Auch in den letzten Wochen gab es wieder zahlreiche Ereignisse und Erlebnisse, die berichtenswert sind. So wurde mittlerweile ein neuer Rekord bei den Negativstrompreisen erreicht. Bis heute sind es bereits 80 Stunden, während es 2013 und 2014 jeweils ‚nur’ 64 Stunden waren. Dabei war auch noch etwas ‚Glück’ dabei, da es an den letzten Maisonntagen durchwegs schlechtes Wetter gab, so dass keine optimale PV-Stromproduktion möglich war.

Ende Juni 2015 wird das nächste deutsche Atomkraftwerk vom Netz genommen. Damit gehen rund 1,3 GW Leistung aus dem Netz, was sich durchaus positiv auf die Negativstrompreisentwicklung auswirken kann. Zum anderen kann das aber, wie bereits 2011 bei der ersten Abschaltewelle von Atomkraftwerken, zu einem weiteren Anstieg der erforderlichen
netzstabilisierenden Eingriffe führen.

Drei lokale Stromausfallereignisse haben in den letzten Wochen wieder gezeigt, wie verwundbar unsere Systeme und welche weitreichenden Auswirkungen bei einem Blackout zu befürchten sind:

Leider gibt es noch eine Reihe von weiteren neuen Erkenntnissen, die nicht gerade beruhigend sind. Diese werden demnächst zusammengefasst online zur Verfügung gestellt. Wie bereits angekündigt, möchten wir heute zwei Veranstaltungen in Deutschland zusammenfassen.

Fachtagung in Leipzig: Blackout – Vorbeugung, Bewältigung, Wiederaufbau

Vom 21. bis 22. April 2015 fand in Leipzig die 3. Fachtagung Energie unter dem Motto ‘Blackout – Vorbeugung, Bewältigung, Wiederaufbau‘ statt, wo wir beide Beiträge (Franz Hein zum Thema Energiezellensystem, Herbert Saurugg zu den gesellschaftlichen Folgen eines Blackouts) liefern durften. Einmal mehr wurde auf die weitreichenden Folgen eines Blackouts für die Gesellschaft bzw. auf die Notwendigkeit der aktiven Einbindung der Bevölkerung in die Krisenvorbereitung hingewiesen.

Die bei der 3. Fachtagung vortragenden Fachleute aus allen Ebenen des Netzbetriebes sowie aus dem Katastrophenschutz haben realistische Vorstellungen zur Vorbeugung, Bewältigung und zum Wiederaufbau der Stromversorgung nach einem Blackout. Klar wurde jedoch auch, dass für die Bewältigung eines solchen Worst-Case-Szenarios praxisnahe und immer wieder zu wiederholende Übungen unverzichtbar sind, die jedoch nicht überall im entsprechenden Umfang und
Konsequenz stattfinden. Die gemeinsame Sprache bei der Kommunikation den Akteuren stellt sich dabei immer wieder als größtes Problem dar. Es kommen zwar dieselben Begriffe zur Anwendung, aber in unterschiedlichem Kontext. Die Erkenntnis daraus: Ziel- statt Detailvorgaben sind notwendig, etwas das im militärischen Umfeld mit der Befehls- versus Auftragstaktik vergleichbar ist.

Auf der Katastrophenschutzseite zeigte sich einmal mehr, dass unsere ausgesprochen stromabhängige Gesellschaft in keinster Weise auf ein Worst-Case-Szenario ‘Blackout’ vorbereitet ist. Das gilt sowohl auf der Seite der
Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), als auch auf der Bevölkerungs- und Wirtschaftsseite. Die Fachtagung unterstrich daher die Notwendigkeit, dass sich nicht nur die Energie-Wirtschaft mit dem Thema ‘Blackout’ auseinandersetzen muss, sondern die gesamte GesellschaftSchlimm ist nicht, dass etwas schief gehen kann – es gibt keine 100% Sicherheit, sondern dass wir nicht damit rechnen und nicht darauf vorbereitet sind. Wir meinen, diese letztlich unvermeidbaren Vorfälle ausblenden zu können, so als ob sie damit auch nicht eintreten werden (‚Vogel-Strauß-Politik‘).

