehbar in das Netz zu stellen. Um solche Daten wird gebeten, um Hilfesuchende und Helferinnen und Helfer zusammen zu bringen. All das geschieht, um – so die Beteuerungen – einen gesellschaftlichen Beitrag im Kampf gegen eine Krise zu leisten. Das kann gefährlich sein. Die Grundsatzfragen, die sich stellen: Wer übernimmt Krisenkommunikation im Netz? Soll Krisenkommunikation in Sozialen Medien privaten Initiativen überlassen werden oder soll sie doch staatlich koordiniert sein? Oder sind die Erfolgsmodelle der Zukunft in Public-Private-Partnerships zu finden? Braucht die Community zum Selbstschutz einen staatlichen „Nudge“, also einen zarten, unmerklichen Schubs in eine richtige Richtung? Können, und wenn ja, wie können Soziale Medien in staatlichem Krisenmanagement sinnvoll eingesetzt werden? All diese Fragen sind Gegenstand dieser Masterarbeit.

FAZIT UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die fünf wichtigsten Botschaften aus den Interviews mit den Fachleuten sind:

  1. Staatliche Krisenkommunikation soll und muss bei einer Katastrophe auch in Sozialen Medien erfolgen.
  2. Unabhängig von der jeweils zuständigen Verwaltungsebene sollte das SKKM diese Informationen bündeln und damit als zentrale Informationsdrehscheibe fungieren. Die Informationen der Blaulichtorganisationen sollen ergänzt und nicht ersetzt werden. Im Bedarfsfall könnte das SKKM sogar als Teil des „Sachgebiet 5“ des jeweiligen Krisenstabs integriert werden, um mit Know-how und seiner Netz-Community zu unterstützen.
  3. Das SKKM soll Bindeglied zwischen auf der einen Seite Krisenstab, Behörden, Blaulicht- und Sicherheitsorganisationen und auf der anderen Seite Medien und UserInnen sein und Informationen sammeln, verwerten und gegenseitig vermitteln.
  4. Das SKKM muss eine Community aufbauen und ihre UserInnen fortwährend einbeziehen, um sie im Anlassfall aktivieren zu können.
  5. Dazu „darf“ das SKKM nicht nur bei einem Katastrophenfall seine Sozialen Netzwerke aktivieren, sondern muss auch in Friedenszeiten seine Community pflegen. Daher muss die Betreuung der UserInnen in Sozialen Medien kontinuierlich sichergestellt sein.

Zwingender Bedarf für Krisenkommunikation in Sozialen Medien

Der zwingende Bedarf für staatliche Krisenkommunikation in Sozialen Medien ergibt sich aus den Veränderungen der letzten Jahre wie Menschen miteinander kommunizieren. Mit Web 2.0 hat sich das Kommunikationsverhalten grundlegend verändert. Das hat den Handlungsspielraum auch bei einer Katastrophe deutlich erweitert – für Behörden, für Medien, für Hilfesuchende, für Hilfeanbietende, aber auch für Schaulustige. Das bringt Chancen aber birgt auch Gefahren. Denn all diese erwähnten Gruppen sind so gesehen Kundinnen und Kunden des Katastrophenmanagements mit denselben Bedürfnissen: Bedarf nach Aufmerksamkeit und Information. Kann aber das Katastrophenmanagement für auch nur eine Gruppe diese Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigen, wird diese nach alternativen Möglichkeiten suchen und im Netz auch finden. In einem Netz, das kaum Regulative kennt sondern seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt und die mächtige Crowd längst das Kommando übernommen hat. Die Crowd aus hilfswilligen und schaulustigen Menschen gegen die man eben nicht einfach – wie beim Ort des Geschehens – Absperrungen anbringen kann, damit Einsatzkräfte die Krise ungehindert bewältigen können. Die Crowd ist da und sie wird auch in Zukunft bei einem Katastrophenfall aktiv werden. Denn die Macht liegt längst nicht mehr bei den Anbietenden, sondern bei den Nachfragenden.

