Nationales Referenzszenario Blackout.

Ausgangslage

Derzeit gibt es kein abgestimmtes gesamtstaatliches Referenzszenario für einen europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall („Blackout“), dass auf nationaler Ebene als Referenz für mögliche Vorbereitungsmaßnahmen herangezogen werden könnte. Gleichzeitig wird jedoch aus verschiedenen Bereichen der Bedarf an einer abgestimmten Vorgangsweise artikuliert, um mögliche Vorbereitungsmaßnahmen daran ausrichten zu können. Speziell aus Kreisen der Wirtschaft und von Einsatzorganisationen wird dieser Wunsch immer wieder geäußert.

Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland wird auf Bundesebene ein solches Ereignis als das wahrscheinlichste Groß-Katastrophenszenario angesehen. In der Schweiz geht man zudem davon aus, dass es nach einem solchen Szenario zu einer reduzierten Verfügbarkeit von Erzeugungsleistungen kommt. Folge wären mehrwöchige rotierende Flächenabschaltungen („Strommangellage“). Dies würde sogar noch zu weitreichenderen Folgen in der Wirkungskaskade führen, als die unmittelbaren Folgen eines Blackouts.

In der Schweiz wird ein solches Szenario als ein Ereignis eingestuft, welches einmal in 30 Jahren eintritt. Das letzte länderübergreifende Blackout in Mitteleuropa ereignete sich im April 1976. Daher kann für dieses „low probability, high impact“-Ereignis seriöser Weise auch keine Eintrittswahrscheinlichkeit berechnet werden. So kam etwa der Untersuchungsbericht der europäischen Übertragungsnetzbetreiber, ENTSO-E, zum Blackout in der Türkei 2015 zum Schluss: “Although the electric supply should never be interrupted, there is, unfortunately, no collapse-free power system!“[2]

Für die sich massiv verändernden Rahmenbedingungen im europäischen Stromversorgungssystem gibt es zahlreiche Indikatoren. Ein Blackout wird nicht durch ein einzelnes, sondern durch das Zusammentreffen von mehreren grundsätzlich beherrschbaren Einzelereignissen ausgelöst. Der zunehmend herausforderndere Netzbetrieb begünstigt eine solche Kumulation. Zudem nehmen die kritischen Ereignisse in der Cyberwelt mit Auswirkungen auf Kritische Infrastrukturen zu.

Die Auswirkungen eines solchen Ereignisses würden sehr weitreichend sein und so gut wie alle stromabhängigen Infrastrukturen betreffen. Besonders der zeitnahe Ausfall der (zivilen) Telekommunikationseinrichtungen würde zum raschen Erliegen des gesamten gesellschaftlichen Lebens führen. Daher geht es nicht nur um den unmittelbaren Stromausfall. Die sich „kettenreaktionsmäßig“ ausbreitenden Infrastrukturausfälle werden zum Großteil auch nach der Wiederkehr der Stromversorgung noch deutlich länger andauern. Daher sind zwei wesentliche Phasen in der Vorbereitung und Kommunikation zu berücksichtigen:

Phase 1: Ein totaler bis weitgehender Strom- und Infrastrukturausfall, welcher je nach Region Stunden bis Tage dauern kann.

Phase 2: Die Stromversorgung funktioniert zumindest wieder in weiten Teilen, die anderen Infrastruktursektoren jedoch noch nicht oder nur eingeschränkt. Diese Phase kann je nach betroffener Infrastruktur Tage, Wochen und in Teilen sogar Monate (z.B. in der industrialisierten Tierhaltung) andauern. Die Stromversorgung sollte zumindest wieder die kritische Wasserver- und Abwasserentsorgung rasch anlaufen lassen, sofern es zu keinen infrastrukturellen Schäden gekommen ist.

Diese Ausgangslage bzw. die Prognosen bergen sehr viele Unsicherheitsfaktoren. Vor allem, was die Auswirkungen und die Zeit bis zur Wiederherstellung der gewohnten Normalität und Versorgung betrifft. Dies führt dazu, dass das Thema aufgrund seiner Komplexität und schweren Greifbarkeit zuweilen auch auf die Seite geschoben wird. Doch eine Vogel-Strauß-Politik nützt hier nichts. Ganz im Gegenteil. Ein gesamtstaatliches Referenzszenario ist daher ein Gebot der Stunde.