Dass die Wahrscheinlichkeit für ein Worst-Case-Szenario jedoch fortlaufend weiter steigt, wurde in verschiedenen Fachvorträgen zum Ausdruck gebracht. Die Diskrepanzen zwischen dem weiteren Ausbau der dezentralen Erzeugung, dem nahezu völlig fehlenden Ausbau jeglicher Energiebevorratungsmöglichkeiten (selbst Pumpspeicherwerke sind derzeit ’nicht im Geld‘) und dem unzureichenden Verstärken der Transportfähigkeit des Netzes, mindern fortlaufend die Versorgungssicherheit. Dazu kommt, dass die inhärent mit ihren Schwungmassen zum stabilen Netzbetrieb beitragenden Synchrongeneratoren mehr und mehr abgebaut werden (= Abbau der Momentanreserve).  Von den durch das ‚Atmen‘ der Drehgeschwindigkeit dieser Massen entstehenden Frequenzabweichungen sind alle Netzregelungsmaßnahmen abhängig.  Ohne die Frequenz als Indikator für das ständig anzustrebende Leistungsgleichgewicht ist kein auf Dauer stabiler Netzbetrieb möglich. Leistungselektroniken können dabei sicher unterstützend wirken, nicht aber das inhärente, dem
Energieerhaltungssatz ‚geschuldete‘ Wirken der Momentanreserve ersetzen.

Das Ausblenden der physikalischen Grundlagen eines stabilen Netzbetriebes, zusammen mit der Überbetonung der rein betriebswirtschaftlichen Vorgehensweisen (der Markt ‚regelt‘ alles, die erforderliche Flexibilität ist als Produkt ‚käuflich‘, Energiebevorratung ist zu ‚teuer‘!) und das politisch motivierte Verhindern eines Netzausbaues (auch St. Florians-Prinzip genannt), zerstören regelrecht die Voraussetzungen für eine stabile und immer ausreichende Stromversorgung. Weder ein erhoffter Zubau von Gaskraftwerken (derzeit völlig unwirtschaftlich und Schaffung weiterer Abhängigkeiten von außen) oder eine inzwischen ins Stocken geratene Verstärkung der Transportfähigkeit des Netzes durch Gleichstrom-Trassen können die immer kritischer werdende Situation ins Gegenteil verkehren. Der eklatante Mangel an Energiebevorratungsmöglichkeiten und einer wirksamen Pufferung der Energie wird ausgeblendet. Wunschdenken ersetzt nicht das notwendige Handeln. Auch nicht immer neue Subventionen und ein auf Geldbewegungen reduziertes Denken.

Eine langfristige Systemsicherheit ist nur unter umfassender Beachtung von systemischen Aspekten mit den Eckpfeilern
Energiebedarfssenkung, Dezentralität bezüglich Energiebevorratung und gemeinschaftsdienlichem Verhalten sowie einer Fehlerfreundlichkeit auch durch ein Fangen im Eigenbedarf (= lokale Notstromversorgung) innerhalb von Energiezellen erreichbar. Dazu bedarf es vor allem einer ganzheitlichen Herangehensweise und an vernetztem Denken. Unser derzeitiges Stromversorgungssystem zählt zwar zu den besten der Welt, weist aber massive Verwundbarkeiten auf, was wir nie vergessen sollten (siehe auch Hybride Bedrohungspotenziale im Lichte der Vernetzung und Systemischen Denkens).

Die Netzeingriffe zur Stabilisierung des Stromversorgungssystems steigen seit Jahren an, dauern länger und erfordern zunehmend weitreichendere Maßnahmen (siehe auch Auswertung Redispatching & Intradaystops). Besonders kritisch wurde die zunehmende Ignoranz von physikalischen Grenzen und Gesetzmäßigkeiten durch Politik und Markt hervorgehoben. Mit anderen Worten: ‘Das Stromnetz folgt physikalischen Gesetzmäßigkeiten und ist unerbittlich: Wenn die Maßnahmen nicht wirken, schaltet es einfach ab!’, eine Erkenntnis aus der Schweizer Sicherheitsverbundsübung 2014. Im Vortrag von Franz Hein wurde sogar gefordert: ‚Stoppt den gesetzlich vorbereiteten Blackout‘. Ursache der Fehlentwicklungen auch in der Gesetzgebung und den behördlichen Vorschriften ist das Ignorieren der Gefahren in der Informations- und Kommunikationstechnik. Auch hier führt das Wunschdenken einer immer möglichen Abwehr von schädlichen Einflussnahmen in Informationsverbindungen und Informationsverarbeitungen zu einer zunehmenden Gefährdung der Sicherheit des Energieversorgungssystems (und genauso auch in anderen Bereichen – z.B. Energie 4.0).