Machtverschiebung von Anbietenden zu Nachfragenden

Mit dem Web 1.0 wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Informationen weltweit auf Webseiten rasch bereitgestellt und abgerufen werden können. Damit hat man in einem ersten Schritt – wie Professor Peter Kruse es treffend formuliert hat – die Vernetzungsdichte in diesem System in die Höhe getrieben. Dann kam das Web 2.0, mit dem UserInnen seither selbst Informationen binnen weniger Sekunden ins Netz stellen können. Das haben diese auch für sich entdeckt. In diesem zweiten Schritt wurden damit in diesem System zusätzlich die Spontanaktivitäten in die Höhe getrieben. Als dritter Schritt kamen Feedback-Funktionen, also zum Beispiel der Like-Button in Facebook oder die ReTweet-Funktion auf Twitter hinzu. Diese können „kreisende Erregungen“ verursachen, wie es Kruse beschreibt. Wenn diese drei Faktoren, also hohe Vernetzungsdichte, hohe Spontanaktivität und kreisende Erregungen, zusammentreffen, bekommt das System eine Tendenz zur Selbstaufschaukelung. Die dadurch entstehende Dynamik verleiht der Crowd ihre Macht. Diese Macht hat sich durch die Sozialen Medien vom Anbietenden zu den Nachfragenden verschoben. Das ist die neue Herausforderung, der sich auch ein Katastrophenmanagement stellen wird müssen.

Win-win-Situation schaffen

Die Crowd ist da und sie beeinflusst mitunter eine Vielzahl von Menschen in ihrem Handeln. So kann eine rasend schnell durchs Netz getriebene Falschmeldung gravierende Auswirkungen auf die Arbeit der Einsatzkräfte vor Ort haben und mitunter auch Chaos auslösen. Man stelle sich vor, eine Falschmeldung bittet um 100 freiwillige Personen zur Unterstützung der Einsatzkräfte vor Ort. Eine solche Meldung kann im Netz eine dramatische Dynamik mit schwerwiegenden Folgen für die Einsatzkräfte entwickeln. Nur wer dann Teil der Crowd, ist hat auch reale Chancen diese Dynamik einzufangen und mit resonanzbildenden Gegenmaßnahmen sinnvoll umzulenken. Es ist keine Frage von Katastrophenmanagement oder Crowd. Ziel muss vielmehr sein, dass sich das Katastrophenmanagement und die Crowd gemeinsam an Präventiv- und Bewältigungsmaßnahmen beteiligen. Eine Win-win-Situation muss geschaffen werden. Das kann gelingen, wenn dabei beide ihre Stärken einbringen: Das Katastrophenmanagement sein umfangreiches Know-how und die Ressourcen für die operative Katastrophenbewältigung und die Crowd ihre gewaltige Mobilisierungsfähigkeit. Die Crowd muss gewissermaßen ein Teil des Katastrophenmanagements werden. Umgekehrt muss das Katastrophenmanagement Teil der Crowd werden, um dort Empathie zu entwickeln und letztlich die Themenführerschaft übernehmen zu können. Nur so kann die Kraft der Crowd gebändigt und einer für alle Beteiligten gewinnbringenden Aufgabe zugeführt werden. Einsatzmöglichkeiten dafür gibt es viele. Gegenständliche Arbeit zeigt einige davon exemplarisch auf. Für welche man auch immer sich entscheidet, die zentralste Botschaft dieser Arbeit sollte dabei stets im Auge behalten werden: Arbeite für die Crowd, dann wird sie auch für dich arbeiten.

„Diese Systeme werden eine solche Dynamik entfalten, dass wir es uns schlicht und
ergreifend nicht leisten können uns nicht zu verändern.“

Kommentar

Ergänzend siehe auch Die Netzwerkgesellschaft und Krisenmanagement 2.0.