Dieses könnte die Vorbereitungen und Diskussionen in den einzelnen Sektoren aber auch in der Öffentlichkeit ankurbeln bzw.  die Diskussion über eine gemeinsame Zielrichtung vorantreiben. Die derzeit sehr heterogenen Ansätze könnten dadurch besser harmonisiert werden.

Eine aufeinander abgestimmte Vorgehensweise aller möglichen Stakeholdern erscheint in absehbarer Zeit kaum möglich und machbar zu sein. Es geht auch nicht um einzelne Details oder um die volle Zustimmung. Wichtig ist, dass es eine öffentliche Diskussionsgrundlage gibt, die dann weiterzuentwickeln ist. Diese gemeinsame Basis dient bei den Vorbereitungen und Überlegungen zur Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel aller Stakeholder. Auch als zwingende Voraussetzung, um die breite Öffentlichkeit und die Bevölkerung zur unverzichtbaren Eigenvorsorge anzuhalten. Das Personal der verschiedenen Organisationen und deren Familien ist in der Regel nicht wesentlich besser auf ein solches Ereignis vorbereitet, als der Rest der Gesellschaft. Ohne diese entscheidende Basis sind jedoch alle anderen organisatorischen Überlegungen auf Sand gebaut.

So kommt etwa die Sicherheitsforschungsstudie Ernährungsvorsorge in Österreich zum Schluss, dass sich bereits am 4. Tag einer blackoutbedingten Versorgungsunterbrechung rund drei Millionen Menschen nicht mehr in der Lage sehen, sich ausreichend selbst zu versorgen. Dies wird die Bewohner in den Städten noch härter treffen, als die Bevölkerung am Land. Nach 7 Tagen könnten es gemäß dieser Studie bereits rund 6 Millionen betroffene Menschen geben. Dabei sind Touristen oder Pendler, die auf jeden Fall auf externe Hilfe angewiesen sein werden, noch gar nicht mitberücksichtigt.

Nationales Referenzszenario Blackout

Aufgrund der Ausgangslage und der eigenen Erfahrungen wird daher folgendes nationales Referenzszenario vorgeschlagen:

Referenzszenario kurz

Ein Blackout ist ein plötzlicher, überregionaler, weite Teile Europas umfassender und über mehrere Tage hinausgehender Strom- und Infrastrukturausfall.

Referenzszenario lang

Unter einem Blackout wird in dieser Betrachtung ein europaweiter Strom- und Infrastrukturausfall verstanden. Dieser betrifft zeitgleich weite Teile Europas und kann überall in Europa ausgelöst werden. Bis zur Wiederherstellung einer stabilen europaweiten Stromversorgung können Tage vergehen. In Österreich wird aufgrund günstiger Rahmenbedingungen der Stromausfall wahrscheinlich deutlich kürzer dauern. Er sollte dennoch mit 12-24 Stunden angenommen werden. Wenngleich in einzelnen Regionen/Bundesländern durch eine Inselnetzbildung die Stromversorgung rascher wiederhergestellt werden sollte. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Resynchronisierung des europäischen Verbundnetzes nicht trivial ist und daher Rückschläge mit einem neuerlichen Totalausfall des betroffenen Netzgebietes zu rechnen ist.

Viele andere Infrastrukturleistungen sind von einer überregional stabilen Stromversorgung abhängig. Dies betrifft vor allem die Telekommunikations- und damit die gesamte Logistikversorgung. Die Wiederherstellung der Telekommunikationsversorgung sowie die ausreichende Verfügbarkeit einer stabilen Stromversorgung könnte Tage erfordern. Was vor allem auf viele technische Unsicherheiten in einem über Jahrzehnte gewachsenen System zurückzuführen ist.

Daher sollte davon ausgegangen werden, dass der Wiederanlauf der Lebensmittelversorgung nicht vor einer Woche beginnen wird. Schwerwiegende und länger andauernde Probleme in anderen Staaten würden sich durch die transnational organisierte Logistik und Produktion über weite Teile Europas negativ auswirken. Die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern könnte dadurch deutlich länger beeinträchtigt bleiben.