Dabei führen die Entwicklungen Richtung ‘Smart-Grids’ zu völlig neuen Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten. Da dieser Umbau des gesamten Systems zudem während des regulären Betriebes und somit am offenen Herzen erfolgt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass dabei etwas schief geht. Welche Herausforderungen noch auf den sicheren Netzbetrieb zukommen werden, ist nur schwer zu erahnen. So wurde etwa von einem großen Solarpark berichtet, wo sich die
Transformatoren durch aufschaukelnde Prozesse quasi selbst zerstört haben. Auch im industriellen Umfeld (Stichwort: Industrie 4.0) kommt es immer häufiger zu bisher nicht beobachteten Effekten, die zur Zerstörung von Komponenten führen. All diese Effekte dürften sich in den nächsten Jahren durch die zunehmende IT-Vernetzung des Stromversorgungssystems (Stichwort: Smart) und der steigenden Komplexität noch weiter verschärfen.

Die breite Auseinandersetzung mit dem Thema ‘Blackout’ macht daher in jedem Fall Sinn und ist für eine moderne, stromabhängige Gesellschaft unverzichtbar. Der Fokus darf nicht nur auf den sicheren Betrieb und der Verhinderung von Störungen liege, sondern muss auch die möglichen Schattenseiten adressieren (Stichwort: Disaster Recovering). In betriebswirtschaftlichen Überlegungen muss unbedingt das immense Schadenspotential eines längeren Ausfalles der Stromversorgung ‚eingepreist‘ werden.  Das weitere Ignorieren der Gefahren ist bodenloser und sträflicher Leichtsinn (oder gar ein Aspekt, den man nur noch mit ‚schwarmdumm‚ bezeichnen kann).

Weitere Details siehe unter Blackout – Vorbeugung, Bewältigung, Wiederaufbau.

Feldtest Katastrophenschutz-Leuchttürme, Berlin

Vom 24. bis 25. April 2015 fand in Berlin im Rahmen des Sicherheitsforschungsprojektes Katastrophenschutz-Leuchttürme (Kat-Leuchttürme – www.kat-leuchtturm.de) ein Feldtest statt, wo die erarbeiteten Konzepte der Öffentlichkeit präsentiert bzw. einzelne Komponenten einem Praxistest unterzogen wurden. Herbert Saurugg konnte sich persönlich vor Ort ein Bild machen.

Ziel des Projektes ist es, das Potenzial von ausgewählten Gebäuden mit einer sicheren Notstromversorgung und einem Notfall-Kommunikationssystem (‘Kat- Leuchtturm’ bzw. ‘Kat-L’) zur Unterstützung der Information, Kommunikation und Versorgung der Bevölkerung bei einem Blackout zu erforschen. Das Konzept sieht vor, dass in Berlin rund 80 solcher Einrichtungen (Kat-L) vorbereitet und im Anlassfall aktiviert werden sollen. Diese werden auch entsprechend personell besetzt und dienen als Informationsdrehscheiben bzw. als Kommunikationspunkte, um etwa Einsatzkräfte anzufordern. Die Kat-L sollen auch kommunikativ in das Krisenmanagement der Feuerwehr / Stadt eingebunden werden. Damit würde sich ein Abdeckungsradius von rund 2-3 km pro Kat-L ergeben. Ziel dieser Kat-L ist es auch, hilfesuchende Personen bei wichtigen Einrichtungen (z. B. Krankenhäuser, Feuerwachen) umzuleiten, damit diese ihre Aufgaben und Funktionen aufrechterhalten können. Ergänzend zum Kat-L sind rund 450 Kat-I Punkte mit einem Abdeckungsradius von rund 1 km geplant. Diese dienen als reine Informationsdrehscheiben (‘Schwarzes Brett’) und sind nicht personell besetzt. Sie sollen die lokale Selbstorganisation unterstützen (‘Suche-Biete’).

Das Konzept von dezentralen Informationspunkten (Kat-L und Kat-I) erscheint sehr vielversprechend. Für Österreich wäre zu überlegen, ob die Wahllokale dafür in Frage kommen könnten. Diese sind den Menschen bekannt und fußläufig erreichbar. Zudem gibt es verantwortliche Personen, die auch eine solche Informationsdrehscheibe betreuen könnten.

Im Gegensatz zu Wien verfügt jeder der 12 Berliner Bezirke über einen eigenen Katastrophenschutzstab, was gerade beim Szenario ‘Blackout’ durch den weitreichenden Ausfall der Telekommunikation ein besonderer Vorteil ist.

Genauso wie in Österreich (Forschungsprojekt BlackÖ.2) wurden auch in Berlin zahlreiche offene rechtliche Fragen in Hinblick auf die Bewältigung eines möglichen Blackouts festgestellt. Daher wird im Anlassfall sehr viel Improvisation erforderlich sein.

Während in Österreich die Rundfunksender über 72 Stunden notstromversorgt funktionieren, steht dieser wichtige Kanal zur Information der Bevölkerung derzeit in Berlin noch nicht zur Verfügung.

Beim Forschungsprojekt wurde ein besonderer Fokus auf das Verhalten ‘der Bevölkerung’ gelegt. Dazu wurden einige Begleitstudien durchgeführt, die auf der Projekthomepage abrufbar sind. Etwa mit dem Ergebnis, dass ‘Ärmere’ Bevölkerungsschichten stärker bereit sind, zu helfen. Jedoch ist dieses Potenzial in der Prävention nicht so einfach zu mobilisieren. Die Hilfsbereitschaft ist im persönlichen Wohnumfeld am größten. Zudem wurde versucht, die  Bedürfnisse ‘der Bevölkerung’ zu erheben. Dabei wurde einmal mehr klar, dass es keine homogene Bevölkerung und damit auch nicht ‘die Bevölkerung’ gibt, was häufig zu wenig, etwa auch in der Kommunikation, berücksichtigt wird.

Generell wünschen sich die Menschen ehrliche Informationen und keine Handlungsanweisungen. Fehlen Informationen, kann es rasch zu Eskalationen kommen. Videos sind am besten dazu geeignet, um möglichst viele Menschen in der Prävention zu erreichen. Wichtig ist auch die Information der eigenen Mitarbeiter von Organisationen, um sie im Anlassfall im Dienst zu halten. 86 % der Befragten erwarten sich von den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) Informationen, 84 % eine Unterstützung bei der Wasserversorgung (in Berlin wird nach 2 Stunden Stromausfall nur mehr eine stark eingeschränkte Wasserversorgung möglich sein!) und 82 % eine medizinische Versorgung.

 

Rund 23 % der befragten Menschen gaben an, dass ihre Selbstversorgungsfähigkeit auf zwei Tage beschränkt sei.
Das würde für Berlin hochgerechnet rund 800.000 Menschen betreffen. Weitere 1,5 Millionen Menschen sind demnach nach rund 4 Tagen auf externe Hilfe angewiesen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine aktive Einbindung der Bevölkerung bereits vor der Krise unverzichtbar ist, da die organisierte Hilfe die Erwartungen aufgrund des Umfanges nicht erfüllen kann (vergleiche auch Das Verhalten der Bevölkerung in Katastrophen und Notlagen)!

Bevorratung

Wie das Forschungsprojekt zeigt, gibt es noch viele Herausforderung in der Vorbereitung auf ein Blackout zu bewältigen, aber auch, dass es ganz gute Lösungsansätze gibt. Wir müssen uns nur damit auseinandersetzen.

Weitere Details siehe unter Katastrophenschutz-Leuchttürme Berlin.

Verschiedene Meldungen und Berichte

Situation im europäischen Stromversorgungssystem

Die angeführten Beispiele stammen rein aus öffentlich verfügbaren Quellen. Sie zeigen die aktuellen Herausforderungen auf und sollten uns an die Truthahn-Illusion erinnern.