Die Bevölkerung und damit das Personal der verschiedenen Organisationen und Unternehmen ist auf eine solche Versorgungskrise nicht vorbereitet, was die Bewältigung umso schwieriger macht. Wesentliche Basis für die Bewältigung ist daher die Eigenversorgungsfähigkeit möglichst vieler Menschen für zumindest 1-2 Wochen. Dies betrifft vor allem die Trinkwasser- und Lebensmittelversorgung. Die Trinkwasserversorgung sollte grundsätzlich mit der Verfügbarkeit der Stromversorgung wieder weitgehend funktionieren. Durch mögliche infrastrukturelle Schäden sollte dennoch in jedem Haushalt ein Basisvorrat an Trinkwasser für mehrere Tage verfügbar sein (Basis: 2,5 Liter pro Person und Tag).

Aufgrund der eingeschränkten Telekommunikationsversorgung kommt der Selbsthilfe in lokalen Strukturen besondere Bedeutung zu. Diese ist zwar generell vorgesehen („Subsidiarität“). Sie ist jedoch im Alltag selten länger notwendig, da in der Regel ein rasches Einschreiten von professionellen Helfern möglich ist. Daher sind auch an die lokalen Rahmenbedingungen angepasste Vorbereitungs- und Bewältigungsmaßnahmen („Selbsthilfe-Basen“) erforderlich.

Wenn es erstmals zu einem europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall gekommen ist, dann wurde damit die Stabilitätsgrenze überschritten. Daher muss davon ausgegangen werden, dass das europäische Stromversorgungssystem danach für längere Zeit in einem instabilen Modus betrieben werden muss. Folgeblackouts oder Teilausfälle sind daher sehr realistisch.

Ein solches Ereignis würde wahrscheinlich in der produzierenden Industrie schwere Schäden und damit längerfristige Wirtschaftskrisen auslösen. Man beachte hier nur die jüngsten Vorfälle in der Automobilindustrie (VW, BMW), wo kleine Störungen bei Zulieferunternehmen bereits zu weitreichenden Auswirkungen geführt haben.

Nach der Wiederkehr der Telekommunikationsversorgung wird es natürlich viele Fragen und Vorwürfe geben. Eine rasche Verbreitung von Gerüchten und Vermutungen über die Sozialen Medien ist sehr wahrscheinlich. Auch auf diese Kommunikationskrisen muss man sich vorbereiten, damit die erwartbaren Eskalationen nicht völlig außer Kontrolle geraten. Hier sollte man sich vor allem auf Freiwillige abstützen, die bereits jetzt in ein Netzwerk eingebunden und in diesen Netzwerken ständig aktiv sind. All dies muss vorbereitet werden. Denn in der Krise selbst, wird es dafür zu spät sein.

Es ist daher zu erwarten, dass das staatliche wie auch unternehmerische Krisenmanagement über Wochen aufrechterhalten werden muss. Auch das erfordert entsprechende Überlegungen und Vorbereitungen.

Die wesentliche Message lautet daher:

  1. Ein solches Szenario ist möglich und sollte erwartet werden. Die Netzbetreiber unternehmen alles in ihrer Macht Stehende, um den Eintritt zu verhindern. Es gibt jedoch nirgends eine 100-prozentige Sicherheit. Die bisherige sehr hohe Versorgungssicherheit in allen Bereichen wiegt uns daher in eine falsche Sicherheit.
  2. Die Auswirkungen würden alle Lebensbereiche betreffen. Das gesamte gesellschaftliche Leben und so gut wie alle stromabhängigen Versorgungsleistungen würden binnen kürzester Zeit zum Erliegen kommen. Die Wiederherstellung der gewohnten Versorgung könnte Wochen und zum Teil länger dauern.
  3. Die Ressourcen der Einsatzkräfte und auch aller anderen Helfer und Organisationen sind für die Bewältigung eines solch weitreichenden Ereignisses nicht ausgelegt. Zudem besteht gleichzeitig die eigene Betroffenheit. Eine wie im Alltag gewohnte Hilfe kann daher nur sehr eingeschränkt bis gar nicht erwartet werden. Die Nachbarschaftshilfe und die Selbstorganisation in der Gemeinde sind die wichtigsten Bewältigungsstrategien.
  4. Es muss sich jede(r) Einzelne von uns und auch jede Organisation auf ein solches Szenario vorbereiten. Dies beginnt vorwiegend bei der persönlichen, familiären Vorbereitung, um zumindest 1-2 Wochen ohne externe Versorgung (Trinkwasser, Lebensmittel) gut über die Runden kommen zu können. Eine vorbereitete Gesellschaft kann auch mit einem solch undenkbarem Ereignis umgehen. Nutzen wir die Chancen.